Protokoll der Sitzung vom 10.11.2010

Meine Damen und Herren, wir werden das Geschehen in der nächsten Zeit sorgsam beobachten und dabei auch betrachten - das sollte uns wirklich alarmieren -, inwieweit Linksextremisten bereits erfolgreich Teile des bürgerlichen Protestspektrums beeinflussen konnten. Wenn das der Fall wäre, müssten wir nicht nur davor warnen, sondern müssten wir uns auch Strategien überlegen, um das zu verhindern. Das würde der Protestbewegung insgesamt nicht gut tun, sondern, im Gegenteil, die Versammlungsfreiheit insgesamt gefährden.

(Starker Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir müssen immer wieder deutlich machen: Die Akzeptanz von Gewaltlösungen ist in jeder Hinsicht ein Spiel mit dem Feuer. Das fängt bereits bei der Gewalt gegen Sachen an.

Meine Damen und Herren, ich möchte auch noch einem Missverständnis vorbeugen, das im Zusammenhang mit Schienen- und Straßenblockaden hervorgerufen werden könnte. Schienen- und Straßenblockaden können zwar Ausdruck friedlichen Protests sein, sofern sie nicht auf die faktische Verhinderung des Transports angelegt sind. Beim diesjährigen Castortransport waren die Blockaden vielfach auch Ausdruck friedlichen Protestes. Allerdings darf nicht der unzutreffende Eindruck entstehen, dass diese Blockaden rechtmäßig wären. Blockaden auf Gleisanlagen sind bereits Ordnungswidrigkeiten nach der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung.

(Björn Thümler [CDU]: So ist es!)

Dazu kommt, dass Straßen- und Schienenblockaden entlang der Transportstrecke von Lüneburg nach Gorleben aufgrund der Allgemeinverfügung der Polizeidirektion Lüneburg verboten sind. Eine Teilnahme an einer verbotenen Versammlung ist eine Ordnungswidrigkeit. Für den Leiter und den Veranstalter ist die Durchführung einer verbotenen Versammlung sogar eine Straftat. Aktionen, die auf die Substanz der Fahrbahn oder des Gleisbettes einwirken, wie beispielsweise Ankettungen oder Einbetonierungen, sind ohnehin strafbar.

Meine Damen und Herren, ich betone dies an dieser Stelle deshalb ausdrücklich, weil ich den Eindruck habe, dass viele die Rechtslage nicht kennen oder bewusst verkennen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Karl-Heinrich Langspecht [CDU]: Vor allem Letzteres! - Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Wenn namhafte Vertreter politischer Parteien zu Sitzblockaden aufrufen oder sogar daran teilnehmen, dann sind sie mitnichten leuchtende Vorbilder des zivilen Protestes. Vielmehr tragen sie zur Legitimation von Rechtsverstößen bei. Das ist mit meinem Rechtsempfinden nicht vereinbar.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Björn Thümler [CDU]: Mit meinem auch nicht! - Miriam Staudte [GRÜ- NE]: Ein unterentwickeltes Rechts- empfinden! - Gegenruf von Björn Thümler [CDU]: Das ist eine Unver- schämtheit!)

- Was hat sie gesagt?

(Jens Nacke [CDU]: Sie hat dem In- nenminister ein unterentwickeltes Rechtsempfinden vorgeworfen! - Wei- tere Zurufe - Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Frau Staudte, Ihr Zwischenruf zeigt mir, dass man gerade auch hier im Parlament diese Rechtsauffassung nicht häufig genug darstellen kann.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Unruhe - Glocke des Präsi- denten)

Lassen Sie mich aber auch auf die Kostenverteilung eingehen. Bei den letzten Transporten lagen die Mehrbelastungen für das Land Niedersachsen zwischen 21 Millionen und 25 Millionen Euro. In diesem Jahr dürfte der Betrag noch höher ausfallen. Bereits die Ankündigung, die Laufzeiten der Kernkraftwerke zu verlängern, hat die öffentliche Debatte neu entfacht und eine hohe Bereitschaft zu Protestaktionen ausgelöst.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Das haben Sie richtig erkannt! - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das war wohl zu erwarten!)

