Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Gesetzentwurf zu a abzulehnen und den Gesetzentwurf zu b mit Änderungen anzunehmen.
Wir treten in die Aussprache ein. Dazu erteile ich dem Kollegen Briese von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir leben gegenwärtig in bewegten Zeiten. Das Grundrecht aus Artikel 8 des Grundgesetzes, die Versammlungsfreiheit, wird in der Bundesrepublik zurzeit vielfältig und intensiv wahrgenommen. Hunderttausend Menschen haben vor Kurzem in Berlin gegen den neuen Atomkonsens - bzw. den Atomdeal - demonstriert. Große Proteste kündigen sich gegen die neuen HartzIV-Reformen an.
Und in Stuttgart, meine sehr verehrten Damen und Herren - dies finde ich ganz besonders interessant -, hat auch die bürgerliche Mitte das Recht auf Demonstration und Protest gegen Verschwendung und Gigantomanie entdeckt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, tatsächlich kommt dort der Protest ganz aus der Mitte der Gesellschaft. Es sind eben nicht immer die angeblichen Berufsdemonstranten, sondern es sind schlicht und ergreifend interessierte Bürgerinnen und Bürger, die sich um die Zukunft ihrer Stadt sorgen.
Es gibt einen weiteren wichtigen Grund, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Versammlungsfreiheit in diesem Land zu gedenken. Das haben wir am Wochenende getan: Vor 20 Jahren ist die deutsche Einheit besiegelt worden. Auch dort ist deutlich geworden, welche Kraft und welche politische Wucht die Versammlungsfreiheit entwickeln kann. Durch die Versammlungsfreiheit ist nämlich ein marodes, ein undemokratisches Regime zum Kippen gebracht worden. Ich finde, auch in diesem Haus kann man dem durchaus einmal gedenken. Das war ein großer Mut, den die Bürgerinnen und Bürger in der DDR an den Tag gelegt haben.
Herr McAllister, ich habe mit Interesse vernommen, dass Sie die Enkelin von Mahatma Gandhi kennengelernt haben. Vielleicht hat sie Ihnen ja erzählt, wie viel man mit einer gewaltfreien De
monstration erreichen kann. In Indien ist durch friedliche Proteste und die Versammlungsfreiheit sogar ein ganzes Weltreich zugrunde gegangen.
All das zeigt, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie wichtig ein gutes und versammlungsfreundliches Gesetz für die politische Kultur in diesem Land und weltweit ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wird jetzt das neue niedersächsische Versammlungsrecht der Geschichte und auch den Herausforderungen gerecht? - Nein. Ich finde nicht, dass man das wirklich sagen kann, auch wenn sich der Gesetzentwurf im Laufe der Beratungen zugegebenermaßen verbessert hat.
(Hans-Christian Biallas [CDU]: Das war ein Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der FDP! - Gegenruf von Olaf Lies [SPD]: Darauf braucht man nicht stolz zu sein!)
Der erste Referentenentwurf war, wie gesagt, noch ein relativ scharfes und misstrauisches Gesetz. Im Laufe der Beratungen hat er sich tatsächlich verbessert. Hierfür möchte ich drei Institutionen danken.
Die erste und ganz besonders wichtige Institution, die diesen Gesetzentwurf besser gemacht hat, ist das Bundesverfassungsgericht mit seiner liberalen und versammlungsfreundlichen Rechtsprechung. Diese Grundsätze sind in das Gesetz eingeflossen, nicht unbedingt, weil man das so wollte, sondern schlicht und ergreifend, weil man es musste.
Dann möchte ich dem GBD und Herrn Dr. Wefelmeier recht herzlich danken, der die Beratungen sehr engagiert begleitet und den Gesetzgeber und insbesondere die Koalitionsfraktionen auf das verfassungsrechtlich Notwendige hingewiesen hat.
Jetzt aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, genug der Lobreden. An diesem Gesetzentwurf gibt es wahrlich noch immer genug zu kritisieren.
Unsere Kernkritik bleibt, dass es keine Kennzeichnungspflicht für Polizistinnen und Polizisten bei geschlossenen Einheiten gibt. Das ist eine ganz zentrale Grünen-Forderung gewesen. Was dagegen vorgetragen wurde, waren alles Scheinargumente. Wir haben vielfach und intensiv in diesem Hause darüber diskutiert. Ich garantiere Ihnen schon heute: Die Kennzeichnungspflicht für Polizistinnen und Polizisten sowohl in offenen als auch in geschlossenen Einheiten wird in diesem Land noch kommen - das ist einfach der Zeitgeist -, wenn nicht heute, dann spätestens in ein oder zwei Jahren.
Der zweite Kritikpunkt - das ist neu in diesem Gesetzentwurf - ist die präventive Ablehnung von Leiterinnen und Leitern. Das ist neu; das kannte das Bundesgesetz nicht. Daran hat es auch in der Anhörung Kritik gegeben. Wir sehen diese Regelung nach wie vor sehr kritisch. Sie kann sehr leicht umgangen werden. Ich glaube nicht, dass sie besonders sinnvoll ist.
Der dritte Kritikpunkt, den ich ansprechen will, ist das heute noch immer sehr strittig diskutierte Vermummungsverbot. Auch noch heute bleibt es eine Straftat, wenn man sich auf dem Weg zu einer Versammlung mit einem Schal oder einer Maske drapiert. Das ist sehr fragwürdig. Daraus hätte man auch eine Ordnungswidrigkeit machen können.
Der vierte wichtige Punkt, der immer wieder sehr viel Kritik hervorbringt, sind die diffusen Polizeiaufnahmen. Die diffusen Polizeiaufnahmen bleiben auch nach diesem Gesetzentwurf weiter erlaubt. Sie dürfen zwar nicht gespeichert werden, aber es dürfen erst einmal Übersichtsaufnahmen gemacht werden. Das ist ein Angriff gegen die Versammlungsfreiheit - Herr Oetjen, das wissen Sie -, auch wenn es nur Polizeiaufnahmen sind, die nicht gespeichert werden dürfen.
Die Koalitionsfraktionen haben ein sehr chaotisches Rückzugsgefecht an den Tag gelegt. Jetzt hat man sich auf einen Minimalkonsens geeinigt. Wir waren immer dafür, dass die Bannmeile in Niedersachsen fallen muss. Das hätte ein liberales Versammlungsgesetz wirklich verdient gehabt. Sie haben schlicht und ergreifend noch immer Angst vor den Bürgerinnen und Bürgern.
Mein letzter Satz, Herr Präsident: Ich garantiere Ihnen, Herr Schünemann, dass die Bannmeile 2013 in Niedersachsen fallen wird. Und dann dürfen Sie ohne Anmeldung und ohne große Formalitäten vor dem Landtag dagegen demonstrieren.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Artikel 8 des Grundgesetzes schützt das Recht auf Durchführung einer friedlichen Versammlung. Das ist ein elementares Grundrecht, das aus der Meinungsfreiheit hervorgeht und das für eine demokratische Gesellschaft unabdingbar ist; da hat der Kollege Briese völlig recht. Meine Damen und Herren, wir Liberale setzen uns für den Schutz dieses Grundrechts ein.
Im Rahmen der Beschlüsse der Föderalismuskommission wurde den Ländern die Zuständigkeit für das Versammlungsrecht übertragen. Das bisherige Versammlungsrecht des Bundes stammt aus 1953 und ist mit zahlreichen verfassungsgerichtli
chen Urteilen und Interpretationen belegt. Die Rechtsmaterie ist unübersichtlich. Man könnte sogar sagen, dass die Rechtsmaterie kompliziert ist.
Ich muss gestehen, dass ich es als große Herausforderung angesehen habe, mich mit der Ausgestaltung eines Grundrechts zu beschäftigen. Ich glaube, dass es für Parlamentarier ein ganz besonderer Moment ist, so etwas zu tun. Manche würden vielleicht sogar sagen, dass man sich kaum etwas Schöneres vorstellen kann. Ob das so ist, weiß ich nicht. Aber es ist auf jeden Fall etwas sehr Besonderes. Ich bin stolz darauf, dass ich das tun konnte.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, welche Kraft aus einer Versammlung hervorgehen kann, wird uns gerade in diesen Tagen bewusst, wenn wir die Bilder von vor 20 Jahren sehen, als Tausende von Menschen in der ehemaligen DDR mit ihren Demonstrationen gegen den Unrechtsstaat das Regime der SED gestürzt haben.
(Zuruf von der LINKEN: Sie brauchen nicht so weit zurückzugehen! Schau- en Sie doch nach „Stuttgart 21“!)
- Ich weiß nicht, Herr Kollege, Sie haben anscheinend ein sehr merkwürdiges Verhältnis zu dem, was vor 20 Jahren passiert ist.