Protokoll der Sitzung vom 05.04.2017

Meine Damen und Herren, Niedersachsen wird weiterhin darauf drängen, dass die Empfehlungen des Kommissionsberichts in den Verordnungen 1 : 1 umgesetzt werden. Dies gilt insbesondere für die Methodik der Sicherheitsuntersuchungen.

Auch die Neuausrichtung der Forschungslandschaft muss in Angriff genommen werden. Mit dem Standortauswahlgesetz wurde ein Neustart der Endlagersuche in Deutschland vorgenommen. Diesem muss auch die Endlagerforschung Rechnung tragen. Wie die Endlagerkommission in ihrem Abschlussbericht festhält, ist neben der Forschung für den Vorhabenträger, die Regulierungsbehörde und die im Standortauswahlprozess engagierten gesellschaftlichen Gremien, auch eine Forschung zu fördern,

„die auf eine von den Vorgaben des Auswahlverfahrens unabhängige Grundlagenforschung ausgerichtet ist und außerdem der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses dient“.

Auch hierin liegt noch eine große Herausforderung.

Hierfür bieten sich die niedersächsischen Hochschulen mit ihrer Expertise in herausragender Weise an. Um ein Endlager für hoch radioaktive Abfallstoffe zu realisieren, bedarf es technischer Lösungen, an denen niedersächsische Hochschulen schon lange aktiv forschen.

Doch die Vergangenheit hat gezeigt, dass eine rein technische Perspektive allein nicht ausrei

chend ist, um von der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Vielmehr braucht es einen ganzheitlichen Blick. Anders als in der Vergangenheit müssen Fachleute und Experten - neben exzellenten disziplinären - eben auch über inter- und transdisziplinäre Erfahrungen und Kenntnisse verfügen.

In all diesen Fragen wurde mit dem vom Bundesbildungsministerium geförderten Verbundforschungsprojekt ENTRIA unter Leitung der TU Clausthal seit 2013 erfolgreich Neuland betreten und wurden Kompetenzen aufgebaut. Auch in der Ausbildung des für die langfristige gesellschaftliche Aufgabe benötigten Nachwuchses hat sich das Projekt verdient gemacht.

Diesen Weg gilt es, weiterzugehen, und damit die niedersächsische Forschung in diesem gesellschaftlich relevanten Feld weiter zu stärken und zu profilieren. Das Land ist dazu bereit; es erwartet dazu vom Bund aber ebenfalls Engagement.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Schließlich ist die Endlagerforschung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Die Endlagersuche muss wissensbasiert und ergebnisoffen sein. Eine Voraussetzung hierfür ist transparente, kritische und unabhängige Forschung an Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die die von politischen Weisungen flankierte Ressortforschung des Bundes ergänzt. Diese können wir in Niedersachsen mit den Hochschulstandorten z. B. in Clausthal, Braunschweig, Göttingen und Hannover bieten. Wie wichtig qualitativ hochstehende Forschung mit Transparenz ist, haben wir anhand des Debakels rund um das Atommülllager Asse gelernt. Diese Lernerfahrung ist heute ein Garant für die Transparenz von Endlagerforschung aus Niedersachsen. Wir erwarten hier aber auch entsprechenden Aktivitäten vom Bund; wir erwarten, dass der Bund seine Strukturen neu aufstellt und aus Fehlern lernt.

Meine Damen und Herren, in der öffentlichen Debatte wird immer wieder der wesentlich von der Bundeskanzlerin nach der Fukushima-Katastrophe angestoßene und in großem Konsens von Bund und Ländern abgestimmte Beschluss zum Ausstieg als das Ende der Atomkraft in Deutschland bezeichnet.

Meine Damen und Herren, bei aller Anerkennung für den schnellen und konsequenten Auftritt der Bundeskanzlerin im Jahr 2011, diese Interpretation enthält zwei grobe Fehler.

Erstens. Vom Ende kann nicht die Rede sein. Was heute auch von früheren Wegbereitern der Atomkraft als Ausstieg und Ende begrüßt wird, ist höchstens ein Anfang - ein Anfang vom Ende. Noch laufen etliche Atomkraftwerke, noch immer wird weiterer Atommüll produziert, noch wissen wir nicht, ob, wann und wo dieser Strahlenmüll eines Tages unter langfristig sicheren Bedingungen gelagert werden kann.

