Protokoll der Sitzung vom 28.04.2010

(Björn Thümler [CDU]: Darüber sollten Sie mal nachdenken, Herr Jüttner!)

- Nur damit ich nicht falsch verstanden werde!

Aber diese Verleumdung vor dem Hintergrund des Vorwurfs gegen Frau Emmerich-Kopatsch bekommt plötzlich ein anderes Gewicht. Ich muss mir dann, wenn Sie die Immunität aufheben, überlegen, ob ich in der nächsten Woche zur Staatsanwaltschaft gehe und gegen Herrn Langspecht eine Verleumdungsklage einreiche.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN - Zuruf von der CDU)

- Das fänden Sie gut? - Nach Ihrer Logik wäre das alles in Ordnung. Die Immunität müsste dann aufgehoben werden, wenn die Staatsanwaltschaft so etwas Ähnliches wie einen Anfangsverdacht sieht.

Wer so argumentiert, muss die Immunität abschaffen. Er muss sagen: Im 21. Jahrhundert gibt es im Kern dafür keine Rechtsgrundlage. - Das wäre schlüssig. Das kann ich nachvollziehen.

Die Frage ist aber, aus welchen Gründen es in allen Parlamenten - in allen Landtagen und im Bundestag - die Immunität noch gibt. Es gibt sie nicht, weil sie ein Schutz von Mehrheit oder Minderheit ist, sondern deshalb, weil sie parlamentarisches Arbeiten gewährleisten soll. Ich sage Ihnen eines: Parlamentarisches Arbeiten in der heutigen Mediengesellschaft geht nicht mehr, wenn man in Puschen daherkommt. Man wird nur wahrgenommen, wenn man zuspitzt. Das wissen Sie wie ich.

Wissen Sie, was herauskommt, wenn Sie in diesem Fall die Immunität aufheben? - Gar nichts! Sie dürfen mich aber nicht falsch verstehen. Die Vorwürfe sind so lapidar, dass die Staatsanwaltschaft ein Verfahren nach kurzer Zeit einstellen würde. Das ist meine Einschätzung. Darum geht es hier

aber gar nicht. Es geht um das parlamentarische Selbstverständnis. Wir müssen uns die Frage stellen, ob es uns vollkommen egal ist, was die Staatsanwaltschaft will; denn jeder, der sich verleumdet fühlt, kann erst einmal eine Klage einreichen, und dann, wenn der erste Verdacht ausreichend ist - dieser erste Verdacht ist im vorliegenden Falle wirklich in lächerlicher Weise zusammengekratzt worden -, geht das Parlament hin und hebt die Immunität auf. Das ist der Kern dessen, worum es hier geht. Es geht darum, ob ein Parlament sagt: Wir lassen nicht zu, dass Gerichte die Grenzen parlamentarischer Polemik festlegen. Genau darum geht es!

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Ich möchte abschließend meinen früheren Kollegen, den großen Juristen Werner Holtfort zitieren, der vor 14 Jahren hier im Parlament genau in einer solchen Debatte - übrigens sind CDU-Abgeordnete manchmal auch geschützt worden, weil wir die Immunität immer hochgehalten haben -, Voltaire mit dem Satz zitiert hat:

„Lieber Herr Abbé, was Sie da schreiben, das ist gnadenloser Unfug, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie das schreiben dürfen.“

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der LINKEN)

An der Stelle gab es einen Zwischenruf des Abgeordneten und Ministerpräsidenten Schröder: Werner, muss es denn gleich das Leben sein? - Ich sage: Das Leben muss es nicht sein. Aber bei Ihnen müsste die Kraft dafür ausreichen, solch einen Antrag auf Aufhebung der Immunität abzulehnen.

Herzlichen Dank.

(Starker, nicht enden wollender Beifall bei der SPD und Beifall bei der LIN- KEN)

Ich erteile dem Kollegen Dr. Biester von der CDUFraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich lege zu Beginn Wert auf folgende Feststellung: Beide betroffenen Abgeordneten sind für die Mitglieder

der CDU-Fraktion so lange unschuldig, bis ein Gericht das Gegenteil rechtskräftig festgestellt hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Das ist eine Selbstverständlichkeit!)

Ich werde mich im Gegensatz zu Herrn Jüttner deshalb auch nicht mit der Frage befassen, was für Erklärungen abgegeben worden sind, in welchem Umfang sie abgegeben worden sind, ob sie im Rahmen der Beratungen eines Untersuchungsausschusses abgegeben wurden und welches politische Thema betroffen war. Darauf kommt es nicht an.

Unsere Entscheidung, für die Aufhebung der Immunität zu stimmen, hat überhaupt nichts damit zu tun, ob wir von der Schuld oder Unschuld der Betroffenen überzeugt sind oder nicht. Zu dieser Entscheidung sind wir nicht berufen. Es geht ausschließlich um die Frage: Geben wir denjenigen Gremien, die zu einer Entscheidung in dieser Frage berufen sind - die Staatsanwaltschaft hat zu entscheiden, ob Ermittlungen aufgenommen werden, und ein Gericht hat zu entscheiden, ob ein Strafbefehl verhängt werden soll oder nicht -, überhaupt die Möglichkeit, sich mit dieser Frage zu befassen und ihre Arbeit zu tun.

