Protokoll der Sitzung vom 20.06.2013

Sie nehmen das billigend in Kauf, um Ihr Lieblingskind, die Umlagefinanzierung, überhaupt erst zu ermöglichen. Hier muss man einfach einmal deutlich sagen: Das ist ein Thema, das in der Vergangenheit auch im Landtag durchaus lebhaft diskutiert worden ist. Ich möchte daran erinnern, dass die Umlagefinanzierung seinerzeit von der damaligen Sozialministerin Merk, SPD, ausgesetzt wurde. Sie hat damals dazu in einer Plenarsitzung ausgeführt - ich zitiere mit Genehmigung der Präsidentin -:

- die Einrichtungsträger -

„haben gegen die Umlagebescheide massenhaft Widerspruch eingelegt und Klage erhoben. Es geht inzwischen um einige Tausend. Das Land ist dann seit 1996 eingesprungen und wird bis Ende des Jahres 2000 trotz der gesetzlichen Verpflichtung der anderen rund 25,5 Millionen DM zugeschossen haben, um die Liquidität der Umlagestelle sicherzustellen. Bis zum Auslaufen der letzten umlagefinanzierten Ausbildung im Jahr 2002 werden es sogar rund 31 Millionen DM sein.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin gespannt, welche Rücklagen Sie bei der vorgese

henen erneuten Einführung in Anbetracht dieser Aussagen in den Haushalt einplanen werden.

Wenn Sie glauben, dass die Umlagefinanzierung zu einer Verbesserung der Ausbildungsplatzsituation führt, möchte ich darauf hinweisen, dass 1996 die Umlage dazu führte, dass 50 % der zu ihr herangezogenen Träger von Pflegeeinrichtungen Widerspruch und Klage einreichten. Das waren nicht nur die privaten Träger, das waren auch die Träger der freien Wohlfahrtspflege. 1996 gab es 4 100 Altenpflegeschülerinnen und -schüler. Dann wurde die Altenpflegeumlage eingeführt und im Jahre 2000 - ich habe es vorhin eingeführt - ausgesetzt. Statt 4 100 gab es in Niedersachsen dann - man höre und staune - nur 4 048 Altenpflegeschüler, trotz Umlagefinanzierung. Sie sehen: Das ist nicht der Weg, der zum Erfolg führt. Wir werden diesen Weg nicht mitgehen.

Wir werden darüber im Fachausschuss natürlich sehr lebhaft diskutieren. Ich wünsche mir von Herzen eine offene und deutliche Aussprache in dieser Frage. Aber ich erwarte auch, dass wir nicht wieder zu wenig Zeit haben, um uns auszutauschen und um Fachleute mit an den Tisch zu holen. Hier darf nichts durchgepeitscht werden. Es muss etwas Wohlüberlegtes und Gutes auf den Weg gebracht werden. Dazu wollen wir unseren Beitrag leisten. Versuchen Sie bitte, dies bei der Ausschussberatung zu würdigen! Darum möchte ich Sie im Sinne der neuen Dialogkultur, die Sie angekündigt haben, in öffentlicher Sitzung ausdrücklich bitten.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Zu einer Kurzintervention hat sich nun Herr Kollege Schwarz gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Böhlke, ich verspreche Ihnen, dass wir eine deutliche Aussprache über das Thema haben werden. Wir werden uns genau ansehen, wie sich die Pflege in den letzten Jahren entwickelt hat.

Ich komme zu der Frage: Wer ist schuld? - Sie haben richtig dargestellt, wer die Vertragsparteien sind: die Pflegekassen auf der einen Seite, die Anbieter auf der anderen Seite. Aber wenn die Entwicklung der tariflichen Entlohnung bei den Pflegesatzverhandlungen in Niedersachsen über Jahre nicht berücksichtigt wurde, sondern Dum

pinglöhne im Mittelpunkt der Auseinandersetzung standen, wenn in Niedersachsen nicht die faktische Auslastung berücksichtigt wurde, sondern imaginäre Werte bei 98 %, und wenn bei gleichen bundesweiten Rahmenbedingungen die Pflegesätze in Niedersachsen 20 % unter dem Bundesschnitt liegen, dann wird hier offenkundig geltendes Recht gebrochen. An dieser Stelle kann man auch Pflegesätze beanstanden. Ich erwarte von einer Landesregierung, dass sie die Fach- und Rechtsaufsicht wahrnimmt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das hat die Vorgängerregierung nicht getan. Das hat sich glücklicherweise endlich geändert, meine Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Böhlke möchte antworten. Bitte schön!

