Protokoll der Sitzung vom 20.01.2011

Dabei steht dieser Trick durchaus im Widerspruch zur Fachwelt. Ich zitiere aus dem Bundesbildungsbericht des Jahres 2008, in dem die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausdrücklich sagen, dass - ich zitiere - „Angebote, die auf eine anschließende Ausbildung als erstes Jahr angerechnet werden können“, ausdrücklich zum Übergangssystem zählen. Das haben wir vorhin schon gehört, aber Sie nehmen einfach nicht zur Kenntnis, dass Ihre Zahlen eine Fälschung der Statistik bedeuten.

(Beifall bei der LINKEN)

Genau das leisten die Berufsfachschulen, wie ich eben sagte. Herr Bode, gehen Sie also keinen statistischen Sonderweg mit frisierten Zahlen, sondern machen Sie ehrliche Angaben mit bundesweit akzeptierten Standards. Nur so können Sie den Jugendlichen helfen. Im Übrigen können Sie auch nur so eine vernünftige Diskussion über die Frage in Gang bringen, wie man den jungen Menschen hilft. Nur mit Phrasen kommen wir nicht weiter.

(Beifall bei der LINKEN)

Und auch an einem anderen Punkt wollen Sie die Augen zukneifen, nämlich bei der Frage: Wie viele Jugendliche tauchen in keiner Statistik mehr auf? - Anders gefragt: Wie viele junge Menschen erreichen wir gar nicht mehr? - Diese Frage konnten Sie weder heute Morgen noch heute Nachmittag beantworten, weil es keine Daten gibt. Diese jungen Menschen lassen wir einfach unter den Tisch fallen.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Dörthe Weddige-Degenhard [SPD] - Zuruf von Enno Hagenah [GRÜNE])

- Genau das wollte ich eben sagen. - Und dann scheint das Motto zu gelten: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. - Danke, Herr Hagenah.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Wie gesagt, wir brauchen eine integrierte Statistik, die bundesweit erfasst, wie viele Schulabgänger wir haben, und wie viele anschließend in Übergangssystemen landen, eine berufliche Ausbildung oder ein Studium beginnen oder aber auf der Straße sitzen.

Aber bei allem Negativen gibt es ja immer auch etwas Positives zu berichten. Übergangssysteme können auch durchaus helfen - was heute aber auch niemand bestritten hat. Eine bundesweite Erhebung des Bundesinstituts für berufliche Bildung hat gezeigt, dass besonders für Schüler, die maximal einen Hauptschulabschluss haben, die Teilnahme an einer berufsvorbereitenden Maßnahme hilfreich ist, solange diese Maßnahme zu einem höheren Schulabschluss führt. In der Antwort auf diese Anfrage sehen wir aber, dass diese Höherqualifizierung eher die Ausnahme als die Regel ist. Maximal ein Viertel der Teilnehmer kann sich hier verbessern.

Für Jugendliche mit Realschulabschluss hingegen hat die Maßnahme im Übergangssystem keinen Einfluss auf die Chancen, wie die Antwort auf die Große Anfrage zeigt. Für diese Jugendlichen, die den Großteil in den Übergangssystemen ausmachen, handelt es sich dabei um eine reine Warteschleife.

Da die rote Lampe auch für mich gilt, komme ich zum Schluss: Fakt ist, dass 66 000 Bewerbern nur 49 000 Ausbildungsplätze gegenüberstehen. Das lässt sich nicht schönreden. Frau König, wenn Sie sagen, Sie lassen keinen zurück, auf Sie kann man sich verlassen, kann ich nur sagen: Wer dem vertraut, der ist verlassen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, den Standpunkt der CDU-Fraktion vertritt nun Frau Heister-Neumann. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Viele von uns werden sich erinnern:

Der Stolz über das Abiturzeugnis in der Hand,

die Gewissheit, dass die Schulzeit endgültig Geschichte ist,

und die Überzeugung: Uns steht die große weite Welt offen.

Für die meisten Schulabgänger gilt das auch heute noch. 78 700 von 85 900 Schulabgängern ist dies im Jahr 2009 geglückt. Sie sind nicht direkt in die sogenannten Übergangssysteme gewechselt, sondern haben eine Ausbildung oder ein Studium begonnen, einen Auslandsaufenthalt angetreten, ein Soziales Jahr begonnen oder andere Möglichkeiten gesucht. Leider gelingt dies nicht allen Jugendlichen. Im Jahr 2009 ist es 7 200 der 85 900 Schulabgängern nicht gelungen.

Meine Damen und Herren, es ist bitter für einen jungen Menschen, wenn Freunde von ihren ersten Erfahrungen in Ausbildung und Beruf berichten, er selbst aber nichts dazu beitragen kann, also außen vor bleibt. Ich kenne solche Jugendliche und habe mit ihnen auch gesprochen. Ihre Selbstzweifel und Frustrationen, die oftmals in Aggressionen münden, sind mit Händen zu greifen. Deshalb muss es das Ziel aller in Politik, Wirtschaft, Verwaltung und

Gesellschaft sein, die Zahl der Jugendlichen ohne Anschluss in die weitere Ausbildung zu verringern.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Daran ist in den vergangenen Jahren intensiv gearbeitet worden. Mit Erfolg: Die Jugendarbeitslosigkeit ist signifikant zurückgegangen. Im Dezember hatten wir in Niedersachsen die niedrigste Zahl jugendlichen Arbeitslosen aller Dezember seit 1998.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Im Jahresdurchschnitt hatten wir die geringste Jugendarbeitslosigkeit seit Anfang der 90er-Jahre. Auf diese Erfolge können wir gemeinsam stolz sein.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, worauf lassen sich diese Erfolge zurückführen? - Einige Stichworte hierzu:

Erstens lassen sie sich auf die Erhöhung der Anzahl der Ausbildungsplätze zurückführen. Dazu möchte ich Folgendes zitieren:

„Die Ausbildungssituation ist so gut wie seit Jahren nicht mehr … Während die Zahl der Schulabgänger in den vergangenen fünf Jahren um 5 % zurückgegangen ist, wuchs die Zahl der Ausbildungsplätze im gleichen Zeitraum um fast 15 %.“

So Herr Linde vom Industrie- und Handelskammertag.

