Protokoll der Sitzung vom 08.09.2010

Ich komme zum zweiten großen Problem, das wir bei dieser Großen Anfrage herausgearbeitet haben: Personenbezogene Daten werden mittlerweile nicht nur landesbezogen oder national erfasst, sondern wir haben das Phänomen, dass sie europaweit oder sogar weltweit erfasst und auch eingespeichert werden. Wenn die Daten weitergegeben werden, dann ist das wirklich ein sehr großes und zentrales Problem auch vor dem Hintergrund von Artikel 19 Grundgesetz.

Wir hatten eine große Debatte über das Datenschutzabkommen mit den USA, Stichwort: Swift. Da gab es schon sehr viel Unruhe. Es gibt eigentlich kaum noch Möglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger, wenn die entsprechenden Daten in das

Ausland gewandert sind, diesem überhaupt noch Herr zu werden oder das zu kontrollieren. Dazu schreibt die Landesregierung ja auch selber relativ lapidar - in der Antwort auf unsere Frage 10 -: Einschlägig seien die Rechtsgrundlagen in den entsprechenden Ländern. - Es macht die Sache aber äußerst kompliziert, wenn ich mich mit dem Datenschutzrecht z. B. in Bulgarien oder den USA auseinandersetzen muss.

Die Sache ist also wirklich kompliziert geworden. Eine mögliche und richtige Antwort darauf wäre, auf nationaler oder europäischer Ebene entsprechende Behörden zu schaffen, an die sich die Betroffenen wenden können, wenn sie den Eindruck haben, dass verschiedene personenbezogene Daten ins Ausland weitergegeben worden sind, und sie wissen möchten, wie der Sachstand ist. Wir brauchen unbedingt eine Institution, die den Bürgerinnen und Bürgern dabei weiterhilft.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der LINKEN)

Das dritte Problem, das deutlich geworden ist: Wir haben mittlerweile eine erhebliche Zahl von sogenannten Verdachtsspeicherungen, wie die Antwort der Landesregierung auf unsere Frage 16 deutlich macht. Also auch wenn Beschuldigte in einem Gerichtsverfahren freigesprochen wurden, können sie sich auf Grundlage verschiedener Normen dennoch in irgendwelchen Dateien wiederfinden. Das finde ich äußerst problematisch, weil wir die Sicherheitsgesetzgebung und insbesondere die Sicherheitsüberprüfung nach dem 11. September 2001 erheblich verschärft haben. So könnte jemand erhebliche Nachteile haben, wenn er irgendwo eingespeichert worden ist, obwohl er sich keines Vergehens schuldig gemacht hat, und deshalb ein Arbeitsverbot oder Sonstiges ausgesprochen wird.

Die Verdachtsspeicherung, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist also ein großes Problem geworden. Wir müssen sie deutlich reduzieren.

(Glocke des Präsidenten)

Der vorletzte Punkt: Die Landesregierung schreibt in ihrer Antwort auf unsere Anfrage einleitend:

„Die Rechtsgrundlagen der Datenverarbeitung und des Datenschutzes … werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen in vollem Umfang gerecht.“

Ich kann nur sagen, Herr Schünemann, das ist eine mehr als gewagte Aussage. Wir haben erst vor Kurzem das Urteil zur Vorratsdatenspeicherung gehabt. Das betraf zugegebenermaßen ein Bundesgesetz und nicht ein Landesgesetz. Dieses Gesetz entsprach aber nicht den verfassungsgemäßen Grundlagen - das hat ja damals noch die Große Koalition gemacht -, sondern da hat der Bund mal wieder etwas geschlampert und insbesondere die Frage der Datensicherheit nicht richtig beantwortet.

Wir hatten in der Vergangenheit eine Vielzahl von Sicherheitsgesetzen, wo die Länder - auch Sie als verantwortlicher Ressortminister in Niedersachsen - oder auch der Bund die verfassungsrechtlichen Grundlagen eben nicht beachtet hat.

(Glocke des Präsidenten)

Wir haben heute noch im niedersächsischen SOG den Tatbestand, dass wahrscheinlich zumindest eine Norm, nämlich der § 12, nicht wirklich verfassungskonform ist.

Abschließend, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wie könnte zumindest eine Lösung aussehen, um diesem Datenwust wieder etwas Herr zu werden? - Es gibt auch noch kluge Innenminister in dieser Republik.

(Reinhold Coenen [CDU]: Hier in Nie- dersachsen!)

Zumindest einer singt nicht immer das Hohelied vom Alarmismus und schlägt z. B. vor, dass gespeicherte Daten ein automatisches Verfallsdatum haben sollten. Die Daten irgendwann automatisch zu löschen, ist eine kluge Idee, über die wir einmal nachdenken sollten.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Herr Kollege, bitte kommen Sie zum letzten Satz.

