Protokoll der Sitzung vom 19.08.2010

(Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: Immer noch unwahr!)

„Dieses hat sie abgelehnt. Weitere Einzelheiten könnten im Rahmen einer Befragung … in Erfahrung gebracht werden.“

Sie haben in Erfahrung gebracht, wie die Polizistin heißt und woher sie kommt. Insofern werden wir das im Detail klären können. - Dies ist mir so berichtet worden.

Im Übrigen hat sich die Polizistin völlig korrekt verhalten, wenn sie gesagt hat, dass Ihr Mandat

Sie nicht berechtigt, die Absperrung zu überwinden,

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Was ist mit der Frage nach der Parteizugehö- rigkeit?)

weil dieses Mandat eben keine Sonderrechte in diesem Zusammenhang beinhaltet.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich habe Ihnen schon einmal gesagt: Ob Sie aus der Fraktion DIE LINKE, von den Grünen, der FDP oder der CDU kommen, ist völlig unerheblich, weil keiner Fraktion - auch nicht der CDU, nicht der FDP, nicht der SPD - irgendwelche Vorteile zustehen. Auch sie haben keine Sonderrechte.

Insofern werden wir das noch einmal genau klären. Aber ich wollte Ihnen noch einmal darlegen, wie mir das schriftlich berichtet worden ist.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Meine Damen und Herren, ich rufe dann den Punkt b auf:

Wer war in Niedersachsen zu welchem Zeitpunkt über die Unterbringung des Sicherungsverwahrten informiert, und wie soll in den zukünftigen Fällen verfahren werden? - Anfrage der Fraktion der SPD - Drs. 16/2729

Herr Watermann hat sich zur Einbringung gemeldet. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich lese den Text der Anfrage vor:

Am 15. Juli 2010 wurde im Bad Pyrmonter Ortsteil Thal ein nach 30-jähriger Haft und Sicherungsverwahrung entlassener Sexualstraftäter in eine Pflege- und Betreuungseinrichtung aufgenommen. Die Landesregierung war laut Presseberichten erst 24 Stunden vorher über den Vorgang unterrichtet worden.

Justizminister Busemann kündigte an, den Entlassenen notfalls „rund um die Uhr“ überwachen zu lassen. Das stand am 16. Juli 2010 in der BildZeitung.

Noch am späten Abend des 19. Juli verließ der Betroffene Bad Pyrmont und das Land Niedersachsen wieder.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

1. Welche niedersächsischen Ministerien waren zu welchem Zeitpunkt und von wem über die Unterbringung unterrichtet?

2. Gab es vor dem 15. Juli 2010 Kontakte der Einrichtung zu Ministerien, Behörden des Landes oder anderen niedersächsischen Körperschaften? Wenn ja, welche Kontakte waren dies, wann fanden sie statt, und welche Informationen wurden übermittelt?

3. Auf welche Art und Weise möchte die Landesregierung in Zukunft in vergleichbaren Fällen den Informationsfluss von allen und an alle beteiligten Stellen erreichen, und mittels welchen Konzepts soll zukünftig mit entlassenen Sicherungsverwahrten umgegangen werden?

(Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Watermann. - Herr Minister Busemann, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 15. Juli 2010 ist ein Sicherungsverwahrter aus der Justizvollzugsanstalt Freiburg entlassen worden, nachdem das Oberlandesgericht Karlsruhe seine Unterbringung mit Beschluss vom selben Tage für erledigt erklärt hatte. Das Gericht sah sich mit Blick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009, rechtskräftig seit dem 10. Mai 2010, zu dieser Entscheidung veranlasst. Der Sicherungsverwahrte ist noch am selben Tag aus dem Vollzug entlassen und von Bediensteten der JVA Freiburg nach HamelnPyrmont in ein dortiges Pflege- und Betreuungsheim gebracht worden. Der Transport wurde von der baden-württembergischen Polizei begleitet. Zu diesem Zeitpunkt lag ein Führungsaufsichtsbeschluss, für den das Landgericht Freiburg zuständig war, über den aber auch das OLG Karlsruhe hätte entscheiden können, noch nicht vor.

Von der bevorstehenden Entlassung hat das Niedersächsische Justizministerium erstmals am späten Nachmittag des 13. Juli 2010 durch einen Anruf und eine E-Mail des Justizministeriums BadenWürttemberg Kenntnis erlangt. Gegenstand der

Mitteilung war, dass möglicherweise - also zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher - aufgrund einer Entscheidung des OLG Karlsruhe mit der kurzfristig bevorstehenden Entlassung eines Sicherungsverwahrten und seiner Wohnsitznahme in einer Pflege- und Betreuungseinrichtung in Bad Pyrmont zu rechnen sei.

Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport wurde am Morgen des 14. Juli 2010 durch das Niedersächsische Justizministerium und das Landeskriminalamt Niedersachsen, das bereits durch das Landeskriminalamt Baden-Württemberg informiert worden war, unterrichtet.

