Ich glaube, in meiner Rede ist deutlich geworden, dass wir diejenigen fördern, die förderwürdig sind. Das werden wir auch in Zukunft machen. Wir wissen auch, dass es ein Existenzminimum gibt, das es zu beachten gibt. Wir können gerne diskutieren, ob dieses Existenzminimum ausreichend ist oder nicht und welcher Weg es dann sein kann, wie man diese Personen am besten fördern kann.
Nur, eines hat die Vergangenheit gezeigt: Ihre ewige Forderung nach Gleichmacherei und Zahlung von Zuschüssen löst dieses Problem nicht.
Vielen Dank. - Es geht jetzt weiter mit dem Beitrag der FDP-Fraktion. Herr Dr. Marco Genthe hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht kann ich aus der Diskussion ein wenig Schärfe herausnehmen, indem ich einen Schritt zurückgehe und an dieser Stelle zunächst kurz über den Armutsbegriff rede.
Reden wir heute über Armut, reden wir über den Indikator der relativen Armut, der am meisten Beachtung findet. Als arm gilt, meine Damen und Herren, wer weniger als 60 % des mittleren Einkommens hat. Ich frage mich aber, ob dies die richtige Methode ist, Armut zu messen. Es ist dabei völlig egal, ob die Schwelle bei 1 000 Euro, bei 2 000 Euro oder 40 000 Euro liegt. Relativ betrachtet, bleiben alle Menschen, die weniger verdienen, statistisch arm. In Deutschland gilt per Definition jemand als arm, der als Single weniger als 900 Euro hat. Bei einer vierköpfigen Familie liegt der Wert, je nach Grenze, zwischen 1 900 und 2 500 Euro. Das ist natürlich wenig Geld. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass der Begriff in anderen
Meine Damen und Herren, es ist einleuchtend, dass dann die Ergebnisse ziemlich kurios werden können. Wenn z. B. ab morgen alle Bundesbürger das Doppelte verdienen würden, wäre die Armut immer noch genauso groß. Wenn die Einkommen für eine breite Mehrheit sinken, sinkt vermutlich auch die Armut. Deswegen ist es dringend notwendig, den Armutsbegriff neu zu definieren und an anderen Indikatoren zu messen.
Damit Sie mich auf der linken Seite an dieser Stelle nicht falsch verstehen: Jeder Mensch in Not ist einer zu viel. Aber relative Armut ist für echte Not nicht der richtige Maßstab.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu dem Antrag inhaltlich Folgendes sagen: Es ist richtig, die Inanspruchnahme der Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket zu erhöhen. Darüber zu diskutieren, das Kindergeld nicht mehr auf Leistungen nach dem SGB II anzurechnen, finden wir auch durchaus sinnvoll. In der letzten Legislaturperiode im Bundestag hat die FDP-Fraktion dafür gesorgt, dass Einkünfte von Kindern aus Ferienjobs nicht mehr auf die Regelsätze angerechnet werden.
Natürlich muss das Bildungs- und Teilhabepaket diskriminierungsfrei ausgestaltet werden. Ich kann das ganz plastisch machen: Beim Schulessen müssen Abrechnungssysteme implementiert werden, die andere Kinder nicht erkennen lassen, wer am Bildungs- und Teilhabepaket teilnimmt. Im Schulausschuss der Stadt Hannover wurde darüber übrigens sehr lange diskutiert. Am Ende wurde ein diskriminierungsfreies System gefunden, das mit den Stimmen von SPD, Grünen, CDU, FDP und Linken beschlossen wurde.
Schon im Jahr 2013 hat Volker Wissing im Bundestag gefordert, gleiche Freibeträge für alle Familienmitglieder - Erwachsene und Kinder - einzurichten.
Meine Damen und Herren, ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die ganzen Förderinstrumentarien auf den Prüfstand gehören. Ich halte das Kindergeld für eine ungerechte Angelegenheit. Richtig wäre eine zielgenaue Förderung von Kindern, die auf diese Förderung nicht verzichten können.
Vielen Dank, Herr Dr. Genthe. - Ich erteile jetzt der Landesregierung das Wort, und zwar Frau Ministerin Rundt.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Meyer, ich habe mich erschreckt, als Sie definieren wollten, welche Kinder förderwürdig seien. Ich finde, alle Kinder sind förderwürdig,
Herr Dr. Genthe, ich denke, dass es in einem so reichen Staat wie der Bundesrepublik nicht darum gehen kann, als arm nur denjenigen zu definieren, der Hunger leidet.
In einem Staat wie dem unseren geht es darum, Teilhabe sicherzustellen. Genau für dieses Teilhabesystem braucht man den relativen Armutsbegriff.
In Niedersachsen beziehen über 190 000 Kinder Sozialleistungen nach dem SGB II. Bundesweit sind es knapp 2 Millionen. Diese Zahlen zeigen ganz deutlich, dass hier ein gesamtgesellschaftliches Problem vorliegt.
