Protokoll der Sitzung vom 09.09.2010

Die Bedingungen dieser Unterbringung - Herr Kollege Adler, da bin ich auch ohne Straßburg völlig d’accord - können nicht die Bedingungen der Strafhaft sein. Das ist ein anderer Lebensabschnitt. Wir müssen gucken, wie die Freiheitsbeschränkung organisiert ist - in welchen Räumlichkeiten -, wie dort vor allem das Thema Therapie, das Thema Arbeitsleben und das Thema Freizeit anzusiedeln sind und auch ein bisschen Freizügigkeit zu organisieren ist. Das habe ich schon beim letzten Mal ausgeführt. Das wird uns allen ein neues Nachdenken abfordern. Inzwischen ist übrigens auch eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema unterwegs, die sich mit diesen Fragen befasst. Aber wir brauchen auch da den Bundesgesetzgeber. Das ist eine hochschwierige Thematik.

Es stellt sich auch die Frage, wie wir das am Ende gemeinsam organisieren: Eine Großanstalt für ganz Deutschland? - Nur nebenbei: Sie können sich ja mal in Ihren Wahlkreis auf Standortsuche begeben!

(Ralf Briese [GRÜNE]: Im Emsland!)

Oder kleine, überschaubare Einheiten, eher dezent? - In Holzminden, oder wo wohnen Sie?

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Sie lächeln, aber dieses Thema ist schwierig genug. Diese Fragen werden zu klären sein.

Es wird auch zu klären sein - Entschuldigung -, wer das bezahlt. Wenn mit einem Bundesgesetz ein neuer Status, eine Innovation eingeführt wird, dann muss das vielleicht sogar der Bundesgesetzgeber bezahlen.

Wenn das Ganze mehr dem Vollzug zugeordnet wird, dann werden wohl eher die Länder bzw. die Justizministerien die Finanzierung leisten müssen. Wenn das Thema der Therapie im Zentrum steht, dann werden möglicherweise auch die Länder, aber die Sozialministerien mit ihrem Maßregelvollzug zum Zuge kommen.

Da gibt es noch eine ganze Menge miteinander zu klären. Wir stellen uns der Debatte und der Auseinandersetzung. Aber es eilt in der Tat. Denn wenn das Gesetz lange auf sich warten lässt - das sage ich Ihnen auch ganz offen -, dann sind die Altfälle, um die es geht, alle in Freiheit.

(Thomas Adasch [CDU]: So ist es!)

Ich will nicht hoffen, dass das irgendjemand im Hinterkopf so vorhat; denn das können wir nicht vertreten.

Eine letzte Bemerkung zum Thema Fußfessel. Es ist ein großes Kapitel, dass man die Möglichkeiten der Führungsaufsicht verbessern will. Da bin ich voll dabei. Ich bin auch für die Möglichkeit, Fußfesseln partiell anzuwenden. Das ist alles in Ordnung.

Aber das Thema Fußfessel ist etwas anderes als Sicherungsverwahrung. Die Formel ist mittlerweile bundesweit gültig: Mithilfe einer Fußfessel kann man vielleicht feststellen, wo jemand ist, aber man kann nicht feststellen, was er tut.

(Thomas Adasch [CDU]: So ist es!)

Sie alle haben ein Handy - meins liegt gerade auf meinem Tisch. Sie kennen die Situation - ich weiß nicht, wie das hier im Plenarsaal ist -, dass man manchmal Empfang hat und manchmal nicht. Wenn Sie durch die niedersächsischen Wälder, z. B. durch den Harz, fahren, dann merken Sie, dass es manchmal nicht funktioniert. Das ist auch bei der Fußfessel die technische Problematik. Wenn ein Handy keinen Empfang hat, dann würde auch eine Fußfessel nicht funktionieren. Darüber müssen wir noch etwas nachdenken und zu tech

nischen Verbesserungen kommen, bevor wir die Fußfessel groß als Mittel anempfehlen.

Meine Damen und Herren, ich plädiere dafür, dass uns der Bundesgesetzgeber ganz schnell das Regularium liefert. Mein Petitum ist - wie auch immer formuliert oder überschrieben -: Von den Gewaltverbrechern, insbesondere Sexualstraftätern, darf keiner in Freiheit.

Danke.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herzlichen Dank, Herr Minister Busemann. Das mit dem Handy sollten die Kolleginnen und Kollegen allerdings nicht hier im Plenarsaal ausprobieren; das mögen wir seitens des Präsidiums nicht so gerne.

Da der Minister seine Redezeit um 200 % überschritten und Herr Kollege Adler von der Fraktion DIE LINKE um zusätzliche Redezeit nach § 71 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung gebeten hat, erhält er jetzt das Wort. Herr Adler, Sie haben zwei Minuten. Bitte schön!

(Zustimmung von Kreszentia Flauger [LINKE])

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst eine Vorbemerkung: Herr Minister, ich glaube, es wäre ganz gut, wenn Sie den Namen „Sarrazin“ in diesem Hause nicht erwähnen würden. Denn mit Blick auf die unsäglichen Dinge, die wir von ihm gehört haben, muss ich sagen: Einen solchen Rassisten sollte man hier nicht zitieren.