Zweitens. Zu diesem Anfang vom Ende wäre es nie gekommen, wenn es nicht schon seit mehr als 40 Jahren die Forderung „Atomkraft - Nein danke!“ gegeben hätte.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Angefangen von kritischen Wissenschaftlern wie Klaus Traube und Robert Jungk, erkämpft von Aktiven in Initiativen, Umweltverbänden, Kirchen und letztlich zur vollen Wirkung gekommen im erbitterten Widerstand der Bevölkerung in Wyhl, Kalkar, Brokdorf, Gorleben und anderswo.

(Dr. Gero Hocker [FDP]: Mann, Ihnen steht das Wasser bis zum Hals!)

Die Geschichte der Anti-Atomkraft-Bewegung gehört mit zu den besten Kapiteln der Demokratie im Nachkriegsdeutschland. Sie hat nicht nur dazu beigetragen, dass alternative Technologien zur nachhaltigen Bereitstellung von Strom und Wärme entwickelt wurden. - Ich erinnere beispielsweise an die erste Enquetekommission zur Kernenergienutzung. Damals haben Michael Müller und Reinhard Ueberhorst diese Alternativen mitentwickelt. - Sie hat die Zivilgesellschaft zu einem sehr lebendigen und unverzichtbaren Teil unserer Demokratie gemacht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Der Historiker und Publizist Joachim Radkau beschrieb es so:

„Die deutsche Anti-Atomkraft-Bewegung ist aufgrund ihrer Beharrlichkeit der größte und gedankenreichste öffentliche Diskurs in der Bundesrepublik.“

Die deutsche Anti-Atomkraft-Bewegung gilt deshalb zu Recht auch international als Vorbild. Die darin Aktiven haben in einer beispielhaften Konsequenz und Friedfertigkeit nicht nur protestiert und informiert. Sie waren und sind zusammen mit den sozialen Bewegungen der 80er-Jahre und der Friedensbewegung ein konstitutives Element für

die Stärkung unseres Rechtsstaates geworden. Neben den drei Gewalten und der freien Presse steht heute als fünfte Säule der Demokratie die Zivilgesellschaft. Daran messen wir heute auch die Demokratie in vielen anderen Ländern der Erde.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Ulf Thiele [CDU]: Geht es auch eine Nummer kleiner, Herr Minister?)

Deshalb ist diese Regierungserklärung auch eine gute Gelegenheit, den Aktiven und der Bevölkerung in diesen Brennpunktregionen Dank zu sagen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Und danken möchte ich an dieser Stelle auch einem besonderen Teil dieser Bewegung. Wer sich insbesondere mit den niedersächsischen Kapiteln der Geschichte der Anti-Atomkraft-Bewegung beschäftigt, trifft immer wieder auf die Namen von Frauen, meine Damen und Herren. Lilo Wollny, Undine von Blottnitz, Freyja Scholing, Marianne Fritzen - und ich glaube, es ist nicht vermessen, im gleichen Atemzug auch meine Parteifreundin aus dem Wendland, Rebecca Harms, zu nennen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Sie alle stehen stellvertretend für die vielen starken, couragierten Frauen, die sowohl politisch als auch sozial, sowohl energisch als auch in der Aktion stets kreativ, vernunftorientiert und deeskalierend zum Zentrum des Widerstandes geworden sind.

Das Ende der Atomkraft in Deutschland wird zuallererst ein Erfolg des unermüdlichen Wirkens der Zivilgesellschaft sein. Diesen Frauen und Männern gebührt die Ehre, den Durchmarsch des Atomstaates gestoppt zu haben.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Dieser Konflikt hat unser Land viele Jahre tief gespalten, meine Damen und Herren. Wir Niedersachsen wissen, wovon wir reden.

Ich möchte mich heute aber gar nicht mehr mit der Rolle der langjährigen Befürworter der Atomkraft beschäftigen. Jede und jeder möge seine Argumente selbst prüfen und sich fragen, warum die Erkenntnis so spät gereift ist, dass unsere Gesellschaft und unsere Welt mit dieser Technologie einen Irrweg eingeschlagen hat. Aber ich kann es niemandem ersparen, an diejenigen zu erinnern,

die die Ursachen des tiefen gesellschaftspolitischen Konflikts beispielhaft symbolisieren.

Mit dem Fingerzeig des damaligen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht auf die Landkarte irgendwo bei Gorleben wurde das sogenannte KEWA-Suchverfahren einfach abgebrochen. 254 Standorte waren auf Eignung für ein nukleares Entsorgungszentrum mit Endlageroption geprüft worden. Gorleben war wegen Carnallitvorkommen im östlichen Teil des Salzstocks ausgeschieden. Gorleben war auch nicht unter den letzten 26 Standorten und auch nicht unter den letzten 3 Standorten. Ein großer Teil der Wut und Verzweiflung in der Bevölkerung ist auf diese und ähnliche Entscheidungen, Signale und Symbole von damals zurückzuführen. Das zeigt auch die Herausforderung, vor der wir heute stehen.

