Protokoll der Sitzung vom 01.02.2017

Man kann vor Gericht scheitern; das ist nicht der Punkt. Aber man muss dann auch offen sagen, dass man sich geirrt hat, dass man einen falschen Weg beschritten hat.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Ja, dann sagen Sie es doch! - Anja Piel [GRÜ- NE]: Sie haben jetzt die Chance da- zu!)

Man kann dann nicht so tun, als ob eigentlich alles perfekt sei, weil das Gericht ja jetzt festgestellt habe, dass die Verfassungsfeindlichkeit gegeben sei. Mit Verlaub: Sie sind mit diesem Verfahren gescheitert. Sie haben hier eine Niederlage eingefahren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wir haben Ihnen im Mai 2013 einen Antrag vorgelegt. Darüber haben wir auch hier im Plenum diskutiert. Wir haben damals gesagt: Vor dem Hintergrund der eben genannten Argumente halten wir es für den besseren Weg, dieses Verbotsverfahren nicht weiterzubetreiben, sondern genau den Weg zu gehen, den Sie jetzt als den Ihren proklamieren. Ich zitiere aus dem damaligen Antrag, Drucksache 17/176:

„Darüber hinaus wird die Landesregierung gebeten, sich für eine verfassungsrechtliche Regelung einzusetzen, die dem Bundestagspräsidenten die Befugnis gibt, diejenigen Parteien von der staatlichen Parteienfinanzierung auszuschließen, bei denen konkrete Bestrebungen gegen die freiheitlichdemokratische Grundordnung deutlich werden.“

(Johanne Modder [SPD]: Die mussten aber erst einmal festgestellt werden!)

- Dafür macht man aber kein Verbotsverfahren, Frau Kollegin! Genau das wäre in dieser Verfassungsänderung vorzusehen, wie das geprüft wird und wie das auch justiziabel wird.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Sie haben das damals abgelehnt und gesagt: Das ist der falsche Weg. Das wollen wir nicht. Wir wollen das Verbot vor dem Verfassungsgericht durchsetzen. Wir müssen ein Signal setzen. - Heute erklären Sie uns, dies sei genau der richtige Weg. Diese Widersprüchlichkeit können Sie nicht auflösen. Nach ein wenig Selbstreflexion und kritischer Selbsthinterfragung müssten Sie sagen: Ja, wir haben auf ein falsches Pferd gesetzt!

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Sie haben - auch das hat der Kollege Schünemann hier eben schon beschrieben - am Ende genau das bewirkt, was wir als Freie Demokraten vermeiden wollten: Sie haben der NPD eine Bühne geboten. - Genau das war zu vermeiden. Genau das haben Sie aber gemacht: Bundesweite Aufmerksamkeit für eine Partei, die im Niedergang begriffen ist und die, zumindest auf das Bundesgebiet, auf Gesamtdeutschland gesehen, keine politische Relevanz hat. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik!

Sie haben auch vier, fünf Jahre lang die Frage der Parteienfinanzierung überhaupt nicht vorbereitet und vorangebracht. Warum haben Sie das nicht wenigstens als Plan B vorbereitet? Jetzt machen Sie eine Bundesratsinitiative. Sie hätten aber längst Zeit gehabt, zum einen eine politische Mehrheit dafür zu organisieren oder zumindest dafür zu werben und zum anderen konkrete Formulierungen zu erarbeiten. - Nichts ist passiert!

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Stattdessen haben Sie die V-Leute in den Führungskreisen der NPD abgeschaltet - auch eine Voraussetzung für das Verbotsverfahren - und damit die Bekämpfung des Rechtsradikalismus und der NPD geschwächt.

(Zustimmung bei der FDP)

Jetzt sagen Sie hier: Wir sind froh, dass die Verfassungsfeindlichkeit festgestellt wurde. Eigentlich ist das ein Erfolg für uns. - Das geht nun wirklich an der Realität vorbei. Sie haben die Bekämpfung des Rechtsextremismus geschwächt. Sie sind fünf Jahre untätig gewesen. Sie werden das hier nicht als Ihren Erfolg verkaufen können. Im Gegenteil, Sie müssen jetzt das nachholen, was Sie bitter

versäumt haben. Ich hoffe nur, das geht schneller als das, was Sie bisher gemacht haben, damit wir endlich ein wirksames Mittel haben, um gegen die NPD, um gegen verfassungsfeindliche Parteien vorzugehen.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Birkner. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Frau Kollegin Hamburg das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Birkner, Herr Schünemann, es ist wirklich abenteuerlich, wie Sie sich hier aufstellen. Sie beschließen im Dezember 2012 die Einleitung des NPD-Verbotsverfahrens und die Klage und sagen jetzt hier: Oh, das war auf den letzten Drücker; deswegen haben wir dafür keine Verantwortung.

(Uwe Schünemann [CDU]: Das habe ich überhaupt nicht gesagt!)

Das ist wirklich unglaublich. Es ist gut, dass Sie nicht mehr in der Verantwortung sind, wenn Sie nicht die Verantwortung für Ihre eigenen Entscheidungen übernehmen wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Schünemann, ich möchte Ihnen noch etwas ganz klar und deutlich sagen: Ein Kompass zeigt nur nach Norden. Er sagt Ihnen noch lange nicht, in welche Richtung Sie gehen müssen. Das war symptomatisch für Ihre Innenpolitik. Deshalb wurden Sie abgewählt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne Zweifel können wir mit dem Ausgang des NPDVerbotsverfahrens nicht zufrieden sein.

