Das Innenministerium weist sowohl in seiner Antwort auf die parlamentarische Anfrage als auch in seiner Stellungnahme gegenüber der HAZ darauf hin, dass die Ausländerbehörden vor Ort selbst entscheiden, welche Gutachter sie beauftragen. Zudem antwortete die Landesregierung am 29. August 2008 auf eine Anfrage der Abgeordneten Polat:
„Die von den niedersächsischen Ausländerbehörden in Auftrag gegebenen ärztlichen Gutachten werden nicht statistisch erfasst.“
1. Nach welchen Kriterien wählen die Ausländerbehörden, Gesundheitsämter und die Landesschulbehörde Ärztinnen und Ärzte als Gutachterinnen und Gutachter in ausländerrechtlichen Angelegenheiten oder im Zusammenhang mit der Versetzung von Lehrkräften wegen Dienstunfähigkeit aus?
2. An welchen rechtlichen Vorgaben bezüglich Qualifikationsanforderungen an Ärztinnen und Ärzte und deren Gutachten müssen sich Landesregierung und niedersächsische Behörden bei medizinischen Gutachten im ausländerrechtlichen und dienstrechtlichen Bereich orientieren?
3. Wird die Landesregierung durch eine Weisung an die niedersächsischen Behörden oder ähnliche Maßnahmen verbindlich darauf hinwirken, dass Professor V. aufgrund der Mängel nicht mehr mit Gutachten beauftragt wird, bzw. warum wird sie es nicht tun?
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausländerbehörden führen das Ausländerrecht im Rahmen des übertragenen Wirkungskreises weisungsgebunden aus. Zu ihren Aufgaben gehört auch die zwangsweise Beendigung des Aufenthalts vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländerinnen und Ausländer, die ihrer Ausreiseverpflichtung selbst nicht nachkommen.
Die Ausreiseverpflichtung wird in aller Regel bereits vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Rahmen der Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse festgestellt, da es sich bei der überwiegenden Zahl der ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländer um abgelehnte Asylantragsteller handelt. Die Entscheidungen des Bundesamtes sind ganz überwiegend im verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren bestätigt worden. An diese im Asylverfahren getroffenen Entscheidungen über die Ausreiseverpflichtung von Ausländern des Bundesamtes sind die Ausländerbehörden zwingend gebunden.
Wenn die vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländer ihrer Ausreiseverpflichtung nicht selbst nachkommen, sind die Ausländerbehörden gesetzlich verpflichtet, den Aufenthalt zwangsweise durch Abschiebung zu beenden. Es handelt sich dabei um eine zwingende Rechtsfolge. Der Gesetzgeber hat somit den Ausländerbehörden kein Ermessen eingeräumt, auch wenn das in der Öffentlichkeit immer wieder anders dargestellt wird
Die Ausländerbehörden haben bei der Vorbereitung von Abschiebungen lediglich noch zu prüfen, ob rechtliche Hindernisse einer zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung entgegenstehen, also ob inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse bestehen. Ein derartiges Vollstreckungshindernis kann
beispielsweise in der gesundheitlichen Beeinträchtigung ausreisepflichtiger Ausländerinnen und Ausländer begründet sein, wenn geltend gemacht wird, dass sie aus medizinischen oder psychischen Gründen nicht reisefähig sind. Zur Überprüfung dieses Vorbringens hat dann die Ausländerbehörde in erster Linie amtsärztliche, in besonders gelagerten Fällen auch Gutachten externer Fachärzte, einzuholen. Letzteres ist immer nur dann der Fall, wenn die Amtsärzte nicht über die Spezialisierung verfügen, die für eine Begutachtung notwendig ist. Mithilfe dieser Gutachten ist dann die Frage zu klären, ob die betreffende Person gesundheitlich in der Lage sein wird, in das Herkunftsland - gegebenenfalls auch unter ärztlicher Betreuung - auszureisen. Ärztlich zu begutachten ist somit, ob sich der Gesundheitszustand durch die Ausreise erheblich verschlechtern würde. Eine Bewertung der Möglichkeiten zur Behandlung vorgetragener Erkrankungen im Herkunftsland ist ausdrücklich nicht Gegenstand dieser ärztlichen Untersuchungen über die Reisefähigkeit, weil diese Frage bereits vom Bundesamt im Rahmen der Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse geprüft und bejaht worden ist.
Die Durchführung des Aufenthaltsgesetzes und damit der Vollzug von Abschiebungen durch die Ausländerbehörden unterliegen der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung. In diesen Verfahren wird auch über die Reisefähigkeit ausreisepflichtiger Ausländerinnen und Ausländer entschieden, wobei dann auch die von den Ausländerbehörden eingeholten Gutachten von den Verwaltungsgerichten zu bewerten sind. Die Verwaltungsgerichte sind aber nicht daran gebunden, ihre Entscheidung auf der Grundlage der von den Ausländerbehörden eingeholten ärztlichen Gutachten zu treffen, sondern können auch selbst entsprechende Gutachten einholen.
