Protokoll der Sitzung vom 05.10.2010

(Björn Thümler [CDU]: Das ist doch normal! - Hans-Christian Biallas [CDU]: Dann könnt ihr doch zustim- men!)

Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn meine Kinder in der Schule einen Aufsatz wiederbekommen, in

dem so viel angestrichen und korrigiert wurde, dann steht darunter nicht mehr „ausreichend“, sondern „mangelhaft“ oder „ungenügend“.

(Thomas Adasch [CDU]: Das ist viel- leicht ein Vergleich!)

Das ist auch die passende Note für Ihre Arbeit zu diesem Gesetz.

(Zustimmung bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Zuruf von Heinz Rolfes [CDU])

Wir dürfen uns übrigens gar nicht wundern, dass unsere Landtagsjuristen immer über chronische Überlastung klagen; denn es ist wirklich eine Sisyphusarbeit, aus Ihren Gesetzentwürfen beratungsfähige Vorlagen zu machen. Das hört man ja auch ständig bei anderen Vorlagen; das führt auch zu intensiven Beratungen. Das kann so eigentlich nicht weitergehen.

Meine Damen und Herren, ich werde aus Zeitgründen nicht auf einzelne Punkte eingehen können.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Doch, das würde ich gerne hören! - Zuruf von Heinz Rolfes [CDU])

- Herr Rolfes, haben Sie sich schon von der Oberbürgermeisterwahl in Lingen erholt? - Ich freue mich, dass Sie hier so gut beieinander sind.

(Zustimmung bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ein Punkt ist für uns als SPD besonders wichtig, Herr Biallas: Gewerkschaftsarbeit und betriebliche Interessenvertretung dürfen nicht behindert werden. Dass Beschäftigte, die im Rahmen eines Warnstreiks - wie in Bayern geschehen - ein Bußgeld auferlegt bekommen, weil sie vor ihrem Betrieb ein Flugblatt verteilen, darf in Niedersachsen nicht passieren.

(Zustimmung bei der SPD)

Uns ist zugesichert worden, dass das mit dem neuen Recht auch nicht passieren kann. Wir werden das sehr kritisch beobachten.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Dann habt ihr wenigstens was Sinnvolles zu tun!)

Wenn es zu Problemen kommt, dann werden wir sie hier umgehend zum Thema machen; darauf können Sie sich einstellen.

Meine Damen und Herren, uns liegt ein rundum erneuerter Gesetzentwurf vor. Trotzdem werden wir dem als SPD-Fraktion nicht zustimmen können, vor allem, Herr Biallas, aber nicht nur, weil wir in einem wesentlichen Punkt anderer Meinung sind.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Wegen einem Punkt! Das ist ja nicht zu glau- ben!)

Nach allem, was wir in den Beratungen und in der Anhörung gehört haben, halten wir eine Bannmeile am Niedersächsischen Landtag nicht mehr für erforderlich.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich will Ihnen auch sagen, warum nicht.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Weil ihr Opposition seid!)

Die Bannmeile war Ausdruck eines Schutzbedürfnisses, das unsere junge Demokratie nach den Erfahrungen der Weimarer Republik hatte. Man wollte die Arbeit des Parlaments vor dem Druck der Straße schützen. Auch die SPD hat das bis vor Kurzem nicht infrage gestellt. Aber wir können die Augen nicht davor verschließen, dass in diese Thematik in den letzten Jahren Bewegung gekommen ist. Viele Initiativen - auch z. B. Schülerinnen und Schüler; das haben wir hier erlebt - sehen einfach nicht mehr ein, dass sie uns ihren Protest nur von der anderen Straßenseite aus mitteilen können. Auch aus der Polizei kommen viele Stimmen, die das sicherheitstechnisch nicht mehr für erforderlich halten.

(Zurufe von Hans-Christian Biallas [CDU] und Heinz Rolfes [CDU])

- Ich freue mich, dass Sie an meinem Beitrag so lebhaft teilnehmen.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Bei ei- ner so spannenden Rede! - Thomas Adasch [CDU]: Das ist unterhaltsam!)

In der Anhörung wurden erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der aktuellen Regelung vorgebracht. Warum also diese Frage nicht jetzt im Zusammenhang mit dem Versammlungsrecht neu diskutieren? - Wir meinen, jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür.