Meine Damen und Herren, in Niedersachsen konnten zum Ende des Ausbildungsjahres zum dritten Mal in Folge mehr unbesetzte Ausbildungsstellen als unversorgte Bewerber vermeldet werden. Das niedersächsische Handwerk hat gestern nochmals dazu aufgerufen, angesichts des bevorstehenden doppelten Abiturjahrgangs verstärkt Ausbildungsplätze anzubieten.

Daran sieht man, dass wir alle gemeinsam bemüht sind, hier weiter voranzuschreiten. Dafür kann nicht genug gedankt werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Zweitens lassen sich die von mir genannten Erfolge darauf zurückzuführen, dass die Schulabbrecherquote von 10,4 % im Jahr 2003 auf nunmehr 6,2 % im Jahr 2010 kontinuierlich gesenkt werden konnte. Diese Entwicklung ist deshalb so wichtig,

weil das Gros derjenigen, die nicht unmittelbar im Anschluss an die Schule in eine Ausbildung kommen, über keinen Schulabschluss verfügt.

Das alles ist ein Erfolg der Unternehmen, der Bundesagentur für Arbeit, der Kommunen, unserer Lehrerinnen und Lehrer und dieser Landesregierung, die die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen und die Ressourcen zur Verfügung gestellt hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Im Bundesvergleich, den Sie ja immer so gerne heranziehen, ist in Niedersachsen die Anzahl der Schulabgänger, die keinen Anschluss in eine weitere Ausbildung gefunden haben, überdurchschnittlich gesunken.

Meine Damen und Herren, zur Wirklichkeit gehört auch, dass diejenigen, die keinen Ausbildungsplatz erhalten, besondere Bildungsdefizite schulischer oder anderer Art sowie soziale Beeinträchtigungen aufweisen.

(Johanne Modder [SPD]: Deswegen muss man ihnen helfen!)

Dieser Wirklichkeit nehmen sich die Maßnahmen der sogenannten Übergangssysteme von Bund, Land, Kommunen und BAG an. Neben der Möglichkeit, Schulabschlüsse nachzuholen, rücken dort zunehmend Angebote zur Steigerung der Sozialkompetenz und zur Förderung von Sekundärtugenden wie Fleiß und Leistungsbereitschaft in den Fokus.

Individuelle Beeinträchtigungen erfordern einen großen individuell ausgerichteten Einsatz. Der kostet den Steuerzahler sehr viel Geld. Deshalb ist es richtig, die Übergangssysteme inhaltlich und strukturell immer wieder auf den Prüfstand zu stellen, sie auf ihre Wirksamkeit hin zu hinterfragen und sie den geänderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen.

Meine Damen und Herren, das vorgelegte Datenmaterial zeigt zweierlei:

Erstens. Trotz eines hohen finanziellen und persönlichen Einsatzes der Verantwortlichen gelingt es nicht, allen Jugendlichen den Weg in die Ausbildung zu ebenen.

Zweitens. Der Arbeit der Übergangssysteme - der Berufseinstiegsschule, der Jugendwerkstätten oder der Eingliederungsmaßnahmen der Bundesagentur - ist es zu verdanken, dass auch Jugendliche in Ausbildungsplätze vermittelt werden konnten, die

ansonsten keinerlei Chance gehabt hätten. Der Minister hat es eben vorgetragen: zum Teil in einer Größenordnung von bis zu 40 und mehr Prozent.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das bedeutet nichts anderes, als dass die Übergangssysteme jungen Menschen sehr wohl Brücken bauen: von der Perspektivlosigkeit über jugendliche Untiefen hinweg zu der Möglichkeit eines selbstbestimmten Lebens in wirtschaftlicher Unabhängigkeit.

Meine Damen und Herren, jedem jungen Menschen, dem es gelingt, in Ausbildung und Beruf zu gelangen, eröffnet unsere Gesellschaft die Möglichkeit der Teilhabe und die Erfahrung persönlicher Wertschätzung. Nebenbei werden damit natürlich auch unsere Sozialsysteme dauerhaft entlastet.

Lassen Sie mich abschließend der Landesregierung und den zuarbeitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Ministerien im Namen der CDUFraktion sehr herzlich für die umfangreichen Informationen danken. Ich bin ganz sicher, meine Damen und Herren - es wurde schon darauf hingewiesen -, dass uns dieses Datenmaterial hinreichend Anlass geben wird, uns mit diesem Thema auch weiterhin zu beschäftigen und die erfolgreiche Arbeit dieser Landesregierung und ihrer Partner weiter voranzubringen. Dann werden wir das Ziel erreichen, noch mehr Jugendliche direkt nach dem Schulabschluss in Arbeit zu bringen - und darauf kommt es uns allen ja wohl an.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.