In der Antwort auf die Anfrage der Abgeordneten Polat vom 12. August 2009 hat das Ministerium darauf hingewiesen, dass ihm kein Fall bekannt geworden ist, in dem ein Verwaltungsgericht ein Gutachten von Professor Dr. V. infrage gestellt oder verworfen hat.
Unabhängig von der Zulässigkeit der Abschiebung haben die Ausländerbehörden in jedem Einzelfall zu entscheiden, ob der ausreisepflichtige Ausländer zur Sicherung der Abschiebung in Haft zu nehmen ist. Auch bei dieser Entscheidung handelt es sich nicht um eine Ermessensentscheidung. Vielmehr enthält § 62 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes ein Konditionalprogramm. Das heißt, wenn
die dort genannten Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, ist die Abschiebungshaft zwingend anzuordnen.
Als Beispiele für die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen nenne ich die Nrn. 4 und 5. Danach ist die Bedingung für die Anordnung der Haft erfüllt, wenn sich ein Ausländer in sonstiger Weise der Abschiebung entzogen hat oder der begründete Verdacht besteht, dass er sich der Abschiebung entziehen will.
Bei der Abschiebungshaft handelt es sich natürlich um eine freiheitsentziehende Maßnahme. Sie unterliegt deshalb einem richterlichen Vorbehalt. Die Ausländerbehörde muss daher einen entsprechenden Haftbeschluss beantragen. Die Zuständigkeit für die Anordnung von Abschiebungshaft liegt bei den ordentlichen Gerichten. Die Entscheidungen über diese Anträge auf Freiheitsentziehung werden somit vom Haftrichter des zuständigen Amtsgerichts getroffen. Beschwerden gegen diese erstinstanzlichen Entscheidungen können bei den Landgerichten erhoben werden.
Im Rahmen der Entscheidung über die von den Ausländerbehörden beantragte Haft zur Sicherung der Abschiebung ist von den Gerichten auch darüber zu entscheiden, ob ausreisepflichtige Ausländerinnen und Ausländer haftfähig sind. Hierbei kann es dann auch auf die Bewertung ärztlicher Gutachten ankommen. Das Gericht kann für seine Entscheidung aber auch selbst ein entsprechendes Gutachten einholen. In einer derartigen Haftsache hat das Landgericht Hannover in einem Beschwerdeverfahren gegen die zuvor vom Amtsgericht Hannover angeordnete Abschiebungshaft ein Gutachten von Professor Dr. V. bemängelt und sich seinen Feststellungen nicht angeschlossen.
Zu Frage 1: Ausländerbehörden, die zur Feststellung der Reisefähigkeit ärztliche Gutachten einholen, wenden sich in erster Linie an die Amtsärztinnen und Amtsärzte ihres Gesundheitsamtes. Erst in den Fällen, in denen gesundheitliche Beeinträchtigungen geltend gemacht werden, die eine Begutachtung durch einen Facharzt erfordern, werden externe Gutachten eingeholt, damit die Frage der Reisefähigkeit unter fachspezifischen Aspekten bewertet werden kann.
Die Dienstunfähigkeit sowie das Verfahren zur Feststellung der Dienstunfähigkeit sind in § 26 des Beamtenstatusgesetzes und in den §§ 43 ff. des Niedersächsischen Beamtengesetzes geregelt. Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 NBG ist die Dienstunfähigkeit aufgrund einer ärztlichen Untersuchung festzustellen. Ärztliche Untersuchungen werden gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 NBG von Amtsärztinnen, Amtsärzten, beamteten Ärztinnen oder beamteten Ärzten durchgeführt. Ausnahmsweise kann gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 NBG im Einzelfall auch eine sonstige Ärztin oder ein sonstiger Arzt zur Durchführung bestimmt werden.
Im Geschäftsbereich des MK werden diese Untersuchungen ausschließlich von Ärztinnen und Ärzten durchgeführt, die bei den Gesundheitsämtern beschäftigt sind. Im Rahmen der Erstellung amtsärztlicher Gutachten wegen Dienstunfähigkeit kann es erforderlich sein, zusätzliche ärztliche bzw. ergänzende fachärztliche Gutachten einzuholen. Die Entscheidung darüber trifft die Amtsärztin oder der Amtsarzt nach pflichtgemäßem Ermessen in eigener Verantwortung, nicht die Landesschulbehörde. Nur in diesem Zusammenhang können auch Ärztinnen und Ärzte, die nicht Amtsärzte sind, bei der Frage, ob Dienstunfähigkeit vorliegt, mitwirken. Die Gesamtbewertung ist jedoch seitens der Amtsärztin oder des Amtsarztes vorzunehmen. Sie oder er trifft letztendlich die Entscheidung.
