Es ist ein normales Verhalten, dass Menschen dann, wenn sie in einem fremden Land sind, versuchen, ihre Landsleute und kulturelle Anknüpfungspunkte zu finden.
Meine Vorfahren, die Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts ausgewandert sind, sind alle in Hoboken, New Jersey - das ist ein Vorort von New York -, gelandet, weil da auch alle anderen gelandet sind; da wurde Plattdeutsch geschnackt. Deswegen sind die dahin gegangen. Weggegangen sind sie, als sie woanders Arbeit gefunden hatten oder sich mit ihrer Familie irgendwo niederlassen konnten.
Wenn wir versuchen wollen, Gettoisierung zu verhindern, dann müssen wir versuchen, dass Menschen, die geflüchtet sind und zumindest auf mittlere Sicht bei uns bleiben, sich bei uns integrieren können - über Arbeit, über Sprache, über ihre Familie.
An dieser Stelle möchte ich einen weiteren Aspekt in die Diskussion einbringen: Wie könnten wir es Menschen, die ihre Familie zurückgelassen haben und alleine hierher geflüchtet sind, übel nehmen, dass sie jetzt Anschluss suchen, dass sie die Nähe ihrer Landsleuten suchen? Wie könnten wir das Menschen übel nehmen, deren Familien beispielsweise in Istanbul festsitzen und die wissen, dass sie ihre Angehörigen im Moment nicht zu uns holen können, weil ein Familiennachzug nicht möglich ist?
Aus meiner Sicht hängt es auch von der Möglichkeit des Familiennachzuges - insbesondere für die Kernfamilie, also für den Lebenspartner und die Kinder - ab, ob eine gute Integration gelingen kann. Darüber sollten wir einmal nachdenken.
Die Kommunen fühlen sich im Moment überfordert. Darin hat die CDU recht. Auch ich glaube, dass das Land mehr tun muss, um die Kommunen zu unterstützen, insbesondere auch in finanzieller Hinsicht. Viele Kommunen ächzen unter der finanziellen Last der Integrationsleistungen, die am Ende im Wesentlichen auf ihren Schultern liegen bleibt. Hier sind wir Freie Demokraten an der Seite der Kommunen. Wir sind dafür, dass den Kommunen mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden.
Das Instrument der Wohnsitzauflage erreicht allerdings nicht das Ziel, das die CDU hier beschrieben hat. Deswegen geht es fehl.
Vielen Dank, Herr Kollege Oetjen. - Mir liegt jetzt noch die Wortmeldung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Frau Kollegin Filiz Polat hat das Wort. Bitte!
Vielen Dank. - Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank, Herr Oetjen, für Ihren differenzierten Beitrag.
Ich glaube, es ist unumstritten, dass die Stadt Salzgitter und besonders einige Stadtteile einen sehr hohen Ausländeranteil haben, teilweise höher als die Oberzentren Hannover, Augsburg und Nürnberg. Der Ausländeranteil liegt teilweise bei bis zu 40 %
Das ist aber auch nicht erst seit gestern so, sondern historisch gewachsen. Die größte Zuwanderungsgruppe sind nach wie vor die Türken; da ist der Ausländeranteil noch hoch, weil viele nicht eingebürgert sind. Auf dem zweiten Platz liegen aufgrund sehr starken Zuzugs - das wurde gesagt - die syrischen Staatsangehörigen. Dann kommt schon die polnische Community.
Frau Jahns, es ist sehr schade, dass Sie und die CDU die Wohnsitzauflage als Allheilmittel für die sehr komplexen Problemlagen der Stadt Salzgitter und vielleicht auch einiger anderer Städte ansehen. Die Wohnsitzauflage - das wurde vom Kollegen Oetjen gesagt - ist mitnichten ein Instrument, um den Ausländeranteil zu senken, was der Wunsch der Stadt Salzgitter wäre. Die Stadt Salzgitter will - um es mit den Worten von Seehofer zu sagen - eine Obergrenze, und das möglichst für
bestimmte Stadtteile. Es sollen nicht mehr Ausländer kommen, weil sich dann das gesellschaftliche Bild verschiebt.
Wenn es soziale Problemlagen gibt - eine hohe Arbeitslosenquote, einen Mangel an Kindergartenplätzen und Schulsozialarbeit -, dann muss man an diesen Punkten anpacken. Aber wenn man weniger Ausländer haben will, dann muss man andere Lösungen finden. Dann muss das auch so benannt werden. Dafür ist die Wohnsitzauflage, wie gesagt, nicht geeignet.
