Noch einmal: Das Gericht bemängelt also nicht die Höhe, sondern nur den Berechnungsweg der Regelsätze. Sie zitierten eine Sachverständige aus der Anhörung. Ich habe auch ein Zitat. Dr. Hilmar Schneider vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit hat in seiner schriftlichen Stellungnahme zur Anhörung im Bundestag am 17. Mai dieses Jahres das Gleiche gesagt, nämlich dass der Berechnungsweg der Regelsätze zu kritisieren ist und nicht die Höhe. Auch Frau Dr. Anne Lenze von der Hochschule Darmstadt führte an gleicher Stelle aus, dass das Gericht eine strikte Kontrolle des Verfahrens, aber nicht die Kontrolle des konkreten Zahlenbetrages verlangt.
Ich würde mich also sehr freuen, sehr geehrte Fraktion der Linken, wenn Sie dies zur Kenntnis nehmen würden und - ich muss es sagen; in Ihrem Antrag haben Sie es auch beschrieben - aufhören, den Bürgern an dieser Stelle Sand in die Augen zu streuen.
Das Bundesverfassungsgericht wie auch das Bundessozialgericht verlangen in keiner Weise die Erhöhung der Regelsätze. Wecken Sie hier also durch die Forderung eines Eckregelsatzes von 500 Euro - laut Antrag - keine falschen Hoffnungen bei den Betroffenen, die Sie und die auch wir nicht erfüllen können.
Meine Damen und Herren, kritisiert worden ist durch das Urteil allerdings auch der Abwägungsprozess, also welche Positionen aus der Einkommens- und Verbraucherstichprobe übernommen worden sind. Das Gericht hat hierzu kritisiert, dass die Begründung des Bundesgesetzgebers an dieser Stelle nicht transparent genug sei. Insgesamt hat das Gericht aber auch ganz klar ausgeführt, dass die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe eine geeignete Grundlage für die Berechnung der Regelsätze darstellt. Eine andere geeignete und sicherlich auch gerichtsfeste Grundlage für die Berechnung steht also meines Wissens zurzeit nicht zur Verfügung.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss feststellen: Das Thema des Bedarfs und der Regelsätze für Kinder ist in Niedersachsen bereits 2007 aufgegriffen worden und ist schon längst in eine entsprechende Bundesratsinitiative gemündet. In dieser Initiative setzen wir uns dafür ein, dass eine geeignete Grundlage für die Berechnung des tatsächlichen Kinderbedarfs gefunden wird. In der Plenarsitzung am 17. Februar dieses Jahres haben wir das Thema ebenfalls schon ausführlich diskutiert. Die Fraktion der Linken hat also mit dem Antrag wirklich nichts Neues vorgelegt.
Meine Damen und Herren, wir werden aber die Entwicklung in Berlin ganz genau beobachten und, falls nötig, das Thema wieder auf die Tagesordnung setzen.
Danke, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Prüssner, Sie haben gesagt, wir würden nichts Neues vorlegen, das sei irgendwie schon überholt und wir würden falsche Hoffnungen wecken. Wir wissen aber nun einmal, was uns das Bundesverfassungsgericht in diesem Prozess auferlegt hat und dass wir jetzt alle mit den neuen Regelsätzen neu umgehen müssen. Deshalb müssen wir jetzt ein Verfahren finden, wie wir die tatsächlichen Bedarfe der Menschen feststellen können.
Dazu brauchen wir ein transparentes Verfahren. Es ist schon viel Zeit ins Land gegangen. Sie haben die Aussagen anderer Fachleute angeführt. Ich schaue bei solchen Anhörungen folgendermaßen darauf: Ich höre mir das an, was jeder einzelne Fachmann oder jede einzelne Fachfrau dazu sagt. Dann gucke ich, wie das in Verbindung mit den Statements beispielsweise der Wohlfahrtsverbände - der Paritäten, der AWO etc. - steht; denn das sind die Verbände, die am Leben dieser Menschen direkt dran sind. Das sind die Verbände, die den direkten Kontakt mit den Ärmsten der Armen in dieser Gesellschaft haben.
