Protokoll der Sitzung vom 26.10.2016

Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Entdeckung der Antibiotika gehört zu den bedeutendsten Entdeckungen in der Medizin. Sie gehören heute zu den weltweit am meisten verschriebenen Medikamenten. Mit rund 13 % Marktanteil bilden sie den größten Einzelbereich. In Deutschland sind insgesamt ca. 2 775 Antibiotikapräparate zugelassen. Antibiotika werden aber auch in der Tierhaltung und bei Haustieren eingesetzt. Bei Mensch und Tier sind sie - wie auch schon meine Vorredner gesagt haben - bei der Behandlung bakterieller Infektionen unverzichtbar.

„Antibiotika-Resistenz - die Superseuche der Zukunft“ titelte die Welt im letzten Jahr. Antibiotikaresistente Keime fordern im Jahr ca. 25 000 Todesopfer - und das nur in Europa! Erschreckend ist die

Zahl für Deutschland. Sie wird mit 15 000 angegeben.

Dass Entwarnung nicht angesagt ist, geht auch aus dem aktuellen Bericht GERMAP 2015 hervor. Werden die Politik und die Wirtschaft nicht tätig, könnte sich die Zahl der Todesopfer - rechnet man das hoch - bis 2050 auf ca. 10 Millionen im Jahr erhöhen. Es könnten künftig mehr Menschen an Superkeimen sterben als an Krebs und Diabetes zusammen.

Das Davoser Wirtschaftsforum zählt die wachsenden Antibiotikaresistenzen zu den größten Gefahren der Weltwirtschaft - eine Art Superseuche. Die WHO warnt schon seit Jahren vor einer postantibiotischen Ära, in der Kindbettfieber oder eine Lungenentzündung wieder zum Tode führen können - eine tödliche Bedrohung für uns alle. Während viele Erwachsene den Kontakt zu einem multiresistenten Keim kaum wahrnehmen, führt er bei Babys und Neugeborenen schnell zum Tode. Beispiele dafür kennen wir alle.

Während der deutschen G-7-Präsidentschaft wurde das Thema MRSA sogar auf die Tagesordnung gesetzt. Ein Zitat dazu:

„Wir wissen, dass es keine Wunderwaffe gegen Antibiotikaresistenzen gibt, deswegen muss die Weltgemeinschaft jetzt handeln.“

So Jim O´Neill, ehemaliger Chefökonom von Goldman Sachs.

Spannend wird es, wenn man sich mit den Niederlanden oder mit Dänemark beschäftigt. Diese beiden Länder haben deutlich strengere Hygienevorschriften als der Rest Europas. Diese Strategie zahlt sich aus. In den Niederlanden liegt die Infektionsrate bei unter einem Prozent. Anders als in Deutschland werden zum Beispiel Risikopatienten vor der Einlieferung getestet und isoliert gepflegt. Das sollte auch unser Ziel sein. Zu den Risikopatienten in Deutschland gehören u. a. Patienten mit bekannter MRSA-Anamnese, Patienten aus Regionen mit hoher Präferenz, Dialysepatienten. Das gilt auch für Patienten, die beruflich Kontakt zu MRSA haben, wie z. B. Halter von landwirtschaftlichen Nutztieren wie Schweinen, Rindern und Geflügel oder auch Pflegekräfte und Patienten mit chronischer Hautläsion. Die Liste ist lang, und es gilt, sie abzuarbeiten. Ich finde, hier können wir uns ein Beispiel an den anderen beiden Ländern nehmen.

Doch nicht nur in der Humanmedizin ist der Antibiotikaeinsatz problematisch. In der Tiermedizin, die

die professionelle Tierhaltung, aber eben auch die Haustierhaltung umfasst, wird immer noch ein sorgloser Umgang gepflegt. Es wird z. B. oft vergessen, dass auch Haustieren ständig Antibiotika verschrieben werden.

Um beiden Problemen begegnen zu können, gibt es schon seit 2008 eine Antibiotikastrategie der Bundesregierung. Aktuell wird in Berlin ein Antrag der Großen Koalition beraten, der vernünftig und unterstützenswert ist. Ich möchte an dieser Stelle einige Punkte herausgreifen.

Zu erwähnen ist eine Weiterentwicklung der Initiative DART 2020, die die Bundesregierung 2008 initiiert hat. Dabei soll u. a. das System zur Überwachung des Antibiotikaverbrauchs bzw. der Antibiotikaabgabe und der Antibiotikaresistenzen in der Human- wie auch in der Tiermedizin weiter gestärkt und ausgebaut werden.

Die Bevölkerung muss dringend in Bezug auf das Thema Antibiotikaresistenzen sensibilisiert werden. In einigen Ländern gibt es rezeptfreie Antibiotika, die gerne genommen werden, um Infektionen während der Urlaubsreise zu verhindern. - Das ist unglaublich, muss ich an dieser Stelle sagen!

Begrüßenswert an dem Antrag, der gerade im Deutschen Bundestag beraten wird, ist die Tatsache, dass Human- und Tiermedizin gemeinsam betrachtet werden und diesbezüglich nach einer gemeinsamen Strategie gesucht wird.

