Protokoll der Sitzung vom 15.06.2017

(Johanne Modder [SPD]: Jetzt reicht’s!)

damit diese auch wissen, wenn sich andere Gefährder in ihrem Land aufhalten? Oder ist es richtig, was ich von der Innenministerkonferenz gehört habe, dass Sie genau diese Fragestellung auf den Bund abschieben wollen?

(Maximilian Schmidt [SPD]: Herr Prä- sident, warum lassen Sie das durch- gehen? Immer wieder! - Gegenruf von Björn Thümler [CDU]: Man muss auch einmal zuhören können, Herr Schmidt! - Zuruf von den GRÜNEN: So geht das nicht hier! - Weitere Zuru- fe von der SPD und von den GRÜ- NEN)

Ganz einfach, das war die Frage nach der Zusammenarbeit - eine Frage.

(Jörg Bode [FDP]: Ihr müsst mal zu- hören! - Christian Grascha [FDP]: Weniger schreien, mehr zuhören!)

Herr Minister, bitte!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema „Innere Sicherheit und Umgang mit Gefährdern“ ist das falsche Spielfeld für Nervosität und Aufgeregtheit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zustimmung von der CDU und von der FDP)

Es gibt eine ausgezeichnete Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden aller Länder und dem Bund. Wir haben uns gerade in Dresden beim Kamingespräch sehr ausführlich über die

Möglichkeiten der Verbesserung und Optimierung dieser Zusammenarbeitsform ausgetauscht.

Es gibt überhaupt keinen Anlass anzunehmen, dass es zwischen den Bundesländern irgendwelche Informationsdefizite gebe. Sollte es sie gegeben haben und soweit es sie gegeben hat im Fall Anis Amri, werden sie gerade durch die Beschlüsse der Innenministerkonferenz ganz konkret aufgearbeitet. Daher gibt es überhaupt keinen Grund, aufgeregt danach zu fragen, was mit diesem oder jenem Gefährder, einem Gefährder aus Bremen oder sonst wo ist. Sollten Sie der Auffassung sein, dass wir hier im Plenum coram publico über jede einzelne Maßnahme informieren, die Gefährder zwischen Bremen, Niedersachsen, SchleswigHolstein und Hamburg angeht, muss ich Sie leider enttäuschen. Es ist nicht Aufgabe von für Sicherheit verantwortliche Minister, so etwas in aller Öffentlichkeit auszuposaunen.

Seien Sie sicher - das ist in allen anderen Bundesländern der Fall, warum eigentlich nicht in Niedersachsen? -

(Zuruf von der CDU: Ja, warum nicht?)

und verlassen Sie sich einfach mal darauf, dass die Sicherheitsbehörden ihre Arbeit machen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Hier wird ständig der Eindruck erweckt - dagegen verwahre ich mich noch einmal in aller Deutlichkeit und Ruhe -, als würde diese Landesregierung oder dieser Landesminister der Polizei, dem Verfassungsschutz oder irgendeinem Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden Knüppel zwischen die Beine werfen oder diese daran hindern, die Arbeit zu machen, die zu tun ist. Nichts davon ist der Fall. Wir geben ihnen die Ausstattung, die sie brauchen. Wir tun, was wir können. Das ist eine ganze Menge, um die Sicherheitsbehörden in den Stand zu versetzen, ihre Arbeit im Interesse der Menschen und deren Sicherheit zu gewährleisten. Daran beißt die Maus keinen Faden ab. Wenn Ihnen das nicht gefällt, haben Sie ein Problem, aber nicht wir.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, weitere Zusatzfragen liegen mir zu diesem Komplex der Dringlichen Anfragen aus Tagesordnungspunkt 28 a nicht vor.

Ich komme jetzt zur zweiten Dringlichen Anfrage dieses Tagesordnungspunktes:

b) Wie können die Jugendämter islamistisch beeinflussten Kindern helfen? - Anfrage Fraktion der CDU - Drs. 17/8267

Sie wird vorgetragen vom Kollegen Nacke. Bitte sehr!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wie können die Jugendämter islamistisch beeinflussten Kindern helfen?“, lautet die Dringliche Anfrage der CDU. Der Text lautet wie folgt:

Innenminister Pistorius tritt dafür ein, dass die Jugendämter Kinder aus islamistisch radikalisierten Elternhäusern im Extremfall aus ihren Familien herausholen und in Obhut nehmen. Diese Kinder seien Opfer übelsten Missbrauchs durch ihre fanatisierten Eltern. Ein Schutz dieser Kinder sei nur mithilfe der Jugendämter zu gewährleisten.

