Protokoll der Sitzung vom 09.11.2010

darstellen wollen, ist das noch lange nicht. Für einen Schulfrieden, für einen Konsens, der möglicherweise über einen nächsten Wahltermin hinaus Bestand haben könnte, reicht das nicht. Da müssen Sie noch erheblich nachbessern.

Das machen im Übrigen die Reaktionen der Verbände auf diesen Vorschlag deutlich, die Sie offensichtlich nur sehr selektiv zur Kenntnis genommen haben. Zwar sprechen sowohl der Landeselternrat als auch der Niedersächsische Städtetag von einem ersten Schritt. Beide bestehen aber nachdrücklich darauf, dass die Neugründung von Integrierten Gesamtschulen endlich deutlich erleichtert werden muss.

(Beifall bei den GRÜNEN - Christian Meyer [GRÜNE]: Genau!)

Auch die GEW hat sich der Position des Landeselternrats angeschlossen. Der Schulleitungsverband - das ist ja kein unbedeutender Verband, Herr Althusmann - hält die Einführung einer neuen Schule, der Oberschule, für vollkommen überflüssig. Eindeutige Unterstützung haben Sie bislang einzig und allein vom Niedersächsischen Philologenverband erhalten.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Ach der! - Editha Lorberg [CDU]: Das ist gar nicht wahr!)

Zitat:

„Der Philologenverband als Vertretung der Gymnasiallehrer begrüßte prompt die Einführung der neuen Oberschule und die Existenzgarantie für die Gymnasien.“

Dies schrieb das Hamburger Abendblatt am 27. Oktober. Wichtig sei dem Philologenverband, „dass nur wenige neue Gesamtschulen den bestehenden Gymnasien Konkurrenz machen können“.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Aha!)

Genau darum geht es. Aber allein auf dem Spezialinteresse, Herr Minister Althusmann, eines einzelnen konservativen Verbands können Sie keinen Schulfrieden begründen.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Sie waren doch bei der Veranstaltung dabei!)

Herr Althusmann, meine Damen und Herren von CDU und FDP, eine neue Oberschule soll es sein, mit der Sie Ihre Schulpolitik jetzt wieder flottmachen wollen.

Aber schon der Name ist Etikettenschwindel. Viele Menschen - Herr Klare hat sich vorhin in seiner Rede nicht umsonst versprochen - verbinden mit der Oberschule noch immer das Gymnasium. Aber genau das meinen Sie mit Ihrer Oberschule gerade nicht. In unserem Nachbarland Bremen ist Oberschule übrigens die Bezeichnung für Gesamtschule, ebenso in Brandenburg. Bei Ihnen hingegen verbergen sich hinter dem Etikett „Oberschule“ gleich zwei verschiedene Schulformen: die alte KGS und die Kooperative Haupt- und Realschule, die Sie bei Regierungsantritt gerade abgeschafft haben, genauso wie das Tarmstedter Modell.

Das alles führen Sie jetzt wieder unter „Oberschule“ ein. Ihre Schulpolitik ist schon merkwürdig: Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln, aber keine Strukturdebatte. Wer soll Ihnen das eigentlich noch abnehmen?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Warum Sie das machen, warum Sie zwei Schulformen unter einem Namen verkaufen, bleibt vielen hier erst einmal ein Rätsel. Ich vermute, dahinter verbirgt sich Ihre eigene Konzeptionslosigkeit, Ihre Unklarheit und Ihre Unentschlossenheit. Sie wissen nicht so richtig, wie Sie das, was Sie vielleicht einmal wollen, durchsetzen und umsetzen wollen. Wahrscheinlich wissen Sie nämlich selbst, dass die Kooperative Haupt- und Realschule auf Dauer keine Zukunftsperspektive ist und wahrscheinlich bald zur „Restschule“ werden könnte. Das hat die Regionalschule in Schleswig-Holstein bereits gezeigt. Die konsequente Weichenstellung, flächendeckend Integrierte Gesamtschulen zuzulassen, trauen Sie sich nicht zu.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Wer will die denn?)

Der Neugründung von Gesamtschulen legen Sie weiterhin hohe Hürden in den Weg - Hürden, die in keiner Weise pädagogisch zu begründen sind und welche die Gesamtschulen gegenüber den Oberschulen ganz erheblich benachteiligen, vor allen Dingen in der ländlichen Region. Da wird es Ihnen noch auf die Füße fallen.

(Reinhold Coenen [CDU]: Sie haben keine Ahnung!)

Ich möchte das einmal am Vergleich mit Ihrem Oberschulkonzept deutlich machen: Oberschulen müssen auch mit Gymnasialzweig nur dreizügig sein, neue Gesamtschulen in der Regel mindestens fünfzügig. Wie begründen Sie diesen Unterschied?

Oberschulen dürfen ein wenigstens teilweise verpflichtendes Ganztagsangebot erhalten, neue Gesamtschulen aber nur ein freiwilliges. Was ist dafür die Begründung?

In Oberschulklassen sollen nur maximal 28 Schülerinnen und Schüler sitzen, nach neueren Äußerungen 26, in Gesamtschulklassen weiterhin 30. Was ist der Grund für diese Ungleichbehandlung?

Jede Oberschule soll sozialpädagogische Fachkräfte erhalten. Wo bleibt das entsprechende Angebot für die Gesamtschulen? - In beiden Schulformen gibt es doch heterogene, leistungsgemischte Gruppen.

