Protokoll der Sitzung vom 12.12.2013

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil die Umsetzung der EU-Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung also nicht aus prinzipiellen Gründen für verfassungswidrig erklärt, sondern aus Gründen ihrer konkreten Ausgestaltung. Das ist ein wichtiger Unterschied. Das bedeutet nämlich: Wenn der deutsche Gesetzgeber es handwerklich besser macht, dann wird Karlsruhe die Regelung mutmaßlich nicht scheitern lassen.

Ich betone das auch deshalb, weil dieser wichtige Aspekt in der überhitzten Debatte zur Vorratsdatenspeicherung der letzten Monate gerne unterschlagen wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger und der Datenschutz sind gleichrangige Verfassungsgüter. Sicherheit ist kein „Supergrundrecht“.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es wäre ein kapitaler Fehler, sie gegeneinander ausspielen zu wollen.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Richtig!)

Ich habe vor einigen Wochen - ich glaube, es war in der letzten Landtagssitzung -, als es um das Thema Datenschutz ging, auch darauf hingewiesen, wie unsere Wahrnehmung und unsere Argumentation sich unter dem Eindruck äußerer Ereignisse zu verändern neigen und dass es darauf ankommt - je nachdem, welche Situation wir gerade haben -, einen distanzierten Standpunkt einzunehmen und die Dinge differenziert zu betrachten.

Aus meiner Sicht - um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen - ist die Frage einer verfassungskonformen Neuregelung gegenwärtig allerdings nicht akut. Denn es sind zwei Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig, welche die Rechtmäßigkeit besagter Richtlinie zum Gegenstand haben. Das österreichische und das irische Verfassungsgericht stellen dem EuGH diese Frage: Ist die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung mit europäischen Grundrechten vereinbar?

Gerade heute Vormittag wird der Generalanwalt seine Schlussanträge verkünden. Ich rechne deshalb im Laufe des kommenden Jahres mit einer Entscheidung des Gerichts.

Die Anträge werden aufschlussreich sein. Die Erfahrung zeigt, dass sich das Gericht häufig an ihnen orientiert. Aber warten wir doch erst einmal diese Gerichtsentscheidung ab!

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu Frage 1: Bei der Umsetzung von EU-Recht steht nicht das Land Niedersachsen, sondern der Bundesgesetzgeber in der Pflicht. Die Frage, wie Niedersachsen im Bundesrat über eine etwaige Gesetzesvorlage zur Vorratsdatenspeicherung abstimmen wird, hängt von der konkreten Ausgestaltung der Vorlage ab. Sowohl das Ob als auch das Wie eines entsprechenden Gesetzentwurfs sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt völlig offen. Zudem bleibt abzuwarten, ob und inwieweit die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung überhaupt Bestand haben wird. Vor diesem Hintergrund verbietet sich jede Aussage über ein konkretes Abstimmungsverhalten der Niedersächsischen Landesregierung - jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt.

Zu Frage 2: Die Niedersächsische Landesregierung wird sich über den Bundesrat für einen hohen datenschutzrechtlichen Standard auch auf der EUEbene einsetzen. Das gilt auch für den Fall einer Überarbeitung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung.

Zu Frage 3: Für die Niedersächsische Landesregierung ist der Datenschutz von zentraler Bedeutung. Vor diesem Hintergrund setzt sich die Niedersächsische Landesregierung in allen relevanten Rechtsbereichen für eine Stärkung des Schutzes der Daten unserer Bürgerinnen und Bürger ein - nicht nur gegenüber staatlichen, sondern auch gegenüber privaten Einrichtungen, meine Damen und Herren. So bereitet die Landesregierung gegenwärtig beispielsweise im Versammlungsrecht eine Gesetzesnovelle vor, die insbesondere der Verbesserung des Datenschutzes dient, indem etwa der Umfang der anzugebenden personenbezogenen Daten von Versammlungsleitern reduziert werden soll. Eine Novellierung des Gefahrenabwehrrechts wird beispielsweise die Einschränkung der Videoüberwachung vorsehen. Und - um ein letztes Beispiel zu nennen - über den Bundesrat fordert die Landesregierung gegenwärtig einen weitreichenden Datenschutz für Beschäftigte ein.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Innenminister. - Zu einer ersten Zusatzfrage hat sich jetzt aus der FDP-Fraktion der

Abgeordnete Jan-Christoph Oetjen gemeldet. Herr Oetjen, bitte sehr!

