Protokoll der Sitzung vom 09.05.2008

(Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Der Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP könnte von Stil und Duktus her der Schreibstube des Zentralkomitees der christlichen-liberalen Einheitspartei Niedersachsens entstammen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Detlef Tanke [SPD])

Liebe Kollegen von CDU und FDP, zwei Seiten haben Sie mit Lob und Dank an die Regierung gefüllt. Es fehlt lediglich noch der Schlusssatz: Wir danken unserem gütigen Landesvater Christian Wulff. - Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir diesen Antrag nicht unterstützen können.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Detlef Tanke [SPD] - Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Das können wir noch einfügen! Würden Sie das für uns als Änderungsvor- schlag einbringen?)

Meine Damen und Herren, wir Grüne unterstützen den Vertrag von Lissabon. An drei Punkten möchte ich die positiven Auswirkungen deutlich machen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

- Regen Sie sich nicht auf!

Mit diesem Vertrag werden den Bürgerinnen und Bürgern mehr Rechte gegeben; denn sie können sich nun über ein europäisches Bürgerbegehren aktiv in die europäische Politik einbringen. Er wertet die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger zur Wahl zum Europäischen Parlament auf; denn die Parlamentarier können künftig in viel mehr Bereichen mitentscheiden; dies ist ein ganz wichtiger Punkt. Er gibt den nationalen Parlamenten mehr Rechte - dies ist auch für Niedersachsen wichtig -, die sogar so weit gehen, dass ein Regionalparlament Klage vor dem Europäischen Gerichtshof einlegen kann, wenn das Prinzip der Subsidiarität verletzt wurde. Das bedeutet: Der Vertrag von Lissabon macht die Europäische Union demokratischer, transparenter und effizienter.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Detlef Tanke [SPD])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Reformvertrag ist sicherlich nicht perfekt. Er ist von 28 Staaten und allen politischen Familien in einem langwierigen Prozess erarbeitet worden. Damit stellt er einen Kompromiss zwischen den vielen unterschiedlichen Vorstellungen aus allen Politikbereichen dar. Aber diesen Kompromiss tragen wir Grüne mit.

Mit diesem Vertrag kommt die Arbeit der Umsetzung auf die Parlamente, auf die Regierungen und auch auf engagierte Bürgerinnen und Bürger zu; denn nun geht es darum, wie wir das neu zu gestaltende Verhältnis zwischen Nationalstaaten, den nationalen Parlamenten und der Europäischen Union in konkrete Politik umsetzen wollen. Bei der Umsetzung halten wir einige Politikfelder für besonders wichtig. Das haben wir auch in unserem Entschließungstext deutlich gemacht. Die humanitären Katastrophen an den südlichen Grenzen - im Moment sehr aktuell - zeigen, dass wir die Asyl- und Migrationspolitik endlich als europäische Aufgabe angehen müssen. Die Organisationen haben

diese Woche auch einen Stopp der Abschiebungen nach Griechenland im sogenannten Dublin-IIVerfahren gefordert. Wir brauchen echte Fortschritte im Klimaschutz. Die Bürgerrechte und der Datenschutz müssen Grundsatz aller innen- und justizpolitischen Entscheidungen sein.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Detlef Tanke [SPD])

Auch um die endlich im europäischen Recht verankerte kommunale Selbstverwaltung und die Gestaltungsfreiheit im Bereich der Daseinsvorsorge wird in diesem Parlament noch gerungen werden müssen. Wir haben gestern über das Abfallgesetz gesprochen.

Uns ist es aber auch wichtig, kritische Punkte aufzuzeigen, weil uns das Projekt Europa am Herzen liegt. So halten wir es für geboten, dass die Regelungen zum Finanzmarkt, den Finanzdienstleistungen weiterentwickelt werden, eine verschärfte Kontrolle eingeführt wird und Leitplanken entwickelt werden, die ein Außer-Kontrolle-Geraten des Finanzsektors verhindern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Vertrag ist ein Meilenstein der europäischen Integrationsgeschichte und wird die Rechtsgrundlage der Europäischen Union gegenüber dem derzeit geltenden Vertrag von Nizza in sehr vielen Bereichen verbessern. Deshalb unterstützen wir die Verabschiedung des Vertrages. Wir werden uns dafür einsetzen, dass das Projekt Europa weiterentwickelt wird und dass der Geist und Inhalt des Vertrages in Niedersachsen über unser Europäisches InformationsZentrum verbreitet werden.

Ich hoffe, dass sich Herr Ministerpräsident Christian Wulff vielleicht doch noch dafür einsetzen kann, dass das Europäische Informations-Zentrum hier am Marktplatz einen direkten zentralen Punkt bekommt. Denn wenn wir von der Europäischen Union und von einer hohen Beteiligung zur Europawahl sprechen, dann muss dieses Zentrum im Kern der Landeshauptstadt Hannover sein.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Detlef Tanke [SPD])

Beide Anträge sind nun eingebracht. - Zu Wort gemeldet hat sich Frau Flauger von der Fraktion DIE LINKE. Ich erteile Ihnen das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Weil Sie noch immer das Gegenteil behaupten, es aber nie belegen: Ceterum confiteor constitutionem. - Außerdem bekenne ich mich zur Verfassung.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Latein kann ich nicht!)

