Protokoll der Sitzung vom 06.10.2010

Ich sage ganz deutlich: Wir brauchen ein neues Auswahlverfahren mit verschiedenen Endlagermedien, und die Rückholbarkeit muss natürlich geprüft werden. Und es muss das Minimum sein, während der Betriebsphase die Rückholbarkeit zu prüfen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dazu hat ja auch der Abgeordnete Stratmann verschiedene schriftliche Ergüsse im Handelsblatt hinterlassen. Er ist an dieser Stelle ein bisschen weiter gegangen als 50 bis 80 Jahre.

Ich sage hier ganz deutlich: Mit der Kündigung des Energiekonsenses haben Sie den gesamtgesellschaftlichen Konsens komplett zerschlagen. Sie stehen jetzt vor dem Scherbenhaufen.

(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Den Sie angerichtet haben!)

Sie versuchen, alles wieder irgendwie zusammenzukitten. Ihr Energiekonzept ist gescheitert! Sie finden für Ihre Energiepolitik keine Akzeptanz in der Bevölkerung, meine Damen, meine Herren!

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Sagen Sie doch mal etwas dazu!)

Wenn ich heute früh die Morgenpresse lese, die 100-Tage-Bilanz des Ministerpräsidenten: An Gorleben wird nur vorbeigefahren, das wird keines Blickes gewürdigt. Der Ministerpräsident eiert an dieser Stelle und in dieser Frage der Atompolitik ganz gut rum. Herr Ministerpräsident, Sie machen sich in dieser Frage unglaubwürdig. Sie haben gesagt, Sie wollen nicht auf dicke Hose machen. - Das können Sie auch gar nicht, weil die Hose schon voll ist, meine Damen, meine Herren!

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Jens Nacke [CDU]: Geht’s mal seriös, Herr Kollege? Das ist unglaublich, wie Sie dieses Thema behandeln! Peinlich ist das! - Weitere Zurufe - Unruhe)

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal einflechten: Unglaubwürdig machen Sie sich, meine Damen, meine Herren.

Wie Sie mit dem Thema „Gorleben“ umgehen - - -

(Unruhe)

Herr Kollege Bosse, ich darf Sie unterbrechen. Wir machen jetzt eine kurze Pause.

(Anhaltende Unruhe)

- Wir beginnen erst wieder mit der Debatte, wenn der Geräuschpegel heruntergefahren ist.

(Jens Nacke [CDU]: Wahren Sie den Respekt vor dem Parlament! Das ist unglaublich!)

Da hatten wir schon ganz andere Debatten!

Das gilt auch für alle Zwischenbemerkungen, auch für den Kollegen Nacke.

(Heinz Rolfes [CDU]: Er hat es doch richtig gesagt! Was waren das denn eben für Aussagen? Das war weder parlamentarisch noch seriös! Unmög- lich! Stillos, würdelos, charakterlos!)

Bitte schön, Herr Kollege Bosse!

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen, meine Herren! Ich werte diesen Antrag der FDP für die Aktuelle Stunde als einen völlig hilflosen Versuch, aus dem Rochus, aus dem Mief der Lobbyistenpartei herauszukommen. Das ist gescheitert, genauso wie Gorleben gescheitert ist, meine Damen, meine Herren.

Ich danke Ihnen.

(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich erteile dem Kollegen Herzog von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

(Jens Nacke [CDU]: Jetzt kann es ja einmal sachlich zugehen! Herr Her- zog, Sie haben jetzt die Chance zur Sachlichkeit! - Weitere Zurufe - Unru- he)

- Herr Kollege Herzog, Sie können sich noch etwas Zeit nehmen. - Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hocker, ich habe mich echt gefragt: Warum schreit

jetzt ausgerechnet die FDP so laut nach Rückholbarkeit? Eigentlich wäre das ein Fortschritt. Aber ich werde den Verdacht nicht los, dass es sich hierbei wie so oft um ein polittaktisches Manöver handelt.

(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Sie waren in Skandinavien nicht dabei!)

Die kakofonische Jonglage mit Laufzeiten im schwarz-gelben Lager war ja in Wahrheit keine inhaltliche Debatte, sondern schlicht Ratlosigkeit gepaart mit dem Zwang, die Atomlobby zu bedienen - und dies auf rechtlich äußerst schlüpfrigem Terrain. Aber bei der Endlagerung gab es bisher bei Ihnen nur knallharten Beton.

Ich sage Ihnen was: Sie trauen - zu Recht übrigens - Ihrem eigenen Vorgehen nicht mehr, Sie haben Angst gekriegt wegen der Asse. Und Sie trauen eigentlich auch Gorleben nicht und nicht den Gerichten. Vielleicht waren Sie inzwischen auch heimlich im Wendland bei dem dortigen FDPVorsitzenden Boris von dem Bussche, haben sich die Probleme des Salzstocks nahebringen lassen und vielleicht sogar begriffen, dass die Asse keine Bad Atom Bank ist, sondern das wässrig-löchrige Prinzip der Salzlinie.

