Protokoll der Sitzung vom 13.12.2016

Es ist ein Fakt, dass diese Menschen in beiden Kulturen zu Hause sind. Die doppelte Staatsbürgerschaft ist nur der natürliche Ausfluss aus der Bikulturalität dieser Menschen. Deswegen sollten wir das nicht als Gefahr für unsere Gesellschaft sehen, sondern als Chance für unserer Gesellschaft, diese Menschen, die in zwei Kulturen zu Hause sind, dafür zu nutzen, Verständnis für die verschiedenen Kulturen bei den jeweils anderen zu wecken und Brücken, aber nicht Mauern zu bauen. In diesem Sinne stehen wir Freien Demokraten zu diesem Doppelpass als Ausdruck eines gesellschaftlichen Fortschritts und eines gesellschaftli

chen Zusammenhalts von Menschen, die in Deutschland leben und der Bundesrepublik Deutschland sowie unserer Demokratie gegenüber loyal sind - unabhängig davon, woher sie kommen.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Oetjen. - Für die CDUFraktion spricht nun Herr Kollege Thiele. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal darf ich Ihnen eine Sorge nehmen: Der Bundesparteitag der CDU Deutschland war ein sehr guter Bundesparteitag,

(Zustimmung bei der CDU - Johanne Modder [SPD]: Man hört solche und solche!)

mit einem hervorragenden Ergebnis für unsere Vorsitzende und Kanzlerin - übrigens einem besseren, als es Herr Gabriel und alle anderen Parteivorsitzenden bei ihren Wahlen bekommen haben - und mit einer ganzen Reihe von sehr guten und richtungsweisenden Beschlüssen.

(Johanne Modder [SPD]: Das müssen Sie ja sagen, Herr General! Die Be- richterstattung war anders! - Weitere Zurufe von der SPD - Glocke der Prä- sidentin)

- Frau Modder, geht das jetzt wieder die gesamten fünf Minuten so, dass ich im linken Ohr Ihre Stimme habe und meine eigene nicht höre?

(Johanne Modder [SPD]: Es kommt darauf an, was sie sagen! - Belit Onay [GRÜNE]: Das können wir nur so zu- rückgeben! - Anja Piel [GRÜNE]: Ich höre die Stimme von Johanne Modder ganz gerne! - Weitere Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, wir sollten uns jetzt alle beruhigen, sodass Ruhe im Plenarsaal einkehren kann. Und Herr Thiele widmet sich jetzt dem Thema.

Vielen Dank, Frau Präsidentin.

Ich wollte nur darauf hinweisen, dass der Bundesparteitag neben diesem mit der knappen Mehrheit von 19 Stimmen gefassten Beschluss - bei 619 abgegebenen Stimmen - auch noch andere, sehr weitreichende Beschlüsse mit breiter Mehrheit gefasst hat, die für uns in der Auseinandersetzung der nächsten Monate sicherlich sehr hilfreich sein werden.

Nun aber zu den Wortbeiträgen von eben. Lieber Herr Pantazis, lieber Jan-Christoph Oetjen, es geht hier nicht um Bikulturalität, sondern es geht um Staatsangehörigkeitsrecht und damit auch um Völkerrecht. Vor diesem Hintergrund ist die Debatte über die Ausgestaltung der Staatsbürgerschaft, über die doppelte Staatsbürgerschaft grundsätzlich zulässig; denn es gibt auch beachtliche Gegenargumente gegen die von der Großen Koalition beschlossene Abschaffung der Optionspflicht.

(Belit Onay [GRÜNE]: So ganz abge- schafft ist sie noch nicht!)

Diese Abschaffung der Optionspflicht hat dazu geführt, dass derzeit zumindest die zweite, dritte und vierte Generation von Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit Migrationshintergrund die doppelte Staatsbürgschaft haben kann. Damit gibt es in einzelnen wenigen Fällen Konflikte, etwa mit Blick auf die Wehrpflicht und im Zivil- und Familienrecht.

Es gibt das Problem des doppelten Wahlrechts, des Wahlrechts in zwei Staaten, das zu einer Ungleichbehandlung führt, wenn es dafür keine staatsvertragliche Grundlage gibt, beispielsweise mit der Türkei.

Es gibt erkennbare Probleme bei der Auslieferung von Straftätern, die einen Doppelpass haben, wenn sie nicht in Deutschland, sondern in dem zweiten Land sind. Das betrifft wiederum insbesondere die Türkei.

(Johanne Modder [SPD]: Stellen Sie sich gegen die Kanzlerin?)

Und ja, es gibt auch Loyalitätskonflikte. Das ist auch der Grund, warum sich das Völkerrecht vom Grundsatz her so positioniert hat, dass die doppelte Staatsbürgerschaft zu vermeiden ist.

Innerhalb der Europäischen Union haben 15 Mitgliedstaaten Sonderregelungen auf staatsvertraglicher Grundlage getroffen, die, basierend auf Gegenseitigkeit, eine doppelte Staatsbürgerschaft ermöglichen.

(Belit Onay [GRÜNE]: Was machen Sie mit iranischen Staatsbürgern?)

- In Bezug auf den Iran gibt es auch eine klare Regelung: Da der Iran den Wegfall der Staatsbürgerschaft nicht anerkennt, akzeptiert die Bundesrepublik Deutschland, dass ein iranischer Staatsbürger, der deutscher Staatsbürger wird, die iranische Staatsbürgerschaft behält. Das steht und stand auch überhaupt nicht infrage, das steht auch nicht zur Diskussion, und das war auch nicht Thema des Bundesparteitags.