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, ich hätte vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Zeitdauer der Speicherung in der europäischen Richtlinie für das Bundesverfassungsgericht das Problem ist, gerne gewusst, ob sich die Landesregierung gegenüber der Bundesregierung dafür einsetzen will, dass die Bundesrepublik Deutschland in die Verhandlungen mit der Europäischen Union nicht nur die Verkürzung der Speicherfrist bei der Vorratsdatenspeicherung, sondern auch das von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in die Diskussion gebrachte Quick-Freeze-Verfahren einbringen wird.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke schön. - Herr Innenminister!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Oetjen, der Koalitionsvertrag - wenn er denn am Ende so Bestand haben wird - sieht vor, bei der europäischen Richtlinie eine Verkürzung auf eine Speicherfrist von drei Monaten zu erreichen. Das ist ein Ergebnis der Verhandlungen, die in Berlin geführt worden sind.

Die Frage des Quick-Freeze-Verfahrens beurteile ich zunächst etwas zurückhaltend. Ich würde das gerne der fachlichen Diskussion anheimstellen, die im Falle einer Umsetzung entsprechender gesetzlicher Regelungen selbstverständlich geführt werden sollte. Ich persönlich kann den Vorteil des Quick-Freeze-Verfahrens nicht unmittelbar erkennen, insbesondere dann nicht, wenn wir, wie in diesem Fall, über eine Mindestspeicherdauer von nur drei Monaten für einen deutlich enumerativ abschließenden Katalog schwerer Straftaten reden. Von daher sehe ich ad hoc den Spielraum und die Notwendigkeit dafür nicht, würde mir aber gerne die Option offenhalten, darüber mit Fachleuten zu diskutieren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Jens Nacke [CDU]: Das würden wir in allen Beeichen empfeh- len, mit den Fachleuten zu sprechen!)

Danke schön. - Zu einer nächsten Zusatzfrage hat sich ebenfalls für die FDP Herr Dr. Stefan Birkner gemeldet. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister, vor dem Hintergrund, dass Sie in der Antwort auf die Dringliche Anfrage ausgeführt haben, wie das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit ist, frage ich: Wie ist eigentlich Ihre Position als Innenminister zu dem Instrument der Vorratsdatenspeicherung?

(Christian Dürr [FDP]: Sehr gute Frage!)

Wollen Sie das Instrument haben, oder sagen Sie, es gibt auch andere Instrumente, die geeignet sind, die Sicherheit zu gewährleisten?

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke schön. - Herr Innenminister, bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dr. Birkner, als Innenminister sage ich Ihnen, dass wir jede Menge Beispiele aus den vergangenen Jahren seit den einschlägigen Entscheidungen haben, in denen die fehlende Speicherung von Vorratsdaten, von Telekommunikationsdaten dazu geführt hat, dass wir bestimmte Verbrechen nicht haben aufklären können. Das muss man erst einmal so festhalten. Es gibt Fälle von schwerer Kinderpornografie, bei denen die IP-Adressen nicht mehr haben ermittelt werden können und es nur über diese möglich gewesen wäre, die Käufer von abscheulichsten kinderpornografischen Abbildungen und Videos zu ermitteln.

Ich war vor 14 Tagen bei Europol in Den Haag. Dort hat mir der Direktor von Europol berichtet, dass es kürzlich ein großes Ermittlungsverfahren von Europol unter Beteiligung verschiedener Kriminalbehörden der Mitgliedstaaten der EU gegeben habe. Dabei ging es auch um Kinderpornografie. Dort ging es insbesondere um die Frage, ob über Telekommunikationsdaten der mutmaßliche Aufenthaltsort von Kindern hätte ermittelt werden können. In Spanien, England und Frankreich konnte das passieren, in Deutschland aus den naheliegenden Gründen aber nicht.

