Protokoll der Sitzung vom 09.06.2010

Die zweite Frage - da herrscht Stillstand - haben wir gestern auch andiskutiert, und zwar, ob die kommunale Gebietskulisse in Niedersachsen überhaupt zukunftsfähig ist. Auch dabei haben Sie, wie Sie wissen, eine ganz große Baustelle. Sie wissen nicht so richtig, wie Sie diese Baustelle künftig weiter beackern sollen und wie Sie dem Problem Herr werden können.

Kommt jetzt mit dem Gesetzentwurf, den Sie uns vorgelegt haben, der große kommunalpolitische Aufbruch? Werden wir eine richtige - so will ich es einmal sagen -, eine neue Ära der Kommunalpolitik in Niedersachsen bekommen? - Wenn man ins

Gesetz schaut, sieht man: Aha, zukünftig darf ein Ortsrat über Straßennahmen entscheiden - ich will das nicht kleinreden -, und zukünftig muss der Ratsvorsitz aus der Mitte des Rates kommen. - Da sagt man sich natürlich: Donnerwetter, das ist die große Titanreform, auf die wir alle gewartet haben. Jetzt werden wir den großen Run auf die Kommunalparlamente erleben. - Aber wir werden es ja sehen.

(Ulf Thiele [CDU]: Herr Ralf Briese, das ist ziemlich despektierlich gegen- über den Kommunalpolitikern und ih- ren Aufgaben!)

Eine interessante Frage am Rande, Herr Thiele, ist übrigens, ob zukünftig der Innenminister immer noch Ratsvorsitzender sein darf oder ob sich nicht ein großer Wertungswiderspruch ergibt, wenn die oberste Kommunalaufsicht im Lande gleichzeitig auch einen Ratsvorsitz ausüben darf.

(Beifall bei den GRÜNEN - Björn Thümler [CDU]: Warum denn nicht, als Ehrenamtlicher! - Ulf Thiele [CDU]: Wenn er Mitglied des Rates ist, darf er das!)

Auch darüber sollten wir noch einmal nachdenken, Herr Innenminister. Ein kleiner Samtgemeindebürgermeister darf heute nicht einmal für den Kreistag kandidieren. Da sagen Sie: Das wollen wir nicht, da machen wir ein Ausschlussverfahren. - Gleichzeitig sagen Sie: Ich als Innenminister darf natürlich auch gleichzeitig Ratsvorsitzender werden. - Wenn das nicht ein großer politischer Wertungswiderspruch ist!

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der LINKEN)

Von einem großen demokratischen Aufbruch, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist in diesem Kommunalverfassungsrecht nun wahrlich nichts zu entdecken.

(Reinhold Coenen [CDU]: Das haben Sie noch nicht gemerkt!)

Es gibt keine Reform des wichtigen Bürgerentscheides; darüber haben wir mehrfach gesprochen. Sie wollen nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande mehr Rechte bekommen. Eine böse Attacke auf die Demokratie und das Wahlrecht ist auch die Abschaffung der Stichwahl. Sie werden in diesem Hause noch den Nachweis erbringen müssen, dass das, was Sie da planen, nicht stark parteipolitisch motiviert ist und nichts

mit Demokratieabbau zu tun hat. Sie wissen ganz genau, dass sich der Städteverband dazu schon sehr deutlich geäußert hat. Er hat gesagt: Natürlich wollen wir, dass die Stichwahl in Zukunft weiterhin bestehen bleibt. - Denn es ist ganz eindeutig ein Abbau von Demokratie und Legitimation, wenn man den Bürgerinnen und Bürgern ein Wahlrecht nimmt. Da spielt es auch gar keine Rolle, ob sie dieses Wahlrecht in Anspruch nehmen. De facto haben sie dieses Recht erst einmal, und Sie nehmen es ihnen. Das ist kein demokratischer Aufbruch, das ist ganz eindeutig Demokratieabbau.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Patrick-Marc Humke- Focks [LINKE])

