Protokoll der Sitzung vom 09.09.2010

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Landesregierung spricht Herr Minister Bode. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Dr. Sohn, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann fragen Sie in Bezug auf die dritte Frage der eingereichten Dringlichen Anfragen nach, ob wir an den Beschlüssen der Sparklausur festhalten und ob diese in der mittelfristigen Finanzplanung abgebildet sind. Habe ich Sie da richtig verstanden?

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Ich will wissen, ob die Altersstufe 65 für unse- re Beamtinnen und Beamten bis 2014 bleibt oder nicht! - Wolfgang Jüttner [SPD]: Er will wissen, was Sie pla- nen!)

- Wir sind bei den Beschlüssen natürlich fest. Was die Landesregierung beschließt, setzen wir auch um. Wir sind im Beratungsverfahren des Gesetzgebungsprozesses. In diesem Beratungsverfahren wird es am Ende ein Ergebnis geben. Außerdem ist es ja auch so, dass Gesetze nicht von der Landesregierung gemacht werden, sondern vom Landtag. Deshalb sollten Sie das alles auch abwarten.

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Ich will wissen, was Sie planen!)

- Wir werden im Haushalt das einstellen, was der Landtag am Ende beschließt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es liegen keine weiteren Zusatzfragen mehr vor. Damit ist die Behandlung der Dringlichen Anfragen beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

Erste Beratung: Niedersächsische Frauenhäuser und Beratungsstellen für von Gewalt betroffene Mädchen und Frauen stärken - Finanzierung und Planung sicherstellen - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/2765

Eingebracht wird der Antrag für die Fraktion DIE LINKE von Herrn Humke-Focks. Ich erteile Ihnen das Wort, Herr Humke-Focks.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im vergangenen Jahr haben die niedersächsischen Frauenhäuser und die Beratungsstellen für von Gewalt betroffene Frauen einen zähen Kampf zur Wahrung ihres Bestandsschutzes nach der Richtlinienänderung von 2007 führen müssen. Dabei wurde deutlich, dass es dabei um die Substanz ihrer Arbeit geht. Zum Glück konnte in der Öffentlichkeit ein ausreichend großer Druck entfacht werden, der die Landesregierung zum Einlenken gezwungen hat.

Dies war leider nur ein zeitlich begrenzter Erfolg für das Haushaltsjahr 2010. An der Situation der Frauenhäuser und der Beratungsstellen aber hat sich außer weiter steigenden Fallzahlen und damit einer zusätzlichen Verdichtung ihrer Arbeit nichts geändert. Das heißt, sie sind jetzt dazu gezwungen, einen guten Teil ihrer Arbeitszeit erneut dafür zu verwenden, um ihre Mittel zu kämpfen. Und ich sage Ihnen nichts Neues: Sie haben wahrlich eigentlich Wichtigeres zu tun.

Die Alternative wäre dann allerdings, dass sie einknicken und den zentralen Bereich ihrer Arbeit aufgeben würden. Der betrifft nämlich die Begleitung und Hilfe für Frauen und Mädchen mit Gewalterfahrungen - mit den dann weitreichenden Konsequenzen für viele betroffene Frauen und Mädchen. Genau das wollen wir Linken nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Interventions- und Beratungsstellen für Mädchen und Frauen leisten eine bedeutende, unverzichtbare gesellschaftliche Arbeit, die ich kurz mit wenigen Worten skizzieren möchte. Bezogen auf Hilfsangebote sind es zunächst die Notrufe für vergewaltigte Frauen und Mädchen. Es sind die generellen Beratungen für Frauen, die von Gewalt betroffen sind. Und es sind die Angebote für jene, die den in ihrer Kindheit erlebten sexuellen Missbrauch bewältigen wollen.