Von daher sage ich: Ja, es gibt aufgrund der Sicherheitserfordernisse ein dringendes Bedürfnis, auch auf Telekommunikationsdaten zuzugreifen, weil ich der festen Überzeugung bin, dass das Internet weder ein straf- oder rechtsfreier Raum noch ein verfolgungsfreier Raum ist. Wenn sich gerade bei bestimmten Deliktsbereichen die Kriminalität vor allem im Internet bewegt und über das Internet abgewickelt wird, dann ist es für mich naheliegend, auf solche Daten zuzugreifen.

Aber - das ist der entscheidende Satz - ich halte sehr viel davon, beide Güter sehr sorgfältig gegeneinander abzuwägen, weil ich der Auffassung bin, dass der Datenschutz ebenfalls ein sehr hohes Gut ist. Deswegen muss der Eingriff so gering sein, dass er in der Abwägung der Rechtsgüter die Interessen und Schutzgüter des einen noch schützt und gleichzeitig unserer Verantwortung für die Sicherheit von Menschen in diesem Land gerecht wird. Das ist die politische Herausforderung. Deswegen sage ich: Ja, aber die Grenzen müssen klar sein. Es muss sehr genau definiert sein, und es muss sehr zurückhaltend sein - bei höchster Kontrolle und bei Gewährleistung höchster technischer Sicherheitsstandards, die wir uns vorstellen können. Nur dann bin ich dafür, dass wir eine Vorratsdatenspeicherung bekommen.

Danke.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Minister. - Die nächste Zusatzfrage kommt noch einmal von der FDP. Herr Dr. Marco Genthe, bitte sehr!

(Grant Hendrik Tonne [SPD]: Die Landesregierung wird gefragt!)

Werden Sie Ihr Veto einlegen und dafür sorgen, dass die Landesregierung bei der Einführung der Vorratsdatenspeicherung im Bundesrat nicht zustimmt, und werden Sie damit ein grünes Wahlversprechen einlösen?

(Beifall bei der FDP)

Die Frage wurde an die Landesregierung gerichtet. Für die Landesregierung antwortet die verehrte Frau Justizministerin. Bitte sehr!

Die Niedersächsische Landesregierung

(Die Rednerin räuspert sich)

- jetzt verstehen Sie, warum die Fragen insgesamt vom Innenminister beantwortet wurden - wird sich darüber ein Bild machen, wenn ein solcher Gesetzentwurf der Bundesregierung auf dem Tisch liegt. Der ist im Augenblick nicht da. Deswegen ist im Augenblick noch nicht darüber zu befinden. Deswegen kann ich Ihnen dazu im Augenblick noch nichts sagen. Sprechen Sie uns wieder darauf an, wenn ein solcher Gesetzentwurf da ist!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Danke schön. - Die nächste Zusatzfrage kommt von Fraktion der SPD. Kollege Maximilian Schmidt, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund, dass die fragestellende Fraktion das weltpolitische Thema NSA und gleichzeitig die rechtskonforme Umsetzung der europäischen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in einer Anfrage, in einem Gleichklang genannt hat, frage ich die Landesregierung: Was ist eigentlich der qualitative Unterschied zwischen dem, was die NSA tut, und dem, was die Vorratsdatenspeicherung bedeutet? Was bedeutet beides für den Datenschutz?

(Christian Dürr [FDP]: Also, er schlägt jetzt vor, dass der Bund so handelt wie die NSA! Das ist interessant!)

Danke schön. - Für die Landesregierung antwortet jetzt wieder der Innenminister.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der qualitative Unterschied liegt auf der Hand und wurde eben in der ersten Beantwortung von mir schon dargelegt. Bei dem, was wir mit NSA, Prism und anderen in den letzten Monaten

erlebt haben, ging es um die völlig rechtsgrund- und anlasslose Ausspähung massenhafter Datensätze und bezüglich der Kommunikation nicht nur um Verbindungsdaten, sondern auch um Inhalte. Das ist eine Qualität, wie wir sie in dieser Form nie für möglich gehalten haben, die jenseits unseres, jedenfalls meines, Vorstellungsvermögens stattgefunden hat. Von daher erübrigt es sich, das näher auszuführen.