Herr Wulff, wenn Sie dem Beispiel von Altbundespräsident Richard von Weizsäcker oder auch dem Beispiel von Altbundespräsident Johannes Rau gefolgt wären, die einen deutlichen Abstand zwischen ihren Rücktritt und ihre Bewerbung gelegt haben, dann hätten Sie sich diese Diskussion hier vielleicht ersparen können.
Wir hätten heute mit einem neuen Ministerpräsidenten über die Probleme dieses Landes gesprochen. Das war Ihre Entscheidung, das haben Sie so gestaltet oder wollen Sie so gestalten.
Auf dem Weg nach Berlin gibt es keine Rückfahrkarte. Wenn Sie, Herr Wulff, als lahme Ente nach Hannover zurückkehren wollen, dann gibt es eigentlich nur noch eine Möglichkeit: Sie können Beauftragter für Bürokratieabbau in Brüssel werden und die Nachfolge von Herrn Stoiber antreten.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zur Aktuellen Stunde liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Erste Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Zusammenfassung und Modernisierung des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts - Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 16/2510
Ich gehe davon aus, dass Herr Minister Schünemann den Gesetzentwurf einbringen wird. Herr Schünemann, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kommunen erhalten eine neue Verfassung. Drei Botschaften sind damit verbunden: modern im Geist, klar in der Sprache und gut für das Ehrenamt.
Aus vier Gesetzen erhalten die Kommunen eine neue, einheitliche Verfassung. Damit schreiben wir in Deutschland kommunale Verfassungsgeschichte; denn in keinem anderen Bundesland wurde bisher eine solche fortschrittliche Verfassung beschlossen.
Aus 345 Paragrafen werden 179 Rechtsnormen. Gott sei Dank sind Verweise auf andere Gesetze nicht mehr notwendig. Das ist meiner Ansicht nach ein wichtiger Punkt im Hinblick auf die Ehrenamtlichkeit, um insgesamt mehr zu motivieren, für die kommunalen Parlamente zu kandidieren.
Die Kommunalverfassung ist insbesondere deshalb modern, weil nur das geregelt wird, was unbedingt notwendig ist. Wir reden immer von kommunaler Selbstverwaltung. Wir müssen aber auch Sorge dafür tragen, dass die Kommunen insgesamt mehr Entscheidungsbefugnisse bekommen und auch dazu in der Lage sind, das zu regeln, was sie selbst regeln können. Da müssen wir viele Beiträge leisten. Aber auch die kommunale Verfassung kann hier mit gutem Beispiel vorangehen.
Um nur zwei Beispiele zu nennen: Wir wollen die Entschädigung für das Ehrenamt nicht vorschreiben. Das soll man selber regeln können. Wir wol
Modern ist die Kommunalverfassung auch, wenn man die demografische Entwicklung sieht. Es ist richtig, zwar an der Altersgrenze von 65 Jahren bei den Hauptverwaltungsbeamten festzuhalten. Wenn die Hauptverwaltungsbeamten aber mit 64 Jahren gewählt worden sind, müssen sie nicht mit 68 Jahren aus dem Amt scheiden, sondern können die gesamte Wahlperiode von acht Jahren umsetzen.
Meine Damen und Herren, gut für das Ehrenamt - und das ist, glaube ich, die wichtigste Botschaft - bedeutet, dass wir mehr Bürgerinnen und Bürger motivieren, sich tatsächlich für die Kommunalpolitik zur Verfügung zu stellen. Wir müssen feststellen: Wir haben in Niedersachsen - das hat die Bertelsmann-Studie sehr eindrucksvoll geschrieben - Menschen, die sich in Projekten, in Sportvereinen und in kulturellen Bereichen engagieren. Hier haben wir sogar einen Zuwachs zu verzeichnen. Die Bereitschaft, auf kommunaler Ebene Verantwortung zu übernehmen, hat aber in der Vergangenheit abgenommen.
