Protokoll der Sitzung vom 01.02.2017

d) Neue Landeszentrale für politische Bildung: mehr Medienkompetenz gegen Hetze, FakeNews und Social Bots - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/7313

Das Wort hat die Fraktionsvorsitzende Frau Piel. Bitte, Frau Kollegin!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe kürzlich mit jemandem gesprochen, der etwas älter ist als ich. Er sagte mir, er habe das Gefühl, es werde alles immer schneller und komplexer und man komme gar nicht mehr hinterher. Dieser Mann hat die Zeitung abbestellt. Einen Fernseher brauche er auch nicht; er lebe vegetarisch, er spare Strom, er mache Yoga - aber Politik gehe ihn nichts mehr an.

Es gibt auch Leute, die machen es genau anders herum; sie ziehen sich gerade nicht zurück, sondern nutzen die neuen Medien. Einige lassen sich dort auch von Verschwörungstheorien einlullen, lassen sich von Leuten aufstacheln, die Hass säen. Oder sie selbst beschimpfen und bedrohen andere.

Die einen ziehen sich also ins Private zurück. Die anderen nutzen das Internet als Kampfmittel, gegen Minderheiten genauso wie gegen das sogenannte Establishment. Meine Damen und Herren, gefährlich ist beides: der Rückzug ebenso wie der Feldzug im Netz.

Beide Phänomene stehen für eine Verunsicherung. Die Welt verändert sich an allen Ecken und Enden. Und die Medienlandschaft, die dabei helfen könnte, die Veränderungen in der Welt begreiflich zu machen, verändert sich selbst so stark, dass man leicht den Überblick verliert. Nachrichten, die im Internet kursieren, haben keine Leitplanken, keine Redaktion, die bestimmt, was in den Tagesthemen gesendet oder in der Süddeutschen gedruckt wird. Keine Journalistin und kein Journalist vermittelt und ordnet ein, worüber da informiert wird.

Einige nutzen das, um Stimmungen zu steuern. Wer das technische Know-how hat, kann Meinungsroboter installieren, die Lügen verbreiten oder Stimmungen zusätzlich verstärken. Solche Manipulatoren brauchen allerdings auch Menschen, die sich manipulieren lassen. Fake News verbreiten sich deshalb so schnell, weil sie geteilt werden, und geteilt werden sie, weil es Menschen gibt, die nicht genau hingucken, denen es vielleicht auch nicht so wichtig ist, ob es wahr ist, was da behauptet wird.

Ich zitiere dazu gerne Marina Weisband. Sie hat bei Facebook in den vergangenen Tagen etwas sehr Kluges geschrieben:

„Wenn du steif und fest behauptest, der Himmel sei grün, ist dein Ziel nicht, dass ich dir glaube. Dein Ziel ist, das so lange zu tun, bis ich sage: ‚Das ist deine Meinung. Ich habe meine. Niemand kann objektiv sagen, welche Farbe der Himmel hat.‘ So legitimiert man das offensichtlich Falsche.“

Machen wir uns aber nichts vor! Fake News können wir nicht verbieten. Wir werden das Problem auch nicht allein dadurch lösen, dass wir Hetze im Internet juristisch verfolgen.

Eine freie und demokratische Gesellschaft braucht kritische Bürgerinnen und Bürger - nicht nur auf der Straße; sie braucht sie auch im Netz -, Menschen, die in der Lage sind, Nachrichten zu prüfen, kritisch zu lesen, Unsinn zu erkennen und sich auch in der Auseinandersetzung im Netz respektvoll zu begegnen. Diese Kompetenzen müssen immer wieder erlernt werden. Genau dafür gibt es die neue Landeszentrale für politische Bildung.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die Landeszentrale wird in Zukunft die Arbeit und die Angebote vieler Akteure der politischen Bildung bündeln. Es gibt ja bereits Träger, die schon lange

im Feld der politischen Bildung unterwegs sind. Denen machen wir keine Konkurrenz, sondern wir schaffen einen Ort der Vernetzung.

