Protokoll der Sitzung vom 21.01.2011

(Victor Perli [LINKE]: Ganz einfach, Gesamtschulen für alle!)

Herr Minister, bitte!

(Unruhe bei der SPD und bei den Grünen)

Meine Damen und Herren, Sie müssen sich schon entscheiden: Entweder darf ich mich auf Ihre Fragen vorbereiten, sodass Sie korrekte Antworten bekommen - bisher war das alles korrekt -, oder Sie bekommen schwammige Antworten. Die können Sie auch bekommen. Dann gibt es wieder Geschäftsordnungsdebatten. Da ich das ein bisschen kenne, habe ich versucht, das zu vermeiden.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Unruhe bei der SPD und den GRÜNEN)

- Ich muss Sie mit den mir vorliegenden Informationen zu dem Thema, nach dem Sie fragen, zumindest so unterrichten, dass Sie heute fröhlich nach Hause fahren können.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP - Frauke Heiligen- stadt [SPD]: Langsam wird es pein- lich! - Weitere Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

- Nun lassen Sie mich doch antworten!

Ich habe mir einmal die Schullaufbahnempfehlungen und die Übergänge an die weiterführenden Schulen zu den Stichtagen 4. September 2008, 20. August 2009 und 19. August 2010 angeschaut. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Empfehlungen, die die Lehrkräfte nach der Grundschule aussprechen, und dem tatsächlichen Anwahlverhalten.

Beispiel: Am 4. September 2008 gab es in Niedersachsen insgesamt 39 % Empfehlungen für das Gymnasium. Diese Zahl ist im Übrigen in den letzten Jahren landesweit relativ konstant zu verzeichnen. Tatsächlich wurden 42,2 % an Gymnasien angemeldet, an den IGSen noch einmal 5,7 %.

Bezogen auf die Regionalabteilung Hannover ist dieser Statistik zum Stichtag 4. September 2008 zu entnehmen: Es gab 41 % Empfehlungen fürs Gymnasium. Angemeldet wurden 45,6 % und an den Integrierten Gesamtschulen noch einmal 8,7 %.

Für die Stadt Hannover weist diese Tabelle aus: Empfehlungen fürs Gymnasium - 46,7 %; tatsächlich angemeldet zum 4. September 2008 - 48,9 %.

(Claus Peter Poppe [SPD]: Und jetzt noch die Zahlen für Göttingen!)

- Die Zahlen für Göttingen habe ich jetzt nicht dabei; aber wenn Sie gestatten, würde ich meine Mitarbeiter bitten, mir diese Tabelle zu geben.

Ich will anhand dieser Zahlen darauf hinweisen, dass wir tatsächlich eine Diskrepanz zwischen den Empfehlungen und dem Anwahlverhalten der Eltern haben. Das hat letztendlich einen Grund: den freien Elternwillen, der in Niedersachsen nicht eingeschränkt werden soll. Die Eltern haben von ihrem Recht Gebrauch gemacht, zu glauben, zu wissen, was das Beste für ihre Kinder in Sachen Schullaufbahn ist.

In der Tat gibt es immer wieder einige, die zwar eine Empfehlung für die Hauptschule oder für die Realschule bekommen haben, die aber entgegen dieser Empfehlung das Gymnasium besuchen, dort nach einem Jahr oder zwei Jahren Tritt fassen, durchstarten und am Ende tatsächlich das Abitur erreichen.

Im Übrigen muss man in diesem Zusammenhang auch bedenken, dass die Anmeldungen an den Gymnasien in den letzten Schuljahren deutlichst zugenommen haben. Auch das war ein Problem im Hinblick auf den jetzt anstehenden doppelten Abiturjahrgang. Die Zahlen für die Laufbahnempfeh

lungen und für die tatsächliche Anwahl haben sich zum Teil doch deutlich unterschieden.

Wir haben im laufenden Schuljahr 228 000 Schüler an den öffentlichen Gymnasien. Noch im Schuljahr 2003/04 - da kommt die Abschaffung der Orientierungsstufe hinzu - waren es rund 144 000 Schüler. Jetzt sind fast 90 000 Schülerinnen und Schüler mehr an niedersächsischen Gymnasien. Das erklärt im Übrigen auch die Tatsache, dass in Niedersachsen zu Zeiten dieser Landesregierung 21 neue öffentliche Gymnasien und auch Gymnasien in privater Trägerschaft zu verzeichnen waren.

