Sagen Sie bitte auch: Warum schaffen Sie die Möglichkeit ab, die Mittel für die Verbesserung der hochschulnahen sozialen Infrastruktur einzusetzen? - Hier geht es um psychosoziale Betreuung, flexible Kinderbetreuung und Ähnliches. Wenn Sie
wirklich den Kindern aus Nichtakademikerhaushalten Chancen geben wollen, öffnen Sie bitte wieder die Verwendungseinschränkung, die Sie gerade einführen wollen!
Meine Damen und Herren, Sie betreten - wie Frau Schröder-Ehlers im Rechtsausschuss so schön sagte - rechtliches Neuland mit diesem Gesetz. In der Tat, Sie übertragen die Verteilung der Kompensationsmittel auf eine Kommission ohne demokratische Legitimation, die ein Einvernehmen mit dem Präsidium herstellen soll. Geschieht dies nicht, kann kein Geld ausgezahlt werden, weil Sie sich weigern, diesen Streitfall zu regeln. Hier ist wieder das Prinzip Hoffnung - Hoffnung, dass niemand klagt und alles gut geht.
Dann haben Sie noch Regelungen ins Gesetz gebracht, die mit Chancengleichheit nichts zu tun haben, aber gleichwohl rechtlich auf sehr dünnem Eis stehen. Sie regeln das Verhältnis zwischen Senat und Hochschulrat neu und bleiben, wie Professor Epping in der Anhörung ausgeführt hat, hinter der gültigen Rechtslage zurück. Das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesverfassungsgericht bestimmen die Halbwertszeit dieser Regelung. Auch hier ist es wieder das Prinzip Hoffnung, dass niemand klagt.
Meine Damen und Herren, wir beschließen heute das erste eigene Gesetz von Rot-Grün im Geschäftsbereich des MWK. Es ist das einzige Wahlversprechen, das Sie einlösen. Warum vermurksen Sie dieses Gesetz?
Sie legen hier ein Gesetz vor, das das erklärte Ziel - Verbesserung der Chancengleichheit - niemals erreichen kann. Sie spicken dieses Gesetz mit Rechtsunsicherheiten und unterlaufen sogar die gültige höchstrichterliche Rechtsprechung. Dem Richter, der sich dereinst durch unsere Protokolle quälen wird, um herauszufinden, was sich der Gesetzgeber hierbei gedacht hat, gebe ich von dieser Stelle schon einmal als Erklärung: Rot-Grün will hier ganz bewusst rechtliches Neuland erkunden und überlässt es den Gerichten, dieses Gesetz anwendbar zu machen.
Zu Wort gemeldet hat sich unsere Ministerin für Wissenschaft und Kultur, Frau Dr. Gabriele Heinen-Kljajić. Sie haben das Wort.
(Björn Thümler [CDU]: Ihre Rede ist schon im Internet! - Jens Nacke [CDU]: Das ist eine Missachtung des Parlaments! - Jörg Hillmer [CDU]: Ich dachte, Sie wollten gar nicht spre- chen!)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem heutigen Gesetz korrigieren wir einen der größten Fehlgriffe schwarz-gelber Hochschulpolitik.
Nach den Ausführungen der Oppositionsfraktionen kann ich nur sagen: auch eine der größten Fehleinschätzungen schwarz-gelber Hochschulpolitik.
Wir jedenfalls schaffen heute aus guten Gründen die Studiengebühren ab, und wir verpflichten uns gleichzeitig, sie an den Hochschulen zu 100 % zu kompensieren, auch dann, wenn die Studierendenzahlen steigen.
Damit lösen wir ein zentrales Versprechen rotgrüner Politik ein, nämlich mehr Gerechtigkeit, weniger Ausgrenzung und ein Bildungssystem, das auf Anreize setzt, statt Zugangshürden aufbaut.
Manchmal, lieber Herr Hillmer und liebe Frau von Below-Neufeldt, lohnt dann doch der Blick in die Geschichte: Alle erfolgreichen Bildungsinitiativen in Deutschland waren von der Erfahrung geprägt, dass eine höhere soziale Durchlässigkeit im Bildungssystem nicht an mangelnder Intelligenz oder Kompetenz der jeweiligen Kinder scheitert, sondern sie scheitert am Geldbeutel der Eltern.
Deshalb sind alle erfolgreichen Bildungsinitiativen mit finanziellen Entlastungen begleitet: Sei es die Einrichtung des BAföG, sei es die Kostenfreistellung der Fahrten zur Schule, oder sei es 1970 die Abschaffung der Studiengebühren.
