Protokoll der Sitzung vom 06.10.2010

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir dürfen hier heute Morgen eine sehr interessante Debatte miterleben. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, worum es geht. Im Wesentlichen geht es um zwei Beschlüsse des Verfassungsgerichtes. Zum einen hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass es die Regelsätze für Hartz IV nicht überprüfen kann, weil es dafür keine Berechnungsgrundlage gab und sie willkürlich über den Daumen festgelegt wurden.

(Björn Thümler [CDU]: So ist es!)

Das Verfassungsgericht hat gesagt: Wenn Menschen sich Sorgen um ihre Existenz machen müssen, dann ist eine solche Willkür unangemessen und verfassungswidrig.

(Zustimmung bei der CDU)

Meine Damen und Herren, das ist für die Grünen - das war ja ein Beschluss von Rot-Grün - nicht so schlimm; denn sie haben mit Hartz IV nicht so ganz viel am Hut.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Stehen Sie doch zu Ihrer Beteiligung!)

Allerdings muss man sagen, Frau Helmhold: Wer hier so keifend und selbstgerecht auftritt, der hat natürlich ein schlechtes Gewissen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Genau diese Art geht schon in Ihrer eigenen Truppe jedem auf die Nerven.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Verschlei- ern Sie damit Ihre eigene Mitverant- wortung?)

Es ist genau diese Art von Politik: Wenn Sie abgewählt werden, sagen Sie in der Opposition, Sie hätten plötzlich einen Erkenntnisgewinn, und stellen neue Forderungen auf. - Das ist absurd und unglaubwürdig!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, es gibt aber noch eine zweite Partei, die dafür Verantwortung trägt, nämlich die SPD. Die SPD hat ihre Wurzeln in der Arbeiterpartei als Klassenpartei. Gerade für eine solche Partei ist es natürlich eine ganz große Klatsche, wenn man so etwas vom Verfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben bekommt!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Durch dieses Urteil wird deutlich, dass es Herrn Schröder, Herrn Müntefering, Herrn Steinmeier, Herrn Steinbrück und auch Herrn Clement nicht gelungen ist, ihre Arbeits- und Sozialpolitik zu ihrer Regierungszeit zu vermitteln. Sie konnten es weder den Betroffenen, also den Arbeitsuchenden oder Leistungsempfängern, noch der eigenen Partei und den eigenen Anhängern vermitteln. Deswegen haben Sie in den Ländern eine Mehrheit nach der anderen verloren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Diese Politik - das wissen Sie doch ganz genau - trägt am Ende auch die Verantwortung dafür, dass Ihr damaliger Bundesvorsitzender Lafontaine einen Rachefeldzug gegen Sie starten und eine Protestpartei im gesamten Bundesgebiet etablieren konnte. Das ist der Grund, warum wir heute hier auf einem Niveau diskutieren müssen, das jeder Beschreibung spottet,

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

wenn Herr Humke-Focks allen Ernstes behauptet, für eine Partei wie die CDU oder die FDP seien Kinder keine vollwertigen Menschen,

(Patrick-Marc Humke-Focks [LINKE]: Sehen Sie sich die Regelsätze an!)

oder wenn Frau Flauger Jesus Christus heranzieht, um Mittel für Rausch- und Genussmittel zu rechtfertigen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der zweite wesentliche Punkt im Urteil des Verfassungsgerichts war, dass man Kindern keinen willkürlichen Betrag zumessen kann, sondern dass man ihnen Bildungschancen eröffnen muss. Auch darauf hat Frau Mundlos ausdrücklich hingewiesen. Für eine Partei wie die SPD, deren Grundsatz immer „Gleichheit vor Gerechtigkeit“ war, war das die zweite ganz große Klatsche. Es bedurfte der Anstrengungen von Angela Merkel und Ursula von der Leyen aus Niedersachsen, um gerechte Sätze für Sozialleistungen und ein Bildungspaket auf den Weg zu bringen. Das ist die Wahrheit! Uns heute vorzuwerfen, wir würden uns unserer Verantwortung nicht stellen, ist doch lächerlich!

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie haben es bis heute nicht geschafft, sozialen Ausgleich und Chancengerechtigkeit - Ihre Politik aus der Regierungszeit - in Ihrer Partei mehrheitsfähig zu machen. Wenn Sie jetzt auf die Verant

wortung des Vermittlungsausschusses hinweisen, dann bin ich ja mal auf die nächsten Monate gespannt. Wir werden uns das sehr genau ansehen.

Meine Damen und Herren, abschließend lässt sich feststellen: Die abstoßende Polemik Ihres Bundesvorsitzenden, des gescheiterten Ministerpräsidenten von Niedersachsen und gescheiterten Umweltministers, und die ebenso abstoßende Polemik Ihres Landesvorsitzenden, der so gerne Fraktionsvorsitzender wäre, werden Sie hier nicht in Regierungsverantwortung bringen. Der Ministerpräsident des Landes hat gestern Laufschuhe erhalten. Wenn Sie so weitermachen, reicht gemütliches Gehen, damit Sie ihn nicht einholen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, für die SPD-Fraktion hat sich noch einmal der Kollege Watermann zu Wort gemeldet. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was ich gerade hier zu hören gekriegt habe, war ja wirklich niveauvoll. Masse alleine bringt noch lange kein Niveau, Herr Kollege Nacke!

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU)

- Das hat gesessen. Das tat weh. Es tut mir leid, wenn es so weh getan hat.

