Protokoll der Sitzung vom 08.06.2010

(Vizepräsident Hans-Werner Schwarz übernimmt den Vorsitz)

Bislang gab es die Option auf drei Gymnasien, die aber nur die Sekundarstufe I anbieten. Von diesen drei möglichen Gymnasien ist aber nur ein Standort realisiert worden. Es gibt also bald statt eines Gymnasiums mit einem Sek-I-Angebot zwei Gymnasien mit Sek-I- und Sek-II-Angebot. Daher stellt die Vertragsänderung einen Ausbau der privilegierten Stellung der Schulen in katholischer Trägerschaft dar.

Die Versicherung, dass die Lehrkräfte des betroffenen Gymnasiums zu gleichen Bedingungen weiterbeschäftigt werden sollen, und das Versprechen, dass an dem neuen Konkordatsgymnasium im Gegensatz zu anderen kirchlichen Schulen das Fach „Werte und Normen“ erhalten bleiben solle, wiegt nicht die Einschränkung des öffentlichen Schulangebotes zugunsten kirchlicher Einrichtungen auf.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Es heißt nicht mehr „Konkordatsgymnasium“!)

Ich möchte an dieser Stelle noch ein paar grundsätzliche Worte darüber sagen, warum wir gegen den Ausbau von Schulen in kirchlicher Trägerschaft sind. Ebenso will ich einige Worte zum Verhältnis von Kirche und Schule insgesamt sagen.

Ich halte es für wichtig, dass sich die Schülerinnen und Schüler in den Schulen mit Religion auseinandersetzen. Die Rolle der Kirchen in unseren Schulen muss allerdings sehr genau betrachtet werden. Unser Grundgesetz schreibt Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach vor. Im Religionsunterricht sollte die Auseinandersetzung mit der Rolle der Religion in der Gesellschaft in der Vergangenheit und Gegenwart im Mittelpunkt stehen. Religiöse Inhalte sollten gleichberechtigt neben anderen Wertvorstellungen behandelt werden.

Ich gehöre nicht zu denen in meiner Partei, die Religionsunterricht völlig aus den Schulen verbannen wollen. Ist das weltanschaulich neutrale Fach „Werte und Normen“ ohne Ausgrenzung der verschiedenen Religionen untereinander aber nicht besser als getrennter Religionsunterricht geeignet, den Schülerinnen und Schülern ein gemeinsames, unseren Grundrechten verpflichtetes Wertesystem näherzubringen?

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Ina Korter [GRÜNE])

Schülerinnen und Schüler sollen sich selbst, frei und ungezwungen entscheiden können, ob und zu welcher Religion sie sich bekennen wollen.

(Zuruf aus der CDU: Können sie doch!)

Aber auch Schule ist nicht frei von Machtverhältnissen, und auch Lehrkräfte an einer Schule sind mitunter nicht frei von missionarischen Absichten. In einem Strategiepapier der evangelischen Kirche aus dem November 2009 finden sich einige Aussagen, die mich das Ganze kritisch betrachten lassen. Ich zitiere:

„Christen haben eine von Gott gegebene Verantwortung für die konkrete Gestaltung des Staates und sollen im Sinne des Staates handeln. Um dies kompetent und sachgerecht tun zu können … ist kirchliche Bildungsarbeit erforderlich.“

Im weiteren Verlauf:

„Die für die evangelischen Schulen bereitgestellten Mittel der hannoverschen Landeskirche sind Investitionen in die Zukunft der Kirche; denn hieraus werden neue Kirchenmitgliedschaften erwachsen...“

Dieser missionarische Ansatz geht mir zu weit.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Bildung bleibt eine staatliche Aufgabe. Eine kirchliche Schule darf nur ein zusätzliches Angebot für die sein, die freiwillig eine bekenntnisorientierte Schule wählen. Wir brauchen weltanschaulich neutrale Schulen. Der christliche Glaube ist auch ohne die Hilfe der Schulen attraktiv genug. Davon bin ich persönlich felsenfest überzeugt.