Dies alles sind niedrigschwellige Angebote, die den Betroffenen quasi die Tür zur Überwindung bzw. zur bestmöglichen Bewältigung überhaupt erst öffnen. Das ist aber bei Weitem nicht alles. Im Laufe der Jahre haben diese Stellen weitere gesellschaftliche Aufgaben in punkto Aufklärung und Prävention übernommen. Ihre Öffentlichkeitsarbeit informiert und sensibilisiert die Gesellschaft für entsprechende Themen. Man nennt in diesem Zusammenhang häufig das Beispiel der K.-o.Tropfen.

Ihr Fortbildungsangebot ist ein wichtiges Element für die Berufsgruppen, die mehr oder minder häufig mit Opfern geschlechtsbezogener Gewalt zu tun haben. Dies sind Polizei und Rettungsdienste, aber auch Pädagogen in Kindertagesstätten oder Schulen.

Wir haben in Niedersachsen insgesamt 33 Beratungsstellen, die sich vor elf Jahren zu einem Verbund zusammengeschlossen haben. Wenn Sie sich diese Karte anschauen - die können Sie sich unter „www.frauen-maedchen-beratung.de“ ansehen -, dann erkennen Sie, dass das Flächenland

Niedersachsen geografische Lücken in der Beratung und Versorgung aufweist, insbesondere in West- und Nordwestniedersachsen und im ehemaligen Regierungsbezirk Lüneburg. Das heißt im Umkehrschluss: Wir bräuchten eher einen Ausbau als einen Abbau dieser Arbeitskapazitäten.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Rahmen der Änderung der Förderrichtlinie 2007 wurde von einer Gleichbehandlung der Beratungsstellen gesprochen. Faktisch geht es aber um eine Kürzung der Mittel. Zur sogenannten Gleichbehandlung muss auch realisiert werden, dass die sogenannten starken Standorte, wie z. B. diejenigen in der Region Hannover, die erweiterten Aufgaben, die ich gerade skizziert habe, übernommen haben.

Diese wichtige Arbeit wird seit Langem aufrechterhalten, indem die Beratungsstellen sehr engagiert u. a. Drittmittelakquise betreiben und insbesondere die jüngeren Beraterinnen eine schmerzliche tarifliche Schlechterstellung hingenommen haben. Hier war das Ende der Fahnenstange längst erreicht. Das gilt auch für heute.

(Beifall bei der LINKEN)

Das gleiche Engagement und die gleiche Verzichtsbereitschaft gibt es aber auch bei der Arbeit in den Frauenhäusern. Es ist wirklich hoch anzuerkennen, was dort geleistet wird. So ist beispielsweise ein Drittel der Plätze in diesen Einrichtungen mit Kindern belegt. Aber für die Kinder gibt es kein Geld. Der Fallzahlenschlüssel bezieht sich auf die Frauen, die dort Schutz suchen müssen. Aber selbstverständlich bringen diese ihre Kinder mit - das muss auch so sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Generell konnten die niedersächsischen Frauenhäuser drei Faktoren ausmachen, die ihre Arbeit verändert und dabei deutlich umfangreicher gemacht haben: erstens die Zunahme der psychisch kranken oder suchtmittelabhängigen Bewohnerinnen, zweitens die Zunahme von besonders jungen Frauen, die einen erhöhten Betreuungsbedarf haben und drittens die Zunahme von Bewohnerinnen, deren komplexe Problemsituation dazu führt, dass sie ihre Kinder allein nicht adäquat versorgen können.

Einen weiteren Aspekt möchte ich gesondert benennen, und zwar die Residenzpflicht von Asylbewerberinnen. Im Innenausschuss befindet sich ein Antrag meiner Fraktion zur Abschaffung dieser

Rechtsform in der Beratung. Die Aufhebung dieses diskriminierenden Paragrafen würde auch die Arbeit der Frauenhäuser erleichtern.

Ich fasse zusammen: Die Arbeit gegen die Gewalt an Frauen und Mädchen ist immer umfassender geworden. Die sogenannten Fallzahlen sind bedauerlicherweise weiter steigend. Die individuellen Problemlagen werden komplexer. Aber - und das ist der eigentliche Skandal - das Land kürzt faktisch die Mittel. Das werden wir Ihnen auch in Zukunft nicht durchgehen lassen.

