Protokoll der Sitzung vom 12.12.2013

erlebt haben, ging es um die völlig rechtsgrund- und anlasslose Ausspähung massenhafter Datensätze und bezüglich der Kommunikation nicht nur um Verbindungsdaten, sondern auch um Inhalte. Das ist eine Qualität, wie wir sie in dieser Form nie für möglich gehalten haben, die jenseits unseres, jedenfalls meines, Vorstellungsvermögens stattgefunden hat. Von daher erübrigt es sich, das näher auszuführen.

Aber lassen Sie mich bei dieser Frage etwas anderes hinzufügen: Ich verstehe die Anfrage der FDP durchaus in dem Sinne, wie sie gestellt wurde, weil sie etwas darstellt, was in der Bevölkerung in den letzten Monaten genauso diskutiert wurde. Wir reden ja über den Datenschutz - das habe ich hier vor ein paar Wochen schon einmal gesagt - seit ein paar Monaten mit einer ganz anderen Intensität als noch vor fünf Jahren. Das ist gut und richtig. Es führt aber dazu, dass leider - ich habe es vorhin kurz angesprochen - in einer Art Hysterie die Dinge durcheinandergeworfen werden. Ich erinnere an die Verabschiedung der einschlägigen Gesetze zur Neuregelung der Bestandsdatenauskunft im Sommer dieses Jahres. Da war eine für mich bisweilen nur noch schwer nachvollziehbare Hysterie im Gange, weil man überhaupt nicht mehr unterschied zwischen dem, worum es dabei ging, auf der einen Seite und NSA und Prism auf der anderen Seite. Genauso ist es bei der Frage NSA und Prism einerseits und der Funkzellenabfrage andererseits, die ein wichtiges Instrument der Polizei ist, gerade bei der Gefahrenabwehr, und die niemand in seinen Rechten beeinträchtigt. Auch das wird hier und da, nicht nur bei der FDP, in einen Topf geworfen.

Deswegen ist es so wichtig, dass wir in der politischen Debatte sorgfältig und genau bleiben. Es ist wichtig, in solchen Diskussionen immer wieder darauf hinzuweisen, wie auch ich es gerade getan habe, dass nicht mehrere Grundrechte gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Wir müssen sorgfältig beachten, dass einerseits Sicherheit ein wichtiges Schutzgut ist, aber andererseits eben auch der Datenschutz und die Unverletzlichkeit der persönlichen Daten. Es kommt auf die Balance an und auf eine politische Diskussion, die sich darum bemüht, die Grenzen nicht zu verwischen und keine Hysterie zu erzeugen. Vorratsdatenspeicherung, wenn sie vernünftig ausgestaltet ist, ist nicht zwingend etwas, was die Menschen in ihren Rechten tiefgreifend verletzt, jedenfalls dann nicht, wenn man es gut macht und wenn man gleichzeitig deutlich machen kann, in welcher Abwägung dazu

das Sicherheitsbedürfnis und die Sicherheitslage stehen. Das ist aber etwas völlig anderes als bei NSA oder Prism, wo wir es mit Hysterie zu tun haben, wo wir es mit einer Überwachungsmanie bestimmter Geheimdienste und anderer zu tun haben. Das ist nicht dasselbe. Wir alle sollten uns gemeinsam darum bemühen, das sorgfältiger voneinander zu trennen.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Innenminister. - Die nächste Zusatzfrage stellt die Fraktion der FDP, Herr Abgeordneter Oetjen. Bitte sehr!

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Innenminister, ich hätte gern von Ihnen gewusst, ob Sie die Einschätzung von Sigmar Gabriel teilen, dass die im Juli 2011 verübten schrecklichen Anschläge von Anders Breivik auf der Insel Utøya deswegen besonders gut haben aufgeklärt werden können, weil es in Norwegen eine Vorratsdatenspeicherung gibt.

(Zustimmung bei der FDP)

Danke schön. - Herr Innenminister, bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Oetjen, mit Verlaub: Dazu habe ich keine Meinung, weil ich die Hintergründe der Aufklärung dieser Straftat nicht so im Detail beurteilen kann, dass ich sagen könnte, welche Rolle eine Vorratsdatenspeicherung gespielt hat oder auch nicht. Von daher werde ich den Teufel tun und jetzt hier Spekulationen abgeben.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke schön. - Die nächste Zusatzfrage kommt von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Kollegin Meta Janssen-Kucz. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie bewertet die Landesregierung aus strafprozentu- - - strafprozessualer Sicht den Nutzen der Vorratsdatenspeicherung? - Der Morgen ist zu früh, Entschuldigung.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der SPD - Dirk Toepffer [CDU]: Oder der Abend war zu lang! - Grant Hendrik Tonne [SPD]: Die Frage ist nicht zu- gelassen!)

