Protokoll der Sitzung vom 09.12.2010

Ich rufe zunächst für die SPD-Fraktion die Kollegin Dr. Andretta auf, die zu einem Teil 1 spricht - was immer das bedeutet.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute den ersten Hochschuletat der neuen Ministerin. Wer nun hoffte, dass nach sieben langen Jahren der Stagnation der ersehnte Aufbruch kommt, sieht sich beim Blick in den Haushalt eines Besseren belehrt.

(Zustimmung bei der SPD - Karl- Heinz Klare [CDU]: Das war aus der letzten Rede! Ich kann mich noch gut erinnern!)

Kein einziger neuer Impuls, keine einzige neue Idee, von Aufbruch keine Spur. Trotz neuer Herausforderungen bleiben die Hochschuletats weiter eingefroren. Das Pflichtprogramm wird auf niedrigem Niveau erledigt.

Auch 2011 wird eine neue globale Minderausgabe brav beim Finanzminister abgeliefert. Bauinvestitionen werden zusammengestrichen, und die Erwachsenenbildung wird geplündert.

Dort, wo es im Haushalt Zuwächse gibt - und die gibt es -, sind es aber ausschließlich Bundesprogramme wie der Pakt für Forschung und Innovation, die Exzellenzinitiative oder der Hochschulpakt, die hier zu Aufwüchsen führen. All das, meine Damen und Herren, sind aber Programme, die es ohne die SPD nicht gäbe und die gegen den Wi

derstand der CDU-Landesfürsten durchgesetzt werden mussten.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage das deshalb, weil Sie heute so tun, als hätten Sie all das erfunden. Eigene neue Impulse im Haushalt sucht man dagegen vergebens. Dabei hätten Sie, Frau Wanka, die Chance dazu gehabt. Der öffentliche Druck, mehr in Bildung zu investieren, ist angesichts der demografischen Entwicklung und der drohenden Fachkräftelücke hoch. Das Ziel, bis zum Jahr 2015 10 % des Sozialprodukts in Bildung und Forschung zu investieren, hat Niedersachsen mitbeschlossen.

Auch beim Thema Studiengebühren hätten Sie als ehemals bekennende Studiengebührengegnerin die Chance zum Ausstieg ergreifen können. Studiengebühren - das wissen wir doch alle - sind längst zum Auslaufmodell geworden. In Ostdeutschland wurden sie nie eingeführt, in Westdeutschland werden sie gerade peu à peu wieder abgeschafft, auch von CDU-Ministerpräsidenten. Warum also nicht auch hier?

(Beifall bei der SPD)

Frau Ministerin, Sie haben es vorgezogen, mit dem Wechsel über die Landesgrenze auch Ihre Meinung zu wechseln. Schnell ging das bei Ihnen.

Meine Damen und Herren, auch beim Thema Studienplätze hat diese Landesregierung die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Sie bejubelt die steigenden Studienanfängerzahlen und die steigende Studierneigung. Das ist toll - keine Frage. Doch das bedeutet auch Verantwortung. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Studienplätze trotz Hochschulpakt nicht reichen werden. Die alten KMKPrognosen sind längst überholt. Die HRK fordert, dass Bund und Länder deutlich mehr Studienplätze als im Hochschulpakt vereinbart bereitstellen, auch in den harten NC-Fächern. Wir fragen: Wo ist Ihr Beitrag, Frau Wanka? Was haben wir dazu von Ihnen gehört? - Außer Selbstbeweihräucherung wenig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

In der Debatte, die wir hier im Landtag über die dringend benötigten zusätzlichen Medizinstudienplätze geführt haben, haben Sie die jungen Menschen auf die ostdeutschen Universitäten verwiesen, wo freie Studienplätze auf sie warten würden. Als wir dann von Ihnen wissen wollten, wo denn genau die freien Studienplätze zu finden seien, mussten Sie kleinlaut einräumen, dass es keinen

einzigen gab. Bundesweit kamen in diesem Wintersemester mehr als 40 000 Bewerberinnen und Bewerber auf 8 600 Studienplätze. Lediglich im Nachrückverfahren konnten an der Universität Jena ganze sechs Studienplätze vergeben werden. Zehntausende gingen leer aus, Jahr für Jahr.

