Protokoll der Sitzung vom 16.08.2017

Mit Abschluss der Arbeit der Enquetekommission werden diese Arbeitsergebnisse nun in einer dreibändigen Publikation vorgelegt. Dies sollte gleichzeitig auch Basis für eine weitere wissenschaftliche Bearbeitung dieses Themas sein. Insbesondere die Anhörung der Zeitzeugen hat gezeigt, dass die historische Sichtweise nur ein Teilbereich ist. Bei

leider viel zu vielen Menschen ist bereits nach 25 Jahren manches in Vergessenheit geraten. Deshalb muss es unser aller Ziel sein, auf Grundlage der Arbeitsergebnisse der Kommission das Bewusstsein für das Stasiunrecht zu schärfen, dieses transparent zu machen und im Bewusstsein unserer Bevölkerung wachzuhalten.

Die Enquetekommission hatte den Auftrag, ein nicht abgeschlossenes Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte aufzuarbeiten. Wir haben einiges an Erkenntnissen zusammentragen können. Hier danke ich allen Mitgliedern und Sachverständigen in der Enquetekommission, aber auch allen Damen und Herren, die uns ihre Erlebnisse und Erfahrungen geschildert haben. Danken möchte ich darüber hinaus den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landtagsverwaltung und der Ministerien für ihre Unterstützung.

(Beifall)

Ein ganz besonderer Dank geht aus Sicht der CDU-Landtagsfraktion an Hartmut Büttner und Dr. Hans-Jürgen Grasemann.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP sowie Zustimmung bei den GRÜNEN)

Lieber Hartmut Büttner, nicht nur haben Sie uns mit Ihrem Fachwissen, Ihren umfangreichen Kenntnissen und Ihrem unglaublichen Netzwerk beeindruckt, sondern Sie haben mit Ihren Erfahrungen und Kenntnissen - gemeinsam mit den anderen Sachverständigen - mitunter auch den Blick deutlich erweitert und uns hin und wieder zur Tagesordnung zurückgeholt.

Dr. Hans-Jürgen Grasemann hat sich durch seinen jahrzehntelangen Einsatz für Stasiopfer und für die juristische Aufarbeitung des DDR-Unrechts verdient gemacht und in der Enquetekommission hierbei einen wichtigen Platz eingenommen. Er ist leider - viel zu früh - Ende 2016 plötzlich gestorben.

Danken möchte ich auch allen Zeitzeugen, insbesondere Herrn Preuß, der heute anwesend ist, die die Kraft und den Mut aufgebracht haben, ihre persönliche Geschichte mit uns zu teilen. Dies waren zum Teil sehr bewegende Momente, die uns immer wieder Respekt abforderten, aber auch Demut und Dankbarkeit, selber derartiges nicht erlebt haben zu müssen.

(Beifall)

Gerade die Berichte der Zeitzeugen belegen: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Sie muss immer wieder aufs Neue erkämpft werden.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Richtig!)

Mechanismen, Methoden und Ausmaß staatlicher Unterdrückung aufzuarbeiten, ist auch ein Beitrag, um unsere Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Zukunft zu stärken. Der Bericht der Enquetekommission beinhaltet eine Auswertung gewonnener Erkenntnisse. Eine Liste von Empfehlungen wurde dem Abschlussbericht angeheftet. Diese Empfehlungen widmen u. a. der jungen Generation, die die Teilung unseres Landes nicht miterlebt hat, besondere Aufmerksamkeit. Dabei geht es um Erinnerungskultur, um die Vermittlung von Erfahrungen, was es bedeutet, in einem geteilten Land unter einem totalitären Regime zu leben. Das Wissen um die Auswirkungen einer Diktatur auf den Einzelnen muss vor allem der jungen Generation nahe gebracht werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP sowie Zustimmung von Hans-Dieter Haase [SPD])

Außerdem richten sich die Empfehlungen des Abschlussberichtes an die Menschen, welche die zweite Diktatur auf deutschem Boden noch selbst erlebt haben.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich möchte gern auf einige Ergebnisse der Enquetekommission etwas detaillierter eingehen.

Alle Mitglieder der Enquetekommission wissen die erfolgreiche Arbeit der Beratungsstelle für SEDOpfer im Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport zu schätzen. Wir empfehlen, diese Opferberatungsstelle so lange fortzuführen, wie hierfür Nachfrage besteht, und dabei weiterhin für eine finanziell und personell ausreichende Ausstattung zu sorgen. Positiv ist die Arbeit des vorhandenen Netzwerkes zu bewerten: bestehend aus der Opferberatungsstelle, dem niedersächsischen Netzwerk für SED- und Stasiopfer sowie vielen aktiven Opferverbänden und verbandsungebundenen SED- und Stasiopfern.