Für die Landesregierung die Justizministerin. Frau Niewisch-Lennartz, bitte sehr!

Ein Morgen der belegten Stimmen.

Der Nutzen der Vorratsdatenspeicherung ist umstritten. Sie haben eben den Zitaten des Innenministers entnehmen können, wie das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeiten der Vorratsdatenspeicherung beschreibt. Sie haben gehört, was er berichtet hat von seinem Besuch in Brüssel, was die Strafbarkeit und die Verfolgbarkeit von Kinderpornografie betrifft. Auf der anderen Seite hat der EuGH gerade vor dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit dieses Eingriffs die österreichischen Sicherheitsbehörden befragt, welche Ermittlungserfolge zur Zeit der österreichischen Vorratsdatenspeicherung mit dieser verbunden gewesen wären. Da waren es im Wesentlichen kleinkriminelle Taten, die dort aufgrund der Vorratsdatenspeicherung haben aufgeklärt werden können.

Aus der Fragestellung des EuGH kann man entnehmen, dass es für die Entscheidung des Gerichts in hohem Maße auf die Frage der Verhältnismäßigkeit ankommen wird: Was kann man mit der Vorratsdatenspeicherung erreichen angesichts des Grundrechtseingriffs, der damit verbunden ist?

(Beifall bei der SPD - Ulf Thiele [CDU]: Das war jetzt der Versuch, ei- ne eigene Meinung zu haben, aber dem Minister nicht zu widersprechen!)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Die nächste Zusatzfrage stellt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Kollege Belit Onay. Herr Onay, Sie haben das Wort.

Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Justizministerium des Bundes hat einen Diskussionsentwurf zur Umsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vorgelegt, auch als „Alternativvorschlag“ tituliert. Meine Frage wäre deshalb an das Justizministeri

um des Landes: Wie bewerten Sie diesen Diskussionsentwurf?

Danke schön. - Für die Landesregierung noch einmal die Justizministerin.

Das Bundesjustizministerium hatte zur Umsetzung der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie im Wesentlichen Quick Freeze vorgeschlagen. Das ist allerdings keine Umsetzung der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie; das ist etwas ganz anderes. Da geht es um die Speicherung von Daten aufgrund eines ganz konkreten Verdachts, und damit entspricht es nicht einer Umsetzung der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie. Frau LeutheusserSchnarrenberger hat, soviel ich weiß, dieses Verfahren auch nicht in die Diskussion auf EU-Ebene eingebracht. Dort hatte die Kommissarin anklingen lassen, eventuell auf ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik zu verzichten, wenn die Bundesregierung wenigstens Quick Freeze einführt. Solche Schritte hat es nicht gegeben, und zu einer Initiative von Frau LeutheusserSchnarrenberger, auf europäischer Ebene anstelle einer Vorratsdatenspeicherung Quick Freeze einzuführen, ist es nicht gekommen.

Danke schön. - Zur fünften und somit letzten Zusatzfrage für die FDP-Fraktion noch einmal Dr. Marco Genthe. Bitte sehr!

Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Innenminister gerade gesagt hat, dass für ihn persönlich bzw. - so habe ich es verstanden - auch für die Polizei die Einführung der Vorratsdatenspeicherung notwendig erscheint, frage ich, insbesondere da, wie gesagt, die Staatsanwaltschaft Herrin des Ermittlungsverfahrens ist, noch einmal die Justizministerin, ob aus ihrer Sicht und aus Sicht der Staatsanwaltschaft die Einführung der Vorratsdatenspeicherung notwendig ist.

(Beifall bei der FDP)

Danke schön. - Frau Justizministerin, bitte sehr!

(Jens Nacke [CDU]: Für die Antwort gibt es nicht einmal einen Zettel!)