Viele von uns, jedenfalls auf der linken Seite dieses Hauses - für Ihre Seite kann ich das nicht beurteilen -, würden heute nicht hier sitzen - mich selbst ausdrücklich mit eingeschlossen -, hätte es diese Bildungsoffensiven nicht gegeben.
Kosten - das wird Ihnen jede Studie aktuellen oder älteren Datums bestätigen - behindern soziale Mobilität im Bildungssystem.
Frau Ministerin, ich darf Sie kurz unterbrechen, bevor Sie auf die Untersuchung eingehen. Von Frau von Below-Neufeldt liegt die Bitte vor, eine Zwischenfrage stellen zu dürfen.
Ich habe folgende Frage: Warum gibt es bei den Grünen in Baden-Württemberg Überlegungen - haben Sie Kenntnis darüber? -, bestimmte Prüfungen und Zugangsberechtigungen an den Hochschulen gebührenpflichtig zu machen?
Das kann ich Ihnen im Detail nicht sagen, weil das Ganze noch in der Beratung ist. Ich weiß nur, dass wir hier in Niedersachsen uns das nicht zu eigen machen werden. Und nur das zählt für mich!
Aber ich wollte noch auf die Ausführungen von Herrn Hillmer zu den Studien eingehen. Die Untersuchungen des HIS und auch viele andere Studien belegen, dass insbesondere junge Menschen aus
- Lassen Sie mich ausreden! Ich gehe auf den von Ihnen gerade zitierten Bericht in der Anhörung ein.
Dieser Verzicht ist ein Effekt, der offenbar auch in Ländern zum Tragen gekommen ist - das war der einzige Dissens zwischen den unterschiedlichen Gutachtern in der Anhörung -, die keine Studiengebühren eingeführt hatten. Herr Hillmer, das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, das Sie eben zitiert haben - das Zitat war korrekt -, bezweifelt zwar, dass es einen länderübergreifenden Wirkeffekt auch in den Ländern gibt, die gar keine Studiengebühren haben, und negiert aus diesem Grunde den Kausalzusammenhang,
bietet aber interessanterweise selbst auch keine alternative Erklärung für die Faktenlage. Dass es einen statistisch signifikanten Rückgang der Studierneigung um round about 6 % seit Einführung der Studiengebühren gibt
und dass dieser bei Nichtakademikerkindern noch deutlich stärker ausgeprägt ist als bei anderen Kindern, ist eine Aussage, die weder jemand in der Anhörung noch jemand in einer mir bekannten anderen bundesdeutschen Studie bestritten hat. Das bestreitet auch das WZB nicht.
Ich weiß nicht, ob Sie darauf eingegangen sind: Auch die Studie des NIW sollte man nicht unerwähnt lassen: Diese Studie zeigt als Ergebnis, dass sich das Ausgabe- und Sparverhalten von Studierenden nach der Einführung von Studiengebühren nicht geändert hat. Auch diese Aussage ist wenig hilfreich, weil die Untersuchung nichts darüber aussagt, wie viele Studienberechtigte sich ein Studium gespart haben.
Ich behaupte auch überhaupt nicht, dass allein mit der Abschaffung der Studiengebühren die soziale Frage im Hochschulbereich geklärt wäre, aber ich bin fest davon überzeugt, dass alle Bemühungen, die wir starten, um mehr Durchlässigkeit im Bildungssystem - rein in die Hochschulen - zu schaffen, scheitern werden, solange beim Eintritt ins Studium erst mal abkassiert wird.
Frau von Below-Neufeldt, Sie haben eben versucht, den Eindruck zu erwecken, als seien die Kosten, die da auf einen zukommen, eher zu vernachlässigen. Ein durchschnittlicher Arbeiterhaushalt in Deutschland - nur um eine Referenzgröße zu benennen, die sich auf die Zielgruppe bezieht, über die wir hier eigentlich reden und die wir an die Hochschulen holen wollen - hat im Monat ein verfügbares Nettoeinkommen von 1 212 Euro. Das bedeutet, dass die Studienbeiträge pro Kind und Jahr also das verfügbare Nettoeinkommen fast eines ganzen Monats verschlingen.
Auch das Kreditrisiko wird in diesen Familien aufgrund der geringen Einkommen natürlich ganz anders wahrgenommen. Das wurde zu der Frage, wer überhaupt die Studienbeitragsdarlehen in Anspruch genommen hat, wunderbar empirisch dokumentiert. Das war eine verschwindend geringe Zahl, was genau diesen Effekt noch einmal eindrücklich belegt hat.