Protokoll der Sitzung vom 01.02.2017

Und kurz davor:

„Wir lehnen eine Vollverschleierung an niedersächsischen Schulen klipp und klar ab.“

Darin war und ist sich das ganze Haus einig.

Dann aber haben Sie gesagt, Herr Ministerpräsident, es gebe keine Rechtswidrigkeit. Sie haben das wie folgt begründet - ich zitiere -:

„Weil an der betreffenden Schule die Vollverschleierung zweieinhalb Jahre lang geduldet worden ist und weil in diesem Zeitraum keine Störungen des Unterrichts oder des Schulfriedens bekannt geworden sind.“

Darüber muss man einmal eine Zeitlang nachdenken. Dieser Ministerpräsident vertritt also die Auffassung, dass in dem Moment, in dem eine Schülerin vollverschleiert zum Unterricht erscheint, der Schulfrieden allein durch diesen Umstand gestört ist. Deshalb darf es an niedersächsischen Schulen nicht geduldet werden, und deshalb muss man gegen eine solche Vollverschleierung vorgehen.

Wenn dann allerdings die Schule, die in Ihrer Verantwortung steht, aus falsch verstandener Toleranz und aufgrund von Ängsten, möglicherweise von Signalen, die diese Landesregierung permanent ins Land schickt, sagt: „Wir gehen rechtswidrig nicht dagegen vor“, dann vertreten Sie die Auffassung, dass durch den Umstand, dass innerhalb dieser Zeit ja gar kein Schulfriede gestört sei, aus dem rechtswidrigen Zustand ein nunmehr rechtmäßiger Zustand entstanden sei.

Herr Ministerpräsident, Sie kokettieren ja gerne mit dem Umstand, dass Sie selbst Jurist sind. Ich will Ihnen an dieser Stelle sagen: Auch der wohlmeinendste Prüfer hätte jeden Examenskandidaten durchfallen lassen, der mit einer solchen Argumentation in einer Prüfung aufgetreten wäre. Dass Sie sich trauen, einen solchen hanebüchenen juristi

schen Unsinn an diesem Pult vorzutragen, hat mich wirklich sehr erschüttert.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Lachen bei der SPD - Gerd Ludwig Will [SPD]: Sie sind ja ein ganz Schlauer! - Unruhe - Glocke der Prä- sidentin)

Jetzt frage ich Sie natürlich an dieser Stelle: Wie soll das denn in Zukunft gehen? Sie haben hier noch einmal die rechtliche Position vertreten, dass mit fortgesetztem Auftreten, mit fortgesetzter Vollverschleierung ein rechtmäßiger Zustand eintreten kann. Wie wollen Sie denn dieser Schülerin oder einer anderen Schülerin zukünftig entgegenhalten, dass aber an einer anderen Schule der Schulfrieden von vornherein gestört sei? - Damit haben Sie einen Rechtspunkt gesetzt, der Ihnen immer wieder entgegengehalten werden wird. Entsprechend haben Ihre Mitarbeiter inzwischen längst erkannt, dass ihnen dieser Fehlkurs der Landesregierung größte Probleme bereiten wird, wenn sich diese Schülerin nun an der nächsten Schule, an der Berufsbildenden Schule, anmelden will.

Sie haben in der Neuen Presse gesagt, das werde es mit Ihnen nicht geben. Wir sind sehr gespannt, wie Sie das durchsetzen wollen. Wer eine solche rechtliche Position vertritt, die durch nichts zu halten ist, der wird größte Schwierigkeiten bekommen, wenn er später umschwenken und eine andere rechtliche Position vertreten will. Sie haben dem Land mit dieser Verteidigungsrede für die Ministerin einen Bärendienst erwiesen, der eines Ministerpräsidenten wahrlich unwürdig gewesen ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Was uns darüber hinaus Sorgen macht, ist das bedenkliche Verhältnis der Landesregierung zum Rechtsstaat. Beispiele gefällig? - Ich will sie Ihnen nennen:

Der Innenminister hat seinerzeit eine Taskforce eingesetzt und durch den Verfassungsschutz „mähen“ lassen. Sie ist vorhin angesprochen worden. Es hat mich sehr gewundert, dass Sie sich trauen, immer noch auf diese Taskforce Bezug zu nehmen. Denn da ist kurzerhand alles für rechtswidrig erklärt worden, was alles rechtmäßig war, Löschungen sind angeordnet worden, die überhaupt nicht notwendig waren.

