Danke schön. - Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Herr Kollege Perli zu Wort gemeldet. Bitte schön!
Schönen guten Mittag! Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Anliegen der Regierungskoalition, den Schutz von Kindern zum erklärten Staatsziel zu machen, und der vorliegende Entschließungsantrag strotzen geradezu vor gutem Willen. Ja, meine Damen und Herren von CDU und FDP, wir haben uns vorhin gezofft, jetzt bin ich erst einmal freundlich. Ich muss Ihnen wirklich zugestehen: Sie haben mit Ihrem Antrag - abstrakt, wie er formuliert ist - mit Blick auf sein Anliegen tatsächlich einmal etwas halbwegs Vernünftiges produziert.
Jetzt aber kommt das große Aber: Gut gemeint ist leider allzu oft das Gegenteil von gut. Was in Ihren oft nebulösen Ausführungen fehlt, ist die Berücksichtigung der sozialen und kulturellen Hintergründe der kritisierten Erscheinungen. Entsprechend zielen Ihre Schlussfolgerungen am eigentlichen Ziel vorbei.
Ich konzentriere mich auf das, was im Wesentlichen fehlt. Herr Schwarz hat ja bereits einiges dazu gesagt. Dass kein Gesetzentwurf vorliegt, ist ein Versäumnis; das kann man aber nachholen. Das, was jeder Sozialarbeiter Ihnen sagen kann, nämlich dass der Grad an mangelhaftem und vernachlässigendem Umgang mit Kindern sehr häufig 1 : 1 aus der sozialen Stellung und dem Bildungsgrad der Betroffenen hergeleitet werden kann, ist von Ihnen aber nicht berücksichtigt worden. Natürlich gibt es auch Ausnahmen vom Regelfall, aber auch heute gilt, was einst Bert Brecht sagte: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral.“
Leider ist auch heute viel zu oft die soziale Herkunft das entscheidende Kriterium für den Zugang zu höheren Bildungsgütern, der die Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben bildet. Wie viele sogenannte Problemfamilien bzw. Problemkinder, meine Damen und Herren von CDU und FDP, sind Ihnen in Ihrer Arbeit bislang eigentlich unterge
kommen? Uns allen sollte bekannt sein, dass im vergangenen Jahr rund 205 000 Kinder in Niedersachsen - das ist jedes sechste Kind - auf Basis des verminderten Hartz-IV-Satzes in Höhe von 208 Euro leben mussten. Ihren Eltern geht es ja nicht viel besser. Wenn diese Betroffenen versuchen, bestehende Hilfsangebote wahrzunehmen, werden sie mit einer zumeist unverständlichen und diskriminierenden Bürokratie konfrontiert. Allein die Beantragung von Zuschussgeldern für eine Klassenfahrt wird zu einem peinlichen Bittgang. Dass es in Hauptschulen inzwischen häufig sogenannten Hartz-IV-Unterricht gibt, in dem die Schüler lernen, wie sie die gestellten bürokratischen Hürden später einmal überwinden können, ist nur bezeichnend.
Die Jugendämter hingegen werden finanziell kontinuierlich geschwächt und klagen seit Jahren über eine Mittelknappheit. Wenn es Ihnen mit Ihrem Anliegen ernst ist, müssen Sie die finanziellen Mittel erhöhen.
Kinder unterstützt man nämlich nicht mit Richtlinien und moralischen Appellen. Die gut gemeinten Appelle müssen gelebte Realität werden. Dazu bedarf es einer besseren Ausstattung von Jugendarbeit und Jugendämtern.
Kindertagesstätten und Ganztagsschulen müssen regelmäßig von Kinderärztinnen und Sozialarbeiterinnen besucht werden. Weiterhin sollten niedrigschwellige Angebote im sozialen Nahraum geschaffen werden, die verschiedenen Aspekte sozialer Hilfen und Vernetzungen verbinden. Eine Bündelung und flächendeckende Vernetzung von freiwilligen Beratungs-, Betreuungs- und Aufklärungsangeboten für Familien nach skandinavischem Vorbild ist anzustreben. In diesem Zusammenhang sollten die Familien aber nicht nur Objekt von Betreuung sein, sondern alle Orte, an denen Kinder sich regelmäßig aufhalten, sollten auch dazu einladen, diese Angebote wahrzunehmen.