Dann versuche ich, die Statements der Fachleute damit abzuwägen. Dort, wo sich die Einschätzung der Fachleute, die das wissenschaftlich untermauern, und die Auffassung der Wohlfahrtsverbände treffen, sind für mich die Kriterien. Das ist für uns der Grund, die Forderungen der Paritäten und der Wohlfahrtsverbände aufzugreifen und hier neu in die Diskussion zu bringen. Das ist also kein alter Wein in neuen Schläuchen, sondern brandaktuell.
Nur ganz kurz, Herr Humke-Focks. Wir warten ja auf die Berechnung. Ich hatte gesagt, dass das Verfahren kritisiert wurde. Der Betrag wird erst ausgerechnet. Darauf warten wir. Im Herbst dieses Jahres ist es so weit. Wir werden dann sehen, dass diese gerechte Entwicklung einsetzen wird. Auch wir achten natürlich darauf, dass es bei den Ärmsten der Armen nicht ungerecht zugeht.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das war ein interessanter Debattenbeitrag, Herr Humke-Focks. Mich hat an dem Antrag, den Ihre Fraktion im Niedersächsischen Landtag vorgelegt hat, insbesondere verblüfft, dass Sie in dem Antrag ausführen - das haben Sie gerade auch noch einmal mündlich vorgetragen -, dass das Berechnungsverfahren im Mittelpunkt des Urteils steht und dass genau ermittelt werden soll, wie hoch der Bedarf ist. Aber dann - oh Wunder - weiß die LINKE-Fraktion im Niedersächsischen Landtag schon, dass der Bedarf pro Person bei 500 Euro liegt.
- Da kommt die orange Karte! Darauf habe ich an dieser Stelle schon gewartet. - Das ist deswegen ein Debattenbeitrag, von dem es viele gibt. Sie haben andere Teilnehmer an der Debatte genannt.
Meine Damen und Herren, ich möchte einen Satz aus der Begründung des Bundesverfassungsgerichtsurteils zitieren, der sich mit der Höhe von Beträgen und mit der Frage beschäftigt, ob die bisher gefundenen und verwendeten Beträge in ihrer Höhe stichhaltig sein mögen oder nicht. Es heißt in der Urteilsbegründung:
„Ausgehend von den Untersuchungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge ist nicht ersichtlich, dass der Betrag von 207 Euro nicht ausreicht, um das physische Existenzminimum, insbesondere den Ernährungsbedarf, von Kindern im Alter von 7 bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres zu decken.“
Das ist doch einmal eine Aussage, aus der sehr deutlich hervorgeht, dass das Bundesverfassungsgericht die Höhe von Beträgen hier nicht vorgeben wollte, sondern diese Aufgabe vielmehr an den Gesetzgeber zurück erteilt hat.
Welche Schritte sind in der Ausführung der Grundsicherung für die Zukunft notwendig, um die Bürokratie im Verfahren abzusenken? - Dafür wird es auch in Zukunft notwendig sein, dass in Einzelfällen nicht spitz berechnet wird, sondern dass Pauschalbeträge möglich und zulässig sind. In den Leitsätzen des Bundesverfassungsgerichts ist auch ausdrücklich abgebildet, dass Pauschalsätze möglich sind. Es wird also auch künftig Festbeträge geben, und es wird sie geben müssen. Der
Vorschlag der FDP dazu in der Debatte ist ein wichtiger Beitrag, nämlich dass auch die Kosten der Unterkunft mit einem Festbetrag abgedeckt werden können. Dieser - das sage ich aber ganz ausdrücklich - muss regionalspezifisch festgelegt werden, weil wir alle wissen, dass die Kosten der Unterkunft je nachdem, wo man sich in Deutschland befindet, sehr unterschiedlich ausfallen können.
Außerdem haben wir in der Gegenwart noch Verwaltungsprobleme, die häufig zu Urteilsverfahren führen müssen. Bei faktischen oder scheinbaren Bedarfsgemeinschaften finden von Amts wegen detaillierte Bedarfsprüfungen statt, die tief in den Intimbereich der Menschen hineingehen. Denen könnte begegnet werden, indem zukünftig auf die Differenzierung zwischen Haushaltsvorstand in einer einköpfigen Bedarfsgemeinschaft oder einer Bedarfsgemeinschaft nur mit Kindern oder einer Bedarfsgemeinschaft mit mehreren erwachsenen Personen verzichtet wird.