Der Paradigmenwechsel, dem Sie hier permanent das Wort reden, hat weitreichende Folgen. Das ist heute angesprochen worden. Die Sicherheitsbe

hörden lassen die Finger von Moscheen, auch dann, wenn dort Hassprediger auftreten oder junge Menschen radikalisiert werden. - So gesagt in einem Verfahren vor dem Oberlandesgericht in Celle. Sie wissen davon.

Die Landesaufnahmebehörde traut sich nicht, die entsprechenden Strafverfahren einzuleiten, weil sie Angst hat, dass ein Rassismusvorwurf erhoben werden könnte, weil sie bei rechtmäßigem Verhalten nicht den Rückhalt und die Deckung der Landesregierung hat. Diesen Fall haben wir heute besprochen.

Der Verfassungsschutz - das ist vom Kollegen Birkner heute Morgen angesprochen worden - verstößt gegen geltendes Recht, wendet neues Recht an, von dem er glaubt, dass es in Kraft treten werde, und nimmt danach die Speicherungen vor.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Jetzt reicht es aber! Hören Sie doch mit den Un- terstellungen auf! Sie wollen doch mit der Sicherheit Wahlkampf machen und keinen Wahlkampf gegen die Si- cherheitsbehörden!)

Dieses Gesetz ist so aber nie in Kraft getreten. Warum? - Weil Sie inzwischen erkannt haben, dass es schwierig ist und der Minister eine der berühmten Rollen rückwärts gemacht hat. Entsprechend angeschlagen ist er ja vorhin hier aufgetreten.

Der mehrfache Verfassungsbruch ist vom Staatsgerichtshof festgestellt worden, weil Sie die Parlamentsrechte, das Fragerecht, das Aktenvorlagerecht, aufs Schwerste missachtet haben. Sie haben dagegen verstoßen. Das ist Ihnen vom Gericht bescheinigt worden. Nichts haben Sie daraus gelernt!

Der Untersuchungsausschuss wartet seit neun Monaten auf Akten; weitere Akten werden nicht vorgelegt, und bei VW wollen Sie keine Auskünfte geben. Nichts haben Sie aus den Urteilen des Staatsgerichtshofs gelernt!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Diese Justizministerin hat einen Staatssekretär - einer ihrer politischen Beamten - zum obersten Richter eines Zivilgerichts gemacht und damit unmittelbaren politischen Einfluss auf die Rechtsprechung in diesem Land genommen. Dies ist ein ungeheuerlicher Vorgang, den wir hier zu Recht kritisiert haben.

Am Ende haben Sie sogar verhindert, dass die Strafverfolgung gegen Sie selbst angewendet werden kann, indem Sie verhindert haben, dass die Immunität eines Kollegen aufgehoben wird, obwohl die Staatsanwaltschaft das beantragt hat, um ein Verfahren gegen ihn zu eröffnen. Herr Schminke sitzt nach wie vor in diesem Hause, und es ist nach wie vor ungeklärt, wie dieses Verfahren ausgegangen wäre, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Grant Hendrik Tonne [SPD]: Da bleibt er auch sitzen! - Weitere Zurufe von der SPD - Unruhe - Glocke der Präsi- dentin)

Die Liste der Beispiele könnte fortgesetzt werden. Deswegen will ich Ihnen an dieser Stelle einmal sagen: Sie stellen eigene Ideologie und politische Wunschvorstellungen über Recht und Gesetz. Eine Regierung, die so etwas zulässt, gehört abgelöst,

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

und eine Ministerin, die Rechtsbruch duldet, ist ihres Amtes zu entheben.