Die armutsgefährdeten Kinder und ihre Familien brauchen mehr - mehr Teilhabe, mehr Bildung und mehr finanzielle Unterstützung. Wenn wir heute an den Kindern sparen, wenn wir heute den Zugang zu Bildung, Gesundheit und soziokultureller Teilhabe beschränken, dann verschärfen wir die Probleme von morgen. Die Schere zwischen Arm und Reich wird sich immer weiter öffnen. Das wirkt fatal - nicht nur auf den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, sondern auch auf die Qualität der Bildung und letztlich auch auf den Wirtschaftsstandort.
Das Problem ist vielschichtig und kann nicht in Niedersachsen alleine bewältigt werden. Aber wenn wir Kinderarmut langfristig und wirksam begegnen wollen, dann müssen wir mutig sein und einen Systemwechsel in Betracht ziehen.
Unser jetziges System der monetären familienbezogenen Leistungen ist bürokratisch, nicht auskömmlich und weist viel zu viele Schnittstellen auf, was zu erheblichen Reibungsverlusten führt. Aktuell haben wir über 150 monetäre familienbezogene Leistungen, deren Inhalt in der Gesamtheit kaum noch jemand durchschaut und die zum Teil gegensätzliche Ziele fördern.
Aus diesem Grund liegt es mir am Herzen, ein neues System zu entwickeln. Ich habe mich bereits 2015 auf der Jugend- und Familienministerkonferenz in Perl dafür eingesetzt und dies zu Protokoll gegeben. Ziel muss es sein, bestehende Transferleistungen zu überprüfen, zu bündeln und damit eine auskömmliche Grundsicherung für Kinder zu erreichen.
Das hat nichts mit der Frage des Lohnabstandsgebotes zu tun. Es hat auch nichts mit der Frage von Steuerfreibeträgen zu tun. Denn Steuerfreibeträge koppeln die, die Transferleistungen beziehen, erst recht ab.
In einem reichen Staat, in einem Sozial- und Rechtsstaat wie dem unseren kann es keineswegs um spendenfinanzierte Leistungen gehen - so gut es ist, dass Menschen spenden -, sondern nur um Rechtsansprüche.
Mir ist bewusst, dass da ein extrem dickes Brett zu bohren ist. Die Einführung einer bundeseinheitlichen Kindergrundsicherung erfordert Abstimmungen mit vielen Beteiligten. Ein solch tiefgreifender Systemwechsel hat viele Auswirkungen, z. B. auf das Steuerrecht, auf das Zivilrecht im Bereich der Unterhaltsansprüche, auf alle Sozialleistungen, die im Einkommen der Eltern berücksichtigt werden. Dieser Prozess muss also konzeptionell angegangen werden und wird einen entsprechenden Zeitraum in Anspruch nehmen.
Erstes, kurzfristiges Handlungsziel muss es daher sein, die Kinderregelsätze zu erhöhen. Die derzeitigen Kinderregelsätze sind nicht auskömmlich. Ihre Berechnung ist nicht plausibel. Der Kinderregelsatz wird alle fünf Jahre neu ermittelt. Dieses Jahr ist es wieder soweit. Nach der Sommerpause
Darüber hinaus ist das Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes schlicht ungeeignet, Kinder- und Jugendarmut zu bekämpfen. Die Unterstützung ist gering, der Bürokratieaufwand erheblich.
Der Lösungsansatz kann nur darin liegen, den Kinderregelsatz unter Einbeziehung des Bildungs- und Teilhabepakets zu erhöhen und langfristig zu einer Kindergrundsicherung zu kommen. Nur so können wir ohne Einschränkung allen Kindern einen chancengleichen Zugang zu Bildung, Gesundheit und sozialer Integration geben.
Herr Dr. Genthe hat darum gebeten, die Restredezeit und - nach der Rede der Ministerin - eine Aufrundung nach § 71 Abs. 3 der Geschäftsordnung in Anspruch nehmen zu können. - Sie haben für maximal anderthalb Minuten das Wort. Bitte!
Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, ich habe eben versucht, Ihnen die Bemessungsgrundlagen zu erklären, die Instrumentarien, die wir brauchen, um vernünftige Förderinstrumente entwickeln zu können. Mir in diesem Zusammenhang vorzuwerfen - mein Gott, ich bin Vater von zwei Kindern! -, ich würde denken, Armut von Kindern beginne, wenn sie Hunger haben, ist - Entschuldigung - eine Unverschämtheit.
(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Christian Grascha [FDP]: Das ist wirk- lich eine Unverschämtheit! Ziemlich niveaulos, Frau Ministerin! - Jan- Christoph Oetjen [FDP]: Dafür könn- ten Sie sich eigentlich entschuldigen!)
Zunächst soll das der Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Migration tun. Wer den Antrag in diesen Ausschuss überweisen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist ausreichend unterstützt und wird so geschehen.