Weiterhin sollte in der Tiermedizin darauf hingewirkt werden, dass Antibiotika mit besonderer Bedeutung - Petra Joumaah hat das schon angesprochen - nur in begründeten Ausnahmefällen eingesetzt werden.

In Bezug auf die Entwicklung von Reserveantibiotika ist die Forschung fast zum Erliegen gekommen. Ich habe folgende Zahlen gefunden: Die Entwicklung eines Antibiotikums dauert 13 Jahre. Die Kosten liegen bei ca. 1,7 Milliarden Euro.

Ein Fallbeispiel: Es gibt ein Unternehmen, das sich dem noch gestellt hat. Die Kosten für das Medikament betragen 26 875 Euro für 188 Tabletten. Es soll vor allem dann zum Einsatz kommen, wenn alle anderen Medikamente gegen Tuberkulose versagen. Dieses Problem herrscht aber vor allem in der Dritten Welt, und dort kann sich natürlich niemand, der betroffen ist, diese Tabletten für fast 27 000 Euro leisten.

Deswegen finde ich es wichtig, dass wir uns der Herausforderung in einem globalen Zusammen

hang stellen und eventuell über einen gemeinsamen Investitionsfonds zusammen mit der Privatwirtschaft nachdenken. Da bin ich wieder bei Public-Private-Partnership-Projekten. Es kommen Summen auf uns zu, die keiner wird stemmen können.

Bereits gelobt worden ist die Initiierung des Runden Tisches. Der findet sich auch in dem Antrag wieder, den wir gestellt haben. Das Problem muss interdisziplinär behandelt werden. Dies ist eine Aufgabe, die wir alle mit nach Hause nehmen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Bruns. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Herr Kollege Janßen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bakterienresistenzen gegenüber Antibiotika stellen ein weltweites, gravierendes Problem dar. Das wurde vorhin bereits gesagt. Eine Studie im Auftrag der britischen Regierung hat im Mai dieses Jahres auf die Folgen hingewiesen: Danach sterben weltweit jährlich 700 000 Menschen an multiresistenten Keimen. Geht die Entwicklung so weiter - so die dortige Studie -, könnten die Todeszahlen im Jahre 2050 bis auf den zehnfachen Wert ansteigen.

Über die Notwendigkeit, die Bereiche Humanmedizin und Veterinärmedizin gemeinsam zu betrachten, haben meine Vorredner bereits gesprochen. Niedersachsen ist hier auf einem guten Weg. Ich werde den Fokus - wie man vielleicht erwarten kann - stärker auf Maßnahmen im Bereich der Tierhaltung legen.

Die Bedeutung von Resistenzen aufgrund von Antibiotikaeinsatz in der Veterinärmedizin ist im vergangenen Jahr besonders deutlich geworden. Zunächst wurde in China ein gegen Colistin resistenter Bakterientypus bei Hühnern und Schweinen entdeckt. Durch Nachforschungen wurde das Resistenzgen mittlerweile weltweit bei Tieren und bei Menschen nachgewiesen - und nicht nur bei Escherichia-Coli-Bakterien wie bei den Tieren in China, sondern auch in anderen Arten von Enterobakterien.

Colistin ist aber ein Antibiotikum, das praktisch nur in der Tiermedizin eingesetzt wird, weil es für den Menschen mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden ist. Für den Menschen gilt es als Reserveantibiotikum, das erst dann eingesetzt wird, wenn anderes nicht mehr hilft. In der Tiermedizin hingegen ist der Einsatz umfänglich, auch in Deutschland.

Es stellt sich also die Frage: Wie kommt das Resistenzgen in E-Coli-Bakterien des Menschen? - Die Lösung ist eigentlich ganz einfach, macht aber die Wechselwirkung von Bakterienresistenzen zwischen Tieren und Menschen schlagartig deutlich:

Das Resistenzgen fand sich nicht nur im Chromosomensatz der Tierbakterien, sondern auch im Zellplasma. Bakterien tauschen Plasmide auch über Artgrenzen hinweg aus. Das heißt, Resistenzen, die bei Bakterien von Nutztieren auftreten, können über Plasmide auf Bakterien, die Menschen besiedeln, übertragen werden und hier zu Resistenzen führen. Diese Übertragung ist nicht nur auf harmlose Darmbakterien, sondern auch auf Krankheiterreger möglich, wie ein Fall aus den USA im Mai dieses Jahrs zeigte.

Meine Damen und Herren, diese Dramatik ist nicht zu überschätzen. Was bislang ein Verdacht war, wurde hier bestätigt und kann jederzeit erneut auftreten. Daraus folgt: Wir müssen den Verbrauch an Antibiotika auch zum Schutz des Menschen in der Veterinärmedizin so gering wie möglich halten und Reserveantibiotika - also die Antibiotika, die eingesetzt werden können, wenn Standardmittel nicht mehr wirken - ausschließlich dem Menschen vorbehalten.