- Fakten muss man ja darstellen dürfen!

Die Proteste gegen den Castor haben quantitativ und qualitativ ein Ausmaß erreicht, welches das der Vorjahre deutlich übersteigt.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Ursula Helm- hold [GRÜNE]: Ja!)

Für die Polizei hat dies zur Folge, dass massive personal- und kostenintensive Maßnahmen zum Schutz dieser Transporte ergriffen werden müssen. Mit dem Schutz der Atomtransporte und mit zentralen Zwischenlagern gewährleisten die Länder - neben Niedersachsen auch MecklenburgVorpommern und Nordrhein-Westfalen - zu ihren Lasten eine sichere Entsorgung der radioaktiven Abfälle aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Das sind keine Endlager, sondern Zwischenla- ger! - Kurt Herzog [LINKE]: Entsor- gung?)

Die Entsorgung ist aber eine Angelegenheit von nationaler Tragweite. Sie betrifft eben nicht nur einzelne Länder, insbesondere Niedersachsen,

sondern ist eine Sicherheitsaufgabe von gesamtstaatlicher Bedeutung.

(Zustimmung von Björn Thümler [CDU])

Für solche durch den Bund veranlasste Sonderbelastungen einzelner Länder sieht Artikel 106 Abs. 8 Grundgesetz Ausgleichsleistungen des Bundes vor. Die Auslegung dieser Verfassungsnorm ist zwischen Niedersachsen und dem Bund allerdings seit vielen Jahren strittig. Der Bund hat anlässlich der vergangenen Transporte bislang keinen Ausgleich für die niedersächsischen Sonderbelastungen geleistet. Bei allem Verständnis für die Haushaltszwänge des Bundes trete ich weiterhin dafür ein, dass der Bund seiner verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Verpflichtung zum Sonderlastenausgleich nachkommt.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, darüber hinaus beschert die Laufzeitverlängerung dem Bund beachtliche Mehreinnahmen. Ich glaube, man darf daran erinnern: Es ist schlicht inakzeptabel, dass man auf der einen Seite die Mehreinnahmen aus der Laufzeitverlängerung in die Kasse steckt und vielleicht auch in andere Dinge investiert, aber die Länder, die für die Sicherheit sorgen müssen, insbesondere Niedersachsen, im Regen stehen lässt. Das kann kein Niedersachse in irgendeiner Weise verstehen!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Christian Meyer [GRÜNE]: Das hätten Sie im Bundesrat bei der Laufzeitver- längerung ansprechen und koppeln können! - Wolfgang Jüttner [SPD]: Nichts hat er gemacht!)

- Herr Jüttner, ich will ja gerade sagen, was ich gemacht habe.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Ich meine Herrn McAllister!)

- Auch Herr McAllister. Sie können sich sicherlich vorstellen, dass zwischen dem Ministerpräsidenten und dem Innenminister alle Dinge, die getan werden, nicht nur abgesprochen, sondern gemeinsam gemacht werden. Das ist in dieser Landesregierung Tradition. Deshalb sind wir auch erfolgreich.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Der Kollege Bartling, aber auch der Kollege Glogowski haben in der Vergangenheit natürlich - wie

auch ich - in der Innenministerkonferenz versucht, die Solidarität der Länder auch in der Kostenfrage zu erreichen. Ich muss zugeben, dass das sehr schwierig ist; denn auch die anderen Länder sagen: Warum sollen uns die Mehrbelastungen nicht bezahlt werden? Denn es ist ja eine nationale Aufgabe. - Deshalb versuche ich, auf der Innenministerkonferenz in der nächsten Woche einen Beschluss herbeizuführen, nachdem sich wohl alle Innenminister einig sind, dass das eine Sonderlast ist. Dann wird es für die Bundesregierung schwierig zu sagen: Mal gibt es eine Sonderlast für einen G-8-Gipfel und mal für andere Bereiche. - Nein, die Entsorgung gerade auch von Atommüll ist eine ganz besondere Situation.