Deutlich ist noch einmal, dass wir die Pflegesätze nicht entsprechend auf den Weg gebracht haben. Deutlich ist auch, dass die Anbieter teilweise juristische Wege gegangen sind, die nicht zum Erfolg geführt haben, und dass deshalb die Ausgangsposition in Niedersachsen im Vergleich zu anderen Bundesländern deutlich schlechter ist. Das steht völlig außer Zweifel. Aber ich habe noch nicht mitbekommen, dass die Landesregierung jetzt deutliche Akzente gesetzt hat, dass alles ganz anders wird. Zwar stehen ohne Zweifel Ankündigungen und Presseerklärungen im Raum. Aber Handlungen sind bis jetzt noch nicht erfolgt.

(Zuruf von der CDU: Das ist nieman- dem aufgefallen!)

Wir werden sehen, was dabei herauskommt.

Im Übrigen möchte ich noch einmal sehr deutlich sagen, Herr Kollege: Wenn es zur Umlagefinanzierung kommt, bedarf es auch eines ganz bestimmten Zustandes. Wir hatten eine juristische Auseinandersetzung, die immerhin dazu führte, dass die Umlagefinanzierung am Beispiel Sachsen vom Bundesverwaltungsgericht sehr wohl bewertet worden ist. Deutlich wurde, dass die Absicht, die dort vorherrschte, nicht umgesetzt werden konnte, weil sich die Voraussetzungen und die strategische Situation dermaßen dargestellt haben, dass

diese Umlagefinanzierung nicht durchgesetzt werden kann.

Wir werden also auch hier sehr genau überlegen, ob das, was an dramatischen Bewertungen und Darstellungen in den Raum gestellt wird, auch von Juristen tatsächlich so bewertet wird, ohne dass dabei Emotionen im Mittelpunkt stehen, sondern nur sachliche Aspekte. Wir sind der Auffassung, dass wir darüber sehr ausführlich in aller Ruhe reden sollten. Wenn Sie uns zusagen, dass wir diese Zeit haben, dann bin ich Ihnen dafür ausgesprochen dankbar.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank. - Für die Landesregierung hat nun Frau Ministerin Rundt das Wort. Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal ist es erfreulich, dass offensichtlich alle Mitglieder dieses Landtages begriffen haben, dass es in der Pflege nicht nur zwölf Uhr, sondern - insbesondere im ambulanten Bereich und im ländlichen Raum - bereits fünf nach zwölf ist.

Herr Böhlke, ich will Ihnen kurz sagen, worin der Unterschied beim Thema Pflege zur vorherigen Landesregierung besteht. Der Unterschied besteht darin, dass ich mich nicht auf Ignorieren, auf Laufenlassen und auf die Flucht in Nichtzuständigkeiten zurückziehe.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich denke, es bedarf hier der aktiven Steuerung und des aktiven Eingreifens - natürlich im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Dann sind wir ja mal gespannt, was dabei her- auskommt!)

Eine dieser Möglichkeiten ist die Tatsache, dass Schulgeld zurzeit von jungen Menschen bezahlt werden muss, auch wenn es dafür im Moment natürlich eine Refinanzierung gibt. Wir wissen, dass dies durchaus hemmend ist. Die Altenpflegeausbildung findet in Niedersachsen zu ungefähr zwei Drittel an Schulen in freier Trägerschaft statt. Damit wird notwendigerweise Schulgeld erhoben.

Die Landesregierung hat mittels einer Zuwendungsrichtlinie versucht, für die Schülerinnen und Schüler in diesem Bereich finanzielle Anreize zu setzen. Sie hat dies zunächst zögerlich getan, nämlich mit einer Förderung von 50 Euro am Anfang. Jetzt liegt die Förderung bei 200 Euro. Dies - das muss man sagen - wirkt durchaus positiv.

Das Phänomen ist nun, dass es zwar faktisch eine Schulgeldfreiheit im Bereich der Altenpflegeausbildung gibt - man hat die Schulgeldfreiheit schön geplant, genauso wie die Förderung von Ausbildungsplätzen -, man aber leider vergessen hat - oder was auch immer da geschehen ist -, dafür die notwendigen Mittel im Haushalt 2013 bereitzustellen.

Liebe Frau Joumaah, ich finde Ihre Idee ganz toll; das ist eine sehr wichtige Sache. Und wenn Sie sagen, dass Sie da nachliefern, dann kann ich nur sagen: Die Unterstützung dieses Hauses dabei, dass ich mich zukünftig im Bereich der Pflege nicht an Haushaltsrecht zu halten hätte, wäre für mich sehr entlastend. Ich würde das sehr begrüßen.

