Protokoll der Sitzung vom 19.01.2011

(Oh! bei der CDU - Frank Oesterhel- weg [CDU]: Die gab es im Osten nicht? Solch ein Schwachsinn!)

Das Mindeste, was wir jetzt tun müssen, ist, alles daranzusetzen - - -

(Karl-Heinrich Langspecht [CDU]: Volkskammer pur! Solch eine Unver- schämtheit! - Weitere Zurufe von der CDU und von der FDP - Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Adler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thiele?

Nein, jetzt nicht. Ich kann mir schon denken, was er fragen will. Aber die Antwort bekommen Sie in der Aktuellen Stunde.

(Ulf Thiele [CDU]: Zur Umweltbelas- tung in der ehemaligen DDR will ich fragen!)

Herr Kollege Thiele, von Ihrem Platz aus geht das nicht. Ich bitte Sie um Zurückhaltung. - Jetzt hat Kollege Adler das Wort und, wie ich hoffe, auch die entsprechende Aufmerksamkeit.

(Karl-Heinrich Langspecht [CDU]: Das ist aber schwer erträglich!)

Das Mindeste, was wir jetzt tun müssen, ist, alles daranzusetzen, die damit verbundenen Probleme und Risiken weitestgehend zu begrenzen. Das heißt: wirksame Kontrolle vor allem der Industrie, die die Futtermittel herstellt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir können das Problem nicht dadurch lösen, die Lebensmittel einfach teurer zu machen. Denn was wollen Sie denen empfehlen, die sich ökologisch produzierte Lebensmittel nicht leisten können? Sollen sie minderwertige oder gesundheitsschädliche Lebensmittel zu sich nehmen? - Das geht wohl keinesfalls.

Sie, Herr Minister, haben in Ihrer Rede keinen Ausblick auf eine neue Landwirtschaftspolitik gewagt. Stattdessen haben Sie gesagt: Ich halte es nicht für vernünftig, die Agrarförderung an eine möglichst große Zahl von Arbeitskräften zu binden. - Warum denn nicht? Die Linke hat einen konkreten Vorschlag zur zukünftigen Agrarförderung ausgearbeitet, nach dem die Subventionen nach ökologischen Kriterien auch an Arbeitskräfte gekoppelt werden sollen.

Es ist richtig: Agrarsubventionen müssen ganz anders eingesetzt werden. Sie müssen lenkend wirken: für eine gesunde Ernährung, für den Erhalt der Natur, für die Pflege der Landschaften, für den Erhalt von Arbeitsplätzen. Es darf nicht darum gehen, die Produktionszahlen um jeden Preis zu erhöhen.

(Beifall bei der LINKEN)

Exportsubventionen bringen nämlich spätestens dann nichts mehr, wenn Länder wie Dänemark oder China Einfuhrverbote für deutsches Schweinefleisch verhängen, weil hier Landesregierungen die Situation nicht im Griff haben und damit die Gesundheit der Konsumenten weltweit gefährden.

(Beifall bei der LINKEN - Karl-Heinrich Langspecht [CDU]: Unsinn! - Frank Oesterhelweg [CDU]: Das war noch nicht mal gut abgelesen!)

Ich erteile jetzt dem Kollegen Wenzel das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Thümler, zu Ihrer Frage: Bestes Beispiel für die Verbindung mit den Strukturen der Agrarindustrie ist Ihre ehemalige Landwirtschaftsministerin. Dem brauche ich ja wohl nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD - Björn Thüm- ler [CDU]: Ist das flach!)

Herr Thümler, das Kernproblem in der Auseinandersetzung der letzten Tage liegt darin, dass we

der die Bundesregierung noch die Landesregierung bereit sind, die risikoreiche industrielle Herstellung von Lebensmitteln und die Missachtung des Tierschutzes grundsätzlich infrage zu stellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Risiko, erwischt zu werden, ging doch in der Futtermittelbranche gegen null - gegen null! Wenn man Herrn Lindemann bei seinem Interview gestern beim Wort nimmt und das umrechnet, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass für eine Futtermühle das Risiko, dass dort eine Dioxinprobe genommen wird, nur alle 80 Jahre einmal besteht, meine Damen und Herren.

(Vizepräsident Dieter Möhrmann über- nimmt den Vorsitz)

Gemeinhin sprechen wir in solchen Fällen von rechtsfreien Räumen. Die hat es hier gegeben. Im Bereich der industriellen Tierfutterproduktion hat man Tür und Tor für Missbrauch und kriminelle Handlungen geöffnet. Ob hier nur einzelne Kriminelle am Werk waren, Herr Thümler, Herr Lindemann, oder ob ein ganzes Netzwerk dafür gesorgt hat, dass die Fleischtheke zur Sondermülldeponie wurde, wissen wir noch nicht, weil wir noch keinen vollständigen Einblick haben.