Deshalb freue ich mich über die Solidarität von Herrn Herrmann aus Bayern - das ist in diesen Tagen nicht immer so gewesen -, von Herrn Körting und auch aus anderen Ländern, die gesagt haben: Wir unterstützen diese Initiative. - Ich bin sehr optimistisch, dass wir nicht nur ins Gespräch kommen, sondern dass wir dann auch eine Lösung für Niedersachsen und die anderen betroffenen Länder erreichen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Kreszentia Flauger [LINKE]: Sorgen Sie dafür, dass nicht noch mehr davon produziert wird!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der diesjährige Castortransport war nicht der letzte Transport, der ins Zwischenlager nach Gorleben zu verbringen sein wird - es sei denn, die Alternativen, die gestern auch vom Kollegen Sander genannt worden sind, greifen. Ich finde, es ist ernsthaft zu prüfen, ob nur das Zwischenlager Gorleben geeignet ist. Ich glaube, es ist richtig, dass wir auch andere Standorte ernsthaft prüfen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜ- NEN - Unruhe - Glocke des Präsiden- ten)

Ich habe zu Beginn meiner Regierungserklärung darauf hingewiesen, dass wir uns nicht verstecken und vor der Verantwortung drücken können. Wir können nicht sagen, dass andere Länder die Zwischenlagerung und Endlagerung vornehmen sollen. Das wäre sicherlich nicht ehrlich und nicht richtig. Deshalb müssen wir feststellen, dass noch ein Transport aus La Hague und die Rückführung von radioaktivem Abfall aus der Wiederaufarbeitungsanlage Sellafield anstehen.

Meine Damen und Herren, es liegt in der gemeinsamen Verantwortung aller Demokratinnen und Demokraten in unserem Land, auch die künftigen Transporte sicher durchzuführen und gleichzeitig friedlichen Protest zu gewährleisten. Das wird jedoch nur gelingen, wenn wir nicht zulassen, dass militante Störer den Protest radikalisieren. Gewalttätige Aktionen schaden dem Ansehen des friedlichen Protests.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, deshalb gilt es, sich hiervon klar abzugrenzen. Wenn nötig, muss gegen den Missbrauch der Demonstrationsfreiheit konsequent eingeschritten werden.

Die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten haben einen schwierigen Auftrag zu erfüllen. Sie haben das in den letzten Tagen mehrfach und, wie ich finde, eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Unsere Polizisten schützen die Versammlungsfreiheit gegen Missbrauch. Sie handeln dabei mit Augenmaß. Nicht sie, sondern gewalttätige Demonstranten sind es, die unsere Freiheit und den Rechtsstaat zur Disposition stellen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, deshalb ist es mir ein ganz besonderes Bedürfnis, am Ende der Regierungserklärung

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Sie sind auch am Ende!)

allen Einsatzkräften noch einmal ganz herzlich zu danken. Sie haben einen wirklich hervorragenden Job gemacht. Herzlichen Dank!

(Starker, nicht enden wollender Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich halte fest: Die Regierungserklärung hat 36 Minuten gedauert. Dementsprechend erhöhen sich die Redezeiten für die großen Fraktionen auf 36 Minuten und für die drei kleinen Fraktionen auf 18 Minuten.

Ferner stelle ich die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Bevor der nächste Redner das Wort erhält, erteile ich dem Kollegen Perli einen Ordnungsruf und fordere ihn auf, den Button umgehend von seinem Jackett zu entfernen. Er ist, so wie ich es von hier sehen kann, der einzige Abgeordnete, der sich heute nicht an die Absprache hält. Es gibt feste