Entscheidend für die Weiterentwicklung der Grundsicherung ist jedoch, dass die Motivation zum Zuverdienst durch eine geänderte Anrechnungsregelung erhöht wird. Das geht jetzt aber über diesen Antrag hinaus. Wir haben uns mit diesem Thema ja auch schon bei anderer Gelegenheit beschäftigt.
Ich nehme an, verehrter Herr Humke-Focks, dass der Antrag, den Sie dem Landtag heute vorgelegt haben, in der intensiven Ausschussberatung keine Mehrheit finden wird.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Riese, es ist, sofern ein Urteil über eine längere Zeit Gültigkeit behalten soll, nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichtes, irgendwelche Beträge festzulegen. Es ist in der Tat die Aufgabe der politischen Entscheidungsträger, nachzuweisen, welches der tatsächliche Bedarf für das tägliche Leben ist, wenn man die Kriterien erfüllen will, die das Bundesverfassungsgericht uns auferlegt hat, um ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und sozialen Leben zu erreichen. Das ist die Basis. Diesbezüglich muss ein Nachweis erfolgen. Es ist nicht unsere Partei
allein, sondern es gibt auch Verbände, die von einem Bedarf in Höhe von 500 Euro ausgehen. Das ist ein Maßstab, an dem man sich orientieren könnte. Deshalb ist es sinnvoll, diese Forderung in die politische Diskussion einzubringen. Es kann, wie gesagt, nicht die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts sein, einen Betrag festzulegen.
Sie haben weiterhin gesagt, wir brauchten die Motivation zum Zuverdienst. Ich stelle es mir so vor, dass jemand von dem Verdienst für seine Arbeit leben kann. Es kann nicht die Lösung für die Zukunft sein, dass irgendwelche Betriebe ständig mit Transferleistungen gesponsert werden.
Ich muss jetzt leider zum Schluss kommen. Deshalb nur noch ein letzter Satz zu dem Festbetrag für die KdU. Schauen Sie sich einmal die tatsächlichen Kosten für Unterkunft an. Diese können Sie nicht pauschalieren, auch bei Ihrer Förderung nicht, weil Sie die Mietsituation in einer ländlichen Region oder in einer Stadt nie abbilden können. Das funktioniert einfach nicht. Betrachten Sie einmal die Mietsituation in Emden oder auch bei mir in Göttingen. Ich kann Ihnen zeigen, welche unterschiedlichen Möglichkeiten des Wohnens Sie dort haben.
Verehrter Herr Humke-Focks, es geht um das Mindestmaß. Das ist kein schönes Wort, aber es ist das Wort, das das Bundesverfassungsgericht gewählt hat.
Nun zum Thema Zuverdienst. Wir müssen den Menschen, die sich in der Situation befinden, eine Grundsicherung entgegennehmen zu müssen, doch bitte die Möglichkeit geben, zunächst auch über kleine Zeitanteile wieder in den Arbeitsmarkt hineinzukommen. An diese Sichtweise bitte ich Sie auch einmal zu denken.
Im Übrigen freue ich mich auf unsere künftige gemeinsame politische Arbeit in Ihrem Wahlkreis in Göttingen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Niedersachsen lebt jedes fünfte Kind in Armut. Das hat natürlich etwas damit zu tun, dass die Regelsätze strukturell überhaupt nicht auskömmlich sind. Weil sie von den Regelsätzen für Erwachsene abgeleitet sind, gilt das auch für Erwachsene. Wir haben in den vergangenen Jahren in vielen Initiativen immer wieder auf die viel zu niedrigen Regelsätze hingewiesen und das Thema Kinderarmut hier im Landtag auf die Tagesordnung gebracht. Letztlich hat das dazu geführt, dass sich die Landesregierung im Bundesrat der Forderung angeschlossen hat, die Sätze neu zu berechnen. Wir haben immer kritisiert, dass dies nur in Form eines Antrags geschah und nicht ein eigener Gesetzentwurf vorgelegt wurde. Insofern war das ein bisschen halbherzig; denn ein Antrag kann die Bundesregierung ja nie zu etwas zwingen.
Spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes muss jedem klar sein, dass es - wir haben das Verfahren auch immer kritisiert - so nicht weitergeht. Es ist nämlich nicht richtig, den Bedarf von Kindern prozentual nach dem Bedarf von Erwachsenen zu ermitteln.