Eines müsste doch bitte schön klar sein: Auch für Abgeordnete gilt das Strafgesetzbuch.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP sowie Zustimmung von Ursula Helm- hold [GRÜNE])

Herr Jüttner, wir unterscheiden uns auch insofern, als wir sagen, die Verleumdung Dritter ist kein legitimes Mittel der politischen Arbeit, weder wenn sich Abgeordnete untereinander verleumden und schon gar nicht, wenn Dritte betroffen sind, die aus irgendwelchen beruflichen Gründen mit der Politik in Berührung kommen, aber nicht integraler Bestandteil der Politik sind. Wir müssen auch zwischen Polemik, Beleidigung und Verleumdung unterscheiden. Wir reden hier über den Vorwurf einer Verleumdung. Verleumdung ist das bewusste Aufstellen einer unwahren Tatsachenbehauptung, die geeignet ist, jemanden in seiner Ehre zu verletzen. Derjenige, der mit solch einer Verleumdung überzogen wird, verdient den Schutz des Strafgesetzbuches, auch wenn der Täter eventuell ein Abgeordneter oder eine Abgeordnete ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir behindern mit der Aufhebung der Immunität aus unserer Sicht keineswegs die politische Arbeit der Kollegin Emmerich-Kopatsch, sondern wir schützen damit die legitimen Rechte Dritter. Wir führen hier nicht zum ersten Mal eine Debatte über die Aufhebung der Immunität. Ein Kollege aus diesem Hause hat 1996 hier im Plenum einmal Folgendes gesagt:

„Sensibler Umgang mit dem Immunitätsrecht heißt deshalb für jeden Abgeordneten, sich einer strafrechtlichen Würdigung nicht durch den Bezug auf die parlamentarische Immunität entziehen zu wollen. Es sollte im Interesse jedes und jeder Abgeordneten liegen, sich gegen Verdächtigungen und Vorwürfe in der Öffentlichkeit mit den Mitteln zur Wehr zu setzen, die auch jeder anderen Bürgerin und jedem anderen Bürger unseres Landes zur Verfügung stehen.“

Was damals gesagt worden ist, war richtig und ist auch heute noch richtig. Gesagt hat dies der Kollege Bartling.

(Starker, anhaltender Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich erteile Herrn Kollegen Adler von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Biester, Sie müssen sich einmal überlegen, was denn der Sinn der Regelung des Immunitätsschutzes in unserer Verfassung und auch im Grundgesetz ist. Wenn es so wäre, wie Sie es eben gesagt haben, bräuchten wir diese Regelung in unserem Grundgesetz eigentlich nicht.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU: Ganz falsch, Herr Adler!)

Im Falle von Frau Emmerich-Kopatsch ist es so, dass die Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht festgestellt hat. Das bedeutet aber nicht, dass wir als Parlament daran gebunden sind. Es ist vielmehr so, dass der Landtag - so steht es im Kommentar zur Niedersächsischen Verfassung - dann eine Einzelfallentscheidung trifft. In diesem Fall geht es um eine Einzelfallentscheidung dar

über, ob nach Sicht der Dinge ein Anfangsverdacht gegeben sein kann. Es spricht einiges dafür, dass ein solcher Anfangsverdacht überhaupt nicht gegeben ist.

Was ist denn behauptet worden? - Frau EmmerichKopatsch hat von einer schlampigen Einlagerung gesprochen. „Schlampig“ ist eine Bewertung, gar keine Tatsachenbehauptung. Schon deshalb scheiden strafrechtliche Sanktionen hier aus. Da sich der Begriff „schlampig“ nicht auf die Person, sondern auf die Tätigkeit bezogen hat, liegt auch kein Fall von Beleidigung vor.

Frau Emmerich-Kopatsch hat ferner davon gesprochen, dass Herr Rittscher in verantwortlicher Funktion ist. Das ist - wenn überhaupt - der einzige Tatsachenkern ihrer Behauptung. Herr Rittscher kann die Richtigkeit dieser Behauptung nicht ernsthaft verneinen; denn er war mehrfach in verantwortlichen Funktionen tätig.

Mit anderen Worten: An der Sache ist überhaupt nichts dran.

Unter diesem Blickwinkel kann man auch als Parlament sagen: Es gibt keinen Anfangsverdacht. Wenn die Staatsanwaltschaft trotzdem einen Anfangsverdacht bejaht, so geschieht das aus der Sicht der Exekutive. Die Legislative hat hier aber ein eigenständiges Recht, und sie kann von diesem eigenständigen Recht Gebrauch machen und muss es zum Schutz der Abgeordneten auch tun.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei der SPD)

Das ist der Sinn der Sache, weil die Staatsanwaltschaft eben kein unabhängiges Organ ist, sondern ein Organ der Landesregierung. Die Staatsanwälte sind weisungsgebunden - unabhängig davon, ob im Einzelfall eine Weisung ausgesprochen wird. Aber die institutionelle Einordnung ist so. Die Staatsanwaltschaft ist Bestandteil der Exekutive.

(Zurufe von der CDU und von der FDP)

- Ich wundere mich, dass ich das hier immer wieder erklären muss, obwohl das doch eindeutig ist.

(Björn Thümler [CDU]: Unglaublich!)

Lassen Sie mich in der verbliebenen Redezeit noch ein paar Worte zu Herrn Humke-Focks sagen.

(Glocke des Präsidenten)

Hier ist der Sachverhalt ähnlich. Auch hier gibt es gar keinen ernst zu nehmenden Anfangsverdacht. Was hier vorliegt, ist eigentlich überhaupt kein strafbares Handeln.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Herr Humke-Focks hat sich bei der Demonstration der Schülerinnen und Schüler in der Bannmeile, die natürlich nicht in Ordnung war - das ist klar -, deeskalierend eingesetzt.

(Christian Dürr [FDP]: Das beurteilen Sie? - Weitere Zurufe von der CDU und von der FDP)