Es ist ja auch ein fundamentaler Wertungswiderspruch im niedersächsischen Kommunalverfassungsrecht, wenn Sie bei einem Bürgerentscheid, in dessen Rahmen man in Niedersachsen gar nicht besonders viel entscheiden kann, weil er so restriktiv ausgestaltet ist, eine Mindestbeteiligung, ein Quorum festlegen. Mindestens 25 % der Leute müssen sich daran beteiligen. In Zukunft kann bei einer Bürgermeisterwahl der Fall eintreten, dass nur 10 % der Wahlberechtigten für den zukünftigen Amtsinhaber stimmen. Das kann das Resultat sein, wenn es viele Kandidaten gibt. Dann kann jemand schon mit 20 % der Stimmen gewählt werden. Wenn die Wahlbeteiligung dann bei 50 % liegt, bedeutet das de facto, dass nur 10 % der Wahlberechtigten für diesen Kandidaten gestimmt haben. Das ist doch keine ausreichende Legitimation, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der LINKEN - Glocke des Präsidenten)

Neben der Stichwahl gibt es einen zweiten wichtigen Punkt, den ich noch ganz kurz ansprechen möchte, Herr Präsident, und zwar das kommunale Wirtschaftsrecht. Auch in diesem Bereich gibt es keinen Aufbruch, sondern eine Eingrenzung. Die FDP hat sich das Recht zur Stichwahl abkaufen lassen, um ihrer Handwerkerklientel noch einmal entgegenzukommen. Wir brauchen aber mehr kommunales Wirtschaftsrecht in Niedersachsen; das ist ganz entscheidend und wichtig.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wenn es den Kommunen schon so schlecht geht, dann müssen sie wenigstens vernünftig wirtschaften können. Zum Glück gibt es eine Renaissance der Stadtwerke, meine sehr geehrten Damen und

Herren. Dieses Recht dürfen wir nicht mehr begrenzen, sondern wir müssen es ausweiten; denn die Kommunen haben in der Vergangenheit bewiesen, dass sie gut wirtschaften können. Wir brauchen bessere Möglichkeiten für Einnahmen unserer Kommunen und mehr demokratische Rechte in der Kommunalverfassung. All das steht aber momentan noch nicht im Kommunalverfassungsgesetz.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Patrick-Marc Humke- Focks [LINKE])

Der nächste Redner ist Herr Biallas für die CDUFraktion. Bitte schön, Herr Biallas, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In diesem Hause haben in der Vergangenheit schon viele spannende Debatten zum Thema Kommunalverfassung stattgefunden. Ich erinnere daran, was hier im Parlament los war - und zwar über Fraktionsgrenzen hinweg -, als wir uns mit der Frage auseinandergesetzt haben, ob es nicht an der Zeit ist, in Niedersachsen die Eingleisigkeit einzuführen.

(Bernd-Carsten Hiebing [CDU]: Schwerer Fehler!)

Wenn wir heute über die Kommunalverfassung debattieren, dann wird das wahrscheinlich in der CDU - ich denke, aber auch in der SPD - immer wieder ein Thema sein, das manche noch nicht verinnerlicht haben und fragen, ob wir nicht zur Zweigleisigkeit zurückkehren wollen.

(Bernd-Carsten Hiebing [CDU]: Sehr richtig!)

Ich kenne welche aus der SPD. Aber ich nenne die Namen nicht.

(Ralf Briese [GRÜNE]: Ich kenne auch welche von der CDU!)