(Beifall und Heiterkeit bei der SPD und bei den GRÜNEN - Jens Nacke [CDU]: Das ist eine interessante Ein- stellung zum Recht! - Weitere Zurufe von der CDU - Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Tatsache ist, dass die Landesregierung ihre Entscheidungen hinsichtlich der Fördermöglichkeit nun auf der Grundlage unzureichender Haushaltsplanungen treffen muss. Deswegen ist es so wichtig, dass wir da zukünftig sehr klar gegensteuern, um die Attraktivität der Ausbildung deutlich zu fördern. Denn die Altenpflegeschülerinnen und -schüler brauchen Handlungssicherheit. Sie haben sich für einen tollen Beruf entschieden und müssen sicher sein, dass die Ausbildung dazu auch zukünftig schulgeldfrei ist. Gerade das jetzige Hin und Her vor dem Hintergrund der fehlenden Haushaltsmittel ist doch der Beweis dafür, dass wir eine gesetzliche Regelung brauchen und mit freiwilligen Leistungen nicht zurechtkommen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Abgesehen von der Schulgeldfreiheit ist die Ausbildung natürlich für die Ausbildungsbetriebe ein Kostenfaktor, der sich in der Arbeitswelt häufig negativ auswirkt. Das gilt natürlich auch für den Bereich der Pflege. Das heißt, Ausbildungsvergütungen werden - so ist der jetzige Stand der Din

ge - anteilig auf die Pflegesätze angerechnet. Das heißt schlicht und ergreifend: Wer in einer Einrichtung lebt, die ausbildet, zahlt höhere Pflegesätze. Das heißt, die Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtungen, in denen ausgebildet wird, werden in die Pflicht genommen, während in den Betrieben, in denen nicht ausgebildet wird, niedrigere Entgelte gezahlt werden müssen. Daraus resultiert ein völliges Ungleichgewicht. Das heißt, es gibt hier auch eine Konkurrenzsituation zulasten der Betriebe, die ihrer Pflicht zur Ausbildung nachkommen und dies auch mit Freuden tun.

Deswegen ist eine solidarische Umlagefinanzierung wichtig. Das Ganze hätte drei Vorteile: Erstens. Gute Pflege muss gut bezahlt werden. Das gilt insbesondere auch für Ausbildung. Die Bezahlung einer solch angemessenen Ausbildungsvergütung könnte in der entsprechenden Umlageverordnung sichergestellt werden. Zweitens. Wir würden die Wettbewerbsnachteile für ausbildende Einrichtungen damit ausgleichen können. Drittens. Wir hätten die Chance, die benötigten Fachkräfte zu akquirieren. Das ist wichtig, und zwar ganz besonders wichtig mit Blick auf den ambulanten Pflegebereich. Denn wir wissen, dass wir dem demografischen Wandel deutlich besser über ambulante als über stationäre Angebote entgegentreten können.

Wir werden das Ganze mehrstufig machen. Wir brauchen zunächst einmal - so ist die Rechtssituation - eine deutliche Prognose zum Bedarf an Ausbildungsplätzen. Diese Prognose wird zunächst erstellt. Danach wird mit den entsprechenden Leistungsanbietern und Einrichtungen sicherlich das Gesetzgebungsverfahren diskutiert und dann auf den Weg gebracht.

Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei Bemerkungen zur „Stiftung Zukunft der Altenpflegeausbildung“ machen. Diese Stiftung wurde im Februar 2012, also vor etwas mehr als einem Jahr, per Gesetz als öffentlich-rechtliche Stiftung errichtet. Ihr wurde das Restvermögen aus der Altenpflegeumlage von 1996 bis 2003 zugeführt. Da ich bekanntermaßen ein neugieriger Mensch bin, habe ich als Erstes gefragt: Welche Wohltaten sind denn inzwischen durch diese Stiftung für den pflegerischen Bereich erbracht worden? - Die Antwort fiel kurz aus: Keine.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Hört, hört! - Reinhold Hilbers [CDU]: Das heißt, sie haben die gar nicht genutzt! Sie hät- ten die ja nutzen können!)

Wir werden diese Mittel wieder dem ursprünglichen Zweck zuführen. Wir werden sie bei der Aufstellung der Altenpflegeumlage einbeziehen.

Ich möchte Sie bitten, den Anträgen der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zuzustimmen.

Vielen Dank.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Herr Hilbers hat um zusätzliche Redezeit gebeten. Ich gewähre Ihnen anderthalb Minuten. Bitte!

Frau Präsidentin! Frau Ministerin, ich bin schon erstaunt: Wenn Sie das alles für richtig halten, warum müssen die Regierungsfraktionen Sie dann erst dazu auffordern, einen Gesetzentwurf vorzulegen? Dann hätten Sie hier ja längst einen Gesetzentwurf vorlegen können!

(Beifall bei der CDU - Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN: Oh!)

Zweitens. Vielleicht können Sie uns hier erklären, wie Sie die Finanzierung der privaten und freien Altenpflegeschulen im Haushalt darstellen wollen. Im Haushaltsausschuss war Ihnen das nicht möglich. Aber wenn die Schulgeldfreiheit gesetzlich abgesichert werden soll, dann muss ja auch die Finanzierung klar sein. Sie werden Regelungen zur Ausgestaltung der Finanzierung treffen müssen. Da geht es um die Finanzierung der Schulen. Dieses Thema lassen Sie hier aber geflissentlich weg; dazu steht in dem Antrag überhaupt nichts.