Zu Frage 2: Das Aufenthaltsgesetz enthält keine rechtlichen Vorgaben bezüglich der Qualifikationsanforderungen an Ärztinnen und Ärzte. Im Hinblick auf die Qualität der ärztlichen Gutachten hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 11. September 2007 Kriterien festgeschrieben, anhand derer zu bewerten ist, ob das erstellte Gutachten den fachlichen Anforderungen genügt. Das Bundesverwaltungsgericht stellt u. a. fest, dass sich
„auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose erstellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Auf
schluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf“
Ein Attest, das keine Angaben über eine eigene ärztliche Exploration und Befunderhebung enthält und sich im Wesentlichen auf die Wiedergabe der Angaben des Antragstellers beschränkt und ohne nähere Erläuterung bescheinigt, dass die von ihm gemachten Angaben für das Vorhandensein einer posttraumatischen Belastungsstörung sprächen, und in dem keine nachvollziehbar eigene Diagnose gestellt ist, genügt diesen Anforderungen nicht.“
Anhand dieser Kriterien haben die Ausländerbehörden die von ihnen in Auftrag gegebenen fachärztlichen Gutachten zu bewerten und danach ihre Entscheidung zu treffen.
Auch im Beamtenrecht gibt es keine rechtlichen Vorgaben bezüglich der Qualitätsanforderungen an Ärztinnen und Ärzte. Grundlage für die Entscheidung der Landesschulbehörde über die Dienstfähigkeit einer Beamtin oder eines Beamten sind die tragenden Feststellungen und Gründe des mitgeteilten Ergebnisses der amtsärztlichen Untersuchung. Ob die betroffene Lehrkraft die Einschätzung hinsichtlich ihrer Dienstfähigkeit teilt, ist dabei allerdings unerheblich.
Zu Frage 3: Die Ausländerbehörden haben beim Vollzug des Aufenthaltsgesetzes nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, welche Amtsärzte, Fachärzte oder sonstige Gutachter sie einschalten, wenn medizinische oder psychologische Fragen bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen bewertet werden müssen.
Die Landesregierung sieht nach wie vor keine Veranlassung, die Ausländerbehörden anzuweisen, welche Ärztinnen oder Ärzte mit der Erstellung von Gutachten über die Reisefähigkeit ausreisepflichtiger Ausländerinnen und Ausländer zu beauftragen sind.
Eine erste Zusatzfrage stellt die Kollegin Korter von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Uns liegen Informationen vor, wonach das niedersächsische Innenministerium, das niedersächsische Sozialministerium und auch der heutige Kultusminister, Herr Althusmann, persönlich bereits vor Jahren auf die Problematik des Gutachters Professor V. hingewiesen wurden.
Ich frage die Landesregierung: Seit wann liegen bei der Landesregierung Hinweise auf die mangelnde Qualität der Gutachten des Professor V. vor, und in welcher Weise ist sie diesen Hinweisen nachgegangen? Immerhin geht es ja auch um die Aufsichtspflicht und Fürsorgepflicht des Dienstherren gegenüber den Landesbeamten im Schuldienst.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von Unterstützergruppen sind immer einmal wieder Hinweise gekommen, wenn die Gutachten nicht akzeptiert wurden und nicht zur Freude der Unterstützer ausgefallen sind. Aber über die Qualität eines Gutachtens wird letztendlich von Gerichten entschieden. Ich habe eben sehr ausführlich dargestellt, wie der Weg verläuft.
Professor Dr. V. ist, wie ich gehört habe, in den letzten Jahren vielfach eingesetzt worden. Er ist bei den Verwaltungsgerichten in keiner Art und Weise beanstandet worden. Ein einziger Fall ist uns jetzt vom Landesverwaltungsgericht bekannt. Aber auch bei anderen Gutachtern hat das Gericht es schon einmal anders gesehen. Das ist ein völlig normaler Vorgang.
Das heißt: Wenn man mit einem Gutachter nicht einverstanden ist, besteht immer die Möglichkeit, das über die Verwaltungsgerichte bis hin zum Landesverwaltungsgericht zu überprüfen.
Letztendlich hat das Gericht zu entscheiden, wie man in diesem Zusammenhang tätig wird. Insofern ist völlig klar, dass man dies weder der Landesregierung noch einer Ausländerbehörde in irgendeiner Weise vorwerfen kann.
Ich frage die Landesregierung: Hat die Landesregierung auf niedersächsische Behörden Einfluss genommen oder Empfehlungen abgegeben, Professor V. als Gutachter zu beauftragen?