Wir als SPD haben diese Frage neu diskutiert und sind zu der Überzeugung gelangt, dass wir eine Bannmeile nicht mehr brauchen. Wir sehen unsere Handlungsfähigkeit nicht beeinträchtigt und haben

keine Angst vor den Bürgerinnen und Bürgern, die hier ihren Protest kundtun wollen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN - Björn Thümler [CDU]: Mit Angst hat das nichts zu tun! - Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Das ist eine ganz dünne Sup- pe!)

Ganz anders die Mehrheit dieses Hauses - das war schon ein peinliches Theater in den letzten Wochen. Es gab ständig neue Formulierungen: Erst hieß es, die Bannmeile bleibt auf jeden Fall. Dann plötzlich: Bannmeile ja, aber in den Sommerferien kann demonstriert werden. - Allerdings sind wir als Parlamentarier dann nicht da.

(Olaf Lies [SPD]: Ist aber ein schöner Vorschlag! Super!)

Jetzt heißt es plötzlich: Auf Antrag kann in der Bannmeile demonstriert werden, allerdings in der Regel nicht, wenn eine Sitzung des Landtages stattfindet.

Meine Damen und Herren, hier werden doch Grundrechte auf dem Basar verhökert. Das ist doch wirklich eine Veralberung der Bürgerinnen und Bürger. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

(Zustimmung bei der SPD)

Das sind Rückzugsgefechte; Sie wollen nur noch das Gesicht wahren. Sie haben eingesehen, dass die Regelung im Grunde antiquiert und verzichtbar ist. Eigentlich gibt es jetzt nur zwei Möglichkeiten. Im Grunde hätten Sie doch entweder sagen müssen: Wir brauchen die Bannmeile auch weiterhin. - Dann hätten Sie sie mit der alten Regelung bestehen lassen müssen. Oder Ihnen ist klar geworden, dass sie antiquiert und verfassungsrechtlich bedenklich ist. Dann hätten Sie sie aus dem Gesetz ganz streichen müssen. Diesen Mut hätten Sie aufbringen müssen. Sie hätten die Wahl zwischen Courage und Blamage gehabt. Sie haben sich aber wieder einmal zielsicher für die Blamage entschieden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Niedersachsen bekommt heute ein eigenes Versammlungsrecht. Es ist zugegebenermaßen nicht so schlimm geworden, wie wir es ursprünglich befürchten mussten. Ob dieses Gesetz aber das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ausreichend gewährleistet und

zugleich auch in der praktischen Anwendung besteht, werden wir sehr aufmerksam und kritisch begleiten - möglicherweise haben wir bald in Gorleben die Gelegenheit dazu; Ihre Atompolitik wird uns ja reichlich Zulauf verschaffen - und das hier dann gegebenenfalls wieder zum Thema machen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Thomas Adasch [CDU]: Das war aber dünn! - Olaf Lies [SPD]: Sehr gut, Herr Kollege!)

Meine Damen und Herren, zu einer Kurzintervention hat sich der Kollege Zielke von der FDP-Fraktion gemeldet.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Krogmann, verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Bannmeile sind nirgendwo ernsthaft erhoben worden. Das ist einfach falsch.

(Jürgen Krogmann [SPD], Helge Lim- burg [GRÜNE] und Ralf Briese [GRÜNE]: Natürlich!)

- Nein. Dass die jetzige Regelung verfassungsrechtlich nicht haltbar sei, ist nirgends behauptet worden.

Ich möchte aber noch etwas zu dem historischen Hintergrund sagen, den Sie angeschnitten haben. Natürlich leben wir heute in einer anderen Zeit, und natürlich erzählen uns die Bürgerinitiativen - oder wer auch immer vor der Bannmeile demonstrieren möchte -, sie seien ganz harmlos. Aber ich möchte doch darauf hinweisen, dass wir in der Gefahr sind, etwas geschichtsvergessen zu werden. Ich erinnere an die letzte freie Plenardebatte in der Weimarer Republik, nämlich die Debatte zum Ermächtigungsgesetz, als der Sozialdemokrat Wels der Einzige war, der sich getraut hat, im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz zu sprechen. Und draußen hallten die Chöre der braunen Horden, die da schrien: Annehmen, annehmen!

(Daniela Behrens [SPD]: Das ist doch mit heute nicht zu vergleichen!)

Diese Art der Beeinflussung des Parlaments und der Demokratie sollten wir nicht zulassen. Das sollten wir nie wieder zulassen!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Krogmann, Sie möchten erwidern. Bitte schön!

(Björn Thümler [CDU]: Jetzt mal But- ter bei die Fische!)