Ich hoffe aber trotzdem auf eine konstruktive Beratung und Zusammenarbeit im Fachausschuss, z. B. mit Ihnen, Frau Pieper, die Sie sicherlich gleich zu diesem Antrag sprechen werden.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Twesten das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im letzten Jahr konnte bei der Finanzierung der Frauenhäuser das Schlimmste gerade noch verhindert werden. Die beabsichtigte Kürzung der Zuschüsse für die niedersächsischen Frauenhäuser und Beratungsstellen hat die Landesregierung im letzten Jahr nach massivem Protest der Oppositionsfraktionen und aus den Reihen der Frauenhausverbände selbst in letzter Minute korrigiert. Das veranlasste mich im letzten Jahr, meine Rede mit den Worten „Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung“ einzuleiten.

(Zustimmung bei der CDU)

Die geltenden Übergangsregelungen bedeuten allerdings weder eine Besserung noch eine Sicherung. Auf den ersten folgte kein zweiter Schritt. Im Gegenteil: Die Landesregierung hat auch in diesem Jahr keinerlei Skrupel, Frauenhäuser und Beratungsstellen erneut dem Spardiktat zu empfehlen. Die wiederum geplanten Kürzungen beim Schutz vor häuslicher Gewalt sind überhaupt nicht akzeptabel.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Die Umsetzung der Schuldenbremse ist notwendig, aber die von Gewalt betroffenen Frauen und Kinder brauchen vor allem unsere gesellschaftliche

Solidarität. Ohne ausreichende Finanzierung dieser Arbeit entstehen volkswirtschaftliche Kosten, die um ein Vielfaches höher sein werden. Eingespart werden darf dieser Betrag ganz und gar nicht,

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

vor allem deshalb nicht, weil wir es schon jetzt mit einer eklatanten Unterfinanzierung zu tun haben.

Das Gute an diesem Antrag ist, dass er uns erneut mit der noch immer nicht gelösten Problematik konfrontiert. Wir mussten im Rahmen der Ausschussberatungen mit Erschrecken feststellen, dass die Landesregierung die Zeit nicht genutzt hat, um eine überarbeitete Frauenhausrichtlinie vorzulegen. Dabei ist schon jetzt offensichtlich, dass die derzeitige Richtlinie den aktuellen Erfordernissen längst nicht mehr entspricht. Ich weiß nicht, was Sie, meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, in diesem Jahr gemacht haben, wir jedenfalls haben uns informiert.

(Zustimmung bei der LINKEN - Nor- bert Böhlke [CDU]: Oh!)

Entscheidend ist, dass das MS jetzt eine neue Richtlinie vorlegt, die dem realen Bedarf in den Frauenhäusern und Beratungsstellen gerecht wird. Die eigentliche Aufgabe ist Hilfe und Unterstützung bei häuslicher Gewalt. Daneben gibt es allerdings viele sogenannte multiple Problemlagen: drohende Obdachlosigkeit, örtliche und soziale Bindungslosigkeit, psychiatrische Erkrankungen, Migrantinnen und Gewalt und die immer wiederkehrende Frage einer nicht ausreichenden Belegungsplatzpauschale für Kinder.

Die Aufgaben nehmen zu, die Einsicht nimmt ab. Auch 30 Jahre nach Eröffnung der ersten Frauenhäuser ist die Finanzierung für die betroffenen Einrichtungen eine alljährliche Zitterpartie. Die muss ein Ende haben!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN und Zustimmung bei der SPD)

Ein Projektstatus, eine Zitterpartie - das sind Schritte in die falsche Richtung. Ich appelliere genau wie im letzten Jahr an Sie, meine Damen und Herren: Trauen Sie sich einen nächsten, einen richtigen Schritt! Überarbeiten Sie die Richtlinie, und nehmen Sie die geplanten Kürzungen zurück!

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN und Zustimmung bei der SPD)