Protokoll der Sitzung vom 06.10.2010

Meine Damen und Herren, das Konzept der Bundesregierung ist schlüssig, transparent und auch überzeugend. Ich möchte die Debatte aber gerne auf das zurückführen, worum es letztendlich geht: Wir brauchen die soziale Balance. Wir haben auf

der einen Seite die Leistungsempfängerinnen und -empfänger und auf der anderen Seite Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die tagtäglich ihrer Vollzeitbeschäftigung nachgehen, und diejenigen, die die SGB-II-Leistungen über ihre Steuern finanzieren. Die Balance zwischen diesen drei Gruppen muss gewahrt bleiben; denn sonst gerät das ganze System in eine Schieflage.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Deshalb reicht es eben nicht aus, jetzt weitere Erhöhungen zu fordern, ohne zu sagen, worin diese begründet sind. Zudem greift nach meiner Meinung die Diskussion über die Höhe der Regelsätze viel zu kurz. Uns muss es doch primär darum gehen - dies habe ich hier heute nicht gehört -, die Menschen in Arbeit zu bringen.

(Gabriela König [FDP]: Genau!)

Die Integration in den Arbeitsmarkt bleibt das vordringlichste Ziel der Niedersächsischen Landesregierung.

(Uwe Schwarz [SPD]: Vor allem bei vernünftiger Bezahlung!)

Hier sind wir auf dem besten Weg, wie auch die Arbeitsmarktzahlen vom letzten Donnerstag eindrucksvoll bestätigt haben. Dies sollten wir hier nicht herunterreden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir werden jetzt zwei Dinge tun: Erstens. Niedersachsen wird den weiteren Gesetzgebungsprozess konstruktiv begleiten. Zweitens werden wird dazu beitragen, dass die Inhalte des Bildungspakets direkt bei den Kindern ankommen.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb werden wir aktiv auf die Betroffenen zugehen und für die Inanspruchnahme des Bildungspakets werben; denn wir können uns nicht zurücklehnen und meinen, dass es tatsächlich nur abgeholt wird. Wir müssen auf die Betroffenen zugehen. Das ist unsere Botschaft.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, für die SPD-Fraktion hat sich noch einmal der Kollege Watermann gemeldet. Er hat noch eine Redezeit von 2:44 Minuten.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So, wie es ist, wenn man eine Gesetzgebung auf den Weg gebracht hat und dann hinterher dazu steht, dass man einen Fehler gemacht hat, will ich hier zu Beginn ganz deutlich sagen: Herr Kollege Nacke, der Vergleich mit Masse tut mir leid. Ich entschuldige mich bei Ihnen dafür.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN sowie Zu- stimmung bei der CDU und bei der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte nach der Rede der Ministerin noch auf ein paar Punkte hinweisen, die jetzt kommen. Wir haben uns darüber ausgetauscht, wie wir alle das grundsätzlich sehen. Wir haben uns auch bescheinigt, wie wir unsere Wahlchancen gegeneinander einschätzen. Das Verfahren ist jetzt auf dem Weg. Der Bundestag wird einen Vorschlag machen; der liegt auf dem Tisch. Der Bundesrat - er ist jetzt ein bisschen anders gestrickt als damals; jetzt haben wir genau die gleiche Situation - wird sich dazu verhalten müssen.

(Roland Riese [FDP]: Er wird brem- sen! Das haben wir gehört!)

- Herr Kollege, das ist eben der Unterschied: Ich finde, das, was diese Bundesregierung vorgeschlagen hat, ist falsch. Damals fand der Bundesrat unter der Führung von CDU und FDP das, was Rot-Grün vorgelegt hat, falsch. Was macht man, wenn man für die Bürgerinnen und Bürger eine vernünftige Politik macht? - Man setzt sich hin und guckt, wo man im Sinne der Betroffenen auf einen Nenner kommen kann.

(Zustimmung von Silva Seeler [SPD])

So ist das damals gewesen. Dabei sind Sachen herausgekommen, die das Bundesverfassungsgericht nicht wollte, und wir werden jetzt Sachen finden. Ich meine, sie sollten im Sinne der Betroffenen und für eine gute Sozialgesetzgebung sein.

(Ingrid Klopp [CDU]: Das hat die Mi- nisterin gesagt!)

Deshalb sage ich ganz deutlich: Ich bin dafür, dass wir jetzt gemeinsam diesen Weg einschlagen und genau gucken, wie diese Berechnungen waren und wo man andere Dinge tun kann.