Auch der Leiter der niedersächsischen Präventionsstelle gegen neo-salafistische Radikalisierung, beRATen e. V, sieht in der zunehmenden Zahl von radikalisierten Familien eine neue Gefahr. Aus einer solchen Familie stamme nach seiner Auffassung sowohl die verurteilte IS-Sympathisantin Safia S. als auch die Niqab tragende Schülerin aus Belm, wie er in der taz vom 8. Februar 2017 zitiert wird. Sie seien von Kindheit an nach salafistischem Gedankengut erzogen worden. Auf derartige Familien habe man als Beratungsstelle keinen Einfluss, sodass nur die Möglichkeit bleibe, über die Schule oder das Jugendamt eine Einwirkungsmöglichkeit zu suchen. Der Deutsche Kinderschutzbund fordert daher ein konsequenteres Vorgehen gegen radikal salafistische Eltern. Zitat:

„Wenn es konkrete Hinweise gebe, dass Eltern ihre Kinder gewaltverherrlichend erziehen, müssten Jugendämter im Interesse des Kindes handeln. Dabei dürfe es keinen Rabatt für vermeintlich religiöse Besonderheiten geben.“

Wie die Landesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung „Wie ist es um das Kindeswohl in radikalisierten Familien bestellt?“ - Drucksache 17/7781 - mitteilte, werden dem niedersächsischen Verfassungs

schutz auch Informationen zur Radikalisierung bzw. Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen im familiären Umfeld bekannt. Diese Informationen würden auf der Grundlage der Übermittlungsvorschriften des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes grundsätzlich an die zuständigen Jugendämter weitergegeben.

Wir fragen die Landesregierung:

1. In wie vielen Fällen möglicher Radikalisierung bzw. Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen im familiären Umfeld, die der niedersächsische Verfassungsschutz seit 2013 an die zuständigen Jugendämter weitergegeben hat, sind diese eingeschritten?

2. Nehmen die Jugendämter die Einschätzung der Gefährdung des Kindeswohls auch in Fällen möglicher salafistischer Radikalisierung als Aufgabe des eigenen Wirkungskreises wahr und sind zur Weitergabe entsprechender Informationen an das Landesjugendamt nicht verpflichtet?

3. Ist das Handlungskonzept zur Standardisierung und Professionalisierung der Vorgehensweise bei Radikalisierungsverdachtsfällen, das die von der „Kompetenzstelle Islamismusprävention Niedersachsen“ eingesetzte Projektgruppe „Islamistische Familienstrukturen“ erarbeiten soll, bereits fertiggestellt, bzw. wann ist mit der Fertigstellung zu rechnen?

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Nacke. - Ich orientiere mich gerade, wer für die Landesregung antwortet. - Unsere Sozialministerin Frau Rundt. Bitte sehr!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Tätigkeit auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendhilfe nehmen die Jugendämter als Aufgabe der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen des eigenen Wirkungskreises der Kommunen als Selbstverwaltungsaufgabe wahr. Hierzu zählen auch die Entscheidungen der Jugendämter zum Umgang mit Hinweisen auf Radikalisierungen von Kindern und Jugendlichen.

Auf eine nochmalige Beteiligung der niedersächsischen Jugendämter zur Beantwortung der Dringlichen Anfrage wurde verzichtet. Die nachfolgende Antwort auf Frage 1 bezieht sich also auf die Da

tenerhebung im Zusammenhang mit der Beantwortung der Kleinen Anfrage zur schriftlichen Beantwortung: Steigt die Zahl der radikalisierten Kinder und Jugendlichen? Was tut die Landesregierung?

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen wie folgt:

Zu 1.: In drei Fällen haben die Jugendämter nach Hinweisen der Sicherheitsbehörden eine Überprüfung durchgeführt. In einem dieser Fälle erfolgte zunächst eine Unterbringung in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie und danach in einer Jugendhilfeeinrichtung. In einem anderen Fall bestand Kontakt zum Staatsschutz. Im dritten Fall prüfte das Jugendamt noch weitere Maßnahmen. Fünf Jugendämter gaben außerdem an, in Fällen, in denen eine Kindeswohlgefährdung im Hinblick auch auf extrem religiöse Milieus festgestellt wurde, Inobhutnahmen durchgeführt zu haben.