Die meisten Opfer haben verfolgungsbedingte Gesundheitsschäden davongetragen. Bei der Anerkennung dieser Gesundheitsschäden gibt es bedauerlicherweise - bedingt durch die Unterschiedlichkeit der 16 Länder, die ein Bundesgesetz anwenden müssen - immer wieder Ungerechtigkeiten und erhebliche Unterschiede in der Begutachtung. Hier sind Bundesregierung und Bundestag

gefragt. Ziel sollte es sein, dass Gutachter nicht nur medizinisch sachverständig sind, sondern auch über die nötigen geschichtspolitischen und DDRspezifischen Kenntnisse verfügen und die Begutachtung insgesamt verbessert und vereinheitlich wird.

Leistungen der bescheidenen Opferrente von maximal 300 Euro monatlich erhalten nur SED-Opfer, die heute sozial bedürftig sind. Bei der Anhörung von Zeitzeugen wurde deutlich, dass es den meisten Betroffenen nicht in erster Linie um einen finanziellen Ausgleich einer sozialen Notlage geht, sondern vielmehr um die Anerkennung des wiedervereinten Deutschlands für ihren Einsatz für Demokratie und persönliche Freiheit - wofür ich ihnen heute noch sehr dankbar bin.

(Beifall)

Hier sollte eine Bundesratsinitiative erwirken, dass diese besondere Zuwendung künftig nicht mehr an eine heute bestehende Bedürftigkeit gebunden wird, sondern nur noch an eine Mindestdauer von 180 Hafttagen. Auf weitere Empfehlungen wird meine Kollegin Heidi Mundlos später noch eingehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich empfinde Hochachtung vor denen, die der DDR die Stirn geboten und für ihre Freiheit gekämpft haben - nicht nur für ihre Freiheit, sondern für unser aller Freiheit.

(Lebhafter Beifall)

Ich hoffe, dass möglichst viele der Empfehlungen der Enquetekommission umgesetzt werden und dass nachfolgende Parlamente das Ihrige dazu beitragen und gegebenenfalls mit einer weiteren Kommission zur Bearbeitung der offenen Fragestellungen herantreten. Vor allem aber hoffe ich, dass unsere Kinder und Enkel von totalitären Systemen verschont bleiben. Wenn dazu mit dieser Enquetekommission ein kleiner Beitrag geleistet werden konnte, hätten wir sehr viel erreicht.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker Beifall)

Vielen Dank, Herr Meyer. - Jetzt hat sich zu Wort gemeldet Regina Asendorf für Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vom Beschluss zur Einsetzung der Enquetekommission im Februar 2015 bis heute zur Vorstellung im Landtag sind auf immerhin 147 Seiten unglaublich viele Fakten zusammengestellt worden. Es hat Anhörungen gegeben. Insbesondere die Anhörung der Opfer wird uns Mitgliedern der Kommission sicherlich in Erinnerung bleiben. Denn auch wenn der Besuch des Archivs in Magdeburg mit seinen unvorstellbar vielen Säcken und Akten schon beeindruckend war, war es wichtig, diesen doch anonymen Quellen ein Gesicht zu geben.

Es war oft schwer zu ertragen, so wie es immer schwer zu ertragen ist, wenn so viel Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit passiert, wo auch immer. So war es für mich von Anfang an die Frage, welche Lehren wir aus dieser Kommission ziehen können.

Zuerst einmal die Erkenntnis, dass das begangene Unrecht schwerlich wiedergutzumachen ist. Genommene Lebenszeit kann man nicht mehr ersetzen. Wenn wir das nicht können, so stellt sich die Frage nach den Konsequenzen für diejenigen, die nun Zeuge geworden sind, und wie sie den Opfern gerecht werden können.

„Die Erkenntnis der Erkenntnis verpflichtet“, sagt Maturana in seinem Buch „Der Baum der Erkenntnis“. Die Verpflichtung, die sich aus dieser Erkenntnis ergibt, kann nur sein, alles, wirklich alles dafür zu tun, dass all das nicht wieder passiert.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der FDP)

Das bedeutet, sich die Mechanismen des Apparates anzusehen, der die Menschen dazu gebracht haben, andere zu überwachen und ihnen damit jegliche Privatheit und Bürgerrechte zu nehmen.

„Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.“ Dieses Sprichwort legt die moralische Grundlinie in unserer Gesellschaft dar. Man könnte den Spruch erweitern und sagen, dass wenn du anderen doch etwas tust, vor dem du selbst dich fürchten würdest, dann zerstörst du das Gefüge unserer Gesellschaft. - Das Bindeglied zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft ist Vertrauen. Wenn es nicht mehr existiert, herrschen Angst, Misstrauen und Hass. Eine solche Gesellschaft kann nicht mehr demokratisch handeln. Ihr fehlt die Grundlage einer Beteiligung der Bürger.

In der ehemaligen DDR hat man eine Gesellschaft des Nebeneinander und nicht des Miteinander erzeugt. Auf Dauer kann dies keinen Bestand haben. Eine solche Gesellschaft ist nicht mehr innovativ, sie entwickelt sich nicht weiter, sie verarmt in vielerlei Hinsicht.