Ihnen, Herr Kollege, sage ich: Das unterscheidet uns jedenfalls von Ihnen als Person. Ob Ihre Partei dahinter steht, weiß ich nicht. Ich glaube, dass die

Teilhabe von Kindern erheblich besser gestärkt wird, wenn institutionelle Förderung gemacht wird, die direkt bei den Kindern ankommt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Besprechung: Strafvollzug in Niedersachsen - Zahlen, Daten, Fakten und Zukunft - Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/2366 - Antwort der Landesregierung - Drs. 16/2755

Nach § 45 Abs. 5 unserer Geschäftsordnung wird zu Beginn der Besprechung einer der Fragestellerinnen oder einem der Fragesteller das Wort erteilt. Alsdann erhält es die Landesregierung.

Mir liegt die Wortmeldung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Herr Limburg, bitte sehr!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal bedanke ich mich ausdrücklich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Justizministeriums und des niedersächsischen Justizvollzugs für die umfangreiche und zeitnahe Beantwortung dieser Großen Anfrage.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das war ein hartes Stück Arbeit. Aber nun haben wir diese umfassende Bestandsaufnahme, über die sich auch der Justizminister schon öffentlich gefreut hat, und wir können gut damit arbeiten.

Positiv ist: Die Belegungssituation im niedersächsischen Justizvollzug hat sich in den letzten Jahren zunehmend entspannt. In dieser Hinsicht steht der niedersächsische Justizvollzug wirklich gut da. Wir hatten in 2009 eine Durchschnittsbelegung von etwa 80 % in den niedersächsischen Justizvollzugsanstalten. Das ist ein guter Wert. Die Mehrfachzellenbelegung ist ebenfalls auf dem Rückzug. Beides zusammen trägt viel zu einer entspannten Atmosphäre bei.

Aber hier, Herr Justizminister Busemann, gleich die erste Kritik: Wenn wir uns doch darüber einig sind, dass Sie die Situation in den Gefängnissen in den letzten Jahren erfolgreich entspannt haben, warum halten Sie dann mit unglaublicher Sturheit an Ihrem Großprojekt der teilprivatisierten Justizvollzugsanstalt in Bremervörde fest? - Ich weiß, Sie wollen noch mehr kleinere Gefängnisse schließen, um dann diese eine große Anstalt in Betrieb zu nehmen. Dafür nehmen Sie in Kauf, dass bei der Unterbringung noch weniger Heimatnähe möglich wird. Sie nehmen eine Verunsicherung der Bediensteten in Kauf. Nicht zuletzt muten Sie dem Landtag zu, erhebliche Verpflichtungsermächtigungen, die den Haushalt noch jahrelang belasten werden, für dieses Großprojekt einzustellen, statt weitere Investitionen in bestehende, intakte, gute, arbeitende Anstalten vorzunehmen. Das macht keinen Sinn. Stoppen Sie das Projekt! Wir brauchen keine neuen Haftplätze in Niedersachsen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Kommen wir zu denen, in deren Händen alles liegt, über das wir hier diskutieren, ohne die sich kein noch so ehrgeiziges Projekt realisieren lässt: die Bediensteten. - Die Bediensteten im niedersächsischen Justizvollzug leisten eine wirklich gute Arbeit. Unsere Verantwortung ist, ihnen diese Arbeit so weit wie irgend möglich zu erleichtern. Dazu gehört, dass das Land als Arbeitgeber mit besonderen Fürsorgepflichten alles Mögliche tut, um ein angemessenes Gesundheitsmanagement sicherzustellen. Es geht hier nicht darum, einzelne JVAs an den Pranger zu stellen. Aber wer die Antwort der Landesregierung in Bezug auf die Krankenstände vergleicht, der wird erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Einrichtungen und Missstände, die sich zum Teil über Jahre hinziehen, feststellen. Das mag jeweils vor Ort spezifische Ursachen haben. Aber wir sind es den Bediensteten schuldig, alles dafür zu tun, dass sie ihren nicht immer leichten Job gesund erledigen können, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die Personalsituation ist insgesamt nicht angespannt, was aber auf keinen Fall dazu verleiten darf, den Strafvollzug in den nächsten Jahren zur Sparbüchse des Landes zu machen. Die gegenwärtige Stellensituation mag hinreichend sein; sie ist aber auch notwendig, meine Damen und Herren.