(Zustimmung bei der CDU)

Aber ich kann schon verstehen, dass im Blick auf die Demonstration in Köln, als Zehntausende deutsche Staatsbürger das hiesige Demonstrationsrecht genutzt haben, um jemanden zu unterstützen, der die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei abschaffen will - darüber haben wir im August diskutiert -, die Frage gestellt wird, ob das eigentlich mit der Loyalitätspflicht, die unserer Staatsbürgschaft innewohnt, vereinbar ist oder ob da nicht doch ein Konflikt zu sehen ist.

(Beifall bei der CDU - Belit Onay [GRÜNE]: Das ist eine krude Argu- mentation!)

Meine Damen und Herren, ich verstehe die Diskussion, die da geführt wird. Und trotzdem war ich einer derjenigen Delegierten, die sich auf dem Bundesparteitag gegen den jetzt gefassten Beschluss gestellt haben.

Ich sage Ihnen auch, warum ich das getan habe: Ich halte nichts davon, alte Schlachten zu schlagen. Ich halte nichts davon, Themen auf die Agenda zu setzen, die gar nicht aktuell sind; denn momentan stehen wir vor anderen Herausforderungen.

Im Übrigen finde ich, dass die betroffenen Menschen ein Anrecht auf Verlässlichkeit haben. Das hat die Bundeskanzlerin auch zum Ausdruck gebracht: Die Union muss für Verlässlichkeit und Berechenbarkeit sorgen. Das ist einer der Gründe dafür, warum sie nicht vorhat, diesen Parteitagsbeschluss in dieser Legislaturperiode umzusetzen. Aber wir alle miteinander wissen: In der nächsten Legislaturperiode werden die Karten neu gemischt. Dann werden Koalitionsverhandlungen zu führen sein.

Ich halte diese Debatte, die momentan geführt wird, für eine Schaufensterdebatte. Sie ist übrigens auch für die Beteiligten nicht gut. Es wäre viel wichtiger, über die aktuellen Integrationsfragen zu reden. Denn da, meine sehr geehrten Damen und

Herren, hat diese Landesregierung erhebliche Defizite.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Zurufe von der SPD: Ah!)

Sie müssen sich die Frage stellen lassen, warum Sie nicht ein landesweites Netzwerk kommunal verorteter Integrationszentren aufbauen und warum Sie keine Sanktionen gegen Integrationsverweigerer durchsetzen.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Wenn sich hier einer verweigert, dann sind Sie das, Herr Thiele!)

- Entschuldigung! Darüber wird draußen im Land im Moment diskutiert. Die Menschen interessiert, wie wir es hinkriegen, Hunderttausende von Menschen zu integrieren. Sie aber diskutieren hier gerade mal wieder im Schaufenster, anstatt die wirklich drängenden Fragen der Integrationspolitik zu beantworten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Johanne Modder [SPD]: Nein, Sie schweigen! - Filiz Polat [GRÜNE]: Sie verweigern sich!)

Herr Kollege Thiele, einen Moment, bitte! - Ich möchte die kurze Unterbrechung nutzen, um Sie zu fragen, ob Sie eine Frage sowohl des Kollegen Onay als auch der Kollegin Polat zulassen.

Sehr gerne.

Bitte!

Vielen Dank, Herr Thiele, für die Möglichkeit, diese Frage zu stellen. Sie sind jetzt schon etwas weiter in Ihren Ausführungen. Ich hatte mich schon etwas früher gemeldet, aber eine Unterbrechung war nicht möglich, weil Sie so im Redefluss waren. Ich glaube aber, das schadet der Debatte nicht.

Sie haben vorhin die Demonstration in Köln angesprochen, bei der knapp 40 000 Menschen türkischer Herkunft für die türkische Regierung demonstriert haben. Wenn wir nun davon ausgehen, dass in Deutschland insgesamt knapp 3 Millionen oder 4 Millionen Menschen türkischer Herkunft leben, aber nur 40 000 die türkische Regierung

unterstützen - also ein geringer Anteil der gesamten türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland -, teilen Sie dann nicht meine Auffassung, dass Sie mit der Unterstellung, dass sie in einen Loyalitätskonflikt geraten würden, alle Menschen türkischer Herkunft in Sippenhaft nehmen?

Es führt doch zu einem Vertrauensverlust gegenüber der türkischen Minderheit in Deutschland, wenn unterstellt wird, hier gebe es einen beständigen Loyalitätskonflikt mit Blick auf die demokratischen Werte in Deutschland.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Onay, danke für die Frage. Das gibt mir die Möglichkeit, das klarzustellen.

Es geht nicht darum, jemanden in Sippenhaft zu nehmen.

(Belit Onay [GRÜNE]: Doch, wenn Sie das daraus ableiten!)

- Herr Onay, darf ich antworten?

Herr Onay, wir haben hier eine klare Verabredung: Sie haben die Frage gestellt, und Herr Thiele antwortet Ihnen jetzt.

Die Ableitung, die Sie mir unterstellen, habe ich doch gar nicht vorgenommen. Ich habe vielmehr gesagt, dass ich verstehen kann, dass mit Blick auf diese Demonstration die Frage gestellt wird, ob die Menschen, die dort demonstriert und die damit das gute Recht, das unser Rechtsstaat, unsere Demokratie, unsere Verfassung ihnen einräumt - nämlich frei zu demonstrieren -, ausgeübt haben, möglicherweise in einen Loyalitätskonflikt geraten, wenn sie bei einer solchen Demonstration Partei für jemanden ergreifen, der in der Türkei die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit nicht nur mit Füßen tritt, sondern sogar auf dem besten Wege ist, sie abzuschaffen.