Um uns herum können wir diese Entwicklung beobachten, in der Türkei, in Polen, in den USA. Die Demokratien erodieren um uns herum. Aber auch wir sind nicht frei von derartigen Tendenzen. Sie sind schleichender, unauffälliger. Wir gewöhnen uns jeden Tag an etwas mehr Unfreiheit, Unmoral und Verantwortungslosigkeit, sei es in der Politik oder in den Konzernspitzen, sei es die Dieselaffäre oder seien es Pflanzenschutzmittel im Grundwasser. Es regt uns auf, und gleichzeitig können millionenschwere Manager kalt lächelnd in die Kamera sehen und uns fadenscheinige Erklärungen geben - fast so, wie es in der DDR alltäglich war. Wahrhaftigkeit ist kein Wert mehr, sondern ein Hindernis im Karrierelauf.

(Unruhe bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich habe bei den Diskussionen immer parallel unser eigenes Land vor Augen und die Zukunft, in die es geht, und ich betrachte es mit Sorge.

Ich hoffe, dass Sie sich angesichts des Berichts an die Errungenschaft unserer Demokratie erinnern, den Auftrag, den uns die Verfassung gegeben hat. Deswegen wiederhole ich hier und jetzt: Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Volke und dem Lande widmen, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und die Niedersächsische Verfassung sowie die Gesetze wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegenüber jedermann üben werde. Immer!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Ulf Thiele [CDU]: Das kann man doch nicht so stehen lassen, wie sie Konzernmanager verglichen hat!)

Vielen Dank, Frau Asendorf. - Für die FDP-Fraktion hat sich zu Wort gemeldet Almuth von BelowNeufeldt. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mauertote, keine Meinungsfreiheit, politische Häftlinge, Beschränkung von Reisefreiheit,

kein Wahlrecht und Freikauf politischer Häftlinge - das alles haben wir aus den vielen, vielen Jahren der DDR-Zeit wohl fast alle noch im Kopf.

Meine Damen und Herren, 25 Jahre, nachdem die Mauer endlich gefallen war und auch die neuen Bundesländer endlich freie demokratische Länder wurden, kam der CDU-Antrag: im Oktober 2014, unmittelbar nachdem sich der Mauerfall zum 25. Mal gejährt hatte. Es war Zeit, es war höchste Zeit; denn, meine Damen und Herren, die Geschichte lebt. Sie lebt mit denjenigen, die sie miterlebten und die darüber berichten können. Das ist ganz, ganz wichtig; darauf komme ich gleich noch zu sprechen.

Meine Damen und Herren, die Einsetzung der Enquetekommission war bedeutsam, wichtig und richtig gut. Niedersachsen ist das Nachbarland mit der längsten Grenze zur ehemaligen DDR. Niedersachsen ist auch ein Land, in dem die Stasi des Unrechtsregimes der DDR umfangreich gewirkt hat.

Meine Damen und Herren, in der Enquetekommission waren wir 17 Mitglieder. Frau Dr. Lesemann hat das bereits beschrieben. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ganz ausdrücklich den Sachverständigen danken, die uns nicht nur beraten, sondern auch zu verschiedensten Orten begleitet haben, wo wir mit der Stasi und ihren Machenschaften konfrontiert wurden, aber auch mit ihren Hinterlassenschaften. Außerdem haben sie den Blick in die Zukunft gelenkt; denn gerade den Sachverständigen haben wir es zu verdanken, dass aufgezeigt wurde, wo noch Forschungs- und Erkundungsbedarf besteht. Das, meine Damen und Herren, ist eine Aufgabe, der die Politiker der nächsten, der 18. Wahlperiode des Niedersächsischen Landtags hier hoffentlich mit viel Engagement nachkommen werden und für das sie nach meiner Hoffnung auch Verantwortung übernehmen wollen und mögen.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der SPD)

Ich möchte an dieser Stelle ganz besonders Herrn Professor Schmiechen-Ackermann danken, aber natürlich auch Frau Professorin Münkel und Herrn Büttner. Sie haben den Blick nicht nur nach hinten, sondern wirklich auch nach vorne gerichtet.

Meine Damen und Herren, der Auftrag der Enquetekommission umfasste neun Punkte. Im Rahmen ihrer Bearbeitung haben wir verschiedene

Dinge unternommen. Ich möchte zunächst einmal den Besuch der Stasizentrale in Berlin herausstellen. Wir waren an dem Platz, an dem Herr Mielke seine Frühstücksanweisung hinterlegt hatte. Es war ein Blatt Papier, auf dem aufgezeichnet ist, wo der Teller und wo der Kaffee stehen und dass er zwei Eier zum Frühstück haben möchte. Ich habe in dem Augenblick nur gedacht: Was für ein Kleingeist! Was für eine grausame, riesengroße Maschinerie steht dahinter, um all die Menschen, die in der DDR leben mussten, zu unterdrücken!