Erste Beratung: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes: Regelsätze der sozialen Mindestsicherung endlich menschenwürdig und sozial gerecht bestimmen (Artikel 1 und 20 Grundge- setz) - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/2513
- Vielleicht kann man die Gespräche doch etwas reduzieren, damit der Redner entsprechendes Gehör findet. - Bitte schön!
gericht das Urteil zu den Hartz-IV-Regelsätzen gesprochen. Bis heute scheint aufseiten der Regierenden kaum Bewegung in die Neuberechnung der Regelsätze gekommen zu sein. Doch halt! - Die Bundeskanzlerin hat nach der Haushaltsklausur der Bundesregierung weitere tiefe Einschnitte im Sozialbereich angekündigt. Allerdings rückt die Deadline für die Neuberechnung der Regelsätze trotzdem immer näher. Meiner Fraktion stellt sich nun die Frage: Ist das Tatenlosigkeit oder nur Intransparenz?
Vielleicht beantwortet sich diese Frage zum Teil, wenn man sich die Zwischenbemerkungen zu den aktuellen Sparplänen der Bundesregierung anschaut. So hieß es zu den Streichungen des Elterngeldes und des Rentenversicherungsbeitrages für Hartz-IV-Empfänger, der Regelsatz solle aber unberührt bleiben. Was soll das aber nun heißen?
Der Regelsatz kann nach diesem Urteil a) keineswegs noch einmal durch Streichung einfach so berührt werden; denn er muss b) durch eine nachvollziehbare Methodik am tatsächlichen Bedarf neu berechnet werden. Dies war und ist der Auftrag der Verfassungsrichter. Zitat:
„Zur Ermittlung des Anspruchumfangs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen.“
Dem steht die Kritik der Betroffenen und der Sozialverbände gegenüber. Der Paritätische Gesamtverband spricht im Zusammenhang der Neuberechnung der Regelsätze von einem Alleingang und Geheimniskrämerei der Bundesregierung.
Ich komme nun zum grundlegenden Kern des Richterspruchs und zitiere ihn hierfür erneut, in diesem Fall den ersten Leitsatz. Zitat:
„Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip
des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.“
Nichts Minderes als die Verweisungen auf den Schutz der Menschenwürde und das Sozialstaatsprinzip haben die Richter also der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Bemessung der Hartz-IV-Regelsätze zugrunde gelegt.
Was war die Kritik der Richter? - Sie haben zu Recht bemängelt, dass der Gesetzgeber die rechnerischen Abschläge, die er bei der Bemessung an den Daten des untersten Quintels der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vorgenommen hatte, offenkundig „ins Blaue hinein“ getroffen hat.
Herr Kollege, darf ich Sie noch einmal kurz unterbrechen? - Ich bitte doch, die Gespräche in den Fraktionen einzustellen. Wer sie unbedingt führen muss, der kann das auch außerhalb des Plenarsaals machen.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Die Umstellung der ursprünglichen Bemessung der sozialrechtlichen Grundsicherung nach dem Warenkorbmodell hin zum aktuellen Statistikmodell war nach Auffassung der Richter an sich nicht das Problem. Die Richter gestehen dem Gesetzgeber hierbei explizit einen Gestaltungsspielraum zu, wie er im Leitsatz 2 des Richterspruchs benannt wurde.
Einen großen Bereich widmeten die Richter hierbei den Regelsätzen für die Kinder; denn - das wurde als allergrößter Mangel bekundet - diese Regelsätze sind vollständig ohne eigene Berechnung als willkürlicher Prozentsatz des Eckregelsatzes „freihändig geschätzt“. Die Richter betonten hierzu - ich zitiere abermals aus dem Urteil -:
„Ihr Bedarf, der zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums gedeckt werden muss, hat sich an kindlichen Entwicklungspha
Konkret bemängelten die Richter die fehlende Berücksichtigung der Bedarfe für Bildung. Ohne Begründung sind bei der Regelsatzverordnung die für das Bildungswesen in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erfassten Daten unberücksichtigt geblieben. Dies gilt ebenso für den außerschulischen Bereich wie Sport und die musischen Fächer. Explizit wurde aber die Erfassung eines altersspezifischen Bedarfs von Kindern im schulischen Zusammenhang angemahnt.