Wir fordern einen Rechtsanspruch auf einen ganztägigen Betreuungsplatz für Kinder aller Altersgruppen, unabhängig von der Erwerbssituation der Eltern, die Abschaffung der Elternbeiträge in Kinderbetreuungseinrichtungen, die Verbesserung der Qualität der Betreuung durch eine Verbesserung der Qualifikation der Erzieherinnen und Erzieher, kinderfreundlichere Betreuungsschlüssel, eine bessere Bezahlung der Beschäftigten und ein ge
bührenfreies Mittagessen in Kitas und Schulen. Es muss sichergestellt sein, dass jedes Kind jeden Tag eine warme Mahlzeit erhält. Das wäre ein wirklicher Fortschritt in unserem Lande.
Herzlichen Dank, Herr Perli. - Für die CDUFraktion hat sich noch einmal Herr Kollege Focke zu Wort gemeldet. Bitte schön!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schwarz, ich habe wirklich nicht verstanden, was Sie hier gesagt haben.
Ich habe in meinem Vortrag alle Maßnahmen aufgeführt. Diese Maßnahmen zum Kinderschutz gibt es, sie sind gut, und sie sind eingeleitet. Respektieren und akzeptieren Sie doch, dass in diesem Bereich etwas gemacht wird, und sagen Sie in diesem Parlament nicht etwas Falsches!
Sie tun gerade so, als ob Sie das nicht wüssten. Im Übrigen habe ich mich im Vorfeld gut informiert: Ihre Rede war 1 : 1 mit der identisch, die Sie schon einmal gehalten haben. Sie hätten sie auch schriftlich zu Protokoll geben können. Nichts Neues von Ihrer Seite.
(Zustimmung bei der CDU - Uwe Schwarz [SPD]: Die von Ihnen hat Frau Mundlos beim letzten Mal gehal- ten!)
Zum Schluss will ich noch sagen - Sie haben über Symbolpolitik gesprochen -: Wenn Sie bei diesem wichtigen Thema keine Symbolpolitik wollen, dann dürfen Sie auch keine Symbolreden halten.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, es besteht eine große Einigkeit darin, dass der Schutz unserer Kinder eine herausragende Bedeutung einnimmt. Es besteht auch kein Zweifel daran, dass wir auf die Ereignisse, die gerade in den letzten Wochen in den Medien besonders herausgestellt worden sind, reagieren müssen. Darauf ist auf Landes- und auch auf Bundesebene reagiert worden. In diesem Zusammenhang sollten wir keinen Streit führen; denn es geht darum, die Kinder vor solchen Gewalttaten zu schützen. Ein politischer Streit ist in dieser Form meiner Ansicht nach nicht angemessen.
Herr Kollege Focke und auch Frau Kollegin Meißner haben die Intention des Antrags eindrucksvoll dargestellt. Das möchte ich nicht wiederholen. Ich möchte nur auf zwei Dinge zu sprechen kommen, zu denen sich der Kollege Schwarz geäußert hat.
Zum einen ist bemängelt worden, dass die verbindlichen Einladungen als weiterer Baustein im Sinne des Kindeswohls noch nicht in Gesetzesform eingebracht worden sind und man im Prinzip zweieinhalb Jahre gewartet hat. Dazu ist Folgendes festzustellen: Ich glaube, es ist unstrittig, dass die Voraussetzungen der Untersuchungen auf Bundesebene schlichtweg lückenhaft gewesen sind. Wir haben lange darauf gewartet, dass die Kollegin Ulla Schmidt diese Lücken endlich schließt. Dies ist erst in den letzten Wochen geschehen. Erst dann ist die Voraussetzung dafür geschaffen worden, dass wir jetzt so reagieren können. Die Ministerin Ross-Luttmann ist immer in den Gesprächen mit den Fachleuten dabei gewesen, um zu einer vernünftigen Lösung zu kommen. Der Gesetzentwurf befindet sich in der Ressortabstimmung; er wird in Kürze vorgestellt werden. Aber dass uns dieser Vorwurf gemacht wird, obwohl auf Bundesebene geschlafen wurde, können wir nicht hinnehmen. Wir weisen das zurück.