Wir brauchen weniger Sicherheitsdateien, wir brauchen einen effektiveren Rechtsschutz, und wir brauchen verständliche Sicherheitsgesetze.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Für die Landesregierung erteile ich nunmehr Herrn Minister Schünemann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Beantwortung der Großen Anfrage sind im Ergebnis insgesamt 66 Dateien detailliert beschrieben worden. Die niedersächsische Polizei greift dabei auf 16 Landes-, 39 Bundes- und 5 internationale Dateien zurück. Für den niedersächsischen Verfassungsschutz sind 6 Dateien dargestellt, auf die Zugriff besteht.

Herr Briese hat zu Recht darauf hingewiesen, dass bei der Beantwortung der Großen Anfrage auf Grundlage der Zulieferungen durch die beteiligten Behörden ein Nachtrag erfolgt ist. Bei der Beantwortung der Frage 9 sind die erforderlichen Informationen nicht vollständig an das Ministerium übermittelt worden. Dies wurde nachgeholt, und die Antwort mit Schreiben an den Landtag vom gestrigen Tage wurde wie folgt ergänzt:

„In der Antwort zu Frage 9 ist nach Satz 1 folgender Text einzufügen:

‚Darüber hinaus erfolgten Speicherungen personenbezogener Daten Betroffener in der Datenbank Castortransporte ISA, in der Landesanwendung APS und im Informationssystem Inpol.’“

Die durch den Fragesteller aufgeführten Dateien „APIS“, „PIOS“, das „LKA-System Castor“, „LIMO“, „REMO“ und „AUMO“ haben bei den niedersächsischen Sicherheitsbehörden nie existiert bzw. sind so nicht mehr vorhanden.

Meine Damen und Herren, die Grundlagen der Dateiführung möchte ich anhand von drei wesentlichen Punkten darstellen:

Erstens. Insbesondere seit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 fand eine rasante Entwicklung im Bereich der Informationstechnologie statt. Ihre Ausbreitung im privaten wie im öffentlichen Bereich hat in den fast 27 Jahren seit Erlass des Urteils neue Möglichkeiten, aber auch Gefahren gebracht.

Neuerungen wie das Internet und der Mobilfunk beeinflussen unser Arbeiten und die Kommunikation in erheblicher und nachhaltiger Weise. So besaßen im Jahr 2009 73 % aller bundesdeutschen Haushalte einen Computer mit Internetzugang, der

dabei von 70 % der Haushalte beinahe täglich genutzt wird. Pro Monat nutzen ca. 26,4 Millionen Menschen in Deutschland soziale Netzwerke wie z. B. studiVZ oder facebook. Ende 2009 gab es in Deutschland 108,5 Millionen Mobilfunkanschlüsse.

Diese Zahlen belegen eindrucksvoll die Größenordnung der Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechniken in unserer Gesellschaft. Diese Veränderungen führen auch zu neuen Formen kriminellen Handelns, im Rahmen der Alltagskriminalität genauso wie im Bereich der organisierten Kriminalität.

Zu diesen gesellschaftlichen und technischen Veränderungen tritt eine grundlegend geänderte allgemeine Gefahrenlage hinzu, wie sie sich in den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001 manifestiert hat. Zahlreiche weitere Anschläge und Anschlagsversuche in den letzten Jahren zeigen, dass auch Europa und damit Deutschland im Fadenkreuz des internationalen Terrorismus steht.

Daraus folgt, dass der Weg zur Wissens- und Informationsgesellschaft zum einen sowie die Gefahrenlage zum anderen grundlegend Einfluss auf die Arbeit der niedersächsischen Sicherheitsbehörden nehmen. Sie haben neue Anforderungen an ihre Tätigkeit gestellt, aber auch neue Möglichkeiten und Instrumente der Analyse und des Handelns geschaffen. Namentlich zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus sind zielgerichtete Informationen und ein effektiver Datenaustausch auch über Staatsgrenzen hinweg unabdingbar. Damit gewinnt die internationale Zusammenarbeit vor allem auch innerhalb der Europäischen Union als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts eine immer größere Bedeutung.

Zudem gilt es auch zukünftig, eine effektive und effiziente staatliche Verwaltung zu gewährleisten. Dafür berücksichtigen die niedersächsischen Sicherheitsbehörden kontinuierlich technische Entwicklungen, um ihre Mittel zur Aufgabenerfüllung an die sich ändernden Bedingungen anzupassen. Der Einsatz von computergestützten Vorgangssystemen stellt ebenso wie die Einrichtung von zweckgebundenen Dateien ein grundlegendes Instrument der modernen und intelligenten Aufgabenerfüllung dar. Die niedersächsischen Sicherheitsbehörden haben dazu eigene Dateien eingerichtet und greifen auch auf sogenannte Verbund- sowie internationale Dateien zu.

Das Volkszählungsurteil hat 1983 mit der Formulierung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung die Grundlagen des modernen Datenschutz

rechts gelegt. Seitdem wurden die Rechtsgrundlagen für die Datenverarbeitung stetig an die sich ändernden gesellschaftlichen und technischen Rahmenbedingungen angepasst.