Es lässt sich zweifelsfrei sagen, dass die Erfassung der Bedarfe von Kindern die größte Baustelle in Sachen Regelsätze ist.
Damit komme ich auch zur aktuellen Situation. Alles, was aktuell zu erfahren ist, ist erstens, dass man auf die Zahlen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe im Herbst wartet, und zweitens, dass erwogen wird, erweiterte Bedarfe wie beispielsweise im schulischen Bereich für Kinder über Gutscheine abdecken zu wollen.
Die Zahlen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe kommen dabei nicht nur denkbar spät, sondern sind zudem höchst problematisch; denn die Bedarfe von Kindern werden hierin explizit nicht erfasst. Das wurde in einer Anhörung des Arbeits- und Sozialausschusses des Bundestages am 17. Mai 2010 von Anette Stuckemeier bestätigt, die als Mitarbeiterin des Statistischen Bundesamtes als Sachverständige eingeladen war.
Darüber hinaus - auch dies wird von vielen Sachkundigen bemängelt - steckt in den Zahlen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ein großer Anteil sogenannter versteckter Armut.
Das heißt, eigentlich geht man davon aus, dass man das Verbraucherverhalten der unteren 20 % derjenigen misst, die nicht auf staatliche Leistungen zur Grundsicherung angewiesen sind. Tatsächlich befinden sich hierunter aber Menschen, deren faktisches Einkommen aus unterschiedlichen Gründen unterhalb dieser Grundsicherung liegt. Konkret verfälscht diese Berechnungsmethode die Zahlen. Ich erinnere daran, dass die Richter aber eine Bemessung des tatsächlichen Bedarfs verlangten.
Gestatten Sie mir noch zwei Anmerkungen zu der Idee von Gutscheinen. Auch dies wurde von Sachverständigen in der Anhörung im Mai deutlich kritisiert. Diese Kritik kam natürlich einmal von den Sozialverbänden. Aber auch Herr Dr. Engels vom Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik hatte hiergegen sehr große Bedenken. Er vertrat die Auffassung, dass der Verwaltungsaufwand enorm sei und ein Modell mit vielen einzelnen Gutscheinen schlicht nicht praktikabel sei.
Lassen Sie uns stattdessen die Praxis der verfassungswidrigen Mindestsicherung so schnell wie möglich beenden
für die Menschenwürde derer, die auf die Leistungen angewiesen sind, und für eine gerechtere Gesellschaft, in der sich Armut nicht zwangsläufig immer wieder weitervererbt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Humke-Focks, nach der durchaus aufmerksamen Lektüre Ihres Antrages, der ja immerhin vier Seiten umfasst, war ich dennoch enttäuscht. Ihr Antrag war, wie man so schön sagt, alter Wein oder vielleicht nicht einmal mehr alter Wein in neuen Schläuchen.
(Zustimmung bei der CDU - Kreszen- tia Flauger [LINKE]: Falsch herum! „Neuer Wein in alten Schläuchen“ heißt das!)
Weil dies so ist, möchte ich nur kurz auf die wesentlichen und wichtigen Punkte des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes eingehen und sie hier kurz darlegen.
Zur Erinnerung: Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 entschieden, dass der Bundesgesetzgeber bis zum 31. Dezember 2010 eine Neuberechnung der Höhe des Eckregelsatzes der sozialen Mindestsicherung vorzunehmen hat. Zur Begründung verweist das Gericht darauf - das zitierten Sie eben auch, Herr Humke-Focks -, dass zur Konkretisierung des
Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums die Berechnung der Höhe in einem transparenten und sachgerechten Verfahren zu erfolgen hat. Dieses Verfahren muss den tatsächlichen Bedarf realitätsgerecht abbilden. Das heißt, die Festsetzung der Leistungen muss auf der Basis verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren tragfähig und zu rechtfertigen sein.
Dies gilt natürlich auch und insbesondere für den Bedarf von Kindern. Kritisiert hat das Gericht damit ausdrücklich die Berechnungsmethode, also den Weg des Zustandekommens der Regelsatzhöhe.
Was das Gericht aber nicht kritisiert hat, ist die Höhe des Regelsatzes als solchen. Hierzu führt das Gericht explizit aus, dass weder die Höhe des damaligen Regelsatzes noch der Betrag von 207 Euro für Kinder bis zum 14. Lebensjahr offensichtlich unzureichend sind.