(Beifall bei der SPD)

Nächstes Thema: Das Aussetzen der Wehrpflicht, von der Bundesregierung zum 1. Juli 2011 beschlossen, also genau in dem Jahr, in dem wir unsere doppelten Abiturjahrgänge erwarten. Alle wissen: Da kommen natürlich mehr Bewerberinnen und Bewerber auf die Hochschulen zu. Nach den Angaben der Länder werden 60 000 zusätzliche Studienplätze benötigt. In Niedersachsen werden es 5 000 bis 6 000 zusätzliche Studienplätze sein. Wie treffen Sie für den Ansturm Vorsorge, Frau Ministerin? - Bisher haben wir noch nichts Konkretes gehört. Stattdessen: beschwichtigen, vertrösten, vertagen. - Wir nennen das „Flucht aus der Verantwortung“.

(Beifall bei der SPD)

Für die SPD steht fest: Niedersachsen muss den Bund hier in die Pflicht nehmen; denn eines ist doch klar: Der Bund ist Verursacher dieser Situation und muss dann auch dafür geradestehen. Der gerade von Ihrer Parteifreundin Frau Schavan angekündigte Verschiebebahnhof der Kosten zulasten der Länder, Frau Ministerin Wanka, ist jedenfalls keine Lösung.

Meine Damen und Herren, ein Kernthema der nächsten Jahre wird sein, wie der schon jetzt überall spürbare Fachkräftemangel gedeckt werden kann. Die OECD hat uns vorgerechnet, dass in den nächsten zehn Jahren auf 100 Akademiker, die in Rente gehen, nur noch 90 folgen werden. Das bedeutet: Wir haben in der Bundesrepublik das erste Mal die Situation, dass die Generation, die den Arbeitsmarkt verlässt, besser qualifiziert war als die Generation, die jetzt nachkommt.

Diese demografische Entwicklung ist eine schwere Hypothek für die Zukunft, und sie wiegt, meine Damen und Herren, besonders schwer für Niedersachsen; denn bei uns ist erstens der Anteil der hoch Qualifizierten an der Erwerbsbevölkerung deutlich geringer als in anderen Bundesländern, und zweitens haben wir im Ländervergleich mit die niedrigste Studierquote. Drittens ist Niedersachsen bei den Studierenden Auswanderungsland Nummer eins. Nahezu jeder Zweite, der hier sein Abitur

macht, geht anschließend in ein anderes Bundesland zum Studieren.

Natürlich ist es schön, wenn junge Menschen mobil sind. Doch wer zum Studium nach München, Stuttgart, Berlin oder Hamburg geht, findet dort auch attraktive Arbeitsplätze und bleibt nach dem Studium gleich dort. „Klebeeffekt“ nennen das die Soziologen. Das Nachsehen hat wer? - Niedersachsen.

Wie sieht es bei uns aus? - Obwohl wir mit Hannover, Braunschweig und Clausthal drei große Technische Universitäten haben - sogar veredelt als NTH -, bleiben dort Studienplätze in Elektrotechnik und Maschinenbau leer. Auch bei den Bauingenieuren ist nur jeder zweite Studienplatz besetzt. Es sind aber nicht nur die leer bleibenden Studienplätze, die uns alarmieren müssten, es sind vor allem die hohen Abbrecherquoten in den MINTFächern. Abbrecherquoten von 60 bis 70 % sind keine Seltenheit. Es soll Professoren geben, die sich sogar noch damit brüsten. Hier, Frau Wanka, besteht dringender Handlungsbedarf. Nichts aber ist geschehen in den letzten Jahren.

(Beifall bei der SPD)

Doch, meine Damen und Herren, es wird Sie nicht wundern: Auch hier Fehlanzeige. Da schmückt man sich doch lieber mit einer schönen IdeenExpo. Die bringt zwar keine zusätzlichen Ingenieure, dafür aber Glanz für die Landesregierung. Was will man mehr?

Meine Damen und Herren, wir brauchen zukünftig nicht mehr nur mehr Ingenieure. Auch in anderen hoch qualifizierten Berufen wird der Nachwuchs knapp.

