- Ich weiß nicht, Herr Kollege, Sie haben anscheinend ein sehr merkwürdiges Verhältnis zu dem, was vor 20 Jahren passiert ist.
Deswegen sage ich Ihnen: Für uns ist das ein sehr bewegender Moment gewesen, der in der deutschen Geschichte einmalig ist.
Sie sollten anerkennen, dass gerade aus friedlichen Versammlungen ohne Gewalt herausgekommen ist, dass das Unrechtsregime der SED gestürzt wurde. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns heute über das Versammlungsgesetz unterhalten und den Wert der Versammlung besonders herausstellen.
Begonnen hat die Debatte vor anderthalb Jahren. Damals kursierten - das hat der Kollege Briese aufgegriffen - dubiose Entwürfe im Internet. Das Innenministerium hat ja nie etwas vorgelegt. Die Fraktionen sind dann in die Vorhand gegangen und haben einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht.
In der Zwischenzeit hat es die Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Bayerischen Versammlungsgesetz gegeben. Wir haben uns in der Beratung natürlich auch von dieser Entscheidung und von den Experten, die uns in der Anhörung beraten haben, leiten lassen. Ich möchte Sie daran erinnern, dass es gerade die Experten, die von CDU und FDP benannt worden sind, gewesen sind, die uns sachdienliche Hinweise gegeben haben. Es ist also nicht so, wie Sie es darstellen, Herr Kollege Briese, dass es nur ein Rückzugsgefecht gab und wir auf Druck des GBD Änderungen vornehmen mussten. Vielmehr ist es aus unserem Willen heraus geschehen. Dennoch möchte ich deutlich sagen, dass uns der GBD sehr gut und vielfältig zugearbeitet hat. Dafür auch von meiner Seite ein ganz herzlicher Dank an Herrn Dr. Wefelmeier.
Man muss sich einmal vorstellen, wie Sie an diese Debatte herangegangen wären. Da liegt ein Gesetz aus 1953 vor, zu dem es zahlreiche verfassungsgerichtliche Urteile gibt. Es handelt sich um eine komplizierte Rechtsmaterie, zu der es zum Teil auch unterschiedliche Gerichtsurteile gibt. Angesichts dessen ist doch klar, dass ein Gesetzentwurf nicht so aus den Beratungen herausgeht, wie er hineingegangen ist. Es ist viel Arbeit in die Beratung gesteckt worden. Aber ich bin davon überzeugt, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass sich die Zeit gelohnt hat und dass sich unser neues Gesetz wirklich sehen lassen kann.
Wir haben gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf in vielen Bereichen Änderungen vorgenommen. So sind beispielsweise im Bereich der Bild- und Tonaufnahmen wesentliche Verbesserungen im Sinne des Datenschutzes erreicht worden. Wir haben die Hürden, ab wann Bild- und Tonaufzeichnungen zulässig sind, deutlich erhöht. Verdeckte Aufzeichnungen sind gar nicht erst zulässig. Bei offenen Aufnahmen gibt es hohe Hürden. - Es handelt sich um ein versammlungsfreundliches Gesetz, auch wenn der Kollege Briese das hier kritisiert.
Wir haben die in der Anhörung kritisierten Verpflichtungen, was den Katalog der Anzeigen angeht, deutlich geändert. Wir haben allerdings hinzugefügt, dass diese Informationen zukünftig von der Versammlungsbehörde eingefordert werden können, soweit das für die Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit erforderlich ist.
Wir haben generell die Verpflichtung geschaffen - das ist neu und wirklich ein innovativer Ansatz -, dass die Versammlungsbehörde als Dienstleister für den Antragsteller bzw. den Anzeigenden arbeitet, und wir haben ein Kooperationsgebot in das Gesetz aufgenommen, durch das erreicht werden soll, dass die durchführende Organisation beraten wird. Wir haben die Verkürzbarkeit der Anzeigefrist von Eilversammlungen und die Anzeigefreiheit von Spontanversammlungen in den Gesetzentwurf aufgenommen. - Das sind versammlungsfreundliche Regelungen, die erstmals in einem Versammlungsgesetz stehen. Da sind wir sehr innovativ; das ist eine versammlungsfreundliche Regelung, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
Was die Gebote der Friedlichkeit und der Waffenlosigkeit von Versammlungen angeht, so werden diese strikt umgesetzt und gelten ohne Einschränkung. Ich sage hier aber auch, dass wir natürlich auch da Änderungen vorgenommen haben. Ich möchte wirklich darum bitten, dass alle diejenigen, die sich mit diesem Gesetzentwurf beschäftigen, wahrnehmen, was dort tatsächlich geändert wurde. Gestern oder vorgestern war in einer Zeitung noch von der paramilitärischen Gewaltbereitschaft die Rede. Solche Begriffe sind aus dem Gesetzentwurf herausgenommen worden. Ich bitte also, tatsächlich wahrzunehmen, dass wir gerade im Bereich der Waffenlosigkeit und der Friedlichkeit der Versammlung inhaltliche Änderungen vorgenommen haben. Im Gesetzentwurf heißt es jetzt, dass Versammlungen, in denen bewusst in Kauf genommen wird, eine einschüchternde Wirkung zu vermitteln, mit dem Friedlichkeitsverbot nicht in Einklang zu bringen sind. Hier haben wir auch inhaltlich an der Materie gearbeitet und, wie ich glaube, eine Regelung gefunden, die wirklich gut ist.
Ein besonderer Schwerpunkt liegt im Bereich der rechtsextremistischen Versammlungen. Hier nehmen wir eine Materie auf, bei der wir sagen, dass die Würde der Opfer des Nationalsozialismus nicht beeinträchtigt werden darf. Es können versammlungseinschränkende Maßnahmen an Tagen und Orten ergriffen werden, die im Hinblick auf die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft relevant sind.
An dieser Stelle möchte ich, da mir das wichtig ist, noch einmal Folgendes sagen: Wir haben eine wehrhafte Demokratie. Zu einer wehrhaften Demokratie gehört eben auch, dass sie den Feinden der
Freiheit keinen Platz lassen darf. Das, meine Damen und Herren, schreiben wir in den Gesetzentwurf hinein.
Abschließend zur Bannmeile, verehrte Kollegin Flauger. Leider hat die Diskussion über diese Regelung in den Medien den Schwerpunkt gebildet. Dabei ist es eigentlich, wenn man sich den Regelungsinhalt der Bannmeile anschaut, im Gesamtkontext des Gesetzes wirklich nur ein kleiner Teil.
Wir heben die Bannmeile grundsätzlich an all den Tagen auf, an denen keine Plenarsitzung stattfindet. Es gibt grundsätzlich die Einzelfallprüfung und die Regelvermutung, dass Versammlungen zugelassen werden können.
Ich sage aber auch: Im Hinblick darauf, dass wir hier im Parlament diskutieren und Plenarsitzungen abhalten, müssen wir einen besonderen Anspruch daran setzen, dass die Funktionsfähigkeit dieses Hauses gewährleistet ist.
Der Niedersächsische Landtag ist ein offenes Haus. Wenn Sie in andere Landtage gefahren sind, dann kennen Sie Zugangsbeschränkungen; dann kennen Sie zum Teil Metalldetektoren und Wachdienste. Wenn wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, weiterhin gewährleisten wollen, dass der Niedersächsische Landtag ein offenes Haus ist, wenn wir das weiterhin so praktizieren wollen, dann müssen versammlungseinschränkende Maßnahmen im Bereich der Bannmeile möglich sein.
