Erste Lektion: Schöne Bilder hat man gern, aber kritische Gedanken nicht. - Sie, Frau Özkan, haben sich am Montag in der Fraktion entschuldigen müssen, sogar zweimal.
Dafür, dass Sie das gesagt haben, was Verfassungsgrundsatz ist, dass Staat und Kirche getrennt sind, dass das Neutralitätsgebot gilt?
Zweite Lektion: Wenn die Regierung Wulff die Verfassung bricht - das ist in diesem Haus schon einige Male passiert -,
Wer allerdings für die Verfassung eintritt, der muss sich am Ende dafür entschuldigen. Das ist Demokratie paradox.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der CDU, nicht einmal einen solchen Konflikt aushalten, dann können Sie tatsächlich einpacken. Wer sollte Ihnen denn abnehmen, dass Sie sich ernsthaft für Migranten öffnen wollen, wenn solch eine Aussage einer noch nicht einmal ernannten Ministerin schon für derartige Panik sorgt?
Wir bilanzieren: vier Wechsel, eine Frau mehr als bisher, drei Auswärtige und ein unbequemer Satz. Das ist zu viel für die christdemokratische Bodenständigkeit zwischen Harz und Heide.
Dabei - das gebe ich offen zu - hat meine Fraktion darüber diskutiert, ob es nicht richtig wäre, Frau Özkan als Ministerin mit zu wählen, weil sie sich für eine andere Türkeipolitik der CDU einsetzt,
weil sie sich für eine längere gemeinsame Schulzeit unserer Kinder einsetzt, weil mit ihrer Wahl der Abschiebeminister Schünemann an Einfluss verliert,
weil sie die Freiheit der Schule von der Religion achtet und weil sich weite Teile der Regierungsfraktionen vermutlich maßlos geärgert hätten, wenn wir so entschieden hätten. Nach den Abläufen der letzten Tage würde ich sagen: Es war gut, dass wir das nicht getan haben. Für Sie, Frau Özkan, wäre dieses Signal richtig gewesen. Sie haben diese Chance verdient. Aber jetzt ist klar geworden: Der Ministerpräsident und die CDU-Fraktion wollten nur eine Quotenmuslima. - Das konnten wir nicht unterstützen, meine Damen und Herren.
Herr Wulff, Sie sprechen jetzt davon, dass hier nachjustiert werden musste. Ich sage dazu: Ein Maulkorb ist kein feinmechanisches Werkzeug, sondern ein grobschlächtiges Zwangsinstrument, und das haben Sie hier angewendet.
Herr Wulff, Ihnen helfen jetzt keine semantischen Eiertänze wie in den letzten Tagen. Sie haben Ihre Kabinettsumbildung gründlich vergeigt.
Meine Damen und Herren, der Ministerpräsident hat gestern sein halbes Kabinett ausgewechselt, aber gleichzeitig festgestellt, dass sich keiner der ausgeschiedenen Minister irgendetwas hat zuschulden kommen lassen oder irgendeinen Fehler gemacht hat.
War da was? - Das, meine Damen und Herren, verstehen wir nicht. Wenn man sämtliche Bildungsminister des Kabinetts - von der frühkindlichen Bildung über Schule bis hin zu Hochschule und Wissenschaft - in die Wüste schickt, dann muss doch etwas mehr dahinterstecken. Wir stellen fest: Unsere Kritik an Ihrem Kabinett, Herr Wulff, war vollauf berechtigt.
Wir stellen fest: Mit Ihrer Kabinettsumbildung kommen sehr unterschiedliche Personen. Zwei verkörpern Bewegung, und zwei verkörpern Stillstand und Rückschritt. Merkwürdig ist nur, dass der Minister mit den meisten Verfassungsbrüchen im Amt bleibt.
Merkwürdig ist auch, dass Sie die FDP-Minister offenbar für so überragend halten, dass sie völlig verschont blieben.
Meine Damen und Herren, das Motto Ihrer Regierungserklärung heißt: No future. - Der Austausch von Ministerinnen ist noch nicht der Amtsantritt einer Zukunftsregierung. Ihre Rede heute Morgen lässt am Willen zum Umsteuern zweifeln. Wirklich neue Ideen musste man in Ihrer Rede mit der Lupe suchen. Mit den neuen Ministern im Kabinett müssen Sie aber die Felder anpacken, bei denen es wirklich auf den Nägeln brennt.
Eine zentrale Herausforderung ist die stark rückläufige Bevölkerungsentwicklung in Niedersachsen. Viele Gemeinden in Niedersachsen verlieren in den nächsten Jahren fast die Hälfte ihrer Kinder, haben aber bald doppelt so viele Hochbetagte zu betreuen wie heute. Es waren - das sage ich an dieser Stelle ganz deutlich - CDU und FDP, die Kohl-Regierung und die Albrecht-Regierung, die sich in den 80er- und 90er-Jahren einer guten Kinderbetreuung, Ganztagsschulen und einer rationalen Einwanderungspolitik - das ist ein ganz wichtiger Punkt - verweigert haben. Kinder und Beruf: Man musste in der Regel wählen. Man musste entscheiden. Beides ging nicht.
Da haben Sie den Grundstein für die rückläufige demografische Entwicklung gelegt, mit der wir heute hier zu kämpfen haben.
Es waren die Konservativen, die hier über anderthalb bis zwei Jahrzehnte hinweg die Modernisierung blockiert haben. Die Quittung bekommen wir heute.
Meine Damen und Herren, jetzt haben Sie Herrn Schünemann in der Integrationspolitik entmachtet und eine neue Ministerin bestellt. Wenn es aller
dings im Umgang mit ihr so weiterläuft wie seit dem Wochenende, dann, meine Damen und Herren, sehe ich schwarz. Herr Ministerpräsident Wulff, mit dieser Personalie legen Sie die Messlatte für eine erfolgreiche Integrationspolitik höher. Wir werden es Ihnen nicht durchgehen lassen, wenn Sie nur ein neues Gesicht präsentieren, aber die Inhalte die alten bleiben. Wir werden sehr genau hinschauen, ob Herr Schünemann die Menschen abschiebt, die Frau Özkan integrieren soll.
Das gilt insbesondere auch für die Roma, von denen viele seit dem Kosovokrieg in Niedersachsen wohnen. Viele Roma sind während des Zweiten Weltkriegs in deutschen Konzentrationslagern ums Leben gekommen. Gerade deshalb hat Deutschland eine besondere moralische Verpflichtung zu ihrer Integration.
Das mag im Einzelfall schwierig sein. Aber es ist auch deshalb oft schwierig, weil man die Kinder dieser Familien systematisch auf Förderschulen abgeschoben hat.
Wie lange dauert es, bis ein Mensch in der neuen Heimat Wurzeln schlägt? - Ihr ehemaliger Ministerpräsident hat einmal acht Jahre als Maßstab genannt. Das ist viel, aber das ist deutlich weniger als die 15, 16 oder 17 Jahre, die Kinder oft schon in Niedersachsen wohnten, bevor sie von Herrn Schünemann abgeschoben wurden.