(Ulf Thiele [CDU]: Warum müssen Sie die guten Dinge eigentlich immer schlechtreden? Immer reden Sie die guten Dinge in diesem Land schlecht! - Gegenruf von der SPD: Hören Sie doch einfach einmal zu!)

- Das tut weh. Ich weiß, dass das weh tut. Das sind aber leider die Fakten. Die haben aber nicht wir zu verantworten, sondern Sie haben Sie zu verantworten.

(Beifall bei der SPD - Ulf Thiele [CDU]: Das ist falsch, was Sie da sagen!)

Meine Damen und Herren, auch in anderen Berufen wird der Nachwuchs knapp. Deshalb müssen wir zukünftig mehr tun, um auch jenen jungen Menschen die Hochschulen zu öffnen, die das

Pech hatten, nicht Akademikereltern zu haben. Für die SPD gilt: Ein Studienwunsch darf nicht am Geld scheitern. Deshalb werden wir die Studiengebühren wieder abschaffen.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der SPD: Jawohl! Das ist gut so!)

Meine Damen und Herren, sowohl die von Frau Schavan in Auftrag gegebene und anschließend in der Schublade versteckte Studie der HIS als auch die aktuelle Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks belegen, dass vor allem Studierende aus einkommensschwächeren Elternhäusern durch die Gebühren belastet werden. Fast jeder fünfte von ihnen verzichtet daher auf ein Studium. Laut aktueller Sozialerhebung ist der Anteil der Studierenden aus den ärmeren Schichten im Bundesdurchschnitt leicht gestiegen, aber nicht so in Niedersachsen. An unseren Hochschulen studieren immer weniger Kinder aus einkommensschwächeren Familien. Da nutzt Ihnen Ihr schönes Mantra über die beglückenden Wirkungen von Studiengebühren gar nichts. Das sind Fakten. Das ist ein Armutszeugnis Ihrer Politik.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Wir werden Studiengebühren abschaffen, sind uns aber der Verantwortung für eine gute Lehre, gerade im Rahmen einer offenen Hochschule, bewusst. Wir werden daher den Einnahmeausfall für die Hochschulen kompensieren und die Studiengebühren in voller Höhe gegenfinanzieren. 95 Millionen Euro stellen wir in unserem Haushalt den Hochschulen für eine Verbesserung der Lehre zur Verfügung.

(Vizepräsident Hans-Werner Schwarz übernimmt den Vorsitz)

(Zuruf)

- Sie haben einen verfassungswidrigen Haushalt zu verantworten, nicht wir.

(Beifall bei der SPD - Johanne Mod- der [SPD]: Genauso ist das! - Zuruf von der CDU: Ihr habt euch eurer Verantwortung entzogen!)

Diese 95 Millionen sind für uns eine Zukunftsinvestition.

Zum Schluss noch eine Bemerkung zur Kürzung in der Erwachsenenbildung. Es ist die Erwachsenenbildung, die oft jenen eine zweite Chance gibt, die keine erste hatten, und so einen wichtigen Beitrag

zur Bildungsgerechtigkeit leistet. Deshalb ist es besonders bitter, Frau Ministerin, dass Sie ausgerechnet bei den nachholenden Haupt- und Realschulabschlüssen den Rotstift angesetzt haben.

(Beifall bei der SPD)

Ohne Schulabschluss haben junge Menschen keine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Meine Fraktion stellt der Erwachsenenbildung wieder den vollen Betrag zur Verfügung.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Karl-Heinz Klare [CDU]: Würde zur Verfügung stellen!)

Meine Damen und Herren, in unserem Haushalt stocken wir den Hochschuletat um zusätzlich 100 Millionen Euro auf. Wir wissen, dass mit dieser Summe nicht alle Herausforderungen bewältigt werden können. Ich erinnere an den Bedarf von zusätzlichen Masterstudienplätzen, den notwendigen Ausbau der Offenen Hochschule oder aber auch den Einstieg in ein Erwachsenen-BAföG. Gerne, meine Damen und Herren, hätten wir dafür die Mövenpick-Millionen zur Verfügung gestellt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir sind uns sicher: Statt die reiche Klientel von CDU und FDP hier zu bedienen, wäre das Geld in unseren Schulen und Hochschulen besser angelegt gewesen.