Zum anderen wurde gesagt, in fünf Jahren ist gar nichts gemacht worden, es sind immer nur viele Anträge eingebracht worden. - Es geht aber nicht darum, welche Anträge eingebracht worden sind, sondern es geht konkret darum, welche Hilfestellungen geleistet worden sind. Dazu hat der Kollege Focke schon einiges gesagt.
Bei dem Schutz von Kindern vor Gewalt, Vernachlässigung und Misshandlung geht es vor allem darum, auch auf der kommunalen Ebene ein engeres Netzwerk zu schaffen. Dazu ist ein Modellprojekt initiiert worden. Das Land unterstützt die Kommunen an vier ausgewählten Standorten bei der Entwicklung und Qualifizierung entsprechender Netzwerke. Die Teilnehmer sind die Städte Braunschweig, Lüneburg, Oldenburg sowie die Stadt und die Region Hannover. Das Land fördert das Modellprojekt mit jährlich 470 000 Euro. Ich bin sicher, dass die Erkenntnisse aus diesem Modellprojekt ganz wichtig sind, um das Netzwerk auf der kommunalen Ebene noch weiter zu fördern. Das ist absolut sinnvoll.
Die Familienhebammen und Familienhelferinnen sind angesprochen worden. Das Ziel dabei ist: Alle Jugendämter in Niedersachsen sollen ausgebildete Hebammen einsetzen können. In 2008 werden bis zu 30 Kommunen Familienhebammen einsetzen. Ab März 2008 sind 150 Hebammen qualifiziert. Herr Schwarz, es ist nicht so, dass nur die Ausbildung bezahlt wird, sondern auch das Qualitätsmanagement und eine zentrale Koordinierungsstelle - insgesamt jährlich 110 000 Euro. Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen und hier nicht etwas Falsches darstellen.
Ich könnte dies noch unendlich fortführen. Das Modellprojekt mit der Stiftung „Pro Kind“ hat im Jahr 2006 mit der Pilotphase in fünf niedersächsischen Städten - Braunschweig, Celle, Göttingen, Hannover und Wolfsburg - begonnen. Das Land fördert es mit 350 000 Euro.
Das landesweite Beratungsnetz will ich Ihnen auch noch einmal darstellen: 19 Beratungsstellen im Bereich Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, 34 Gewaltberatungseinrichtungen für Frauen und Mädchen, drei Mädchenhäuser - Landesförderung: 1,2 Millionen Euro.
Die Niedersächsische Kinderschutzkonferenz - es ist wichtig, dass wir hier mit allen Beteiligten zusammen sind. Es sind auch schon hervorragende Beratungen durchgeführt worden.
Für mich ist aber ganz wichtig, dass wir in diesem Zusammenhang gerade die Kompetenz der Eltern fördern. Das kommt meiner Ansicht nach immer wieder zu kurz. Deshalb ist der Ansatz doch völlig richtig, die Familienbildungsstätten in größerem Maße mit in Anspruch nehmen zu wollen, damit die Familien in die Lage versetzt werden, ihre Kinder wirklich so zu betreuen, wie es sinnvoll ist.
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen. In Niedersachsen ist in den letzten fünf Jahren schon viel auf den Weg gebracht worden.
Es gibt hier ohne Zweifel noch viel zu tun. Aber das Wichtigste ist - das sage ich als Innenminister und als Vertreter der Sozialministerin -: Wir brauchen auch in diesem Punkt eine Kultur des Hinsehens. Jeder Hinweis in diesem Zusammenhang ist wichtig. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir alle uns stellen müssen.