Protokoll der Sitzung vom 01.02.2017

Sie müssen sich doch einmal anschauen, was in den Kommentarspalten und in den Leserbriefspalten los ist. Sie nehmen einen Einzelfall, und in der Art und Weise, wie Sie ihn hier wiederholt thematisieren und skandalisieren, suggerieren Sie doch den Menschen, hier stehe ein grundsätzlicher Kultur- und Werteverfall bevor. Das ist nicht der Fall.

(Ulf Thiele [CDU]:Das stimmt doch überhaupt nicht!)

Hören Sie auf, diesen einen Einzelfall nach vorne zu schieben und damit den Menschen in ganz Niedersachsen Angst zu machen. Das ist die Situation, die wir haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Christian Dürr [FDP]: Dadurch verlieren die Menschen den Glauben in den Rechtsstaat, genau durch sol- che Reden!)

Islam-Vertrag, gutes Thema! Eine gute Idee von Christian Wulff, gar keine Frage. Und die CDU in Niedersachsen hat wiederholt und wiederholt Gründe gesucht, um aus diesen Gesprächen auszusteigen. In Wahrheit haben Sie lange vor dem Putsch in der Türkei und lange, bevor der Ministerpräsident in einer völlig veränderten Situation gesagt hat, in der jetzigen Lage geht es so nicht weiter, gesagt: „Mit uns kommt dieser Islam-Vertrag nicht, egal, was ihr reinschreibt.“ Das ist doch die Wahrheit. Sie haben diese Verträge politisch sabotiert. Die FDP hat sich in dieser Frage staatsmännisch und verantwortungsbewusst verhalten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Lieber Herr Kollege Nacke, bei aller Wertschätzung für eine auch heftige politische Auseinandersetzung: Wenn Sie in diesem Land mit verschiedensten parlamentarischen Instrumenten und Debattenbeiträgen Kampagnen fahren, dann müssen Sie es hinnehmen und ertragen, dass SPD und Grüne das auch so benennen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. - Für die Landesregierung hat nun Herr Ministerpräsident Weil das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gerne zum Antrag sprechen, mit dem die Fraktion der CDU der Kultusministerin vorwirft, sie habe einen schweren Rechtsbruch zu verantworten. Deswegen solle der Landtag die Ministerin vor dem Staatsgerichtshof anklagen. Obwohl ich nach der messerscharfen Analyse des Kollegen Nacke schon ein wenig eingeschüchtert gewesen bin,

(Lachen bei der SPD und bei den GRÜNEN)

will ich noch einmal versuchen und nehme dafür meinen ganzen Mut zusammen, Ihnen zu erläutern, warum Sie mit diesem Antrag fehl liegen. Man könnte, wie die FDP, sagen, der Antrag ist schon deswegen falsch, weil es gar keine Rechtsgrundlage für ein Eingreifen gibt. Nach konsequenter Durchdringung der Gedanken von Herrn Försterling würde ich sagen, die Kollegen der FDPFraktion müssten die ersten sein, die gegen diesen Antrag stimmen.

Unsere Haltung ist eine andere. Wir sehen in der Tat auf der Basis des geltenden Schulrechtes die Möglichkeit, das Niqabtragen im Unterricht zu verbieten. Weil wir der Auffassung sind, dass Grundlage des Schulunterrichts eine offene Kommunikation zwischen allen Beteiligten sein muss und dass das unter den Bedingungen eines Niqabs nun einmal nicht möglich ist.

Die Grundlage dafür ist gegeben, aber selbstverständlich ist das dann auch eine Frage des Einzelfalls. Was ist hier eigentlich der Einzelfall? - Wir haben die Situation, dass, wenn ich mich recht entsinne, zweieinhalb Jahre lang das Tragen des Niqabs im Unterricht geduldet wurde. Wenn sonst nichts geschieht, steht der Staat vor einem riesengroßen Problem, wenn er sagt, das könne er nicht weiter zulassen. Warum? - Weil auch im öffentlichen Recht der Grundsatz des Verbots eines widersprüchlichen Verhaltens gilt oder, lieber Herr Kollege Nacke, des Verbots des venire contra factum proprium.

(Zurufe und Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)

- Sie müssen verstehen, dass es mir auch ein wenig um persönliche Wiedergutmachung geht.

Im Falle eines Falles würde jeder niedersächsische Verwaltungsrichter und jede niedersächsische Verwaltungsrichterin fragen: Was ist eigentlich der Grund dafür, dass die Schule zweieinhalb Jahre das nicht beanstandet, sondern geduldet hat, aber jetzt, ein halbes Jahr vor dem Abschluss, meint, das verbieten zu müssen auch um den Preis, dass der Abschluss nicht möglich ist? - Da man diese Frage nicht plausibel beantworten kann, wäre ein entsprechendes Einschreiten der Schule und ebenso der Schulaufsicht nach meiner festen Überzeugung unverhältnismäßig. Damit wäre ein entsprechendes Einschreiten rechtswidrig.

Lange Rede, kurzer Sinn: Es ist nicht nur so, dass sich die Kultusministerin nicht rechtswidrig verhalten hat, sondern im Gegenteil, sie hat sich rechtmäßig verhalten. Ich bitte, den Antrag abzulehnen.

Herzlichen Dank.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. - Herr Kollege Nacke bittet nach § 71 Abs. 3 um zusätzliche Redezeit. Die erhalten Sie. Der Ministerpräsident ist innerhalb seines Redekontingentes geblieben, sodass ich Ihnen, Herr Nacke, anderthalb Minuten zuteile. Bitte, Herr Kollege!