(Beifall bei der LINKEN - Björn Thüm- ler [CDU]: Er hat ihn gar nicht zitiert! Das ist doch peinlich, Herr Adler!)

Es wäre besser, man erwähnt diesen Namen nicht.

(Zurufe von den GRÜNEN: Er hat ihn nicht zitiert!)

- Ich würde ihn überhaupt nicht erwähnen.

Jetzt möchte ich noch zu den Ausführungen von Herrn Busemann Stellung nehmen; denn ich konnte durchaus eine gewisse Annäherung der Standpunkte erkennen. Sie haben von psychosozialer Störung gesprochen. Ich finde, das ist gar kein so schlechter Begriff, an dem kann man ansetzen. Sie haben gesagt, dass dazu im Ministerium eine Ar

beitsgruppe gebildet worden ist, die sich mit diesem durchaus schwierigen - das haben Sie ja eingeräumt - Thema befassen will.

Ich frage mich allerdings, warum dann, wenn das Parlament auf Antrag der Fraktionen von CDU und FDP mit diesem Thema befasst wird und der zuständige Ausschuss darüber berät, eine Anhörung von Experten abgelehnt wird. Warum hat die Mehrheit im Rechtsausschuss eine solche Anhörung versagt? - Das ist doch nicht in Einklang zu bringen: Auf der einen Seite sagt der Minister, dass das ein schwieriges Thema ist, zu dem das Ministerium eine Arbeitsgruppe bildet, aber auf der anderen Seite darf sich der zuständige Ausschuss des Parlaments nicht ausgiebig mit dieser Frage beschäftigen. Das ist etwas, was Sie nicht erklären können.

(Beifall bei der LINKEN)

Noch eine Anmerkung zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und dem Verhältnis zum Bundesverfassungsgericht: Sie haben recht, wenn Sie sagen, dass die Entscheidungen des EuGHMR keine rechtliche Bindung haben im Unterschied zu Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte steht aber natürlich über dem Bundesverfassungsgericht, weil er in dem Instanzenzug das letzte Wort hat. Das heißt, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kassieren kann. Das muss man doch im Blick haben.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Daher muss man meines Erachtens vor den Entscheidungen dieses Gerichtshofes mehr Respekt haben, als es in Ihren Worten zum Ausdruck kam.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön, Herr Adler. - Jetzt hat sich von der Landesregierung Herr Minister Busemann noch einmal zu Wort gemeldet. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wenn die Mittagspause naht, ist das ein wichtiger Punkt. - Herr Kollege Adler, gehen Sie der Sache noch einmal auf den Grund! Der EuGH oder insbesondere der Europäische Gerichtshof für Men

schenrechte kann nicht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts kassieren.

(Beifall bei der CDU)

Gucken Sie sich Lissabon an! Gucken Sie sich das tolle Urteil - nicht alle haben es toll gefunden; ich finde es toll - des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabon-Vertrag an! Ich denke, dass das Bundesverfassungsgericht die nächsten Monate und Jahre Gelegenheit nehmen wird, zu sagen, wer Ober ist und wann Ober Unter sticht. - Das ist das Erste.

Das Zweite: Einverstanden - aber mit der Prämisse, dass der Bundesgesetzgeber uns das Spielfeld entsprechend abstecken muss. Sonst wissen wir nicht, was wir hier zu beraten haben - auch in den 15 anderen Bundesländern. Von dort müssen wir also Klarheit haben. Im Übrigen will ich nicht den Befassungsmöglichkeiten des Parlamentes vorgreifen. Ich bin damit einverstanden, dass wir dieses Thema in Arbeitsgruppen auch parlamentarisch beraten, vielleicht auch mit Anhörungen. Weil es hoch kompliziert ist, brauchen wir auch externen Sachverstand von Therapeuten und Wissenschaftlern verschiedener Couleur, um der Sache auf den Grund zu gehen, damit wir das auch alles richtig machen.

Herr Minister Busemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flauger?

Gerne.

Frau Flauger!

(Zurufe: Ach, nein!)

Ich weiß, die Begeisterung, dass ich jetzt noch einmal nachfragen muss, hält sich in Grenzen. Es ist mir aber wichtig.

Herr Busemann, erinnern Sie sich möglicherweise an die Debatte im April 2008, als es um das Thema „Landesvergabegesetz“ ging? Damals haben Sie - nicht Sie persönlich, aber die die Regierung tragenden Fraktionen - darauf hingewiesen, man müsse Urteile des Europäischen Gerichtshofs als höherwertig anerkennen, als wir gesagt haben, man könne doch bestimmte Regelungen in das Landesvergabegesetz aufnehmen.

(Björn Thümler [CDU]: Das ist doch etwas ganz anderes, Frau Flauger!)

Wie erklären Sie diesen Gesinnungswandel im Vergleich zu den Ausführungen, die Sie gerade gemacht haben?

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Minister!