Irgendwann, eines Tages, wenn es bei Ihnen angekommen ist, können Sie mich ja freundlich bitten, das sein zu lassen. Dann werde ich dem sicherlich entsprechen.

(Jens Nacke [CDU]: Darauf können Sie lange warten!)

Zum Thema EU und Lissabon-Vertrag ist von unseren Bundestagsabgeordneten schon viel Kluges gesagt worden. Diese zitiere ich jetzt aber nicht, sondern ich zitiere jemand anderen und sage Ihnen nachher, von wem das ist:

„Diese neue Europäische Union des Vertrages von Lissabon beansprucht, über das bisherige EU-Recht hinaus, dass ihr Recht - nicht nur ihr im Vertrag von Lissabon formuliertes faktisches ‚Verfassungsrecht’, sondern auch jede Richtlinie und Verordnung - Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten, einschließlich deren Verfassungsrecht, hat. Damit ist für die Deutschen der letztverbindliche Schutz des Grundgesetzes und der Schutz der Länderverfassungen durch die deutsche Exekutive und die deutsche Gerichtsbarkeit zur Disposition gestellt bzw. beseitigt. Die vorbehaltlose Zustimmung zu diesem Vertrage entmachtet nicht nur die gewählte Volksvertretung, sondern auch das Bundesverfassungsgericht...

Mit der vorbehaltlosen Zustimmung zum Vertrag von Lissabon überschreitet der Bundestag die Grenzen der Integrationsermächtigung, die Artikel 23 Abs. 1 GG formuliert, und verstößt zugleich gegen unabänderliche Verfassungsprinzipien im Sinne von Artikel 79 Abs. 3 GG. Zu den unabänderlichen Verfassungsprinzipien gehört nämlich die souveräne Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland. Diese wird aufgegeben, wenn - wie dies

im Vertrag von Lissabon geschieht - die Kompetenz-Kompetenz für die letztverbindliche Entscheidung über den Umfang der Kompetenzen auf eine übernationale Instanz übertragen wird. Eine solche Entscheidung könnte nur das Volk kraft seiner verfassunggebenden Gewalt - durch Volksabstimmung - treffen, nicht aber der verfassungsgebundene Gesetzgeber.“

An der Stelle frage ich Sie: Warum lassen Sie nicht die Menschen entscheiden? Haben Sie die Befürchtung, dass es wie in Irland läuft, wo die Zustimmung zum Lissabon-Vertrag jetzt deutlich nachlässt, oder wie bereits in Frankreich und Holland, die die EU-Verfassung abgelehnt haben?

Ich zitiere weiter aus dem gleichen Dokument:

„Durch die Entleerung der Hoheitsgewalt der Bundesrepublik Deutschland“

- vielleicht hören Sie zu; das könnte Ihnen helfen -

„wird vor allem auch das Grundrecht jedes Bürgers aus Artikel 38 GG verletzt, durch seine Teilnahme an der Bundestagswahl an der demokratischen Legitimation der regierenden Hoheitsgewalt mitzuwirken und die Träger dieser Hoheitsgewalt nicht nur wählen, sondern auch abwählen zu können.“

Jetzt sage ich Ihnen, wer dies von sich gegeben hat: Diese Zitate stammen von Dr. Peter Gauweiler, Mitglied des Deutschen Bundestages, CSUMitglied und Vorsitzender des Unterausschusses „Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“, in einer Erklärung gemäß § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages.

(Zuruf: Wir kennen Herrn Gauweiler!)

- Ich sage das für die Zuschauer und Zuhörer oben auf der Tribüne.

Ich zitiere weiter aus dem Grundgesetz. Dass man aus dem Grundgesetz zitiert, ist bei Ihnen offensichtlich doch ab und zu nötig.

(David McAllister [CDU]: Kesse Sprü- che! - Heinz Rolfes [CDU]: Was soll das jetzt wieder heißen!)

- Was das heißen soll, kann ich Ihnen erklären. Sie gehen ja mit grundlegenden Rechten einigermaßen fahrlässig um, finde ich.

(Karl-Heinrich Langspecht [CDU]: Das ist echt eine Frechheit! - Weitere Zu- rufe von der CDU)

- Im Gegensatz zu Ihnen belege ich, was ich sage.

(Beifall bei der LINKEN)

Gestern konnte ich über Herrn Thiele in der Zeitung lesen, dass er, ohne dass irgendetwas Konkretes vorliegt, Frau Hartmann zum Rücktritt auffordert.

(Jörg Bode [FDP]: Das war doch Herr Duin! - David McAllister [CDU]: Herr Duin ist der Landesvorsitzende der SPD!)

- Herr Thiele ist gestern damit zitiert worden. - Ich finde, das ist ein eklatanter Verstoß gegen das Prinzip der Unschuldsvermutung.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Das sage ich völlig unabhängig von der Parteizugehörigkeit. Das würde ich genauso sagen, wenn sich das gegen ein Mitglied der FDP richten würde.

(Jörg Bode [FDP]: Herr Duin kann bei uns keinen zum Rücktritt auffordern!)

Ich zitiere jetzt aus Artikel 20 Abs. 1 des Grundgesetzes - das ist nötig -:

„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“