Auf dem Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz gibt es eine räumliche Enge. Daher kann es für den Fall, dass dort viele Menschen demonstrieren wollen, sein, dass die Zugänglichkeit zum Parlament nicht gewährleistet ist, dass wir das Parlament möglicherweise mit Hundertschaften von Polizei absperren müssen. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist mit der Offenheit dieses Hauses nicht zu vereinbaren. Deswegen ist es notwendig, dass wir die Bannmeile weiterhin aufrechterhalten.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Ja, wir haben ein Versammlungsgesetz, das dicker ist als das von 1953. Aber wir haben auch die Verfassungsgerichtsurteile in das Versammlungsgesetz eingearbeitet. Es ist dicker geworden, aber es ist eben nicht komplizierter geworden. Es ist auch nicht versammlungsunfreundlich geworden; viel
Das grundgesetzlich verbriefte Recht auf friedliche Versammlung wird eingehalten. Kurzum: Es ist das liberalste Versammlungsgesetz, das der deutsche Boden jemals gesehen hat, und darauf bin ich stolz.
(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Kreszentia Flauger [LINKE]: Er defi- niert deutschen Boden gleich Nieder- sachsen!)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf den „deutschen Boden“ möchte ich hier lieber nicht eingehen.
Lieber Björn Thümler, wir beraten heute über zwei Gesetzentwürfe. Auch hier gilt das Strucksche Gesetz, dass kein Gesetz so aus dem Parlament herauskommt, wie es hineingekommen ist. Das trifft, glaube ich, selten so deutlich zu wie bei diesem Gesetzentwurf zur Neuregelung des Versammlungsrechts. Der nun zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf hat nur noch wenig mit dem Entwurf zu tun, den CDU und FDP Anfang des Jahres vorgelegt haben. Im Grunde ist das ein Entwurf des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes. Das aber ist - das will ich ganz deutlich sagen - keine schlechte Nachricht für die Freiheit in Niedersachsen.
(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Hans-Christian Biallas [CDU]: Dann könnt ihr doch zustim- men!)
Seit 2006 ist das Versammlungsrecht Ländersache und Sie, Herr Innenminister Schünemann, haben gleich die Chance gewittert, sich wieder einmal als konservativer Hardliner zu profilieren. Herr Oetjen hat gerade von „dubiosen Entwürfen“ aus Ihrem Hause gesprochen, die im Internet kursiert sind.
Sie wollten ein Versammlungsrecht, das Bürgerinnen und Bürger mit Auflagen und saftigen Bußgeldern drohte, das die Aufrechterhaltung der Ordnung und nicht die Garantie der bürgerlichen Rechte in den Mittelpunkt stellte. Ihr Haus wollte eher ein Versammlungsverhinderungsgesetz.
(Hans-Christian Biallas [CDU]: Das kommt nicht aus dem Haus! Das ist ein Gesetzentwurf der Fraktionen!)
Jetzt, zehn Monate später, stellen wir fest: Sie haben sich damit gründlich verhoben. Das Recht auf Freiheit der Versammlung, Herr Biallas, gehört zu den wichtigsten Grundrechten unserer Verfassung. Daran kommen auch die wohl löbliche Mehrheit dieses Hauses und der Innenminister nicht vorbei. Das ist gut, und das muss auch so bleiben.
Herr Kollege Briese hat darauf hingewiesen, wem wir das zu verdanken haben - diese Aufzählung habe ich auch, da sind wir uns wieder einmal einig.
Aber ich möchte doch noch einmal auf die Herausforderung hinweisen - Herr Kollege Oetjen hat das so beschrieben -, mit einer solchen Materie umzugehen. Man muss sagen: An dieser Herausforderung sind Sie mit Ihrem Entwurf grandios gescheitert.
An sage und schreibe 45 Stellen Ihres Gesetzentwurfes hat der GBD den Rotstift angesetzt. Das ist im Grunde gar nicht mehr Ihr Entwurf, sondern ein völlig neues Papier.
(Björn Thümler [CDU]: Das ist doch normal! - Hans-Christian Biallas [CDU]: Dann könnt ihr doch zustim- men!)