Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 70. Sitzung im 23. Tagungsabschnitt des Niedersächsischen Landtages der 16. Wahlperiode.
Zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 21, der Aktuellen Stunde. Anschließend erledigen wir die Tagesordnungspunkte 22 bis 29 in der Reihenfolge der Tagesordnung.
Guten Morgen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es haben sich entschuldigt von der Landesregierung die Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung, Frau Grotelüschen, von der Fraktion der SPD Herr Tonne, von der FDP-Fraktion Herr Schwarz ab 17 Uhr und von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Twesten ab 14 Uhr.
Für diesen Tagesordnungspunkt sind fünf Themen benannt worden, deren Einzelheiten Sie dem Nachtrag zur Tagesordnung entnehmen können.
Die in unserer Geschäftsordnung für den Ablauf der Aktuellen Stunde geregelten Bestimmungen setze ich bei allen Beteiligten, auch bei der Landesregierung, als bekannt voraus.
„Das Kreuz mit dem Kreuz“ - Für weltanschauliche Neutralität an öffentlichen Schulen! - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/2435
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Ein Hauch von Liberalität und Modernität wehte durch Niedersachsen - eine Ministerin mit türkischem Migrationshintergrund, weltoffen und tolerant, und dann das.
Diese Ministerin erlaubt sich, als Muslimin, als Kind türkischer Eltern die Aussage zu tätigen, ein Kreuz gehört nicht in ein Klassenzimmer, genauso wenig wie ein Kopftuch. Das saß.
Ja, Herrschaftszeiten, tönte es aus Cloppenburg. - Nicht wahr, Herr Große Macke? - Erst werde ich schon kein Minister. Und dann sollen hier auch noch die Kreuze verschwinden? Das geht zu weit. - Frau Özkan muss zu Kreuze kriechen, und Herr McAllister erklärte die Debatte offiziell für beendet. Aber so einfach ist das leider nicht.
Zunächst einmal sollten wir uns vor Augen führen, dass Frau Özkan diese Aussage vielleicht weder als Kind türkischer Eltern noch als Muslimin getätigt hat, sondern als Juristin, als deutsche Juristin.
Damit hat sie, bezogen auf das Kruzifix, lediglich wiedergegeben, was das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1995 in seinem Kruzifixurteil, aber in Wahrheit schon viel früher, nämlich im Jahr 1973 in einem Urteil zu Kreuzen in Gerichtssälen, festgestellt hat, nämlich dass das Kreuz in öffentlichen Einrichtungen, Klassenzimmern, Gerichtssälen und anderen Räumen nichts zu suchen hat, weil es ein christliches Symbol ist und weil sich der Staat nicht einseitig mit einer Religion gemein machen darf.
Herr Kollege McAllister, angesichts Ihrer Pressemitteilung vom vergangenen Montag, in der Sie ausführten, das Kreuz ist aus Sicht der CDU ein Symbol der Toleranz auch gegenüber anderen Religionen,
muss ich Ihnen leider mitteilen: Die juristische Interpretationshoheit darüber, was das Kreuz in einem staatlichen Klassenzimmer ist, hat in Deutschland immer noch zu vorderst das Bundesverfassungsgericht und weniger die CDU in Niedersachsen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - David McAllister [CDU]: Das ist eine politische Interpretation!)
Nicht nur Karlsruhe hat sich zu dieser Frage geäußert, sondern auch Straßburg. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einem Urteil im letzten Jahr das Anbringen von Kreuzen in Klassenzimmern als unvereinbar mit der Religionsfreiheit gewertet. Herr McAllister, liebe CDU, das ist nicht irgendeine Lehrmeinung, das ist ein europäisches Gericht, dessen Rechtsprechung auch die Bundesrepublik Deutschland anerkannt hat.
Karlsruhe ist aber offenbar weit entfernt und Straßburg noch weiter entfernt, wenn man als CDU in Vechta oder Cloppenburg sitzt und verzweifelt nach identitätsstiftenden Themen sucht. Diese Debatte hat gezeigt: Die moderne Großstadt-CDU ist in Niedersachsen offensichtlich nur Illusion, nur eine Fassade aus Pappe, die eingerissen wird, und dahinter kommt dann doch wieder nur das Gedankengut der Adenauer-Zeit zum Vorschein, meine Damen und Herren.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU sagt, ihr gehe es beim Kampf um das Kreuz um Werte, um die Vermittlung von Werten an Schülerinnen und Schüler. Gut, reden wir hier über Werte. Werden Werte aber wirklich durch Symbole vermittelt? Stand nicht hier, an dieser Stelle, gestern ein Ministerpräsident, der gesagt hat: „Kleine Taten, die man ausführt, sind besser als große, die man plant.“? - In diesem Sinne, Herr Wulff: Werte, die man vorlebt und umsetzt, sind besser als solche, die man an die Wand hängt.
Sie, Herr Thümler, liebe CDU, haben in vielen Politikfeldern die Möglichkeit dazu. In der Asylpolitik, in der Sozialpolitik und auch in der Umweltpolitik haben Sie die Möglichkeit, Ihre Taten in Übereinstimmung mit christlichen Wertvorstellungen zu bringen. Nutzen Sie diese Möglichkeiten, anstatt sich an ein reines Symbol zu klammern!
Warum ist diese Frage so wichtig? - Sie ist deshalb wichtig, weil unser moderner demokratischer Rechtsstaat durch die zunehmende Pluralität an Religionen und Bekenntnissen vor Herausforderungen gestellt wird. Diese lassen sich am besten meistern, wenn der Staat als solcher die Religionen und Weltanschauungen grundsätzlich gleich behandelt und sich nicht einseitig mit bestimmten Bekenntnissen gemein macht.
Meine Damen und Herren, wir haben in Niedersachsen Menschen unterschiedlichster Religionen und Weltanschauungen. Uns eint das Bekenntnis zum deutschen Grundgesetz. Uns eint das Bekenntnis zur Niedersächsischen Verfassung. In gewissem Maße einen uns auch gemeinsame Werte und Überzeugungen. Uns eint aber nicht - das können wir nicht seriös behaupten - das gemeinsame Bekenntnis zum Christentum. Unsere multikulturelle und multireligiöse Gesellschaft lässt sich am besten gestalten, wenn die Religionen und Weltanschauungen gleichberechtigt geachtet werden.
Wenn das Kreuz so wichtig wäre für Werte und Ideale, wenn das so wäre, dann frage ich Sie, meine Damen und Herren: Warum hängt im Niedersächsischen Landtag kein Kreuz? - Wir streiten hier doch so viel über Werte und Überzeugungen.
Nein, Niedersachsen ist vielfältig, und das Christentum braucht in Wahrheit nicht den Staat, um fortzubestehen. Das Christentum ist viel älter.
Frau Ministerin Özkan, ich stimme nicht in allen Punkten mit Ihren Forderungen überein. Aber zu Ihrer Forderung nach in religiöser Hinsicht neutralen Klassenzimmern sage ich Ihnen: Sayin Bakan Özkan, tebrik ederim, helal olsun.
Ich stelle zunächst die Beschlussfähigkeit des Hauses fest und erteile dann der Kollegin Heiligenstadt von der SPD-Fraktion das Wort.
(Björn Thümler [CDU]: Was ist, wenn das eine Beleidigung war? Sonst rede ich hier gleich Plattdeutsch!)