von Lissabon und wie man damit umgeht - zwei extreme Positionen hier im Haus: auf der einen Seite die Linke, die diesen Vertrag als schlecht empfindet, auf der anderen Seite die CDU, die einen Jubelantrag zu dieser Thematik vorgelegt hat. Die CDU hat wieder einmal die Problemlagen, die es in und durch Europa gibt, überhaupt nicht aufgegriffen. Die Linken negieren völlig die Erfolge, die auch dieser Vertrag bringt, insbesondere die Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen, die ein Element sind, um die lähmende Langsamkeit der Entscheidungsfindung in Europa zu durchbrechen.
Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist die europäische Einigung eine Erfolgsgeschichte. Zugegeben, es war ein langer Weg. Die meisten hier wissen, dass sich meine Partei schon 1925 im Heidelberger Programm für die vereinigten Staaten von Europa ausgesprochen hat. Es wäre Deutschland viel erspart geblieben, wenn diese Ideen einer europäischen Einigung bereits früher aufgegriffen worden wären.
Nach dem Zweiten Weltkrieg können wir gemeinsam feststellen - das ist eine schöne Feststellung, die wir gemeinsam treffen können -, dass die europäische Einigung der entscheidende Faktor für die längste Friedenszeit, die wir mitten in Europa erleben dürfen, war und ist.
Wir halten dies bei aller Kritik, die ich auch noch vortragen will, für das entscheidende Moment, warum es sich immer wieder lohnt, die europäische Einigung voranzutreiben. Wir geben auch die Vision einer europäischen Verfassung nicht auf. Wir glauben vielmehr, dass dies - über die guten Elemente hinausgehend, die es jetzt im Vertrag von Lissabon schon gibt - der nächste Schritt sein muss.
Ich erwähne hier die Stärkung des Europäischen Parlaments. Das Mitentscheidungsverfahren wird zum Regelverfahren. Dadurch wird die Demokratisierung in Europa vorangetrieben und die beherrschende Stellung des Ministerrates eingeschränkt. Ich glaube, das ist ein wichtiger Prozess. Wir müssen den Menschen im Rahmen von Informationen auch sagen, dass das nächste Europäische Parlament, wenn es auf der Basis dieses Vertrages gewählt wird, ganz entscheidend gestärkt sein wird. Deswegen lohnt es sich, diesen Vertrag zu unterstützen.
Der zweite Punkt ist, dass die Mehrheitsentscheidungen - ich habe das eben schon einmal erwähnt -, die jetzt möglich sind, einen ganz erheblichen Fortschritt darstellen. Bei diesen Entscheidungen gibt es Quoren: 55 % der Länder müssen zugestimmt haben und diese müssen 65 % der Bevölkerung repräsentieren. Dadurch wird die Blockade einzelner Länder bei Entscheidungen zum Fortschritt der europäischen Einigung aufgehoben.
Ich will an dieser Stelle allerdings auch sagen, dass es nach wie vor ein großes Problem ist, dass ein entscheidendes Politikfeld in Europa, nämlich das der Steuergesetzgebung, der Steuerfestsetzung, immer noch dem Einstimmigkeitsprinzip unterliegt. Das hat vor allen Dingen damit etwas zu tun, dass gerade konservative Kräfte in Europa eher den Wettbewerb der Nationalstaaten mit allen Problemen, die daraus folgen und die ich noch schildern will, fördern.
Natürlich stellt auch die Grundrechtecharta einen Riesenfortschritt dar, auch wenn es noch den kleinen Wermutstropfen gibt - das konnten in den Verhandlungen leider weder Frau Merkel noch Herr Steinmeier verhindern -, dass es ein Optingout für Großbritannien und für Polen gibt. Positiv für uns ist wiederum, dass über die Möglichkeit eines Bürgerbegehrens, das allerdings mit der hohen Quote von 1 Million Unterschriften verbunden ist, eine europäische Identität entstehen kann. Durch solche Initiativen kann ein Bezug zu einer europäischen Bürgerschaft entstehen. Für uns bedeutet dies einen großen Schritt in Richtung der Demokratisierung Europas.
Wir glauben, dass die konkreten Erfolge, die der europäische Einigungsprozess in den letzten Jahrzehnten gebracht hat, greifbar sind. Die wirtschaftliche Bedeutung Europas ist gestiegen. Es fehlt - das ist ein wesentliches Defizit - aber noch ein entscheidender Teil, nämlich der Teil des sozialen Europa.
Hier sind Nachbesserungen nötig, weil es um den Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und um die Schaffung anständiger Arbeitsbedingungen geht. Wer die Berichte über die Migrationsprobleme zwischen den USA und Mexiko kennt, weiß, dass eine noch so große Zahl von Polizisten und noch so hohe Zäune nicht verhin
dern können, dass Menschen, wenn es zu sozialen Verwerfungen kommt, sich bewegen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir in Europa eine vernünftige Migrationspolitik betreiben, wie wir sie in unserem Antrag im Gegensatz zu Ihnen auch beschrieben haben.
Wenn ich von anständigen Arbeitsbedingungen spreche, will ich Ihnen sagen, dass dazu auch gehört, dass ein Mensch, der arbeitet, damit sich selbst und seine Familie versorgen können muss.
Ich sage Ihnen auf der rechten Seite des Hauses: Dazu gehört auch, dass man das, was in 22 von 27 Staaten in Europa normal ist, endlich auch in Deutschland einführt, nämlich einen Mindestlohn.