Wir müssen uns überlegen, woran das liegt. Auf der einen Seite hat das mit finanziellen Nöten zu tun. Das ist keine Frage. Wenn wir hier eine neue Verfassung haben, ist es sinnvoll, ihnen wenigstens die Möglichkeit zu geben, mehr entscheiden zu können und gerade ihr Engagement mehr zu würdigen. Das kann man nur - das gebe ich zu - in Teilen auch symbolhaft machen. Das ist aber manchmal genauso wichtig, als es in anderen Bereichen zu hinterlegen. Insofern ist es richtig, dass der Vorsitz in den Räten und Kreistagen ehrenamtlich besetzt wird. Das ist meiner Ansicht nach ein wichtiges Signal.
Wir müssen aber auch den Ortsräten und den Stadtbezirksräten mehr Entscheidungsmöglichkeiten geben. Es ist doch frustrierend, wenn sie in einem Ortsrat sind und dort eine Straße benennen wollen - um es einmal an einem Beispiel deutlich zu machen -, dies nur empfehlen zu können. Das Ganze geht anschließend in den Stadtrat, und dort wird noch einmal darüber befunden. Auf der einen Seite ergibt sich dadurch eine Aufblähung der Tagesordnung in den Räten, und auf der anderen Seite muss man sich fragen: Nimmt man den Ortsrat überhaupt noch ernst? - Deshalb ist es richtig, dass Ortsräte in Teilbereichen letztinstanzlich ent
scheiden können. Es ist auch sinnvoll, ihnen ein Budget zu geben, sodass sie u. a. über kulturelle oder sportliche Dinge direkt entscheiden können. Das ist meiner Ansicht nach ein wichtiger Punkt.
Genauso gut ist es, dass der Rat entscheiden kann, ob nicht sogar Fachausschüsse letztinstanzlich entscheiden können. Es ist allerdings eine Entscheidung des Rates. Auch das wollen wir in der Verfassung nicht vorgeben. Das hat aber etwas mit kommunaler Selbstverwaltung zu tun. Das bedeutet nicht, dass wir dieses in den Ausschüssen von besonderer Bedeutung - also Schulausschuss, Jugendhilfeausschuss -, wo es eh schon geregelt ist, neu einführen wollen, sondern in den übrigen Ausschüssen ist dieses meiner Ansicht nach genauso wichtig.
Meine Damen und Herren, zusammengefasst möchte ich sagen: Wir haben hier einen Entwurf vorgelegt, der nicht nur dazu beitragen wird, dass wir Geschichte schreiben, sondern auch dazu, dass die Verfassung erheblich anwenderfreundlich und - ich hatte das eingangs gesagt - klar in der Sprache ist. Auch da haben wir Neuland beschritten. Wir haben mit der Gesellschaft für Deutsche Sprache von Anfang an versucht, in dieser Verfassung eine Sprache zu wählen, die gerade von Menschen aus dem Ehrenamt verstanden wird, die keine juristische Vorbildung haben. Das ist ein ganz spannender Prozess mit Juristen und Germanisten, mit der Gesellschaft für Deutsche Sprache, gewesen.
Es ist wichtig, dass wir nicht immer nur darüber reden, sondern dass wir auch hier beim Gesetzestext darauf geachtet haben, das ehrenamtliche Engagement nicht zu überfordern und von Anfang an eine Verfassung zu geben, die lesbar und anwenderfreundlich ist. Insofern bin ich fest davon überzeugt, dass das ein guter Entwurf ist.
Meine Damen und Herren, außerhalb der eigentlichen Verfassungsregelung haben wir Ihnen einen Entwurf vorgelegt, der noch eine Detailfrage klärt. Wir haben uns angeschaut, wie es tatsächlich mit den Stichwahlen ist. Wir müssen sehen, dass die Wahlbeteiligung erschreckend ist. Bei der allgemeinen Wahl und bei der Wahl der Hauptverwaltungsbeamten im Jahr 2006, die zum größten Teil zusammengefallen sind, hatten wir eine Wahlbetei
ligung von rund 50 %. Bei den Stichwahlen hatten wir im Schnitt eine Wahlbeteiligung von nur noch 35 %.