Wenn Sie wirklich glauben, dass Sie hier die Politik, die Sie zu verantworten haben, in der Art und Weise verschleiern können, wenn Sie wirklich glauben, dass Wählerinnen und Wähler so dumm sind, auf so etwas hereinzufallen, dann werden Sie erleben, wie schnell man im Fahrstuhl auch nach unten fahren kann. Die Sozialdemokraten sind eine stolze Partei. Wir wissen, wie das geht, aber wir stehen zu unserer Verantwortung.

Sie waren in einer Großen Koalition in der Verantwortung, und Sie haben in dieser Großen Koalition gegen das Schulstarterpaket gekämpft. Sie waren dagegen, das Schulstarterpaket auch denjenigen zu geben, die bis zum 13. Schuljahr zur Schule gehen. Wir haben es in der Großen Koalition durchgesetzt und damit ein Stück Verantwortung übernommen.

Sie glauben, heute eine Politik als sozial darstellen zu können, zu der Sie zu Regierungszeiten von

Helmut Kohl nie in der Lage waren. Sie waren nie in der Lage, die Ungerechtigkeit zwischen Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe aufzuheben. Das war ein schwerer Grat für die Sozialdemokratie. Für diese Entscheidung werden wir immer wieder kritisiert werden; auch ich habe hier heute wieder Kritik bekommen. Aber man kann zu dieser Entscheidung stehen, weil der Weg richtig ist. Allerdings ist er nur dann richtig, wenn die Ausstattung für die Familien und für die Betroffenen anständig ist.

Ein Grundsatz unterscheidet die Sozialdemokraten von Ihnen, von der FDP und von den Linken. Wir sagen: Gut bezahlte Arbeit muss die Grundlage sein, und die Sozialgesetzgebung muss in der Not einspringen. Das ist die Grundlage für unsere Politik. Sie wollen nur Almosen verteilen. Sie wollen keine gerechte Politik. Sie haben sich von diesem Sozialstaat verabschiedet. Sie gehören deshalb abgewählt, und das wird passieren.

(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich will noch einmal bekannt geben: Bis auf die SPD haben alle Fraktionen ihre Redezeit verbraucht. - Jetzt hat sich noch Frau Ministerin Özkan zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat zur verfassungskonformen Bemessung der Regelbedarfe insbesondere gefordert, dass erstens die Ermittlung der Regelbedarfe in einem transparenten und sachgerechten Verfahren erfolgt, zweitens die Ermittlung der Kinderregelsätze auf kinderspezifischen Verbrauchsdaten basiert, drittens die spezifischen Bildungs- und Teilhabebedarfe von Kindern berücksichtigt werden und viertens ein sachgerechter Maßstab für die realitätsgerechte Fortschreibung des Existenzminimums angelegt wird.

Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat gefordert, die neuen Regelsätze in einem transparenten und nachvollziehbaren Verfahren zu ermitteln. Dem ist der Bund gefolgt. Er erfüllt damit auch eine unserer Forderungen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das Gericht sieht den Bundesgesetzgeber zudem in der Pflicht, eine Entscheidung darüber zu treffen, welche Ausgaben zum Existenzminimum zählen und welche nicht. Dem ist der Bund gefolgt, indem er 230 Positionen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe als regelsatzrelevant eingestuft hat.

Das Gericht hat gefordert, dass die Kinderregelsätze die kinderspezifischen Bedarfe zu berücksichtigen haben. Dem ist der Bund ebenfalls gefolgt. Er erfüllt damit auch eine langjährige Forderung des Niedersächsischen Landtages.

Der Gesetzentwurf nennt konkret die Ansprüche der bedürftigen Kinder und Jugendlichen zur Unterstützung, nämlich für ein Mittagessen in Schule und Kita, für eine Vereinsmitgliedschaft, für Musikunterricht oder auch für angemessene Lernförderung und für andere Aktivitäten zur Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Zusammen mit den Regelsätzen, die in ihrer Höhe unverändert bleiben - das haben wir hier mehrfach festgestellt -, stehen den Kindern und Jugendlichen damit deutlich mehr Leistungen als bisher zur Verfügung. Auch das können Sie nicht wegreden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Mit diesem Bildungspaket haben Kinder aus Hartz-IV-Familien deutlich bessere Chancen auf Bildungsteilhabe. Bildung - ich denke, da sind wir uns alle einig - darf nicht vom Einkommen der Eltern abhängen. Genau dieses Ziel verfolgt das neue Bildungspaket.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich bin mir sicher: Damit werden wir die Entwicklung der Kinder langfristig positiv beeinflussen können.

Aber zunächst geht es - da gebe ich Ihnen recht - um die praktische Umsetzung dieser Ansprüche. Ich halte es für sinnvoll, auf die schon bestehenden vielfältigen Strukturen in unseren Städten und Gemeinden zurückzugreifen. Die Gespräche zeigen uns, dass das sehr dankbar angenommen wird. Niedersachsen hat sich bereits in diesen Diskussionsprozess eingebracht. Wir haben schon die ersten Gespräche mit Vertretern des Bundes geführt. Insofern sind wir auf einem guten Weg.

Meine Damen und Herren, das Konzept der Bundesregierung ist schlüssig, transparent und auch überzeugend. Ich möchte die Debatte aber gerne auf das zurückführen, worum es letztendlich geht: Wir brauchen die soziale Balance. Wir haben auf