Herr Kollege, wenn Sie sagen, dass Nachbesserungen notwendig sind, warum soll das Land Niedersachsen im Bundesrat dann nicht sagen: Wir stimmen dem Vertrag zu, sobald die Nachbesserungen vorgenommen worden sind?
Herr Adler, wenn Sie meinen Bemerkungen, die ich vorhin gemacht habe, zugehört hätten, hätten Sie es verstehen können. Ich habe nämlich gesagt, dass durch die Möglichkeit der Mehrheitsentscheidungen, die dieser Vertrag eröffnet, eines der wesentlichen Elemente der Distanz zu Europa ausgeräumt wird. Dass Entscheidungen nicht mehr einstimmig erfolgen müssen, sondern jetzt auch mit Mehrheit möglich sind, ist ein Riesenfortschritt, den es zu unterstützen gilt.
Zum Bereich des sozialen Europa gehört für uns auch, dass die Mitbestimmungsrechte durch europäische Regelungen abgesichert werden. Ich glaube, dass die deutschen Regelungen dabei Vorbild sein können.
Die Distanz der Menschen zu Europa ergibt sich auch aus vielen Entscheidungen aus jüngster Zeit. Das Rüffert-Urteil ist hier angesprochen worden. Es hat Auswirkungen auf das Vergabegesetz gerade in Niedersachsen. Ich glaube, dass das, was wir - im Gegensatz zu Ihnen - in unserem Antrag formuliert haben, deswegen richtig ist, nämlich dass es zu verschärften Kontrollen kommen muss. Das betrifft Ratingagenturen, es betrifft Banken und es betrifft vor allem Hedgefonds.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen jetzt einen Text vorlesen, der schon fast anderthalb Jahre alt ist:
„Europa wird nur als soziales Europa gelingen. Die Europäische Union braucht deshalb eine glaubwürdige Antwort auch für die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, die sich von Jobverlust und sozialem Abstieg bedroht sehen.“
Auch in Niedersachsen gibt es gerade bei Arbeitern oder Angestellten zunehmend Ängste vor der Globalisierung. Herr Wulff, die Landesregierung negiert die soziale Dimension Europas in ihrem alten europapolitischen Konzept, denn dort findet sich nichts dazu. Ihre Vorstellung von Europa ist die eines großen gemeinsamen Marktes. Auch in Ihrem Koalitionsvertrag fehlt jede Aussage zur sozialen Dimension Europas, die dringend nötig ist.
In dieser Hinsicht ist jemand, dem man es sonst nicht zutraut, schon weiter, nämlich der Kommissionspräsident Barroso. Er hat seine Kommission eingeladen, sich im Rahmen der Stärkung eines sozialen Europa im nächsten Halbjahr um diese Aspekte mehr zu kümmern. In seiner Einladung schreibt Barroso im Sinne einer Warnung, die aktuelle Finanzkrise, der Preisanstieg bei Lebensmitteln sowie die gedämpften Konjunkturerwartungen zwängen die Kommission, ein erneutes Augenmerk auf die Belange der Menschen zu richten.
Wir fordern das seit Langem ein. Ich fände es gut, wenn es jetzt auch in Europa entsprechend Bewegung gäbe, weil die soziale Abfederung des europäischen Binnenmarkts für uns in den nächsten Monaten eine der entscheidenden Aufgaben sein wird.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen, dass die Stärkung des Europäischen Informations-Zentrums von uns selbstverständlich begrüßt wird. Sie müssen noch zeigen, ob das, was im Koalitionsvertrag steht, nämlich die Mittel entsprechend aufzustocken, auch wirklich passiert.
- Es wäre schön, wenn wir uns darauf verlassen könnten. Ihr Handeln lässt bei mir aber manchmal Zweifel aufkommen. Ich erwähne beispielhaft eine solch kleine Frage wie den Umzug des Europäischen Informations-Zentrums, dessen Räume zurzeit nicht angemessen sind, in das Forum des Niedersächsischen Landtages. Ihre zögerliche Haltung in diesem Fall macht deutlich, dass wir keine großen Hoffnungen haben dürfen.
Lassen Sie mich einen zweiten Punkt ansprechen. Die nationalen Parlamente - auch das ist ein wesentlicher Fortschritt in dem Vertrag, Herr Adler - werden zukünftig nicht sechs Wochen, sondern acht Wochen vorher unterrichtet. Ich hoffe nur, dass wir es schaffen werden, die entsprechenden Ausschusssitzungen zu terminieren. Der Start des zuständigen Ausschusses war ja etwas holprig, weil die CDU nicht bereit war, den ursprünglich vorgesehenen Termin anzunehmen. Angesichts der Dimension der Probleme wäre das gut gewesen. Wir haben Gespräche darüber geführt, wie man das machen kann.
Wir hatten schöne Gespräche darüber geführt, wie man das hätte organisieren können. Der FDPKollege war da etwas flexibler. Wir hätten eigentlich die Sitzung durchführen müssen. Deswegen hoffe ich, dass wir es schaffen werden, die Sitzungen zeitgerecht durchzuführen.
Lassen Sie mich sagen, dass die Jungen Europäischen Föderalisten in ihrer jüngsten Info-Ausgabe geschrieben haben: Ein Problem in Europa ist,
dass es keine Zuspitzung von Themen gibt. - Sie fordern eine parteipolitische Zuspitzung. Ich denke, Ihre Reaktionen an einigen Stellen haben deutlich gemacht, dass es Unterschiede gibt. Wenn es uns gelingt, das im Europawahlkampf deutlich zu machen, werden wir mehr Begeisterung für Europa bekommen; allerdings auch mehr Zustimmung zu unseren Positionen.