Wir haben festgestellt, dass 70 % derjenigen, die bei der ersten Wahl gewählt wurden, bei der Stichwahl bestätigt worden sind. Wir haben festgestellt, dass 30 % bei der ersten Wahl Einzelbewerber gewesen sind. Das heißt, wenn wir die Stichwahl abschaffen, ist mitnichten gesagt, dass Einzelbewerber oder Vertreter der kleineren Parteien überhaupt keine Chance mehr haben.
Es wurde gesagt, dass es verfassungsrechtliche Schwierigkeiten gibt. Man kann aber das Argument nicht stehen lassen, dass es eine geringere Legitimation bedeutet, wenn die Stichwahl weggenommen würde. Das hat schon der Verfassungsgerichtshof in Nordhrein-Westfalen anders entschieden.
Man muss sich einmal vorstellen, dass häufig der Gewinner der Stichwahl - in absoluten Zahlen - weniger Stimmen gehabt hat als bei der ersten Wahl. Deshalb ist es sinnvoll, den Bürgerinnen und Bürgern schon bei der ersten Wahl zum hauptamtlichen Bürgermeister oder Landrat die Entscheidung zu überlassen.
Die Stichwahl hat sich aus unserer Sicht nicht bewährt. Auch in Nordhrein-Westfalen ist die Stichwahl abgeschafft worden. Die Wahlen sind durchgeführt worden, und das Ergebnis hat genau diese Überlegungen bestätigt.
Wenn wir dem folgen, bin ich sicher, dass wir zum einen den Kommunen eine hervorragende kommunale Verfassung geben, dass wir aber zum anderen in der Praxis zu einer Wahl kommen, bei der die Bürgerinnen und Bürger an keiner Stichwahl teilnehmen müssen, woran sie wenig Interesse haben. Das ist meiner Ansicht nach auch nicht sinnvoll. Ich würde mich freuen, wenn wir gemeinsam auf breiter Basis den Kommunen eine neue, moderne Verfassung geben.
Vielen Dank, Herr Minister. - Es kommt jetzt Herr Briese von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ja, jetzt haben wir also einen Gesetzentwurf für ein neues Kommunalverfassungsrecht, Herr Innenminister. Man muss am Anfang erst einmal konstatieren, dass nach diesem neuen Kommunalverfassungsrecht in Niedersachsen keine einzige Kommune auch nur ansatzweise gerufen hat. Das machen Sie über die Köpfe der kommunalen Spitzenverbände hinweg, die selbst gesagt haben: Ein neues Kommunalverfassungsrecht brauchen wir eigentlich nicht. Die Notwendigkeit sehen wir nicht. - Darin gab es große Einigkeit. Sie aber haben in Ihrem eigenen Paternalismus wieder einmal gesagt: Es interessiert mich gar nicht, ob ihr das nicht haben wollt. Ihr kriegt es trotzdem, liebe Kommunen.
Um die beiden zentralen Probleme in Niedersachsen, was die kommunale Gebietskulisse oder die Kommunallandschaft angeht, kümmern Sie sich nur halbherzig. Wir müssen uns die wichtige zentrale Frage anschauen - das haben Sie selbst in Ihrem Redebeitrag gerade erwähnt -, nämlich die Frage der kommunalen Finanzen. Das ist das ganz Zentrale bei der Frage, ob wir wieder einen Aufbruch in der kommunalen Demokratie haben werden, ob überhaupt die kommunale Selbstverwaltung wiederhergestellt wird. Denn natürlich kann man keinen einzigen Kommunalpolitiker auch nur ansatzweise für Kommunalpolitik begeistern, wenn er gar nichts mehr zu entscheiden hat, wenn es gar nichts mehr zu entscheiden gibt.
Wenn es keine freie Spitze mehr gibt, dann ist die kommunale Selbstverwaltung nichts mehr wert, dann ist sie komplett erodiert. Das ist die ganz zentrale, entscheidende Frage.
Die zweite Frage - da herrscht Stillstand - haben wir gestern auch andiskutiert, und zwar, ob die kommunale Gebietskulisse in Niedersachsen überhaupt zukunftsfähig ist. Auch dabei haben Sie, wie Sie wissen, eine ganz große Baustelle. Sie wissen nicht so richtig, wie Sie diese Baustelle künftig weiter beackern sollen und wie Sie dem Problem Herr werden können.