Der Ausbau von Schulen in kirchlicher Trägerschaft ist nicht notwendig und darf keineswegs auf Kosten des öffentlichen Schulsystems gefördert werden. Wir lehnen daher die Änderung des Konkordatsvertrages ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Nächste Rednerin ist Frau Korter von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön, Frau Korter!

(Karl-Heinz Klare [CDU] - zur Linken -: Ihre alte, klare, kommunistische Hal- tung! - Gegenruf von Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Die Trennung von Kir- che und Staat, das ist ein altes Ziel der FDP!)

- Frau Korter hat jetzt das Wort. Herr Klare, ich bitte Sie!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wieder einmal muss sich der Landtag mit dem Wunsch der Kirche befassen, Schulen in kirchlicher Trägerschaft zu gründen, zu erweitern oder bestehende staatliche Schulen in kirchliche Schulen umzuwandeln. Dieses Mal - das haben wir bereits ausführlich gehört - geht es um Änderungen des Vertrages zwischen der katholischen Kirche und dem Land Niedersachsen. Die Vereinbarung wurde bereits am 6. April von der damaligen Kultusministerin Heister-Neumann unterzeichnet. Der Landtag soll sie heute bestätigen. Dem Ausschuss wurde am 7. Mai 2010 leider nur ein einziges Mal Gelegenheit gegeben, zu beraten. Das wurde in einem Durchgang gemacht, obwohl die Oppositionsfraktionen eine ausführliche Beratung angemahnt hatten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Fakt ist: Die katholische Kirche will ihr schulisches Angebot dem aktuellen Bedarf anpassen, indem sie Gym

nasien und Gesamtschulen errichtet, und sie will es ausbauen. Letzteres ist eine Entwicklung, die wir aus grundsätzlichen Erwägungen sehr skeptisch sehen. Wir erkennen durchaus die Qualität der Schulen in kirchlicher Trägerschaft an, aber wir beobachten auch verstärkt die Tendenz, den Einflussbereich der Kirche im Schulbereich auszuweiten.

Meine Damen und Herren, wir sind eine multikulturelle und auch eine multireligiöse Gesellschaft. Es gibt nicht nur eine Vielzahl von Religionen, sondern auch eine zunehmende Zahl von Menschen, die gar keiner Glaubensgemeinschaft angehören und auch gar keiner angehören wollen. Für das Zusammenleben ist es aber wichtig, dass sich Menschen unterschiedlicher Weltanschauung austauschen und sich nicht voneinander abschotten. Wir Grüne wollen in der Schule keine Trennung nach religiösem Bekenntnis.

Besonders problematisch ist es, wenn durch die Überführung öffentlicher Schulen in die Trägerschaft einer Kirche diejenigen Schülerinnen und Schüler, die die religiöse Überzeugung des Schulträgers nicht teilen, dann kein Schulangebot vor Ort mehr vorfinden. Das wäre aber beim Gymnasium Twistringen der Fall. Um ein nicht konfessionell gebundenes Gymnasium zu erreichen, müssten die Schülerinnen und Schüler dort über 20 km fahren.

Es darf nicht sein, meine Damen und Herren, dass Jugendliche nur dann ein Gymnasium oder in anderen Fällen eine Gesamtschule vor Ort besuchen können, wenn sie auch bereit sind, verpflichtend am Religionsunterricht teilzunehmen. Damit würde die Religionsfreiheit wirklich infrage gestellt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zur Umwandlung des Gymnasiums Twistringen will ich noch einen anderen Aspekt vortragen. Uns ist durchaus bekannt, dass die kirchliche Trägerschaft dieser Schule von vielen befürwortet wird, und zwar vor allem deshalb, weil der öffentliche Träger anderenfalls gar nicht in der Lage gewesen wäre, diese Schule zu gründen und weiterzuführen, und vor allen Dingen wäre er nicht in der Lage gewesen, sie mit einem vergleichbar guten pädagogischen Konzept auszustatten.

Meine Damen und Herren, wenn die öffentlichen Haushalte derart am Ende sind, wenn das Land dazu noch Vorgaben macht, nach denen die gewünschten Schulen von den Kommunen häufig gar nicht eingerichtet werden können, dann ist natür

lich die Versuchung groß, einfach Ja zu sagen, wenn stattdessen die Kirche als Träger einspringt, damit man überhaupt eine gute Schule vor Ort bekommt. So ist das Abstimmungsverhalten vieler Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker aus dem Grünen-Bereich dort zu erklären. Das ist bei der IGS Wunstorf in Trägerschaft der evangelischen Kirche übrigens nicht viel anders. Aber wenn wir ehrlich sind, ist das ein absolutes Armutszeugnis.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, statt Schulen an kirchliche und private Träger zu „verscherbeln“, müssen endlich die Kommunen und die öffentlichen Schulen wieder so ausgestattet werden und die nötigen Freiheiten erhalten, dass sie selbst in der Lage sind, als staatliche Schulen gute Schule zu machen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Die Grünen-Fraktion wird deshalb aus grundsätzlichen Überlegungen diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Herr Kollege Klare, Ihrem Vorschlag „Apfelstrudel und Sekt“ können wir uns nicht anschließen. Der Apfelstrudel ginge noch. Aber wir feiern dort mit Sicherheit nicht mit Ihnen!

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Lachen bei der CDU)

Zu einer Kurzintervention hat sich Herr Klare gemeldet. Bitte schön, Sie haben anderthalb Minuten.

(David McAllister [CDU]: Jetzt kommt Kalle!)

Herr Präsident! Ich wollte zwei Dinge richtigstellen. Bei einem staatlichen Gymnasium besteht ein Rechtsanspruch auf Einrichtung einer gymnasialen Oberstufe, wenn sie dreizügig ist. Dieser Rechtsanspruch wird genauso auf eine Schule in kirchlicher Trägerschaft übertragen, und das ist hier der Fall. Das hat nichts mit einer Bevorzugung zu tun, sondern das ist einfach das geltende Schulgesetz in Niedersachsen.

(Zustimmung bei der CDU)

Auf diese Schule gehen alle Schüler, die sich dort anmelden. Die Schule ist dreizügig. Das ist zwar eine katholische Enklave im Landkreis Diepholz. Aber diese Schule nimmt alle Schüler, die sich dort anmelden, auf. Da wird nicht zwischen Katholiken und anderen unterschieden. Jeder, der sich rechtzeitig anmeldet, wird aufgenommen.

Die Schule bietet allen Schülern alle Religionsunterrichte an. Dort gibt es den katholischen Unterricht, den evangelischen Unterricht, und es gibt Unterricht im Fach Werte und Normen. Das ist eine sehr offene Schule. Wenn Sie sich das Vergnügen erlauben, dorthin zu gehen, dann werden Sie sagen: Da entsteht eine ganz tolle Schule, ein tolles Gymnasium, das im Raum von allen gewünscht wird.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Korter möchte antworten. Frau Korter, anderthalb Minuten!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Klare, uns ist durchaus bewusst, dass es am Gymnasium Twistringen ein hervorragendes pädagogisches Konzept gibt. Uns ist aber auch klar, dass die Schülerinnen und Schüler, die dorthin gehen, verpflichtend an einem Religionsunterricht teilnehmen müssen. Wenn jemand das nicht möchte, dann hat er keine Möglichkeit, das nicht zu tun.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Werte und Normen!)

Wir haben dies auch im Rahmen einer Anfrage geklärt, und auch im Rechtsausschuss ist das so beantwortet worden. Da sehen wir die Religionsfreiheit tatsächlich eingeschränkt. Deshalb können wir nicht zustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)