Der Anteil der Schullaufbahnempfehlungen der Grundschulen für die Schulform Gymnasium schwankt seit 2008 um 39 %; ich erwähnte es. Das heißt, die Empfehlung der Lehrkräfte ist sehr aussagekräftig. Auch das darf man an dieser Stelle einmal sagen. Die Prognosen unserer Lehrkräfte sind sehr genau.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Das erkennt man letztendlich auch an den Wiederholerzahlen in den Schülerjahrgängen. Die Wiederholerzahlen in den Schülerjahrgängen des Sekundarbereichs I der Gymnasien sind gering. Sie liegen zwischen 1 % und 2,5 % je Schuljahrgang eines Gymnasiums. Die Quote der Schülerinnen und Schüler, die von Gymnasien auf andere Schulformen wechseln, schwankt naturgemäß, abhängig von den einzelnen Schuljahrgängen, zwischen 0,1 % im fünften Schuljahrgang und 3,3 % im neunten Schuljahrgang. Im Durchschnitt beträgt also die Quote der Wechsler, der Wiederholer etwa 2 %. Sie ist damit ebenfalls relativ gering. Damit ist die Prognosesicherheit letztendlich bewiesen.

Mit Tagen der offenen Tür, Schnuppertagen, Schnupperbesuchen versuchen wir darüber hinaus, Grundschülerinnen und -schülern schon heute zu ermöglichen, eine individuelle Laufbahnentscheidung - wenn man so will - gemeinsam mit den Eltern zu treffen.

Die Frage nach der sogenannten Rücktrittsquote in der gymnasialen Oberstufe, die ich gerade eben erwähnte, ist also nicht mit einem einzigen Grund zu beantworten. Vielmehr können diese Zahlen mit verschiedenen Ursachen in Verbindung stehen. Letztendlich ist festzustellen, dass die Anwahl der Gymnasien tatsächlich deutlich zugenommen hat. Wir haben an den Gymnasien eine nicht unerhebliche Zahl von Schülern, die eine andere Laufbahnempfehlung hatten. Möglicherweise könnte

auch das eine Ursache dafür sein, dass sich bei den hohen Anforderungen in der Qualifikationsphase relativ spät herausstellt, dass das mit Blick auf das Abitur sehr schwierig wird. Möglicherweise könnte auch das eine Ursache dafür sein, dass man vielleicht sagt: Ich versuche, durch eine Wiederholung den Stoff zu festigen.

Klar ist aber auch, dass es sich dabei um ganz unterschiedliche Bewertungen handelt. Teilweise kann es auch sein, dass sich bestimmte Dominoeffekte ergeben, wenn z. B. in der Schule sehr intensiv und problematisierend über das G 8 gesprochen wird oder wenn sich Schülerinnen und Schüler teilweise untereinander darüber unterhalten: Gehe ich wieder zurück? Komm doch mit! - Auch von solchen Vorfällen haben wir inzwischen gehört, so dass sich dann mehrere entscheiden, ein Jahr zu wiederholen, vielleicht auch mit Blick auf die Möglichkeit, ihre eigene Zensur zu verbessern.

Aber generell darf auch hier festgestellt werden: Offensichtlich gibt es zwischen den Ballungszentren - insbesondere Hannover, teilweise auch Braunschweig - und den eher ländlichen Regionen deutliche Unterschiede. Dabei ist festzustellen, dass die Diskussion, die teilweise auch erst durch Sie selber, Frau Korter, hervorgerufen worden ist, in einigen Teilen des Landes an den Gymnasien und durch die Schüler und Lehrer ganz anders, viel sachlicher und, so denke ich, dem Thema auch viel angemessener geführt wird.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Kollege Focke stellt die nächste Zusatzfrage.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage die Landesregierung vor dem Hintergrund, dass die Kultusministerkonferenz gemeinsam vereinbart hat, das G 8 in allen Bundesländern einzuführen, wie der Stand dort ist und welche Erfahrungen es in anderen Bundesländern gibt.