Niedersachsen hat ganz erhebliche Erfolge in der Reduzierung der Antibiotika im Nutztierbereich aufzuweisen. Das kommt nicht von ungefähr. Das Antibiotikaminimierungskonzept bei Tierarzneimitteln ist zwar vom Bund bei der Arzneimittelgesetznovelle 2013 verabschiedet worden, aber unter deutlichem Druck der Länder und vor allem auch aus Niedersachsen. Und es ist ein gutes und wirksames Gesetz geworden, das zudem in Niedersachsen unter Minister Meyer konsequent umgesetzt wird. Bei jedem Betrieb wird die Therapiehäufigkeit halbjährlich abgefragt. Liegt die Therapiehäufigkeit im oberen Viertel aller abgefragten Betriebe, muss ein Maßnahmenplan aufgestellt werden. Und es ist gut und richtig, dass das LAVES personell aufgestockt wurde, um bei diesem Maßnahmenplan Hilfestellung zu geben. Hier wurde

eine fachkompetente Landesinstitution geschaffen, die sich schwerlich jeder Landkreis hätte zulegen können.

Der Erfolg in der Antibiotikareduzierung ist überwältigend. Seit 2014, also seit Inkrafttreten der AMG-Novelle, wurde die Therapiehäufigkeit in Niedersachsen bei Mastschweinen um 57 %, bei Masthühnern um 32 % und bei Mastputen um 45 % reduziert. Das ist ein gemeinsames Verdienst von Landwirtinnen und Landwirten, den hinzugezogenen Tierärztinnen und Tierärzten und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des LAVES.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Die Erreichung des Zielwerts von -50 % bis 2018 ist in greifbarer Nähe; ein Ziel, dass noch 2013 von vielen hier im Hause als völlig utopisch angesehen wurde.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Richtig!)

Und Niedersachsen unterstützt gute Ideen: Durch Einrichtung der Webseite „Aniplus“ wird Landwirten erstmals die Möglichkeit gegeben, sich online selbst ein konkretes, auf ihren Betrieb individuell zugeschnittenes Maßnahmenpaket zur Tiergesundheit zusammenzustellen. Sind die Tiere gesund, kann der Einsatz von Antibiotika reduziert werden. Die Federführung hat das Agrar- und Ernährungsforum Oldenburger Münsterland, und das Land Niedersachsen fördert das Projekt maßgeblich.

Meine Damen und Herren, es ist jedoch noch nicht gelungen, Reserveantibiotika allein dem Humansektor vorzubehalten. Der Einsatz von Fluorchinolonen, eine Gruppe der bedeutendsten Reserveantibiotika, stagniert auf hohem Niveau - mit all den Risiken, die ich eingangs beschrieben habe. Hier gilt weiter die Forderung des Landes an den Bund, die Verwendung von Reserveantibiotika in der Tierhaltung stärker zu beschränken und einzelne Antibiotika ausschließlich der Humanmedizin vorzubehalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Janßen. - Herr Kollege Grupe, ich habe Ihre Meldung zu einer Kurzintervention gesehen. Aber in der Aktuellen Stunde ist diese leider nicht möglich.

Nun hat für die Landesregierung Frau Sozialministerin Rundt das Wort. Ich darf Sie noch einmal um Ihre Aufmerksamkeit bitten.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute können wir viele Krankheiten durch Antibiotika behandeln. Aber leider verfügen einige Bakterien über Mechanismen, die dazu führen, dass diese Antibiotika nicht wirken. Diese resistenten Bakterien können sich trotz Antibiotikagabe stark vermehren, werden durch mangelnde Hygiene weitergetragen und über die Umwelt verbreitet.

(Präsident Bernd Busemann über- nimmt den Vorsitz)

Die Vermehrung, Übertragung und Verbreitung von Antibiotikaresistenzen zu begrenzen und zurückzudrängen, ist von herausragender Bedeutung für die Gesundheit der Menschen, aber auch der Tiere, und deswegen auch eine politische Aufgabe für die Landesregierung.

Frau Bruns hatte bereits genannt, dass es erschreckende Schätzungen gibt, die voraussagen, dass bei einer unveränderten Zunahme der Resistenzen im Jahre 2050 mehr Menschen an Infektionen durch antibiotikaresistente Keime verstürben als an Tumorerkrankungen. Wir müssen sicherlich auch berücksichtigen, dass bis dahin immense Kosten für die Behandlung solcher Infektionen auf der Volkswirtschaft lasten werden.

Die Landesregierung hat in den vergangenen Jahren viel getan, um die Antibiotikaresistenzen zu minimieren. Ich will einige Maßnahmen nennen:

Durch die Niedersächsische Verordnung über Hygiene und Infektionsprävention in medizinischen Einrichtungen werden strukturelle und inhaltliche Vorgaben für diese Einrichtungen festgeschrieben.

Das Landesgesundheitsamt, die MHH und die Universitätsmedizin Göttingen bilden Fachärztinnen und Fachärzte für Hygiene und Umweltmedizin aus.

Das Landesgesundheitsamt führt Fortbildungen für Fachpersonal der Hygiene für Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime sowie für Praxen für ambulantes Operieren durch.