Meine Damen und Herren, vor über zwölf Jahren hatten wir schon einmal eine Landeszentrale. 2004 haben CDU und FDP - wir arbeiten ja gerade ein bisschen die Vergangenheit auf - sie für überflüssig erklärt und geschlossen, also mitten in einer Zeit, in der junge Leute dringend darauf angewiesen waren, sich über die neuen Medien und Themen wie Cybermobbing auszutauschen, und mitten in einer Zeit einer drastischen Entwicklungen der Nachrichten- und Medienlandschaft, die eine Landeszentrale sehr gut hätte begleiten können und müssen.

Meine Damen und Herren von der Opposition, weil wir dabei sind und eben schon gehört haben, dass man Fehler auch mal zugeben darf: Sie haben die Macht der neuen Medien damals unterschätzt, und Sie haben nicht verstanden, wie wichtig Medienkompetenz ist.

Bestes Beispiel dafür war der Ministerpräsident, der das Ganze zu verantworten hatte. Dem hätte etwas mehr Medienkompetenz sicherlich nicht geschadet. Es hätte ihm auch nicht geschadet, auf kritische Bürgerinnen und Bürger anstatt auf schöne Inszenierungen und Home Storys zu setzen.

(Zuruf von der CDU: Da waren auch einige Fake News unterwegs!)

Ich bin sehr froh, dass Sie hinsichtlich der Landeszentrale inzwischen an unserer Seite stehen. Gut, dass wir uns inzwischen über Fraktionsgrenzen hinweg einig sind, welch bedeutende Rolle die Landeszentrale für die politische Bildung in Niedersachsen einnehmen kann.

Ja, auch an die FDP: Lebenslanges Lernen ist möglich!

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Christian Dürr [FDP]: Das gilt im Übri- gen auch für die Grünen! Man muss Lehren auch annehmen können!)

Meine Damen und Herren, die neue Landeszentrale wird nicht das Internet befrieden. Aber sie hilft uns dabei, Verbündete für den Kampf gegen Hetze und Lügen im Netz zu finden.

Vielen Dank!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Piel. - Für die FDP-Fraktion hat nun das Wort Frau Kollegin von Below-Neufeldt. Bitte, Frau Kollegin!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Parteiübergreifend und damit einstimmig haben wir der Einrichtung einer neuen Landeszentrale für politische Bildung zugestimmt. Das ist gut und richtig in diesen politisch sehr bewegten Zeiten.

Meine Damen und Herren, wir haben viel Wert darauf gelegt, dass die vielfältigen und zahlreichen Akteure, die in der Vergangenheit politische Bildung geleistet haben, ihre Arbeit und ihre Projekte weiterführen können und von der neuen Landeszentrale für politische Bildung dabei unterstützt werden. Richtig ist deshalb, dass sich die neue Landeszentrale für politische Bildung als Marketingagentur für alle Akteure versteht und überparteilich zur Stärkung der Demokratie tätig ist.

Genau das ist der wesentliche Punkt: Die Demokratie muss gestärkt werden. Demokratie ist nämlich keine Selbstverständlichkeit. Ihre Achillesferse ist der Populismus. Demokratie muss als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gepflegt und vor allem gelebt werden. Jeder einzelne Bürger ist deshalb gefordert und berechtigt, Demokratie zu leben, mit ihr die Lebensumwelt zu gestalten und Aufgaben und Herausforderungen zu lösen.

Meine Damen und Herren, wir erleben derzeit eine nie dagewesene Ausweitung des öffentlichen Diskurses. Vor zehn Jahren gab es weder Facebook noch Twitter. Über Medienkompetenz sprach man nicht. Heute verfassen Facebooknutzer weltweit über eine halbe Million Kommentare und Twitternutzer mehr als 300 000 Tweets pro Minute. Früher haben Staaten, Verlage, Kirchen und Parteien diese Informationen bewertet. Das ist heute schlicht und ergreifend nicht mehr möglich. Das hat Vor- und Nachteile.