Die Antworten über Straftaten im Justizvollzug und Disziplinarmaßnahmen sind nicht sehr umfangreich, was für den Moment in Ordnung ist. Das MJ hat sich durch unsere Anfrage anregen lassen, eine einheitliche Dokumentation zu erstellen. Es freut mich, dass wir da Anregungen geben konnten.

Insgesamt lässt sich sagen: Straftaten sind in Niedersachsens Gefängnissen nicht die Regel, sondern Randerscheinungen, und das ist auch gut so. Die Praxis der Disziplinarmaßnahmen variiert von JVA zu JVA sehr stark, wird aber nur zum Teil dokumentiert, sodass eine tiefere Analyse hier nicht möglich ist.

Angesichts einiger Beschwerdebriefe, die ich von Gefangenen in den letzten Monaten erhielt, entsteht allerdings zuweilen der Eindruck, dass Disziplinarmaßnahmen in dem einen oder anderen Fall willkürlich verhängt werden, oder zumindest vermissen die Gefangenen eine hinreichende Erläuterung. Gefangene haben aber wenigstens ein Anrecht auf gute Erklärungen für Disziplinarmaßnahmen, die sie in ihrer Freiheit zusätzlich einschränken, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Als Sie das Niedersächsische Justizvollzugsgesetz im Jahr 2007 hier in diesem Haus verabschiedet haben, haben Sie damals erstmals in Niedersachsen den geschlossenen Strafvollzug zur Regel und den offenen Strafvollzug zur Ausnahme gemacht. Ich weiß, dass viele aus der Praxis der Auffassung sind, das sei richtig so, weil bereits vorher faktisch der geschlossene Strafvollzug die häufigere Haftform war. Das mag für Niedersachsen richtig sein. Aber wenn Sie einmal einen Blick über die Grenzen in europäische Nachbarländer werfen, dann werden Sie dort viele Beispiele finden, meine Damen und Herren, bei denen der geschlossene Vollzug tatsächlich die absolute Ausnahme und der offene Vollzug der Regelvollzug ist. Sie hätten damals besser die Realität an die damaligen gesetzlichen Vorgaben anpassen sollen, anstatt das Gesetz an die Praxis anzugleichen. Der Gesetzgeber darf ruhig sinnvolle politische Vorgaben machen. Er muss aber nicht Fehlentwicklungen der Praxis gesetzlich absichern.

Warum plädieren wir Grüne für mehr Mut zum offenen Vollzug? - Weil - und dies haben Sie selbst oft genug zu Recht gesagt, Herr Busemann - der Inhaftierte von heute schon morgen unser Nachbar sein kann und weil er sich besser in der Freiheit zurechtfindet, wenn er vorher nicht jahrelang in

geschlossenen Einrichtungen verbracht hat, sondern wenn er sich im offenen Vollzug auf die Anforderungen an das Leben in Freiheit vorbereiten konnte.

Wir haben in einer Vielzahl von Briefen aus dem Justizvollzug die Rückmeldung bekommen, dass Lockerungen, Urlaube und Freigänge in den letzten Jahren immer stärker abgenommen haben. Ihre Antworten sind in diesem Bereich ungenau. Aber es lässt sich die Tendenz ablesen, dass Urlaube und Freigänge zurückgegangen sind, also in den JVAs nicht gewährt werden. Das ist eine Folge der Tatsache, dass Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, mit Ihrem Niedersächsischen Justizvollzugsgesetz erstmals die Sicherheit der Allgemeinheit zum gleichrangigen Vollzugsziel neben der Resozialisierung gemacht haben. Das klingt auf den ersten Blick recht einleuchtend. Der Justizvollzug soll der Sicherheit dienen. Wer kann etwas dagegen haben? - Das Problem ist, meine Damen und Herren, dass dahinter ein kurzsichtiger, verkürzter Sicherheitsbegriff steckt. Sicherheit durch Wegschließen können Sie nämlich nur für die Dauer der Haftstrafe gewährleisten. Sicherheit danach, also umfassende Sicherheit, könnten Sie besser durch mehr Einübung von Selbstverantwortung und Erleben von Freiheit schon während der Haftzeit sicherstellen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

In der Antwort behaupten Sie, die Gesetzesformulierung hätte keinerlei Auswirkungen auf die Praxis gehabt. Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, aber das ist lächerlich. Wenn Ihre Gesetze keine Auswirkungen in der Praxis haben, dann könnten Sie es gleich sein lassen. Nein, die Auswirkungen sind da. Sie sind sichtbar.