Im Bereich des Polizei- und des Strafprozessrechts hat das Bundesverfassungsgericht gerade in jüngster Zeit eine Reihe von wegweisenden Entscheidungen getroffen, die zu Veränderungen der Vorschriften geführt haben. Die für die Arbeit der Sicherheitsbehörden maßgeblichen Rechtsgrundlagen - im Wesentlichen sind das das Niedersächsische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, das Niedersächsische Verfassungsschutzgesetz, das Niedersächsische Datenschutzgesetz sowie das Bundeskriminalamtsgesetz und die Strafprozessordnung - werden in vollem Umfang den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht.

Ich darf Ihnen das anhand zweier Beispiele kurz darstellen: Das Niedersächsische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung wurde mit Gesetz vom 25. November 2007 im Bereich der polizeilichen Datenerhebung überarbeitet. Dabei wurde auch der Begriff der Kontakt- und Begleitpersonen neu definiert und enger gefasst. So ist nunmehr klargestellt, dass die Verbindung zur Verdachtsperson immer eine bestimmte Qualität aufweisen und mit der angenommenen Straftat in einem Zusammenhang stehen muss.

(Vizepräsident Hans-Werner Schwarz übernimmt den Vorsitz)

Insgesamt sind die sogenannten Vorfeldbefugnisse, die der Polizei nach dem niedersächsischen SOG zur Verhütung von Straftaten zustehen, so gefasst, dass sie nur bei bestimmten Verdachtslagen ausgeübt werden können, die nach Art des Eingriffs unterschiedlich ausgeprägt sein müssen. Die von den Fragestellern beschworene Gefahr der Überwachung „von unbescholtenen und rechtstreuen Bürgern“ besteht mit diesen Regelungen sicherlich nicht.

Eine ins Einzelne gehende Regelung polizeilicher Dateien auf gesetzlicher Ebene ist aufgrund der Vielgestaltigkeit und Unvorhersehbarkeit polizeilicher Aufgabenwahrnehmung naturgemäß nicht möglich. Das Bestimmungsgebot verlangt, dass in abstrakt-genereller Weise die Voraussetzungen für die Datenspeicherung und -übermittlung geregelt werden.

Für die Bürger ist damit erkennbar, welche Behörden in welchem Zusammenhang Daten über sie

verarbeiten dürfen. Diesen Anforderungen entsprechen die bestehenden Vorschriften.

Was die Datei „Gewalttäter Sport“ anbelangt, hatte ich den Bundesinnenminister schon seit Langem aufgefordert, durch Erlass einer Rechtsverordnung Rechtssicherheit für die Dateiführung des BKA herzustellen. Aufgrund einer gemeinsamen Initiative der Länderinnenminister mit dem Bund ist die entsprechende BKA-Datenverordnung im Juni in Kraft getreten; das Bundesverwaltungsgericht hat die Datei „Gewalttäter Sport“ ohne Weiteres für rechtmäßig erklärt. Im Übrigen ist die Darstellung in der Großen Anfrage, dass ein Eintrag in die Datei „Gewalttäter Sport“ selbst bei einem Freispruch zu einem dreijährigen bundesweiten Stadionverbot führen würde, schlichtweg falsch.

Es gilt Folgendes: Ein Eintrag in die Datei „Gewalttäter Sport“ führt nicht automatisch zu einem Stadionverbot. Zuständig für das Aussprechen von Stadionverboten sind allein die originären Hausrechtsinhaber wie z. B. der Verein, aber auch der DFB oder der Ligaverband. Das Stadionverbot ist demnach keine staatliche Sanktion auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten, sondern eine Präventivmaßnahme auf zivilrechtlicher Basis. Ein Eintrag in die Datei „Gewalttäter Sport“ ist davon völlig unabhängig.

Für alle Dateien liegen Errichtungsanordnungen bzw. Verfahrensbeschreibungen vor, sodass immer ein klarer Rahmen für das Betreiben einer Datei vorgegeben ist.

Die Anzahl von 66 vorhandenen Dateien scheint zunächst recht hoch. Aber gerade dies ist Garant für die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Regelungen. Sie entsteht aber vor allem dadurch, dass der Anwenderkreis für jede Datei so eng wie möglich begrenzt wird. Statt einer Datei für alle existieren verschiedene Dateien für unterschiedliche Nutzer.

(Ralf Briese [GRÜNE]: Das wäre ja noch schöner!)

- Ja, aber Sie haben gerade kritisiert, dass es unübersichtlich sei. Deshalb versuche ich Ihnen jetzt darzulegen, warum es sinnvoll ist, viele kleinere Dateien zu haben. Insofern freue ich mich, dass Sie das nicht nur akzeptieren, sondern jetzt anscheinend auch begrüßen.