(Jens Nacke [CDU]: Der Minister ist begeistert!)

Es wird ohne Zweifel Geschichte schreiben. Denn es scheiterte dieses Mal nicht etwa an V-Personen in steuernden Positionen der Partei. Es scheiterte auch nicht daran, dass diese Partei nicht verfassungsfeindlich wäre. Im Gegenteil, das Gericht hat die Verfassungsfeindlichkeit eindeutig festgestellt. Nein, die NPD wurde nicht verboten, weil sie im

Laufe der Zeit schlicht zu irrelevant geworden ist, um ihre verfassungsfeindlichen Ziele tatsächlich durchsetzen zu können. Das Bundesverfassungsgericht macht hier vor allen Dingen einen Punkt deutlich: Das Parteienverbot ist ein scharfes und ein zweischneidiges Schwert in der Demokratie. Deshalb ist es mit extrem hohen Hürden versehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Bundesverfassungsgericht macht aber auch deutlich, dass die Europäische Menschenrechtskonvention und der Europäische Gerichtshof als Sanktionen für verfassungsfeindliche Parteien mitnichten nur die höchste Form der Sanktion - ein Verbot - vorsehen. Im Gegenteil: Es sind für verfassungsfeindliche Parteien auch andere Sanktionen vorgesehen, die mit weniger hohen Hürden versehen sind und deshalb auch unter niedrigeren Voraussetzungen denkbar wären.

In diesem Zusammenhang gibt das Bundesverfassungsgericht der Legislative den Hinweis, dass unsere Gesetze, unsere Verfassung, an dieser Stelle potenzielle Handlungsräume verspielen, die eine wehrhafte Demokratie aber zwingend brauchen könnte.

(Petra Tiemann [SPD]: So ist es!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen, wie skeptisch die Grünen Parteiverboten gegenüberstehen. Dennoch ist es richtig, dass eine wehrhafte Demokratie sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen Menschen und Parteien verteidigt, die die Würde der Menschen, die Freiheitlichkeit, die Gleichberechtigung und die Demokratie nicht achten - ja sogar abschaffen wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, sich diesen Möglichkeiten zur nähern und sie mit großer Ernsthaftigkeit zu prüfen und umzusetzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn die NPD heutzutage vielleicht nicht mehr der große Akteur der rechtsextremen Szene ist, finanziert sie zweifelsfrei immer noch Nazistrukturen und stellt ihre Infrastruktur Menschen zur Verfügung, die Geflüchtete jagen, die Flüchtlingswohnheime anzünden und die offensiv gegen unsere Demokratie arbeiten. Das dürfen wir alle in diesem Haus nicht zulassen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Deshalb kann es nur begrüßt werden, dass Niedersachsen diese Diskussion aktiv vorantreibt und mit einem eigenen Vorschlag in die bundesweite Debatte einsteigt, um dieses Thema auf der Tagesordnung zu halten und es nicht der Diskontinuität anheimfallen zu lassen. Wenn eine neue Regierung gewählt ist - das wissen wir alle -, dürften Grundgesetzänderungen potenziell schwierig werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ebenso wie ein Parteiverbot ist jedoch auch eine Entziehung der Parteifinanzierung ein zweischneidiges Schwert. Hier entscheiden politische Parteien über ihren politischen Gegner. Wir führen eine politische Debatte, in der wir darüber reden, den Wirkungskreis unserer politischen Gegner massiv einzuschränken. Es muss sichergestellt werden, dass diese Sanktionen nicht von etwaigen politischen Mehrheiten abhängig gemacht werden, dass die Abwägung der Verfassungsfeindlichkeit nicht im Ermessen von Innenministern oder gewählten politischen Funktionären steht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Denken wir etwa an den ehemaligen Innenminister Schünemann, der das damals hier bereits intensiv genutzt hat! Wir alle erinnern uns. Herr Schünemann hat einen sehr politisch gefärbten eigenen Begriff von Verfassungsfeindlichkeit. Die Task Force hat bewiesen, dass Herr Schünemann einen sehr weit gefassten - vielleicht gar rechtswidrigen - Begriff von Verfassungsfeindlichkeit hatte und bei der Arbeit seiner Verfassungsschutzbehörde auch Atomkraftgegner und Atomkraftgegnerinnen, Mitglieder der Grünen Jugend oder auch Gewerkschaftsfunktionäre beobachten ließ.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Dr. Gero Hocker [FDP]: Wenn die zum Schottern aufrufen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Grauen stelle ich mir vor, dass solche Personen über die Finanzierung anderer Parteien entscheiden.

Deswegen ist hinsichtlich einer Gesetzesänderung, die die Streichung der Parteienfinanzierung als Sanktion ermöglicht, unbedingt sicherzustellen, dass diese unter einem gerichtlichen Vorbehalt steht. Das Bundesverfassungsgericht spricht hier zu Recht davon, einen Sanktionsspielraum in Artikel 21 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes zu eröffnen. Dieser Spielraum wäre dann beim Bundesverfassungsgericht angesiedelt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist unserer Meinung nach der richtige Weg. Es ist gut, Handlungsspielräume zu nutzen, wenn sie rechtssicher sind. Es ist wichtig, unsere Demokratie zu verteidigen und deshalb jetzt und offensiv in die Debatte einzusteigen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, so dass ich die Besprechung zum Antrag der SPD im Rahmen der Aktuellen Stunde schließen kann.

Ich rufe auf

d) Neue Landeszentrale für politische Bildung: mehr Medienkompetenz gegen Hetze, FakeNews und Social Bots - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/7313