Protocol of the Session on February 18, 2010

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auch unter Berücksichtigung des Lohnabstandsgebots und möglicher gesetzlicher Regelungen über die Tariffähigkeit von Kleinstgewerkschaften?

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Für die Landesregierung nimmt Herr Minister Bode Stellung. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich, bevor ich auf die Fragen konkret antworte, drei Punkte vorausschicken.

Erstens. Die Landesregierung missbilligt die bekannt gewordene Personalpraxis der Firma Schlecker aufs Schärfste.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Zweitens. Mir gegenüber haben sich die Arbeitgeberverbände des Einzelhandels von derartigen Praktiken entschieden distanziert und erklärt, dass sie bei ihren Mitgliedsunternehmen dafür Sorge tragen wollen, dass ähnliche Fälle nicht vorkommen werden. Die Landesregierung begrüßt diese klare Positionierung.

Drittens. Wir als Landesregierung begrüßen ausdrücklich, dass in der Zwischenzeit auch aufgrund der öffentlichen Debatte die Firma Schlecker diese Praxis aufgegeben hat und es entsprechende Verhandlungen, auch mit den Gewerkschaften, zu einer Neuordnung bei der Firma Schlecker gibt. Dies ist eine positive Entwicklung, gerade für die Beschäftigten bei der Firma Schlecker, und auch ein Signal an andere Unternehmen, die eventuell über ähnliche Praktiken nachgedacht haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie im Vorspann der vorliegenden Dringenden Anfrage zutreffend dargestellt, hat die Landesregierung in ihrer Antwort vom 21. Dezember 2009 - das war die Drs. 16/2047 - auf den Beschluss des Landtages vom 26. März 2009 in der Drs. 16/1119 darauf hingewiesen, dass eine systematische und flächendeckende Verdrängung von Stammbelegschaften durch Zeitarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer schon rein zahlenmäßig ausgeschlossen erscheine.

Dieser Einschätzung lag zugrunde, dass im August 2009 nur ca. 1,3 % aller Erwerbstätigen in Deutschland Zeitarbeitnehmerinnen oder -arbeit

nehmer waren. Vor diesem Hintergrund und wegen des seinerzeit noch nicht vorliegenden 11. Berichts der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes - kurz AÜG - wurde zudem eine Bundesratsinitiative mit der Aufforderung an den Bundesgesetzgeber zum Tätigwerden im Bereich des AÜG zumindest zu diesem Zeitpunkt für nicht angebracht erachtet.

Der mittlerweile vorliegende 11. Erfahrungsbericht ist zunächst einmal speziell zur Frage der Verdrängungseffekte durch Zeitarbeit überprüft worden. Die Landesregierung sieht danach aufgrund dieses 11. Erfahrungsberichtes weiterhin keinen Anlass, sich gegenüber der Bundesregierung für eine Änderung des AÜG einzusetzen. Dem Ergebnis der durch die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Praxis der Firma Schlecker angekündigten Prüfung in dieser Frage sieht die Landesregierung jedoch mit Interesse entgegen. Daraus eventuell erforderliche Konsequenzen bzw. Neubewertungen bleiben abzuwarten.

Zu der oben genannten zentralen Frage verweist der vorgenannte Bericht unter Hinweis auf das Forschungsvorhaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit zum Thema Arbeitnehmerüberlassung darauf, dass die Hälfte aller befragten Entleihbetriebe das Beschäftigungsniveau nicht verändert habe, während 34 % Beschäftigung aufgebaut und nur 16 % Beschäftigung abgebaut hätten. Aus der deskriptiven Analyse ergebe sich, so heißt es dort weiter, dass der Aufbau von Zeitarbeit insbesondere in Großbetrieben häufig mit einem Aufbau der Zahl der Stammbeschäftigten oder zumindest mit einer konstanten Größe der Stammbelegschaft einhergehe. Von einer systematischen, empirisch belegbaren und über prominente Einzelfälle von Konzernleihe hinausgehenden Substitution von Stammbelegschaften durch Zeitarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer dagegen gehen weder der 11. Erfahrungsbericht noch diesem zugrundeliegende Forschungsberichte des IAB aus.

Der 11. Erfahrungsbericht zeigt vielmehr, dass Arbeitnehmerüberlassung in den vergangenen Jahren weiter deutlich an Bedeutung zugenommen hat, Zeitarbeit mit 20 % einen wesentlichen Anteil an dem im Berichtszeitraum 2005 bis 2008 erfolgten Aufbau sozialversichungspflichtiger Beschäftigung gehabt hat, die Entwicklung in der Zeitarbeit einen geeigneten Frühindikator für konjunkturelle Entwicklungen der Gesamtwirtschaft darstellt, Zeitarbeit insbesondere für Langzeitarbeitslose

eine unverzichtbare Chance auf Zugang zu sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung ist und sich insgesamt die mit der Reform des AÜG im Jahr 2002 verbundene Erwartung, zusätzliche Beschäftigung in der Zeitarbeit für arbeitslose Frauen und Männer zu erschließen, erfüllt hat.

Nicht zuletzt deswegen teilt die Landesregierung die Auffassung der Bundesarbeitsministerin, dass das grundsätzlich gute und sinnvolle Modell der Zeitarbeit nicht durch Missbrauch in Verruf gebracht werden darf. Diesen Missbrauch gilt es zu bekämpfen, ohne die Zeitarbeitsbranche insgesamt durch eine überbordende Reregulierung zu gefährden. Nur mit der Zeitarbeitsbranche und nicht gegen sie sind die weiterhin erforderlichen beschäftigungspolitischen Erfolge auch in der Zukunft möglich.

Meine Damen und Herren, ob es sich bei der bekannt gewordenen und kritisierten Personalpraxis der Firma Schlecker, die, wie gesagt, auch von uns auf keinen Fall gut geheißen wird, um einen Missbrauch des AÜG handelt oder nicht, wird, wie bereits ausgeführt, augenblicklich von der Bundesregierung geprüft. Unabhängig von dem Ergebnis dieser Prüfung, dem die Landesregierung mangels eigener Kenntnisse der konkreten Umstände nicht vorgreifen kann und will, ist sie jedoch der Auffassung, dass der mittlerweile aufgegebenen Praxis der Firma Schlecker oder auch eventueller ähnlicher Fälle auch mit den heute vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten, insbesondere des Kündigungsschutzgesetzes, in Einzelfällen wirksam begegnet worden ist und dies auch weiterhin getan werden kann.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die einzelnen Fragen wie folgt:

Zu 1: Zur arbeitsrechtlichen Situation der Beschäftigten der Firma Schlecker ist der Landesregierung nur bekannt, dass das Unternehmen nicht Mitglied im Arbeitgeberverband des Einzelhandels ist. Über die Inhalte der von der Firma Schlecker geschlossenen Arbeitsverträge hat die Landesregierung dagegen keinerlei Kenntnisse. Für eine fundierte Beurteilung der arbeitsrechtlichen Situation in den AS- und XL-Filialen des Unternehmens fehlen ihr daher die Möglichkeiten.

Zu 2: Ausweislich der Ergebnisse des bereits im Vorspann angesprochenen 11. Erfahrungsberichts bzw. jener des diesem zugrunde liegenden Forschungsberichts des IAB zählt der Einzelhandel gerade nicht zu den klassischen Leiharbeitsbranchen. Danach haben 2008 nur 2 % der Unterneh

men der Branche Handel und Reparatur Zeitarbeiter entliehen. 2007 waren es 2 %, 2006 und 2005 jeweils 1 %, 2004 2 % und 2003 1 %. Allein deshalb kann es sich nach Auffassung der Landesregierung auch bei der in der Öffentlichkeit diskutierten und kritisierten Beschäftigungs- und Entlohnungspraxis der Firma Schlecker nur um einen Einzelfall handeln.

Zu 3: Die kritisierte Praxis der Firma Schlecker gibt der Landesregierung zunächst keinen Anlass, ihre bekannte und begründete ablehnende Haltung gegenüber gesetzlichen Mindestlöhnen zu verändern. Sie ist darüber hinaus der Auffassung, dass die Beantwortung der sich im Übrigen nur im konkreten Einzelfall stellenden Rechtsfrage der Tariffähigkeit von Kleinstgewerkschaften den dafür zuständigen Arbeitsgerichten überlassen bleiben sollte.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Eine erste Zusatzfrage stellt der Kollege Will von der SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Ich frage die Landesregierung: Wie beurteilt sie die Tariffähigkeit christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit- und Personalserviceagenturen als Tarifpartner?

Herr Minister Bode, bitte!

Sehr geehrter Kollege Will, das war die Frage 3 Ihrer Anfrage, die ich beantwortet habe. Hier gilt, dass sich die Frage im konkreten Einzelfall stellt und dann von den zuständigen Arbeitsgerichten zu entscheiden ist. Die Landesregierung wird sich hier nicht einmischen.

(Zustimmung bei der FDP)

Die nächste Zusatzfrage stellt der Kollege Schneck von der SPD-Fraktion.

Sehr verehrte Damen und Herren! Ich frage die Landesregierung, wie sie vor dem Hintergrund der

Situation bei der Firma Schlecker und im Einzelhandel die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns für den Einzelhandel bewertet.

Herr Minister Bode, bitte!

Sehr geehrte Damen und Herren, auch hierbei handelt es sich um die Frage 3. Ich verweise auf die Antwort hierzu. Die Landesregierung hat an ihrer bekannten ablehnenden und begründeten Haltung gegenüber gesetzlichen Mindestlöhnen nichts zu ändern. Ich will Sie allerdings auf die heutige Berichterstattung in der Wirtschaftspresse hinweisen. Danach gibt es derzeit im Einzelhandel zwischen Arbeitgeberverband und ver.di Gespräche zur Einführung eines Mindestlohns im Tarifvertragssystem. Diese Verhandlungen bleiben abzuwarten. Es handelt sich hierbei - nur zu Ihrer Information - nach den uns vorliegenden Erkenntnissen nicht um den Versuch, aufgrund des Entsendegesetzes einen Mindestlohn zu vereinbaren, sondern über den Weg eines Tarifvertrags, sodass auch firmenspezifische Tarifabschlüsse weiterhin Bestand hätten.

(Beifall bei der FDP)

Die nächste Zusatzfrage stellt der Kollege Hagenah von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Präsident! Vor dem Hintergrund der zusammenfassenden Antwort der Landesregierung, dass sie von nichts weiß, sich für nichts verantwortlich fühlt und deswegen keine Notwendigkeit sieht, Konsequenzen zu ziehen, frage ich die Landesregierung, welche Erkenntnisse sie aus der Bearbeitung der gestern hier behandelten Eingabe in Bezug auf die Firma Schlecker gewonnen hat, wenn der Minister hier heute darstellt, man wisse überhaupt nichts über entsprechende Verhaltenspraktiken, obwohl die Eingabe klar belegt hat, dass eine Entlassung der Beschäftigten und eine Weiterbeschäftigung über eine Leiharbeitsfirma zu 50 % des vorherigen Lohns hier in Niedersachsen erfolgt sind.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Minister Bode, bitte!

Sehr geehrter Herr Kollege Hagenah, zunächst einmal ist festzustellen, dass die Landesregierung die Zuständigkeiten achtet. In diesem Fall gibt es eine klare Zuständigkeit der Bundesregierung und auch ein klares Handeln der Bundesarbeitsministerin. Mein Haus ist selbstverständlich in engem Kontakt zum Bundesarbeitsministerium, um die Überprüfung der Situation bei Schlecker zu unterstützen und da zur Seite zu stehen, wo es entsprechenden Bedarf in Bezug auf das Land Niedersachsen gibt.

Des Weiteren habe ich in der Antwort ausgeführt, dass ich persönlich beim Arbeitgeberverband des Einzelhandels diese Fälle - auch andere Fälle, wie beispielsweise die bekanntgewordene Situation bei Lidl - angesprochen habe und dass sich der Arbeitgeberverband von den kritisierten Praxen in der Öffentlichkeit energisch distanziert und zugesichert hat, innerhalb seiner Strukturen dafür Sorge zu tragen, dass solche Fälle bei seinen Mitgliedsunternehmen nicht vorkommen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Die nächste Zusatzfrage stellt der Kollege Schminke von der SPD-Fraktion. Bitte!

Herr Bode, angesichts der Tatsache, dass zweierlei Recht angewendet wird, nämlich einmal bei denjenigen, deren Stundenlöhne durch die Firma Schlecker um 6 Euro abgesenkt worden sind, und bei denjenigen, die nach Aussagen der Firma Schlecker dieses Schicksal zukünftig nicht mehr erleiden sollen, möchte ich Sie fragen: Sieht die Landesregierung nicht eine Verpflichtung, auf die Firma Schlecker zuzugehen und wenigstens einzufordern, dass dieses ungleiche Recht beseitigt wird, dass die Löhne derjenigen, die schlechter gestellt wurden, an die Löhne derjenigen angeglichen werden, die zukünftig Gott sei Dank nicht mehr davon betroffen sein werden?

Herr Minister Bode, bitte!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben hier zunächst einmal die Situation, dass es sich um zwei unterschiedliche Arbeitgeber handelt. Inwieweit diese Konstruktion tatsächlich eine unzulässige Umgehung der gesetzlichen Regelung darstellt, ist ja gerade Bestandteil der Prüfung des Bundesarbeitsministeriums, sodass diese Frage ebenfalls in dem Prozess mit zu beantworten ist. Die Landesregierung arbeitet hieran aktiv mit.

(Beifall bei der CDU)

Die nächste Zusatzfrage stellt der Kollege Lies von der SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Arbeitsminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Laumann, spricht davon, dass eine soziale Schieflage entsteht. Wir erleben es gerade im Einzelhandel, dass an vielen Stellen niedrigste Löhne gezahlt werden. Deswegen brauchen wir, glaube ich, nicht über den Anteil an Leiharbeit zu sprechen; vielmehr geht es um das dramatische Gefüge, dass wir in dem Bereich haben. Welches Bild hat die Landesregierung davon, wie man zukünftig dafür sorgen will, dass genau diese Tarifflucht verhindert wird und das soziale Gefüge, das dort zerbricht, erhalten werden kann? Es geht mir darum, welches Bild die Landesregierung hat, und nicht darum, welchen gesetzlichen Weg sie gerade beschreitet; denn sie müssen doch ein Bild davon haben, wie Sie das in Zukunft verhindern wollen.