Meine Damen und Herren, gestern konnte man in einem der Interviews von Herrn Lindemann lesen, dass die Großen der Branche - so haben Sie sich ausgedrückt - nicht betroffen seien. Dazu hätten wir gerne Genaueres gewusst. Wenn Chloramphenicol - ein Antibiotikum - in Vitaminpräparaten der Firma Lohmann aus Cuxhaven auftaucht, dann sind wir bei der Wesjohann-Gruppe und bei Wiesenhof. Und das sind eindeutig die Großen der Branche, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Bis heute sind noch nicht einmal die Namen aller 20 betroffenen Futtermühlen in Niedersachsen bekannt, geschweige denn die Namen der Handelsketten, die verseuchte Lebensmittel verkauft haben. Stattdessen werden alle Bauern und alle Händler in Mithaftung genommen - auch diejenigen, die untadelige Produkte anbieten. Denn wenn Sie bei einem solchen Skandal keine Namen nennen, dann machen Sie am Ende alle verdächtig. Das ist Ihr Versagen!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Bei allen Auseinandersetzungen über die Straftaten, die Kontrollfehler und das Missmanagement

der letzten Wochen lautet die zentrale Botschaft dieser Krise: CDU und FDP - egal ob im Bund oder in Niedersachsen - schützen im Zweifel nicht diejenigen, die Lebensmittel verbrauchen, sondern diejenigen, die damit Geschäfte machen. Diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen.

Wenn bei Toyota eine Achse kaputt ist, dann wird der Name der Firma genannt und gibt es eine Rückrufaktion. Das ist bis heute im Lebensmittelsektor offenbar nicht Usus. Da wartet man, bis die Produkte aufgegessen sind.

So kann es in Zukunft nicht mehr weitergehen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Sie haben nicht die Courage, die ganz offensichtlichen Fehler und Versäumnisse einzugestehen. Mittlerweile schicken Märkte wie China, Südkorea, Russland oder Italien die Ware ganz oder teilweise zurück. Mittlerweile liegt der materielle Schaden weit über 100 Millionen Euro.

Eigentlich hätte heute hier der Ministerpräsident McAllister reden müssen

(Zuruf von den GRÜNEN: Genau!)

und nicht Sie, Herr Landwirtschaftsminister.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Mit dem Chaos der letzten Wochen hatten Sie ja offensichtlich noch nichts zu tun. Es fragt sich nur, warum Sie hier die Regierungserklärung abgeben mussten.

(Ulf Thiele [CDU]: Weil er der zustän- dige Minister ist!)

Herr Ministerpräsident, Sie haben sich einen schlanken Fuß gemacht. Sie sind in diesem Skandal der oberste Zauderer und Zögerer.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Sie haben zugesehen, wie der Staatssekretär vor der Presse mehrfach Entwarnung rief und die Verbraucher beruhigt hat. Kurze Zeit später musste er sich korrigieren. Dreimal gab es solche Fehlmeldungen. Was meinen Sie, was das an Vertrauen kostet?

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Sie halten es wohl für staatsmännisch, Herr McAllister, wenn Sie sich aus den Mühen der Ebene

fernhalten. Sie haben nun schon fast vier Wochen hilflos zugeschaut, wie dieses Desaster seinen Lauf nahm.

Der Streit geht nicht darum, ob Herr McAllister, Herr Sander, Herr Ripke oder Frau Aigner der oder die Unfähigere im Dioxinland war oder ist. Der Streit geht um die Frage, ob die vier recht haben, wenn sie unisono erklären, es müsse keine Agrarwende geben. Das meint allerdings auch Herr Lindemann. Deshalb haben wir wenig Hoffnung auf einen Neuanfang.

Es geht auch nicht um Nostalgie oder heiles Leben auf dem Lande, Herr Lindemann. Es geht um die Frage, ob Lebensmittel künftig nur noch in zentralen Agrarfabriken mit weltweiten Futterquellen und am Ende noch mit Billiglöhnerkolonnen produziert werden oder ob dezentrale regionale Produktion und bäuerliche Werte wieder mehr Gewicht erlangen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Es geht um die Frage, ob wir uns künftig von Designerfood und Chicken McNuggets ernähren oder ob unsere Kinder noch wissen, wie man Königsberger Klopse oder Grünkohl mit Pinkel kocht.