Protokoll der Sitzung vom 09.11.2010

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 86. Sitzung im 29. Tagungsabschnitt des Niedersächsischen Landtages der 16. Wahlperiode.

Rede zum 9. November

Unsere heutige Sitzung fällt auf den 9. November. Wir sollten trotz der drängenden tagespolitischen Themen einen kleinen Augenblick innehalten!

Am 9. November 1918 rief Philipp Scheidemann mit dem Ende des Kaiserreiches in Berlin die Deutsche Republik aus. Dies war der Beginn eines demokratischen Staatswesens in Deutschland, dies allerdings in einer unglücklichen und dann auch gescheiterten Republik. Die Demokratie wurde nämlich vom rechten und linken Extremismus in die Zange genommen.

Auch glaubten viel zu viele der politisch Verantwortlichen nicht an die Demokratie und verteidigten sie auch nicht, auch wenn die mutige Rede von Otto Wels im Reichstag aus Anlass des sogenannten Ermächtigungsgesetzes unvergessen ist.

Die Reichspogromnacht in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 ist Sinnbild des antirepublikanischen Willkürregimes des Nationalsozialismus, der mit unerträglichem Zynismus die Grundwerte der Menschenrechte, der Demokratie und des Rechtsstaates mit Füßen trat. Die Reichspogromnacht mit dem dort inszenierten Volkszorn markiert die endgültige Überschreitung der Grenze zur physischen Verfolgung der jüdischen Bevölkerung, die zur unauslöschlichen Schuld des Völkermordes an etwa 6 Millionen europäischen Juden führte.

Der Fall der Mauer am 9. November 1989 ist schließlich ein Tag der Freude und der Hoffnung. Mit dem von ihren Bürgerinnen und Bürgern friedlich herbeidemonstrierten Untergang der DDR als im Namen des Sozialismus agierender Unrechtsstaat, der Freiheit, Menschenrechte und Demokratie missachtete, begann eine neue Epoche der deutschen Geschichte.

Nach der Erfahrung von über 20 Jahren können wir heute mit Fug und Recht sagen, dass in ganz Deutschland eine tiefe Überzeugung gewachsen ist: Die Grundwerte der Demokratie und des

Rechtsstaats garantieren die Freiheit, Sicherheit und Würde Deutschlands.

Wir müssen und dürfen deshalb an den 9. November als einen Schicksalstag der Deutschen erinnern.

Vielen Dank.

(Beifall)

Tagesordnungspunkt 1: Mitteilungen des Präsidenten

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Zur Tagesordnung: Die Einladung und die Tagesordnung für diesen Tagungsabschnitt liegen Ihnen gedruckt vor.

Für den bevorstehenden Tagungsabschnitt sind darüber hinaus zwei Regierungserklärungen angekündigt:

Der Kultusminister hat mitgeteilt, eine Regierungserklärung zum Thema „Die Weichen für Niedersachsens Schulen richtig stellen“ abgeben zu wollen. Dies soll heute ab 13.40 Uhr geschehen.

Der Innenminister will morgen ab 9.10 Uhr eine Regierungserklärung abgeben, und zwar zum Thema „Demonstrationsfreiheit achten - Missbrauch ächten“.

Beide Regierungserklärungen sollen jeweils ca. 20 Minuten dauern. Ich halte das Haus damit einverstanden, die Redezeiten der Fraktionen in der anschließenden Aussprache nach unseren Gepflogenheiten entsprechend der Dauer der Regierungserklärung festzusetzen. Bei einer Dauer der Regierungserklärung von 20 Minuten ergeben sich daraus für die beiden großen Fraktionen je ebenfalls 20 Minuten und für die drei kleinen Fraktionen je 10 Minuten. - Ich stelle das Einverständnis des Hauses mit dieser Regelung fest.

Für die Aktuelle Stunde, die morgen dann im Anschluss an die Regierungserklärung stattfinden wird, sind fünf Themen benannt worden.

Ich wäre dankbar, wenn sich die Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen darüber verständigten, wie mit den zeitlichen Verschiebungen umgegangen werden soll, die sich aus den Veränderungen der Tagesordnung zwangsläufig ergeben.

Es liegen im Übrigen drei Dringliche Anfragen vor, die Donnerstag früh ab 9.10 Uhr beantwortet werden.

Für Freitag haben die Fraktionen vereinbart, dass im Zusammenhang mit der ersten Beratung des Antrages der Fraktion der SPD unter Tagesordnungspunkt 38 „Europäische Agrarpolitik neu gestalten - ländliche Räume in Niedersachsen stärken“ auch noch die zweite Beratung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP in der Drs. 16/2411 durchgeführt werden soll, der den gleichen Themenbereich betrifft. Formal bedeutet dies eine Erweiterung der Tagesordnung im Sinne von § 66 unserer Geschäftsordnung. Der guten Ordnung halber frage ich, ob es Widerspruch dagegen gibt. - Das ist nicht der Fall. Dann können wir so verfahren.

Auf der Grundlage der im Ältestenrat für die Beratung einzelner Punkte vereinbarten Redezeiten und des im Ältestenrat vereinbarten Verteilerschlüssels haben die Fraktionen die ihnen jeweils zustehenden Zeitkontingente so verteilt, wie Sie das aus der Ihnen vorgelegten Übersicht ersehen können. - Ich stelle das Einverständnis des Hauses mit diesen Redezeiten fest.

Die heutige Sitzung soll gegen 20.45 Uhr enden.