Um den Widerspruch darzulegen, möchte ich aus einem Artikel einer Zeitung aus Salzgitter zitieren. Da gab es nämlich vor einigen Monaten Flüchtlingsproteste. Herr Klein und andere Kollegen wissen es: Es gibt dort eine Diskussion um die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften. Dort haben drei Iraner, die noch im Asylverfahren sind und somit einer Wohnsitzauflage unterliegen - sie müssen nämlich in Salzgitter wohnen bleiben -, protestiert und sich auf die Straße gelegt, mit dem Ziel, aus Salzgitter wegziehen zu dürfen. Da sagt die zuständige Dezernentin: Nein, sie können noch nicht wegziehen. Sie sind noch nicht anerkannt. Wären sie anerkannte Asylbewerber, dürften sie wegziehen. - Sie sehen also, wie absurd die Forderung nach einer Wohnsitzauflage ist, gerade im Fall Salzgitter.
Frau Jahns, zu Ihrem Versuch, einen Keil in die rot-grüne Koalition zu treiben: Wir sind nicht die Einzigen, die gegen diese Wohnsitzauflage sind. Weil das breiten Raum in Ihrem Antrag einnimmt, möchte ich aus diversen Stellungnahmen zu dem vermeintlichen Integrationsgesetz auf Bundesebene zitieren. Da waren, glaube ich, alle Verbände gegen eine Zuzugssperre, wie sie jetzt auch diskutiert wird, also eine Obergrenze für Salzgitter.
„Kritisch sehen wir allerdings die Regelung einer Zuzugssperre. Diese widerspricht der Forderung des Deutschen Städtetags nach einer gleichmäßigen Verteilung der Flüchtlinge.“
„Die geplanten Wohnsitzzuweisungen sind nicht geeignet, die nachhaltige Integration sicherzustellen. … Dadurch werden Geflüchtete selbst nach ihrer Anerkennung 3 Jahre lang gegenüber anderen Arbeitssuchenden diskriminiert. Stattdessen bedarf es eines
Ich kann nur ergänzen: Dieser Ausbau geschieht hier in Niedersachsen. Insbesondere legen wir aktuell - die Sozialministerin ist ja leider heute nicht da - ein Programm auf - Rot-Grün hat es in den Haushalt eingestellt - für ein besonderes Quartiersmanagement, gerade vor dem Hintergrund der Fluchtmigration, mit mehreren Hunderttausend Euro.
„Wohnsitzauflagen wirken letztlich desintegrativ und haben - wie beim Königsteiner Schlüssel für Asylbewerber/-innen ersichtlich - in vielen Fällen die beklagten Segregationstendenzen nicht verhindert. … Flüchtlinge müssen die Chance erhalten, dort zu leben, … wo sie, denen es naturgemäß an Beziehungen in die Aufnahmegesellschaft mangelt, auf … Netzwerke … zugreifen können.“
An dieser Stelle möchte ich die Situation in einigen ostdeutschen Bundesländern ansprechen, in denen es Wohnsitzauflagen gibt. Dort gibt es massive Probleme mit rassistischen Übergriffen. Die Flüchtlinge wollen und müssen wegziehen, können es aber nicht, weil sie verpflichtet wurden, drei Jahre dort ihren Wohnsitz zu nehmen.
„Die gesetzliche Neuregelung einer Wohnsitzauflage … begegnet ernsthaften rechtlichen und integrationspolitischen Bedenken der Diakonie. … Die Diakonie Deutschland hält die geplante Neuregelung für integrationshemmend und befürchtet, dass mit der Regelung die Fehler und Mängel der sog. EASY-Verteiler während des Asylverfahrens wiederholt und vertieft werden.“
„Die vorgesehenen Wohnsitzauflagen berücksichtigen wesentliche Integrationsindikatoren nicht. Schlimmer noch, sie sind als Integrationshemmnis zu betrachten, vor allem dann, wenn die Betroffenen keine oder nur geringe Chancen haben, die Voraussetzun
„kann … die Effizienz der Arbeitssuche und damit die Arbeitsmarktintegration beeinträchtigen … Aus Sicht der Arbeitsmarktforschung sind Mobilitätsbeschränkungen grundsätzlich problematisch.“
Am besten, Frau Jahns, machen wir eine umfangreiche Anhörung. Dann werden Sie Ihren Antrag zurückziehen.
Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor, sodass ich die Beratung abschließen kann.
Der Ältestenrat empfiehlt Ihnen, den Ausschuss für Inneres und Sport mit diesem Entschließungsantrag zu befassen. Wer stimmt dafür? - Das ist nach der Geschäftsordnung ausreichend unterstützt und wird so geschehen.
Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung: Auftragsverwaltung des Bundes für Bundesstraßen sicherstellen, Mitarbeiter schützen, Landesinteressen wahren - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/8023