Zu 2.: Wie bereits in der Vorbemerkung ausgeführt, nehmen die Jugendämter die Tätigkeit auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendhilfe als Aufgabe der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen des eigenen Wirkungskreises der Kommunen als Selbstverwaltungsaufgabe wahr. Hierzu zählt auch die Gefährdungseinschätzung nach § 8 a SGB VIII in Fällen möglicher salafistischer Radikalisierung.

Die Jugendämter sind nicht verpflichtet, das Landesjugendamt über Gefährdungseinschätzungen nach § 8 a SGB VIII zu unterrichten. Sie haben gleichwohl die Möglichkeit, nach § 85 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII eine Beratung durch das Landesjugendamt nachzufragen.

Seit 2006 fördert die Landesregierung die berufsbegleitende Fortbildung zur Kinderschutzfachkraft sowie weitere Fachveranstaltungen. Der Umgang mit radikal-salafistischen Elternhäusern wird aktuell auch in diesen Fachkreisen diskutiert. Dabei werden Hinweise auf die Einschätzung etwaiger Kindeswohlgefährdungen in diesen Familien gegeben.

Zu 3.: Die Erarbeitung eines Konzeptes im Kontext von Früherkennung, Beratung und Begleitung von Familien mit Radikalisierungstendenzen soll Präventions- und Interventionsmöglichkeiten seitens der Angehörigenberatung, aber auch seitens der Jugendämter, der Schulen und der Sicherheitsbehörden grundsätzlich standardisieren und die weitere Vernetzung sowie die Bewertungs- und Entscheidungsfähigkeit der beteiligten Akteurinnen und Akteure in den Bereichen der primären, der sekundären und der tertiären Prävention stärken.

Eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe arbeitet derzeit an der Erstellung eines praxisorientierten Konzepts und wird die wesentlichen Eckpunkte nach der diesjährigen Sommerpause vorlegen.

(Zustimmung bei der SPD - Jens Na- cke [CDU]: Wann denn nach der Sommerpause?)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Zusatzfragen sind jetzt möglich und auch schon angemeldet. Wir beginnen mit Herrn Kollegen Nacke, CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor dem Hintergrund, dass der Verfassungsschutz im Bereich der Bekämpfung des Extremismus, wozu unstreitig auch Islamismus und Salafismus gehören, ganz bewusst weitergehende Maßnahmen und Möglichkeiten hat, als sie beispielsweise die Sicherheitsbehörden haben, die Präsidentin des niedersächsischen Verfassungsschutzes bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes aber zumindest hinsichtlich der Gefährder ausdrücklich sagte, der Verfassungsschutz wisse genau das, was auch die Polizei wisse, frage ich die Landesregierung: Frau Ministerin, haben Sie im Zusammenhang mit der Beantwortung der Frage 1 eben bewusst von „Sicherheitsbehörden“ gesprochen, obwohl sich die Frage ausdrücklich auf den Verfassungsschutz bezog? Kommen die Informationen in den drei Fällen, auf die Sie sich eben bezogen haben, eher aus den Reihen der Polizei, weil der Verfassungsschutz diesbezüglich keinerlei Informationen hat? - Ich möchte gern noch einmal erläutert bekommen, in wie vielen Fällen - das war die erste Frage, die ich Ihnen gestellt habe - der Verfassungsschutz eine Rolle gespielt hat.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Diese Frage wird vom Herrn Minister Pistorius beantwortet.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe gerade noch einmal nachgefragt: Eine der Informationen zu diesen drei Fällen kam vom Verfassungsschutz, zwei von der Polizei.

Danke schön. - Die nächste Zusatzfrage stellt der Kollege Oetjen, FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor dem Hintergrund, dass die Landesregierung ausgeführt hat, dass der Aufenthalt islamistischer Gefährder bekannt sei und dass das Umfeld beleuchtet werde, hätte ich von der Landesregierung gern gewusst, wie viele Kinder und wie viele Jugendliche unter 18 Jahren in Familien leben, in denen mindestens eine Person der gewaltbereiten salafistischen Szene zuzurechnen ist, und damit diesem Extremismus ausgesetzt sind.