Noch am Vormittag des 14. Juli 2010 fand vor dem Hintergrund der bis dahin durch die Polizei in Baden-Württemberg übermittelten Informationen insbesondere zur näheren Gefahreneinschätzung eine durch die Polizeiinspektion Hameln- Pyrmont/Holzminden initiierte Kontaktaufnahme durch dortige Polizeibeamte mit der Pflege- und Betreuungseinrichtung in Bad Pyrmont-Thal statt. Ziele waren die Klärung der Unterbringungssituation und die Abstimmung der polizeilichen Maßnahmen. Diese erschienen im Interesse des Schutzes der Bevölkerung vor allem deshalb notwendig, weil der entlassene Sicherungsverwahrte aufgrund der Mitteilung der JVA Freiburg und der dort vorgenommenen Risikoprognose noch als sehr gefährlich galt und insbesondere eine Entlassungsvorbereitung nicht stattgefunden hatte.

Aus Gesprächen zwischen der Polizei und der Heimleitung ergab sich schließlich, dass es in der Vergangenheit bereits zu Kontakten zwischen Vertretern des Pflege- und Betreuungszentrums in Bad Pyrmont-Thal und der JVA Freiburg gekommen war. Aus diesen persönlichen Kontakten habe sich die grundsätzliche Bereitschaft des Heims entwickelt, in der Einrichtung in Bad Pyrmont-Thal entlassene Sicherungsverwahrte aufzunehmen. Niedersächsische Behörden sind über diese Kontakte und die Bereitschaft des Heimes zur Aufnahme des Sicherungsverwahrten von dem Träger oder Verantwortlichen des Heimes nicht unterrichtet worden.

In dem der Anfrage zugrunde liegenden Einzelfall waren die Gerichte und Behörden in BadenWürttemberg für die Entlassungsvorbereitung verantwortlich. Das Land Niedersachsen hatte hierauf keinen Einfluss und konnte sich auf diese Situation nur deshalb so gut einstellen, weil hier ein funktionierendes Netzwerk zwischen Polizei, Justiz und Sozialarbeit existiert. Die Pflege- und Betreuungs

einrichtung in Bad Pyrmont ist ohne Beteiligung niedersächsischer Behörden ausgewählt und belegt worden.

Nachdem die voraussichtlich kurzfristig bevorstehende Entlassung des Sicherungsverwahrten nach Niedersachsen bekannt wurde, sind vom Landeskriminalamt Niedersachsen und dem Ambulanten Justizsozialdienst Niedersachsen die für derartige Situationen schon lange zuvor abgestimmten Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung und zur Betreuung des Entlassenen unverzüglich eingeleitet worden. Sie haben aufgrund des außerordentlich engagierten Einsatzes von Polizei und Justiz optimal funktioniert, dies nicht zuletzt deshalb, weil in Niedersachsen bereits seit 2007 die Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftäterinnen und Sexualstraftätern in Niedersachsen, kurz „KURS Niedersachsen“, gilt. Damit hat Niedersachsen als eines der ersten Länder bundesweit eine Konzeption erarbeitet, die dazu beiträgt, Rückfälle zu verhindern und die Reintegration von Sexualstraftätern zu verbessern.

Das KURS-Konzept hat auch in diesem Fall sofort gegriffen. Trotz der kurzfristigen Betreuungsübernahme waren die Polizei und der Ambulante Justizsozialdienst Niedersachsen sofort vor Ort präsent. Nicht zuletzt diese enge Abstimmung und Vernetzung der beteiligten Institutionen einschließlich der betroffenen Kommunen hat wesentlich dazu beigetragen, die Situation trotz der Kurzfristigkeit äußerst professionell zu handhaben.

Durch KURS Niedersachsen bzw. vergleichbare Konzepte in anderen Ländern wird zudem gewährleistet, dass sich die zuständigen Landeskriminalämter gegenseitig möglichst frühzeitig informieren, wenn rückfallgefährdete Sexualstraftäter oder einschlägig Sicherungsverwahrte entlassen werden und in einem anderen Bundesland Wohnsitz nehmen werden. Das ist auch hier geschehen. Schon sehr zeitnah nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Dezember 2009 haben sich zudem die Landesjustizverwaltungen darüber verständigt, einander frühzeitig über bevorstehende Entlassungen von noch gefährlichen Sicherungsverwahrten zu informieren. Die Landesjustizverwaltungen haben sich bereits ab Januar 2010 über diejenigen Sicherungsverwahrten unterrichtet, die sich in einem anderen Bundesland in der Sicherungsverwahrung befinden.

