Protokoll der Sitzung vom 09.06.2010

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Da ha- ben Sie mal ein wahres Wort gespro- chen! - Glocke der Präsidentin)

Es ist doch nun einmal so, dass der Bundesgesundheitsminister wie alle Mitglieder von Regierungen sein Ressort in eigener Verantwortung im Rahmen der Richtlinien führt, und die Richtlinienkompetenz liegt bei der Kanzlerin.

Die Vorschläge zur Korrektur bisheriger Fehlentwicklungen der Finanzierung im Gesundheitswesen bauen auf der Koalitionsvereinbarung auf. Es geht sicherlich auch darum, die Einnahmen zu verbessern. Es geht wesentlich darum, die Kosten zu dämpfen, und es geht um die Verantwortung der Versicherten.

Der Antrag der SPD, zu dem sich bisher noch kaum jemand geäußert hat, muss abgelehnt werden, weil er ohne Rücksicht auf die Risiken und Nebenwirkungen die Einnahmen der Versicherungen erhöhen will. Das ist ein unausgewogener Vorschlag. Ich bitte Sie, ihn abzulehnen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herzlichen Dank, Herr Riese. - Für die SPDFraktion spricht nun Herr Kollege Schwarz. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das deutsche Gesundheitswesen ist wohl der wichtigste Zweig unserer sozialen Sicherungssysteme. 330 Milliarden Euro geben wir jährlich aus, davon allein 160 Milliarden Euro im Bereich der GKV. 4,2 Millionen Menschen sind dort beschäftigt, eine halbe Million davon allein aus Niedersachsen. 90 % unserer Bevölkerung sind in der gesetzlichen Krankenversicherung. Weil immer so getan wird, als hätten wir ein Riesenproblem, will ich nur sagen: Der Anteil der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung und der Gesundheit am Brut

tosozialprodukt ist in Deutschland seit Jahrzehnten stabil. Er liegt immer bei etwa 10 %. Dieses Krisengerede in diesem Land ist zum Teil sehr, sehr abstrakt, um eine Chance zu haben, an der gesetzlichen Krankenversicherung herumzumanipulieren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN - Kreszentia Flauger [LINKE]: Da hat er recht!)

Der jetzige Gesundheitsminister hat den aktuellen Fehlbedarf auf 11 Milliarden Euro beziffert. Das heißt, wir haben akuten Handlungsbedarf. Von daher hat die SPD am 30. April dieses Jahres ihren Antrag eingebracht. Darauf ist ja wiederholt eingegangen worden. Dass er nach so kurzer Zeit schon wieder im Parlament ist, wäre im Prinzip ja etwas Positives, wenn es im Ergebnis dazu kommen würde, dass sich dieses Parlament heute positioniert. Das tut es aber nicht. Alle Kolleginnen und Kollegen haben sich mit unserem Antrag inhaltlich auseinandergesetzt, was ich ganz toll finde. Nur, ich frage mich: Wo bleibt denn die inhaltliche Positionierung der diese Landesregierung tragenden Koalitionsfraktionen? - Null! Von Ihnen gibt es null Position zu der Frage „Wie lösen wir die Zukunft unserer Krankenversicherung?“, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD - Roland Riese [FDP]: Hören Sie doch mal zu!)

Es geht ja noch weiter. Diese Landesregierung muss sich im Bundesrat mit ihrer neuen jungen und zugegebenermaßen auch noch unerfahrenen Gesundheitsministerin verhalten. Frau Özkan ist gleichzeitig die amtierende Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz. Es kann doch nicht sein, dass die Koalition in einer solchen Frage und an dieser Stelle auch hier im Parlament jede Positionierung verweigert. Wo sind Sie denn eigentlich? Wie nehmen Sie eigentlich Ihre Verantwortung bei dieser gesellschaftlich so bedeutenden Frage der sozialen Sicherung wahr? - Sie machen das überhaupt nicht. Ich halte das für absolut unverantwortlich und fahrlässig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei Patrick-Marc Humke-Focks [LINKE])

Der Kollege von der FDP hat im Ausschuss ja darauf hingewiesen, dass es kaum einen landespolitischen Bezug gebe. - Weit gefehlt! Welche finanziellen Auswirkungen haben eigentlich die Rösler-Vorschläge für den blanken Landeshaus

halt? Welche Auswirkungen ergeben sich für unsere landesunmittelbaren Versicherungsträger? - Die AOK ist mit immerhin 6 500 Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber dieses Landes. Welche Einflussmöglichkeiten ergeben sich daraus - im Wesentlichen sogar negative - für die Gestaltungsmöglichkeiten unserer Landesgesundheitspolitik? - Hier stehen knallharte Landesinteressen im Raum. Sie aber machen wieder einmal nur die berühmten drei Affen: Ich sehe nichts, ich höre nichts, ich weiß nichts. - Meine Damen und Herren, Sie entziehen sich der Verantwortung, und das ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der LINKEN)

Wenn ich mir die Vorschläge der FDP angucke, ist ja klar: Grundversorgung ersetzt durch private Zusatzversorgung, Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags bei 7 %, Kopfpauschale plus Sozialausgleich - ursprünglich waren es 35 Milliarden Euro aus Steuermitteln -, Überprüfung der kostenfreien Familienversicherung. - Das waren die Irrlichter von Herrn Rösler und der FDP. Aktuell vorgelegt wurde von der gleichen Person: An der Familienversicherung wird nicht gerüttelt, der Arbeitgeberbeitrag soll wieder bis zur vollständigen Parität erhöht werden, sogar der Sozialausgleich wird jetzt nicht mehr aus Steuern finanziert, sondern einkommensabhängig innerhalb des Systems. - Da fragt man sich doch: Was könnte der Mann eingenommen haben, um zu solchen Sinneswandlungen zu gelangen?

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das hätte man einfacher haben können!)

Denn das, was er hier gerade vorschlägt, ist Sozialismus pur.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wozu überhaupt noch diese Änderungen? Denn genau das ist Gegenstand unseres Systems: Alle bekommen die gleichen Leistungen völlig unabhängig von Familienstand und Einkommen. Dazu brauchen wir keine Verdopplung der Bürokratie.

„Beitragserhöhungen und Kopfpauschale funktionieren im Doppelpack nicht.“ „Selbst die Kernkraft hat in Deutschland eine höhere Akzeptanz als die Kopfpauschale.“ „Man macht Millionen von Menschen zu Bittstellern, und die Krankenkassen werden zur Ersatzsteuerbehörde.“ „Es kann nicht sein, dass Bürger mit niedrigem Einkommen ihre Verhältnisse offenlegen müssen, um den Sozialaus

gleich zu bekommen.“ Meine Damen und Herren, „es kommen die Schicksalstage der Koalition.“ Das stimmt alles. Das unterschreibe ich alles. Aber nichts davon stammt von der bösen Opposition, sondern von der im freien Fall befindlichen Bundesregierung. Das alles sind Aussagen des Koalitionspartners CSU.

(Detlef Tanke [SPD]: Oi!)

Meine Damen und Herren, angesichts solcher Formulierungen sehe ich immer Frau Merkel, Herrn Seehofer und Herrn Westerwelle in einer Pressekonferenz vor mir, in der Westerwelle erklärte: Seit 20 Uhr so und so - ich weiß nicht mehr die genaue Uhrzeit - sagen wir „Horst“ und „Guido“ zueinander.

(Björn Thümler [CDU]: Seit 2.15 Uhr!)

- Ja, seit 2.15 Uhr sagen sie „Horst“ und „Guido“ zueinander. Vielen Dank. - Mir scheint, dass das in dieser Bundesregierung inzwischen eine sehr interessante Liebesbeziehung geworden ist.

(Björn Thümler [CDU]: Keine Details!)

Mich erinnert das immer an Mario Simmel: „Sie küssten und sie schlugen sich.“ Wobei das Letztere immer mehr an Deutlichkeit zunimmt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir schon dabei sind, will ich im Übrigen noch Folgendes hinzufügen: Mich wundert es dann nicht, dass Herr Bahr die CSU als „Wildsau“ bezeichnet und die CSU daraufhin sofort hart kontert und die FDP zur „Gurkentruppe“ degradiert, die erst schlecht spielt und dann auch noch rummault. Was ist das Ergebnis dieser Debatte? - Der arme Kabinettshamster Rösler musste wieder zurück in sein Laufrad und darf nun bis zur Sommerpause neue Runden drehen. Das ist nämlich die Frist, bis zu der er etwas Neues vorlegen darf, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage Ihnen eines: Herr Rösler wird zwischenzeitlich zur tragischen Figur. Mit etwas mehr Selbstwertgefühl wäre er in dieser Woche zurückgetreten. Auch das ist meine feste Überzeugung. Seit der NRW-Wahl gibt es für eine Zerschlagung unserer solidarischen Krankenversicherung ohnehin keine Mehrheit mehr im Bundesrat.

(Zuruf von der CDU: Das ist ja nur Po- lemik bei Ihnen! - Gegenruf von Detlef Tanke [SPD]: Eine reine Zustandsbe- schreibung!)

Meine Damen und Herren, ich finde: Unser Gesundheitssystem - letzter Satz - hat weltweit Vorbildcharakter. Es hat eine absolut hohe Akzeptanz in der Bevölkerung. Legen Sie Ihre Vorschläge auf den Tisch! Ducken Sie sich nicht weg! Wir haben das mit der Bürgerversicherung getan. Ich sage Ihnen aber: Lassen Sie die Finger von der solidarischen Gesundheitsversorgung! Sie können sich daran sowieso nur die Finger verbrennen. Glühen tun sie bei Ihnen ja schon.

(Starker Beifall bei der SPD)

Zu einer Kurzintervention auf den Kollegen Schwarz hat jetzt Herr Rickert von der FDPFraktion für anderthalb Minuten das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Schwarz, Sie befinden sich in guter Tradition mit den persönlichen Angriffen, die Herr Wenzel heute Morgen vorgetragen hat.

(Beifall bei der FDP)

Für die FDP-Fraktion weise ich diese Attacken gegen den Bundesgesundheitsminister Rösler - Hamster etc. - auf das entschiedenste zurück und erwarte hier eine sachliche und zielorientierte Debatte.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Schwarz möchte antworten.

(Zuruf von Ralf Briese [GRÜNE])

- Herr Briese, Sie sind gar nicht angesprochen worden. Herr Schwarz darf jetzt antworten, und zwar für anderthalb Minuten. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich weiß: Es tut weh, was ich da vortrage. Ich finde, der Hamster - - -

(Zurufe)

- Ich bin der falsche Ansprechpartner! Sie müssen diese Auseinandersetzung mit Ihrer Bundesregierung führen, meine Damen und Herren. Schließlich

sind das die Vorwürfe innerhalb dieser Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Machen wir uns doch nichts vor! Das ist in der Tat ein sehr gewöhnungsbedürftiges Vokabular. Für mich ist es Endzeitstimmung, wenn man so miteinander umgeht, wie das in Berlin zurzeit geschieht.