(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Sie hätten einmal ins Endlager nach Schweden fahren sollen! - Christian Dürr [FDP]: Sie haben das in Schwe- den nicht einmal angeguckt, Herr Herzog!)

Aber haben Sie Ihren Sander denn nun wirklich überzeugt, Herr Dürr und Herr Hocker? - Sein Ministeriumsvertreter hat jedenfalls noch vor Kurzem auf meine Frage nach der niedersächsischen Position geantwortet: Rückholbar ja, aber nur in der Betriebsphase, also solange die Schächte offen sind. Das sind vielleicht 50 Jahre.

Protokollierte Binsenweisheit, Schnee von gestern? - Wenn einer eine Reise tut, wie Atomminister Sander, dann kann er was erzählen. Er gibt dann zwar nonchalant aus der Schweiz grünes Licht für die Erweiterung des Schwarzbaus in Gorleben, aber sicher hat er sich erklären lassen, wie es mit der helvetischen Standortsuche läuft, die doch ausdrücklich angelehnt ist an dem in Deutschland leider nur für die Schublade erarbeiteten AKEnd-Prozess. Da werden Alternativen verglichen, und am Ende - Herr Nacke, da können Sie was lernen - steht eine Volksabstimmung. Bei so

vielen Bürgerrechten müsste doch jedes liberale Herz jubilieren!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Jens Nacke [CDU]: Wie kann man nur so daherreden?!)

Herr Dürr, Sie haben kürzlich in der Neuen Presse richtig geschrieben: Rückholbarkeit trägt zur gesellschaftlichen Akzeptanz bei. - Das klingt gut. Diese Erkenntnis ist bei Ihren Umfragewerten und Volkes ablehnender Meinung zu Atom aber schlichtweg überlebenswichtig für Sie. Sie bekommen in den kommenden Tagen wieder Post vom Kreistag Lüchow-Dannenberg, nämlich sechs Antiatombeschlüsse frisch auf den Tisch: gegen den Weiterbau des Endlagers Gorleben, gegen die Aufweichung der Sicherheitsanforderungen, gegen die behälterlose Bohrlochlagerung, gegen Laufzeitverlängerung. Hier gab es interessanterweise, Frau Bertholdes-Sandrock, die ersten Enthaltungen auf CDU-Seite. Das war etwas Neues.

Noch an anderer Stelle bröckelt der Beton gewaltig, meine Damen und Herren, aus dem atomfreundlichen Lager. Da geht einer aber so richtig von der Fahne, dass es sogar mich sprachlos gemacht hat. Denn was der ehemalige Wissenschaftsminister Lutz Stratmann als Gastautor vor einer Woche im Handelsblatt veröffentlichte, waren christliche Selbstkritik und Erkenntnis pur und deckt sich weitgehend mit linken Positionen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Er will Atommüll jederzeit zurückholen können,

(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Was machen Sie denn mit dem Müll?)

nennt den Begriff „ergebnisoffen“ schlicht beschönigend, Sicherheitsgarantien würden von vielen als Beleidigung der eigenen Intelligenz empfunden. - Jawohl, da jubiliert mein linkes Herz!

(Beifall bei der LINKEN sowie Zu- stimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Weiter schrieb er: Es ist an der Zeit, in der Vergangenheit begangenen Sünden keine weiteren hinzuzufügen und die Doktrin der Endlagerung durch die Doktrin der Rückholbarkeit zu ersetzen. Der Mensch sei eben nicht allwissend und unfehlbar. Eine Wiederholung der früheren Fehler wäre deshalb der denkbar schwerwiegendste Verstoß gegen alle ethischen Grundsätze.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich sehe Herrn Stratmann nicht und gehe davon aus, dass er heute nicht für die CDU sprechen wird.

(Zuruf von den GRÜNEN: Schade!)

Sie sehen, Herr Hocker, Herr Dürr: Sie können sich noch eine Scheibe abschneiden, anstatt mit altbekannter Salamitaktik den freien Fall Ihrer Umfragewerte bremsen zu wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Jederzeitige Rückholbarkeit kann nur der erste Schritt sein. Aber was ist mit dem bestmöglichen Standort, wenn Sie sich 2030 mit Gorleben vor Gericht eine Klatsche holen, weil Sie mangels Vergleich keinen bestmöglichen Standort vorweisen können? - Beim Kalihersteller K+S fordern Sie und Ihre Partei bestmögliche Technik. - Ach ja, ich vergaß: Das liegt nicht in Niedersachsen. Da können dann Liberale ungestraft populistisch Stimmen fangen. Aber Schluss mit lustig ist spätestens natürlich da, wo Sie schamhaft verschweigen, dass Sie den Asse-Müll in Schacht Konrad stopfen wollen.

Es bleibt dabei: Endlager ungelöst, Herr Dürr, Herr Hocker, und klar ist, warum Sie keinen weiteren Standort beäugen wollen. Der läge dann nämlich womöglich dort, wo Ihnen gerade Stuttgart 21 um die schwarz-gelben Ohrli fliegt. Wackersdorf lebt!