Die Konsequenzen der Entscheidung des EGMR sind von den Staatsekretärinnen und Staatssekre

tären der Landesjustizverwaltungen und des Bundesjustizministeriums im März 2010 bei einem Treffen erörtert worden. Der Strafrechtsausschuss der Justizministerkonferenz hat im Frühjahr 2010 eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die geprüft hat, welche Maßnahmen auch länderübergreifend mit etwaig aus dem Vollzug der Sicherungsverwahrung entlassenen Personen möglich und geboten sind. An dieser Arbeitsgruppe hat sich auch Niedersachsen beteiligt. Außerdem ist in Niedersachsen eine Arbeitsgruppe aus Vertretern des Landeskriminalamtes Niedersachsen, des ambulanten Justizsozialdienstes, des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport, des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration und des Niedersächsischen Justizministeriums eingerichtet worden, die erforderliche Maßnahmen fortwährend prüft.

Die Informationen werden also sowohl zwischen den Justizministerien der beteiligten Bundesländer als auch parallel auf Ebene der Landeskriminalämter ausgetauscht. An den erforderlichen Absprachen zwischen den Ländern fehlt es nicht. Allerdings können die erforderlichen Informationen naturgemäß erst dann weitergegeben werden, wenn Gerichtsentscheidungen oder valide Informationen über zu erwartende Gerichtsentscheidungen vorliegen.

Meine Damen und Herren, ich bin froh, dass wir in Niedersachsen grundsätzlich Umstände ins Kalkül gezogen haben, die kurzfristige Reaktionen erfordern.

(Zustimmung von Ursula Körtner [CDU])

Wir haben früh umsichtig gehandelt. Deshalb waren alle Beteiligten auf Fälle wie diesen vorbereitet. Gleichwohl werde ich diesen konkreten Fall, in dem die Information durch das zuständige Bundesland mehr als kurzfristig erfolgte und uns im Vorfeld weder Unterlagen zur Verfügung gestellt wurden noch überhaupt ein Führungsaufsichtsbeschluss vorhanden war, zum Anlass nehmen, die Kolleginnen und Kollegen der anderen Bundesländer erneut auf die Notwendigkeit einer frühzeitigen Abstimmung der Entlassung hinzuweisen.

(Zustimmung von Ursula Körtner [CDU])

Meine Damen und Herren, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Rechtspolitik vor ein nicht zu unterschätzendes und vor allem dringend zu lösendes Problem gestellt. In seiner eingangs genannten Entscheidung hat er es als einen Verstoß gegen die Europäische Menschen

rechtskonvention angesehen, dass der deutsche Gesetzgeber die frühere Höchstfrist von zehn Jahren für erstmalig angeordnete Sicherungsverwahrung 1998 auch für solche Straftäter aufgehoben hat, die ihre Tat schon vor diesem Termin begangen hatten. Seitdem dürfen gefährliche Straftäter grundsätzlich auch auf unbegrenzte Zeit in der Sicherungsverwahrung behalten werden. Dies gilt so lange, wie von ihnen eine hohe Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht.

Die europäischen Richter forderten nun in dem konkret entschiedenen Einzelfall die Entlassung des Sicherungsverwahrten. Sie sind der Auffassung, die Sicherungsverwahrung sei Strafe und die Aufhebung der Höchstfrist von zehn Jahren verstoße gegen das sogenannte Rückwirkungsverbot.

(Zustimmung von Kreszentia Flauger [LINKE] - Hans-Henning Adler [LIN- KE]: Das ist richtig!)

Inzwischen ist das in dem zugrunde liegenden Fall auch geschehen. Das OLG Frankfurt hat den betroffenen Sicherungsverwahrten entlassen, obwohl er weiter als gefährlich gilt.

Meine Damen und Herren, ich kritisiere keine Gerichtsentscheidungen. Ich bin aber der Auffassung, dass ein Entlassungsautomatismus angesichts des Anspruchs der Bürgerinnen und Bürger auf Sicherheit und Schutz nicht zu vertreten ist. Die Entscheidung des EGMR kann nach meiner festen Überzeugung nicht dazu führen, dass gefährliche Straftäter automatisch entlassen werden müssen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist eine auf der Grundlage der EMRK geschaffene supranationale Einrichtung, die über die Einhaltung dieser Konvention wacht. Ihre Entscheidungen binden die Bundesrepublik Deutschland lediglich völkerrechtlich und nicht deren Gerichte und Behörden unmittelbar. Der EGMR ist kein übergeordnetes Verfassungsgericht und darf und sollte auch nicht so behandelt werden. Oberste Instanz in unserem Land ist noch immer das Bundesverfassungsgericht.

(Zuruf von der CDU: Richtig!)

Das hat in seiner grundlegenden Entscheidung vom 5. Februar 2004 die Streichung der zehnjährigen Höchstgrenze bei einer erstmalig angeordneten Sicherungsverwahrung ausdrücklich für verfassungsgemäß erklärt. Es hat aber deutlich herausgestellt, dass es das Grundgesetz rechtfertigt, unabdingbare Maßnahmen zu ergreifen, um wesentliche Gemeinschaftsgüter vor Schaden zu