Herr Minister Althusmann, alle diese Fragen haben Sie in Ihrer Regierungserklärung lieber ausgespart. Was sagt mir das? - Ihre Oberschule ist nicht die Weichenstellung für etwas Neues. Sie ist vielmehr ein Bremsblock für eine zukunftsfähige, von vielen Eltern in Niedersachsen gewollte Schulform, nämlich die Integrierte Gesamtschule.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Im Mittelpunkt Ihres Schulsystems, Herr Althusmann, soll weiterhin das Gymnasium stehen; das haben Sie gerade wieder deutlich gemacht. Aber trotzdem bleibt genau diese Schulform bei Ihrem Reformkonzept völlig ausgeklammert. Wollen Sie die Gymnasien von den notwendigen Reformen ausschließen, oder warum lassen Sie sie völlig außen vor?

Mehr als 40 % der Eltern in Niedersachsen wählen für ihr Kind das Gymnasium. Sie tun das, weil sie damit ihrem Kind den Weg zum Abitur ebnen und eine gute berufliche Zukunft sichern wollen. Aber täuschen Sie sich nicht! Das bedeutet keineswegs, dass diese Eltern wirklich mit allem zufrieden sind, was im Moment am Gymnasium läuft. Ganz im Gegenteil: Spätestens seit Sie mit der Mehrheit dieses Hauses das Turbo-Abitur an den Gymnasien eingeführt haben, sind die Eltern höchst unzufrieden damit, wie ihren Kindern an den Gymnasien zum Teil mit unglaublichem Druck Wissen eingetrichtert wird.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Herr Althusmann, dieses Problem, das ganz viele Eltern gegen das Turbo-Abitur und Ihre Schulpolitik aufbringt, kam in Ihrer Rede gar nicht vor. Das nehmen Sie weiterhin überhaupt nicht ernst.

(Jens Nacke [CDU]: Sie sind keine ernst zu nehmende Sprecherin! Wis- sen Sie das?)

Auch die Schulinspektion - Herr Nacke, lesen Sie einmal nach, was die Schulinspektion schreibt - hat große Defizite bei den Gymnasien deutlich gemacht. Was tun Sie, Herr Althusmann? - Sie beheben die Probleme nicht, sondern Sie sorgen lieber dafür, dass die Schulinspektion nicht mehr so genau hinguckt. Das soll ja heute Abend beschlossen werden.

Herr Althusmann, meine Damen und Herren von CDU und FDP, Ihr Ziel bleibt ganz offenkundig ein Zweiklassenschulsystem mit einem unangetasteten Gymnasium an erster Stelle und einer Oberschule, die aber keine echte Alternative zum Gymnasium werden darf, an zweiter Stelle. Dieses Konzept ist so nicht zukunftsfähig, weil es an den Wünschen vieler Eltern - ich sage nicht: der Eltern - in Niedersachsen vorbeigeht.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Sie tappen durch einen ideologischen Nebel!)

Wenn Sie darauf beharren, dann verspielen Sie die einmalige Chance, einen wirklich tragfähigen Schulkonsens in Niedersachsen herzustellen. Diese Chance haben Sie nämlich jetzt. Im Moment scheint das aber an Ihnen zu scheitern.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wir haben unsere Vorschläge gemacht, Herr Klare. Da haben Sie eben nicht die Wahrheit gesagt, oder Sie haben unseren Antrag noch nicht einmal gelesen. Wir haben unsere Vorschläge dazu gemacht, wie der Schulkonsens nachgebessert werden muss. Darüber werden wir Donnerstagnachmittag im Rahmen unseres Antrags beraten.

Ich kann Sie nur auffordern, sich unseren Vorschlägen zu öffnen, damit wir noch zu einem tragfähigen Schulkompromiss, einem Schulfrieden in Niedersachsen kommen. Dass man sich wirklich darum bemüht, können alle Niedersachsen, die Schülerinnen und Schüler, die Eltern und die Lehrkräfte von einer Landesregierung erwarten. Keine weitere Blockadehaltung!

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN sowie Zu- stimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich erteile dem Kollege Dürr von der FDP-Fraktion das Wort.

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Der Ret- ter des Gymnasiums! - Andrea Schrö- der-Ehlers [SPD]: Freiheit!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen auch von der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen! Frau Korter, wir sind unterschiedlicher Meinung in der Sache, aber ich will Ihnen zugestehen, dass die Grünen in den letzten Monaten durchaus das eine oder andere Konzept vorgestellt haben - jedenfalls im Vergleich zu dem, was Frau Kollegin Heiligenstadt hier gerade geboten hat, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Sigrid Leuschner [SPD]: Och nee! - Reinhold Coenen [CDU]: Das war abenteuerlich!)

Das letzte Mal, als die SPD massiv in die Schulstruktur in Niedersachsen eingegriffen hat, hat sie die Orientierungsstufe eingeführt.

(Frauke Heiligenstadt [SPD]: Sie ha- ben wohl vergessen, was wir vor zwei Jahren vorgelegt haben!)

Inzwischen sitzen hier Kolleginnen und Kollegen im Landtag - mich eingeschlossen -, die unter dieser Schulform gelitten haben, meine Damen und Herren, und die wissen, dass die SPD allein deshalb nie wieder schulpolitische Verantwortung in diesem Land übernehmen darf.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Zurufe von der SPD - Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Es ist schade - das will ich ausdrücklich sagen -, dass Frau Kollegin Heiligenstadt hier eher zurückgeblickt hat.

(Detlef Tanke [SPD]: Nennen Sie doch mal Namen!)

Aber lassen Sie auch mich einen Rückblick wagen; denn das passt argumentativ: Die SPD hatte 13 Jahre lang Zeit, Frau Heiligenstadt, die Integrierten Gesamtschulen in Niedersachsen flächendeckend zu ermöglichen. Es gibt zwei Varianten, warum das nicht geschehen ist. Variante 1: Sie wissen, dass das der falsche Weg gewesen wäre. Variante 2: Sie ist vor Ort doch nicht so gewollt, wie von Ihnen

vorhin behauptet, meine sehr verehrten Damen und Herren.