Herr Minister!

(Ralf Borngräber [SPD]: Das wird zu einer schulpolitischen Fortbildung für die CDU! - Unruhe)

- Ich habe die dringende Bitte, die Gespräche in den Fraktionen zu reduzieren. Wer an dem Thema

kein Interesse hat, ist nicht gezwungen, hierzubleiben. Er kann auch hinausgehen.

Alle Bundesländer werden voraussichtlich bis 2016 das verkürzte Abitur eingeführt haben. Sachsen und Thüringen kennen nur zwölf Jahre bis zum Abitur. Im Übrigen kann uns ein Blick ins europäische Ausland ein wenig nachdenklich stimmen. Mir liegt dazu eine Tabelle der OECD vor. Dafür wurden 17 Staaten - von Belgien bis Großbritannien - untersucht. Es wurde gefragt, nach wie vielen Jahren die Schülerinnen und Schüler zur Hochschulreife geführt werden. In 14 von 17 Ländern wird überwiegend nach zwölf Jahren zum Abitur geführt. Gerade im PISA-Siegerland Finnland werden die Schülerinnen und Schüler innerhalb von zwölf Jahren zur allgemeinen Hochschulreife geführt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von Frauke Heiligenstadt [SPD])

Meine Damen und Herren, es ist davon auszugehen, dass alle Bundesländer bis 2016 - ich erwähnte es - das verkürzte Abitur eingeführt haben werden, dass einige Bundesländer allerdings mit Blick auf die Gesamtschulen zum Teil noch ein Abitur nach 13 Jahren zulassen. Ich erwähnte vorhin die veränderte Position in SchleswigHolstein, die höchst umstritten ist. Die SPD möchte dort zum G 8 zurück und würde wohl, wenn sie denn die Regierungsmehrheit bekommen sollte, tatsächlich zum G 8 zurückkehren.

Interessant ist, wie ich finde, insbesondere die Diskussion in Nordrhein-Westfalen. Das ist immerhin das größte Bundesland und wohl auch das Bundesland mit den meisten Gymnasien. Dort hat die rot-grüne Landesregierung den Gymnasien im Rahmen eines Schulversuches - das können Sie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 17. Januar 2011 nachlesen; auch in der Süddeutschen Zeitung wird über diese angebliche Flucht berichtet - die Möglichkeit eingeräumt, zu entscheiden, ob sie zum Abitur nach 12 oder 13 Jahren an derselben Schule führen wollen. Ich zitiere den Bericht dieser beiden Zeitungen. Man höre ganz genau hin! In Nordrhein-Westfalen wollen sich überhaupt nur ganze 13 von insgesamt 630 Gymnasien an diesem Versuch beteiligen. Dabei wollen nur 10 Gymnasien zum Abitur nach 13 Jahren zurückkehren.

(Ralf Borngräber [SPD]: Das ist ja auch nur ein Versuch!)

Das sind gerade einmal 1,6 % in ganz NordrheinWestfalen!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, ich finde, dass gerade mit Blick auf die rot-grüne Landesregierung, die jetzt offensichtlich auch erkennt, dass sie sich damit auf dem Holzweg befindet, diese Zahlen letztendlich verdeutlichen, was wir in Niedersachsen schon immer zu dieser Diskussion gesagt haben: Schulen, Eltern, Schülerinnen und Schüler sind dieses ständige Hin und Her in der Schulzeitfrage satt!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Im Übrigen glaube ich, dass die Eltern es auch nicht mehr wollen, dass sie immer dann, wenn sie in Deutschland umziehen müssen, auf ein neues, andersartiges und womöglich durch einen Regierungswechsel verändertes Schulsystem stoßen.

Meine Damen und Herren, die Bildungschancen unserer Kinder dürfen weder an den Ländergrenzen noch an den Schulträgergrenzen und schon gar nicht an der unterschiedlichen Behandlung der Frage von 12 oder 13 Jahren bis zum Abitur scheitern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Kollege Hagenah stellt die nächste Zusatzfrage.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem wir nun die gefühlt hundert Entlastungsfragen der CDU überstanden haben, - - -

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Kommt jetzt Ihre Frage!