Die Verfügbarkeit und der umfangreiche Austausch von Informationen bieten enorme Chancen für unsere Gesellschaft. Aber die neue Informationsvielfalt bietet auch Risiken. Es wird für die Bürgerinnen und Bürger als Nutzer nämlich immer schwerer, Informationen oder Nachrichten zu bewerten und politische Konsequenzen abzusehen.

Denken Sie bitte an ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit: Am Tag nach dem Volksentscheid über den Brexit gab es so viele Google-Anfragen wie noch nie zu der Frage, welche Folgen der Brexit wohl für die junge Generation und für Großbritannien haben würde. Für die jungen Leute in Großbritannien kam diese Information zu spät: Sie hatten nicht gewählt. War die Demokratie für sie ein Selbstläufer? - Genau das ist sie eben nicht. Der Brexit zeigt das mit einer Tragweite, die weit über die Landesgrenze hinausgeht.

Meine Damen und Herren, moderne Medien können die User in falscher Sicherheit wiegen, was gefährlich ist, da Demokratie und Freiheit eben nicht selbstverständlich sind. Medien können aber auch gezielt falsch informieren. Sogenannte Fake News erschweren zu erkennen, was wirklich und tatsächlich geschieht. Auch wenn wir als Freie Demokraten die Einrichtung einer neuen Landeszentrale für politische Bildung unterstützt haben, so darf doch nicht der Eindruck erweckt werden, dass die Landeszentrale alle Probleme lösen könnte. Sie kann aber einen wichtigen Beitrag leisten. Das soll aber niemals das Feigenblatt der Regierungsfraktionen sein.

Meine Damen und Herren, Medienkompetenz erlernt der Einzelne nicht durch eine Landeszentrale, sondern im Umgang mit den Medien.

(Glocke der Präsidentin)

Daran aber scheitert die Landesregierung. Erst 2020 sollen alle Schülerinnen und Schüler mit digitalen Endgeräten und alle Schulen mit einem ausreichenden Internetzugang ausgestattet werden. 2020 - das sind noch vier Jahre! Das ist eine Ewigkeit bei dem Tempo, das wir in der sich wandelnden Medienwelt erleben.

(Christian Dürr [FDP]: Sehr richtig!)

Statt mit dem Tempo schritthalten zu wollen, stattet die Landesregierung in einem Modellversuch nur ausgewählte Schulen aus.

Meine Damen und Herren, auch Fake News begegnet man am besten durch Fakten. Die rotgrüne Landesregierung beherzigt aber genau das häufig nicht. Wie oft mussten wir als FDP-Fraktion schon die Landesregierung auf die Herausgabe von Auskünften verklagen!

(Zuruf von der FDP: So ist es!)

Ein ums andere Mal haben Sie verloren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, die beste Alternative gegen Fake News sind nicht die sogenannten alternativen Fakten, sondern die tatsächlichen Fakten.

(Glocke der Präsidentin)

Wenn Ihnen die Information der Bürgerinnen und Bürger wichtig ist, dann geben Sie die verlangten Auskünfte!

Meine Damen und Herren, letztlich ist der Umgang mit Hetze, Fake News und Social Bots eine gesamtgesellschaftliche Fragestellung. Wenn Sie als Landesregierung einen Beitrag zur Bewältigung dieser Aufgabe leisten wollen, dann machen Sie Ihre Hausaufgaben, insbesondere in der Schulpolitik!

Zurück - noch ein letzter Satz - zur Landeszentrale für politische Bildung: Der Leiterin, Frau Ulrika Engler, und ihrem Team wünscht unsere Fraktion viel Erfolg und Glück. Wir wünschen ihr ein starkes Netzwerk mit den vielen Akteuren im Bereich der politischen Bildung, eine hohe Nachfrage und den Teilnehmern viel Spaß.

Meine Damen und Herren, „Demokratie beginnt mit dir“ - das ist genau richtig.

Das war wirklich Ihr letzter Satz, Frau Kollegin.

Und nun freuen wir uns auf die Kuratoriumsarbeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)