Insofern ist es gut und richtig, meine Damen und Herren, dass in diesem Kommunalverfassungsgesetz klar festgelegt ist, dass wir bei der Eingleisigkeit bleiben, dass aber gleichzeitig - auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die wir mit der Eingleisigkeit gemacht haben - als zweite Säule der Arbeit in den kommunalen Parlamenten das Ehrenamt weiter gestärkt werden muss, also die

Rechte der Mitglieder unserer kommunalen Vertretungen, d. h. der Ehrenamtlichen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Der Innenminister hat viele Punkte vorgetragen, sodass ich es mir ersparen kann, alles zu wiederholen. Aber vielleicht kann ich noch den einen oder anderen Punkt nennen, über den wir bei der Beratung des Gesetzentwurfes der Landesregierung sehr intensiv sprechen sollten. Eines steht fest - und es ist ein bisschen anders, als es Herr Briese eben vorgetragen hat -: In die Anhörung zu dem Gesetzentwurf - Herr Briese, da kann ich Sie beruhigen; das weiß ich auch aus Gesprächen mit den Vertretern der kommunalen Spitzenverbände - sind die kommunalen Spitzenverbände sehr intensiv eingebunden gewesen. Wir haben solche Gespräche geführt. In diesem Zusammenhang gibt es auch gar keine Kritik. Aber natürlich haben die kommunalen Spitzenverbände ein wenig die Befürchtung, dass der Landtag womöglich in großem Selbstbewusstsein an der einen oder anderen Stelle noch eigene Schwerpunkte setzt. Das halte ich auch für richtig.

(Johanne Modder [SPD]: Dann sind die weg!)

- Jetzt sind sie weg. Aber es spricht sich bei denen immer relativ schnell herum, was man hier sagt. Außerdem gibt es auch die modernen Mittel der Kommunikation. Ich bin mir also sehr sicher, dass das so ist.

Wir werden den Gesetzentwurf sehr intensiv zu beraten haben.

(Dieter Möhrmann [SPD]: Ist das eine Drohung?)

Denn wenn wir auf der einen Seite starke Eingleiser wollen, dann brauchen wir auf der anderen Seite selbstbewusste ehrenamtliche Mitglieder von Räten und Kreistagen. Das müssen wir sicherstellen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Frau Kollegin Modder, da sind wir uns auch einig; denn beides gehört zusammen.

(Sigrid Leuschner [SPD]: Ja!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte noch auf einige Punkte zu sprechen kommen, die im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf zu debattieren sind. Herr Briese hat ein

bisschen abgetan, dass jetzt festgelegt werden soll, dass ein Ehrenamtlicher den Ratsvorsitz oder den Vorsitz im Kreistag haben soll. Ich halte es aber für sehr, sehr wichtig, dass wir das festlegen, um deutlich zu machen: Hier ist ein Repräsentant der Ehrenamtlichen Vorsitzender der von den Bürgerinnen und Bürgern gewählten Mitglieder.

(Zustimmung bei der CDU - Heiner Bartling [SPD]: Das haben wir doch schon!)

- Ja, aber ich kenne auch andere Fälle. Jetzt ist es zwingend so, Herr Bartling.

Mir persönlich ist sehr wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass wir festlegen, dass als Vertreterinnen und Vertreter des eingleisigen Hauptverwaltungsbeamten bei öffentlichen Veranstaltungen nicht Repräsentanten der Verwaltung den Bürgermeister vertreten, sondern dass das Ehrenamt vorne steht, d. h. die stellvertretenden Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Das halte ich für notwendig.

(Zustimmung bei der CDU)

Denn wir erleben es oft genug: Sie sind gewählt, dann kommt man zu irgendeiner Veranstaltung und fragt: Wer ist denn das? - Dann kommt die Antwort: Das ist der Erste Stadtrat. - Ich will sehr deutlich machen, dass es auch aus unserem Selbstbewusstsein und aus unserem Verständnis des Ehrenamtes heraus wichtig ist, das zu regeln. In diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen, dass wir im Unterschied z. B. zu BadenWürttemberg ganz klar daran festhalten, dass hauptberufliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister nicht für den Kreistag kandidieren können, auch wenn diese Begehrlichkeit überall verbreitet ist.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Wir wollen in den Kreistagen das Ehrenamt im Vordergrund haben

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und bei der SPD)

und nicht eine Bürgermeisterversammlung derjenigen, die im Übrigen ja von dem Landrat oder der Landrätin - - -

(Zurufe von Ralf Briese [GRÜNE] zur SPD-Fraktion)