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Herr Ministerpräsident, es ist ja interessant, das an diesem Pult einmal juristisch zu durchdenken.

(Lachen bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zuruf von der SPD: Das hättet ihr machen müssen, bevor ihr den Antrag stellt! - Unruhe)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie um etwas mehr Ruhe im Plenarsaal bitten. Herr Nacke, fahren Sie fort.

Jetzt hört mal einen kleinen Moment zu, vielleicht könnt ihr etwas lernen!

Es ist ganz spannend, was Sie sagen. Sie sagen: Der Schulfriede kann gestört sein. Sie sagen: Ja, es gibt eine Rechtsgrundlage in unserem Schulrecht, dass das Tragen des Niqab verbietet. - Ja, da sind wir mit Ihnen einer Auffassung.

Sie sagen aber nicht, warum das dann möglich ist. Ist jetzt der Schulfriede allein durch das Tragen des Niqab gestört, oder ist das - diese Rechtsposition vertreten Sie jetzt plötzlich - eine Frage des Einzelfalls? - Das würde aber bedeuten, dass zukünftig jede Schülerin, die einen Niqab trägt, nicht allein aufgrund des Umstandes, dass deswegen kein vernünftiger Unterricht mehr möglich ist - der Kollege Försterling hat es dargestellt -, alleine aufgrund des Umstandes, dass das ein radikales Symbol ist, das an einer Schule offen zur Schau gestellt wird, was wir alle in einer öffentlichen Bildungseinrichtung doch alle nicht wollen, vom Unterricht ausgeschlossen werden kann.

(Christian Dürr [FDP]: So ist das!)

Sie sagen, dass das alleine nicht ausreicht, sondern eine Betrachtung des Einzelfalls sei. Damit rudern Sie völlig von der Behauptung zurück: Bei der nächsten Schule, bei der Berufsschule werden wir aber richtig vorgehen.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP)

Sie schwenken ein auf den Kurs, den Ihre Ministerin bereits im Schulausschuss hat vertreten lassen, dass es jetzt nämlich nicht mehr so ganz einfach ist, da man ja immer die Einzelfallprüfung vornehmen müsse, und dass sich in diesem Fall die Landesregierung rechtswidriges Verhalten der Schule irgendwann einmal zurechnen lassen müsste.

(Wiard Siebels [SPD]: Völlig überflüssig!)

Nein, das tatsächliche Argument ist, dass diese Schule über einen viel zu langen Zeitraum rechtswidrig gehandelt hat. Und nun den Schluss zu ziehen, dass ein Verwaltungsrichter sagen würde, dass aus diesem rechtswidrigen Verhalten der Schule über zweieinhalb Jahre nun die Folge zu ziehen sei, dass auch das letzte halbe Jahr seitens der Schulaufsicht, seitens der Ministerin, seitens des Ministeriums und seitens der Öffentlichkeit der rechtswidrige Zustand weiter hinzunehmen sei, ist so ein juristischer Unsinn, dass man sich wirklich wundern muss, dass Sie das hier wiederholen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht, sodass ich die Beratung schließe.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses folgen und damit den Antrag des Abgeordneten Adasch und 53 weiterer Mitglieder der Fraktion der CDU - Drs. 17/6993 - ablehnen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit wurde der Beschlussempfehlung des Ausschusses gefolgt.

Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 13: Abschließende Beratung: Verfassungsgerichtliches Verfahren - Verfassungsbeschwerde des Herrn W. - Bevollmächtigte: Scheunemann Schneider Rechtsanwälte PartGmbB; Landsberger Straße 480, 81241 München - gegen a) den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Oktober 2015 - BVerwG 6 C 39.15 (6C35.14) -, b) das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Juli 2015 - BVerwG 6 C 35.14 - 1 BvR 2579/15 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen - Drs. 17/7284

Der Ausschuss empfiehlt, von einer Äußerung gegenüber dem Bundesverfassungsgericht abzusehen.

Im Ältestenrat waren sich die Fraktionen einig, dass über diesen Punkt ohne Besprechung abgestimmt wird. - Ich höre keinen Widerspruch und lasse daher gleich abstimmen.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses in der Drucksache 17/7284 - zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich deute das so, dass einstimmig der Beschlussempfehlung gefolgt worden ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind für heute am Ende der Tagesordnung. Bevor wir auseinandergehen, möchte ich Sie noch darauf hinweisen, und zwar alle Kolleginnen und Kollegen, die es betrifft, dass jetzt unmittelbar im Anschluss eine Sitzung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen im Raum 1105 stattfindet.

Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen einen schönen Abend.

Schluss der Sitzung: 17.58 Uhr.

Anlage

Grußwort der Präsidentin der Memorial Foundation for Jewish Culture Frau Marlene Bethlehem

Wow! Herr Präsident Busemann, ich danke Ihnen sehr für die herzlichen, einleitenden Worte. Ich möchte Ihnen allen zu Beginn berichten, dass ich nunmehr seit fünf Tagen in Hannover bin und in diesen Tagen, wo immer ich war, nichts als die größte Freundschaft erlebt habe. Ich möchte mein Grußwort beginnen, indem ich den Einwohnern Hannovers applaudiere. Vielen Dank!

(Die Rednerin klatscht - Beifall)

Wenn Sie erlauben, möchte ich versuchen, ein paar Worte auf Deutsch zu sagen: