Protokoll der Sitzung vom 06.10.2010

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Einzige (abschließende) Beratung: Endlich den Kurswechsel in der niedersächsischen Europapolitik einleiten: sozial, ökologisch und bürgernah statt bürokratisch, spaltend, vorurteilsbeladen - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/2691 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien - Drs. 16/2847 - Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 16/2879 - Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/2921

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag abzulehnen. Beide Änderungsanträge zielen auf eine Annahme des Antrags in geänderter Fassung, wobei sich der Änderungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP deutlich weiter vom Ursprungsantrag der Fraktion der SPD entfernt.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Wir treten in die Beratung ein. Das Wort hat die Kollegin Emmerich-Kopatsch.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Niedersachsen und Europa kann man nicht mehr isoliert betrachten. Vielmehr setzt Europa in immer mehr Bereichen verbindliche Rahmen, die wir von vornherein gern mitgestalten möchten. Das sollte schließlich auch unser Anspruch als Landesparlament sein. In dem Europapolitischen Konzept der Landesregierung finden sich kaum Ansätze zu Strategien. Es enthält keine Akzente und keine erkennbaren Schwerpunkte.

Sie von CDU und FDP haben einen Änderungsantrag vorgelegt, der so aussieht, wie ich mir immer Entschließungen der Volkskammer vorgestellt habe. Es fehlt eigentlich nur noch, dass Sie uns Winkelemente aushändigen.

(Heinz Rolfes [CDU]: Jetzt reicht es aber!)

Kolleginnen und Kollegen, nun aber im Ernst: Die Landesregierung betont an verschiedenen Stellen ihres sogenannten Europapolitischen Konzepts, dass die Ausgestaltung verschiedener Politikbereiche den nationalen Parlamenten vorbehalten bleiben solle. Entsprechend wäre zu erwarten, dass die Landesregierung aufzeigt, mit welchen Strategien sie tätig werden will.

(Zuruf von der SPD: Aber Fehlanzeige!)

Genau dort setzt unser Antrag, den wir gemeinsam mit unserem Europaabgeordneten gefertigt haben, an.

Das Konzept der Landesregierung ist in weiten Teilen einzig und allein eine detaillierte Auflistung ihrer täglichen Verwaltungsarbeit. Es enthält aber keinen Hinweis darauf, was Niedersachsen tun möchte, um über Bundesratsinitiativen im Vorfeld auf eine für Niedersachsen sinnvolle Ausgestaltung europäischer Rahmenrichtlinien hinzuwirken.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir als SPD fordern verbindliche EU-Ziele statt bloßer Absichtserklärungen. Das heißt aus niedersächsischer Sicht: Die EU-Strategie 2020 bedarf dringend der Ergänzung um konkrete Ziele und eigene Ansätze.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der LINKEN)

Für uns sind dabei zudem verbindliche Zielvorgaben für Energie- und Verkehrsprojekte, für Forschungs-, Technologie- und Bildungsvorhaben zentral. Ebenso muss es verbindliche Ziele zur

Erreichung einer bestimmten Beschäftigungsquote geben. „Gute Arbeit für guten Lohn“ muss unsere gemeinsame Devise lauten.

(Beifall bei der SPD)

Auch für Investitionen in Forschung und Entwicklung sollten erhebliche Anreize geschaffen werden. Zudem ist über die steuerliche Berücksichtigung forschender Unternehmen nachzudenken.

(Vizepräsident Hans-Werner Schwarz übernimmt den Vorsitz)

Meine Damen und Herren, Niedersachsen muss sich frühzeitig in die Festlegung der Schwerpunkte des Forschungsrahmenprogramms der EU einmischen, nationale Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft entsenden und so den niedersächsischen Anteil an den Fördermitteln deutlich erhöhen. Gleiches gilt für die europaweite Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien sowie die deutliche Steigerung der Energieeffizienz. Wir sind zudem für europäische Standards in der Bildung. Vor allem sind wir dafür, dass wir uns gemeinsam dafür einsetzen, eine signifikante Reduzierung der Armutsquote zu erreichen.

(Beifall bei der SPD)

Angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise haben wir alle schmerzhaft erfahren, was passiert, wenn man ausschließlich den Markt im Blick hat. Daher ist es spätestens jetzt notwendig, in der EU auf wirtschafts- und fiskalpolitischem Gebiet stärker zusammenzuarbeiten. Eine europäische Wirtschaftsregierung mit einer effektiven Koordinierung der Haushaltsansätze und einer wirksamen Begrenzung von Steuerdumping muss daher für uns oberste Priorität bekommen. Wir wollen keinen Wettbewerb nach unten. Wir wollen keinen Wettbewerb der günstigsten Löhne und Sozialsysteme innerhalb Europas, weil er auch Niedersachsen schaden würde. Wir wollen keinen neuen sozialen Sprengstoff.

(Beifall bei der SPD)

Daher muss die Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im EU-Raum ausgebaut werden. Wir verlangen eine Kontrolle von Betriebsverlagerungen innerhalb der Europäischen Union. Sie ist notwendig, um rein fiskalisch begründete Verlagerungen zu verhindern und nicht auch noch zu subventionieren.

Kolleginnen und Kollegen, wir wollen im Gegensatz zu Ihnen mit der Regulierung der Finanzmärkte Ernst machen. Wir wollen, dass die Verursacher

der Krise endlich angemessen an den Kosten der Krise beteiligt werden.

(Zuruf von der SPD: Das wird auch Zeit!)

Dazu ist eine radikale Neugestaltung der Märkte notwendig.

(Beifall bei der SPD)

Finanzspekulationen müssen endlich wirkungsvoll eingedämmt werden, notfalls auch gegen den Willen der englischen Regierung. Ebenso müssen wir gemeinsam sorgsam darauf achten, dass Rohstoffe wie Eisen und Erz, aber auch Weizen nicht von Finanzhaien als Spielfelder für neue Spekulationsblasen genutzt werden. Deshalb bedarf es der europäischen, besser noch internationalen Absprache über eine Finanztransaktionssteuer. Darüber hinaus brauchen wir strengere Regulierungen von Hedge- und Private-Equity-Fonds, um deren Geschäftstätigkeit stärker kontrollieren zu können.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: So et- was habe ich gar nicht!)

Meine Damen und Herren, wir wollen das soziale Europa voranbringen. Die Landesregierung bleibt hier im Vagen. Ich zitiere aus ihrem Papier: „Die Landesregierung wird sich dafür einsetzen, die soziale Dimension der Europäischen Union bekannter zu machen.“ - Nein, das wollen wir nicht. Wir wollen keine Phrasen mehr. Wir wollen die soziale Einheit der Europäischen Union endlich verwirklichen.

(Beifall bei der SPD)

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer konkurrieren auf einem gemeinsamen Binnenmarkt. Wir wollen nicht, dass sie gegeneinander ausgespielt werden. Deshalb brauchen sie verbindliche Mindeststandards, die unsere sozialen Errungenschaften schützen und Sozialdumping verhindern. Wir erwarten, dass die Landesregierung hier schnellstens tätig wird. Denn ab dem 1. Mai 2011 dürfen alle Bürger der EU ihre Arbeitskraft frei anbieten, in welchem Land auch immer. Nicht nur bei uns wächst die Befürchtung, dass das Lohngefüge durcheinandergerät. Es sind nicht nur Gewerkschaften, die sich Sorgen machen. Auch Mittelständlern und Arbeitgeberverbänden graut inzwischen vor der Konkurrenz, die dank geringer Lohnkosten die Preise drücken könnte. Die Politik, auch die niedersächsische, muss neue Lösungen für die Probleme der Menschen finden, die ihre Sorgen ernst nehmen. Wir von der SPD wollen

Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer schützen und die Möglichkeit grenzüberschreitender Tarifverträge schaffen. Wir wollen, dass endlich ernsthaft über Mindestlöhne verhandelt wird.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir wollen die Daseinsvorsorge stärken und gemeinsam mit Ihnen darüber diskutieren, wie wir das, was wir haben, erhalten können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erwarten, dass der Landtag in die Planungen zur zukünftigen Förderperiode einbezogen wird; denn Niedersachsen ist mit seinen Regionen auf die Strukturförderung angewiesen. Wir brauchen sie für Innovation, für die Entwicklung von zukunftsfähigen Dauerarbeitsplätzen und für die Qualifizierung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

Meine Damen und Herren, wir wollen, dass Niedersachsen Gewicht und ein Gesicht in Europa bekommt; denn Europa ist mehr als nur ein Markt. Wir wollen ein Europa der Menschen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Frau Polat. Ich erteile Ihnen das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kommissionspräsident hat Anfang dieses Jahres seine Langzeitstrategie „Europa 2020“ als brandneu verkauft. Die großen Fraktionen im Europäischen Parlament haben dem Europäischen Parlament in letzter Minute einen abgestimmten Änderungsantrag vorgelegt. Im Vergleich zur Lissabon-Strategie bieten die EUStrategie 2020 und der Änderungsantrag der großen Fraktionen im Grunde genommen nichts Neues dar.

Die Debatte über die zukünftige Wirtschaftsweise der Europäischen Union fällt - das wissen Sie alle - mit der Krise der Eurozone zusammen. Wir müssen uns natürlich fragen, ob diese Strategie wirklich geeignet ist, einen Weg aus der Wirtschafts- und Finanzkrise zu weisen; denn in diesem komplexen System ist natürlich auch Niedersachsen von ihr betroffen.

Im Jahr 2000 versprach die Lissabon-Strategie, die EU bis 2010 „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum

der Welt“ zu machen. Heute sehen wir uns einer sich immer weiter öffnenden Arm-Reich-Schere gegenüber. Die Vorreiterrolle der EU in Umwelt- und Klimafragen ist diskreditiert, und die Schuldenkrise Griechenlands hat die europäische Solidarität innerhalb der Wirtschaftsgemeinschaft an den Rand der Belastbarkeit getrieben.

Aber, liebe Kolleginnen von der CDU und der FDP, welche Antwort geben Ihre Fraktionen in dieser Debatte, in dieser schwierigen Situation der Europäischen Union, in Zeiten der Krise auch hier in Deutschland auf die Frage nach einem Kurswechsel in der niedersächsischen Europapolitik? - Ich weiß nicht, wer sich Ihren Änderungsantrag einmal durchgelesen hat.

(Ministerpräsident David McAllister: Sehr gut! - Zuruf: Er ist albern!)

- Ja, er ist witzig. Ihm zufolge soll der Landtag zur Kenntnis nehmen, dass die Landesregierung eine Informationsbroschüre herausgegeben hat und dass sich die Landesregierung für - ich drücke es einmal so aus: - niedersächsische Klientelinteressen einsetzt. - Mit Verlaub, liebe Kolleginnen und Kollegen: Dieser Änderungsantrag ist dieses Hauses nicht würdig.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)