Deswegen haben wir diesen Antrag gestellt. Deswegen wäre es richtig, ihm heute zuzustimmen. Sie werden das nicht tun - das ist völlig klar -, weil diese Fraktionen dem Rechtsbruch, der von dieser Landesregierung immer wieder an den Tag gelegt wurde, oft genug das Wort geredet haben. Das ist ein wirklich schlimmer Vorgang.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Renate Geuter [SPD]: Mann, Mann!)

Vielen Dank, Herr Kollege, Nacke. - Nun hat für die SPD-Fraktion Herr Kollege Tonne das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Nacke, das war ja gerade mehr ein pflichtgemäßer denn ein überzeugter Auftritt. Ihre Ausführungen hatten weitestgehend mit dem eigentlichen Antrag nun wirklich gar nichts mehr zu tun.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Deswegen kann man auch in der zweiten Beratung nur festhalten: Es gibt nichts Neues. Es gibt vor allen Dingen immer noch nichts Gehaltvolles zu Ihrem eigenen Antrag.

(Jörg Hillmer [CDU]: Der Rechtsbruch ist doch festgestellt!)

Da hat offensichtlich die Erkenntnis Einzug gehalten, dass das Pferd, welches man geritten hat, von vornherein tot war.

Meine Damen und Herren, Sie wollten mit Ihrem Antrag einen vorsätzlichen Rechtsverstoß der Kultusministerin darlegen. Was haben Sie gemacht? - Tatsächlich vorgelegt haben Sie einen Wust an Unterstellungen, an Behauptungen, an Vermutungen - und eben gerade noch eine wilde Vermischung von allen möglichen Themen, die Herrn Nacke offensichtlich eingefallen sind.

Sie sind jeden Beweis für Ihren Antrag schuldig geblieben. Wir werden daher heute diesen an sich schon völlig überflüssigen Antrag ablehnen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Unter dem Strich verengt es sich auf die falsche Unterstellung, die Kultusministerin habe nach Kenntnis des Vorgangs der einen Niqab tragenden Schülerin in Belm nichts gemacht. Ihnen ist wiederholt und detailliert dargelegt worden, wie engmaschig die Beratung und die Begleitung der Schule und auch der Schülerin seit Kenntnis der Information gewesen sind.

Bei aller Einigkeit im Grundsatz, dass das Tragen eines Niqab in der Schule von uns, von der Politik in diesem Raum, nicht gewollt und nicht gewünscht ist, begrüße ich das vermittelnde und auf Konsens angelegte Verhalten der Beteiligten sehr.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

So sehr wir auf die Durchsetzung dieses Grundsatzes drängen sollten, so richtig ist es doch, die Besonderheiten im Einzelfall zu berücksichtigen. Das ist schwierig, das erfordert Zeit, und das erfordert Gespräche, welche auch stattfinden. Alles in allem ist dies das genaue Gegenteil von Nichtstun, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ihnen ist wiederholt und detailliert dargelegt worden, warum der Fall in Belm ein besonderer Fall ist, den man eben nicht mit einem 08/15-Formblatt lösen kann, sondern bei dem man dem Aspekt des Vertrauensschutzes einen besonderen Stellenwert einräumen muss.

Das ist auch der Unterschied, Herr Nacke. Sie fragen ja, was bei anderen Fällen anders sei. Genau dieser Punkt ist bei anderen Fällen anders zu bewerten. Aber Ihr Beitrag war wieder einmal überschrieben mit: Behelligen Sie mich bitte nicht mit Fakten; ich begründe meine Meinung gerne mit Absurditäten.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ihnen ist wiederholt und detailliert dargelegt worden, in welch schwieriger rechtlicher Situation man sich mit völlig unterschiedlichen Rechtsgütern befindet, die jeweils Berücksichtigung finden müssen.

Vor diesem Hintergrund sage ich meinen ganz ausdrücklichen Dank sowohl an das Kultusministerium und die Landesschulbehörde als auch an alle Verantwortlichen vor Ort für ihren sachlichen, ruhigen und verantwortungsbewussten Umgang. Mein ganz besonderer Dank geht an die Schule. Seit Wochen bewahrt man dort in einer sehr schwierigen Situation einen kühlen Kopf.