Ich möchte Sie noch auf eine Veranstaltung hinweisen: In der unteren Wandelhalle ist die von der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer in Zusammenarbeit mit dem Landkreis Cuxhaven und dem Lichtbildner Dr. Rainer Huismans konzipierte Ausstellung „Weltnaturerbe Wattenmeer - einzigartig auf der Welt: Wattenmeeriges und Nordseeküstiges“ zu sehen. Ich würde mich freuen, wenn Sie ungeachtet der Fülle der von uns zu behandelnden Themen ein wenig Zeit finden könnten, sich diese Ausstellung anzusehen.

Die Initiative „Schulen in Niedersachsen online“ wird in den kommenden Tagen wieder mit einer Radio-online-Redaktion live aus dem Landtag berichten. Es handelt sich um Schülerinnen und Schüler der Realschule aus Syke. Der Abgeordnete Frank Mindermann hat sich dankensweiterweise bereit erklärt, als Pate die Arbeit der jungen Leute nach Kräften zu unterstützen und erster Ansprechpartner sein.

Ich weise außerdem darauf hin, dass das Modellprojekt Landtagsfernsehen wieder mit jungen und aufstrebenden Nachwuchsjournalistinnen und -journalisten im Laufe der kommenden Tage Sendungen erstellen wird. Die einzelnen Sendungen

stehen wie gewohnt unmittelbar nach ihrer Produktion im Internet auf der Homepage der Multi-Media Berufsbildende Schule - www.mmbbs.de - zum Abruf bereit. Sie sollen auch über den Regionalsender h1 gesendet werden.

Ich darf Sie herzlich bitten, Ihre Reden bis spätestens morgen Mittag, 12 Uhr, an den Stenografischen Dienst zurückzugeben.

Die mir zugegangenen Entschuldigungen teilt Ihnen nunmehr die Schriftführerin mit.

Wenn es auch der Schriftführer sein darf.

Entschuldigung.

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es haben sich entschuldigt von der Landesregierung Herr Innenminister Schünemann dafür, dass er eventuell etwas später kommt, von der Fraktion der CDU Frau Hartmann, von der Fraktion der SPD Herr Meyer und Herr Schostok, von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Staudte und das fraktionslose Mitglied des Hauses Frau Wegner.

Vielen Dank, Herr Kollege. - Wir kommen jetzt zum zusätzlichen Tagesordnungspunkt:

Abgabe einer Regierungserklärung zum Thema „Die Weichen für Niedersachsens Schulen richtig stellen“ - Unterrichtung - Drs. 16/3028

Die Regierungserklärung gibt Kultusminister Dr. Althusmann ab. Ich erteile ihm das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Arbeitsmarktdaten für Niedersachsen sind so gut wie lange nicht mehr, die Beschäftigtenzahlen machen Mut, die Steuereinnahmen steigen, und selbst im nicht immer ganz konfliktfreien Feld der Bildungspolitik bewegt sich etwas, bewegen sich die an Bildung Beteiligten - wenn auch nur schrittweise - aufeinander zu. Vielleicht setzt sich ja auch in unserem Bundesland die Erkenntnis durch, dass es um bestmögliche Rahmenbedingungen, um bestmögliche Bildungsabschlüsse

für unsere Kinder geht und nicht um Glaubenskriege verschiedenster Bildungstheoretiker.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, alle Bundesländer stehen - neben anderen - vor einer wesentlichen Herausforderung, nämlich 15 % bis teilweise 20 % unserer Jugendlichen zu einem Bildungserfolg zu bringen. Diese fallen bisher ohne Chancen auf Zukunft durch unser Bildungsnetz. Hier nun einfach ein Mehr an Haushaltsmitteln zu fordern, ist die einfachste, aber nicht zwingend die zielführendste Antwort.

Richtig ist: Jeder in Bildung investierte Euro rentiert sich mehrfach. Deshalb wird es zukünftig darauf ankommen, die Zielgerichtetheit von gegebenen Haushaltsmitteln im Bildungsbereich zu schärfen. Mit 4,7 Milliarden Euro investieren wir über 1 Milliarde Euro mehr in Bildung als unsere Vorgängerregierungen. Diesen Betrag jetzt zu halten, ist schon ein Erfolg für sich.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir investieren z. B. 3,6 Milliarden Euro in die Sicherstellung der Unterrichtsversorgung, 52 Millionen Euro in die Sprachförderung, 86,5 Millionen Euro in die Ganztagsschulen, 70 Millionen Euro in die Angebote der frühkindlichen Bildung im Krippenbereich und insgesamt dann 462 Millionen Euro bis 2013 in den Krippenausbau, Stichwort „Betriebskosten“.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Und, meine Damen und Herren, die Ergebnisse dieser Bildungspolitik seit 2003 sind messbar, sie sind sogar erkennbar: Seit 2003 ist die Nichtabschlussquote von 10,4 % auf 6,2 % gesunken.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Weiter: die Senkung der Zurückstellungsquote an Grundschulen von 8,1 % auf nur noch 5,2 %, die Steigerung der Zahlen der Hochschulzugangsberechtigungen von 38,1 % auf 42 %. Über 13 500 neue Krippenplätze für unter Dreijährige sind geschaffen worden. Und an niedersächsischen Schulen unterrichten inzwischen über 87 000 Lehrkräfte. Das ist ein großer Erfolg.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Seit Jahren wird in Deutschland, auch in Niedersachsen, über Schulstrukturen leidenschaftlich gestritten. Auch Bildungswissenschaftler kommen zu unterschiedlichen Antworten. Ich zitiere:

„Auch eine Veränderung der Schulstruktur erreicht niemals … einen Chancenausgleich. Eine solche Utopie produziert nur Enttäuschungen.“