Gorleben ist nach wie vor Teil des Verfahrens, zusammen mit allen anderen Orten der Republik. Aber ich bin mir sicher, dass dieser Standort ausscheidet, wenn es tatsächlich ein ergebnisoffenes, transparentes und wissenschaftsbasiertes Verfahren gibt. Mir ist aber sehr bewusst, meine Damen und Herren, wie groß im Wendland die Sorgen nach den Erfahrungen der vergangenen 40 Jahre noch sind.

Zum Irrglauben an die Technologie kam der Irrglaube, dass die Frage der Durchsetzung von Castortransporten und Endlagern schlicht und ergreifend durch die Größe der Polizeieinsätze beantwortet werden könne. Beides war falsch. Und deshalb ist es gut, dass wir jetzt einen neuen Weg einschlagen.

Dieser Prozess, meine Damen und Herren, wird aber nur gelingen, wenn wir Vertrauen aufbauen und für Verlässlichkeit sorgen. Das geht nicht von heute auf morgen. Das braucht Zeit. Das betrifft die Gegner und Befürworter des alten Weges. Das betrifft aber auch das Vertrauen zwischen den Generationen. Nur wenn unsere nachfolgenden Generationen in Gesellschaft und Politik darauf vertrauen können, dass der eingeschlagene Weg richtig ist, wenn die Institutionen vertrauenswürdig sind, wenn kritische Fragen nicht unter den Tisch gekehrt werden, wenn Fehlerkorrektur möglich ist, wird es eine Lösung geben.

Niedersachsen wird genau darauf achten, dass die Vorgaben des Gesetzes im Standortauswahlverfahren umgesetzt werden. Dazu ist eine Mitarbeit, zumindest aber eine Begleitung der Arbeit der Gremien, zwingend nötig. Dazu braucht es aber vor allen Dingen auch weiterhin eine wache Zivil

gesellschaft. Das Gesetz setzt schon rein optisch nur die Essenz des 600 Seiten starken Kommissionsberichts um. In Zweifelsfragen wird der Kommissionsbericht daher auch in Zukunft den gesetzlichen Rahmen interpretieren, um den Geist dieses Kommissionsberichts lebendig zu halten.

Meine Damen und Herren, liebe Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen, ich danke allen - besonders auch hier im Haus - quer durch alle Fraktionen, die sich für diesen Neubeginn stark gemacht haben. Er war nur möglich, weil es am Ende auch parteiübergreifend Verständigungen gegeben hat.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich danke vor allem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den vielen Ministerien, Behörden und wissenschaftlichen Einrichtungen, die sich vielfach deutlich jenseits des üblichen Rahmens eingesetzt haben. Das gilt auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesamts für Strahlenschutz und der Asse GmbH, die sich z. B. mit der Rückholung des Mülls in Remlingen intensiv befassen.

Ich danke aber vor allem auch der Zivilgesellschaft, den Bürgerinnen und Bürgern, den Mitgliedern der Kommission, den Kritikern, die nicht am Tisch saßen, aber mit ihren Beiträgen schon im Laufe des Prozesses die Stärke eines lernenden Verfahrens gezeigt haben.

Der 40-jährige gesellschaftliche Konflikt um die Nutzung der Atomkraft und die sichere Lagerung des radioaktiven Abfalls hat unsere Demokratie lebendiger, widerstandsfähiger und reifer gemacht. Niedersachsen hat aus einer Sonderstellung heraus einen Neuanfang durchgesetzt und dabei zur Befriedung eines Jahrzehnte währenden Konflikts beigetragen. Ich glaube, ich kann sagen, Herr Ministerpräsident, darauf ist die Landesregierung stolz.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Jörg Bode [FDP]: Er glaubt! - Christian Grascha [FDP]: Glaubens- frage!)

Diese Menschheitsfrage, verknüpft auch mit dem ernsten Problem der Verbreitung von Material für atomare Massenvernichtungswaffen, macht es immer wieder notwendig, für breite Mehrheiten im Parlament und in der Gesellschaft zu werben, um gute Lösungen zu entwickeln. Ich glaube, das hat dieser Prozess der letzten Jahre eindeutig gezeigt.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.

(Starker, nicht enden wollender Beifall bei den GRÜNEN und starker, lang anhaltender Beifall bei der SPD)