Ich habe eben schon darauf hingewiesen, welche Ermittlungsansätze man sich von der Vorratsdatenspeicherung verspricht - bei der Staatsanwaltschaft genauso wie bei der Polizei. Die Frage ist - deswegen habe ich auf die Diskussion vor dem EuGH hingewiesen -, ob dieses Ermittlungsinteresse in Abwägung mit den Freiheitsinteressen der Bürger durchschlägt.

(Ulf Thiele [CDU]: Und? - Dr. Stefan Birkner [FDP]: Dazu müssen Sie ja eine Meinung haben!)

- Nein, nein. Sie haben eine andere Frage gestellt. Sie haben die Frage gestellt, ob die Staatsanwaltschaft für ihre Ermittlungsinteressen die Vorratsdatenspeicherung gerne haben möchte. Das möchte sie sicherlich. Die Frage ist nur, ob es unter freiheitlichen Gesichtspunkten zu realisieren ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Dr. Marco Genthe [FDP]: Und was ist Ihre Meinung?)

Danke schön, Frau Ministerin. - Die nächste Zusatzfrage stellt für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Lutz Winkelmann. Herr Winkelmann, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund eines Artikels in der Braunschweiger Zeitung vom 21. Oktober 2012, in dem es heißt „Ohne Speicherung der Vorratsdaten gehen wir unter“ - ein Zitat des Landeskriminalamtes - und in dem Bezug genommen wird auf eine Statistik von Straftaten, für deren Aufklärung die Vorratsdatenspeicherung notwendig gewesen wäre, frage ich die Landesregierung: Wie sieht diese Statistik aus? Welche konkreten Straftaten insbesondere im Hinblick auf die Frage von Kinderpornografie gibt es, bei denen die Vorratsdatenspeicherung in der Vergangenheit notwendig gewesen wäre?

(Beifall bei der CDU)

Danke schön. - Herr Innenminister Pistorius!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat gibt es eine Statistik, die seit

dem 1. Juli 2010 geführt wird. Stand 15. Oktober 2013 ergeben sich aus dem Straftatenkatalog nach § 100 a StPO insgesamt 185 Fälle, bei denen eine Aufklärung nicht möglich war. In 26 Fällen war eine Aufklärung nur unvollständig möglich. Und in 37 Fällen führten die Ermittlungen erst verspätet bzw. unter größeren Schwierigkeiten zum Erfolg. Im Bereich der sonstigen Straftaten war eine Aufklärung in 1 152 Fällen nicht möglich. In 193 Fällen erfolgte sie unvollständig und in 69 Fällen erst verspätet. Somit konnten 1 337 Fälle nicht aufgeklärt werden, weil erforderliche Verbindungsdaten nicht verfügbar waren.

In der Summe der Fälle, die zusätzlich noch sieben Fälle der Gefahrenabwehr enthielt, die ich einmal weglasse, wären in 656 Fällen Verkehrsdaten der einzige Ermittlungsansatz gewesen. Die Statistik geht deutlich darüber hinaus. Wenn wir alle Fälle herausrechnen, die sonstige Straftaten umfassen - was ich empfehle, weil ich schon der Auffassung bin, dass ein solches Instrument nicht für einen beliebig großen Katalog von Straftaten zur Anwendung kommen darf -, bleiben mit den Straftaten nach § 100 a StPO die von mir gerade genannten 185 Fälle übrig.

Danke schön. - Die nächste Zusatzfrage für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellt Kollege Limburg.

Danke. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Justizministerin hat gerade schon Ausführungen zur Frage der Umsetzung von Quick Freeze gemacht. Ich frage noch einmal allgemeiner: Ist der Landesregierung denn irgendeine Initiative der Bundesjustizministerin LeutheusserSchnarrenberger zur Aufhebung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung bekannt? Oder hat die Bundesjustizministerin in dieser Frage in den letzten vier Jahren einfach nur gar nichts getan?

(Zustimmung bei der SPD)

Danke schön. - Für die Landesregierung antwortet die Justizministerin des Landes. Bitte sehr!

Solche Initiativen der ehemaligen Bundesjustizministerin sind der Landesregierung nicht bekannt. Insbesondere hat sie ganz darauf verzichtet, Nich

tigkeitsklage zu erheben. Das wäre das angemessene Rechtsmittel gewesen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Helge Limburg [GRÜNE]: Was? Sie hat gar nichts gemacht? Das ist ja unglaub- lich!)

Danke schön. - Die nächste Zusatzfrage für die Fraktion der CDU stellt die Abgeordnete Mechthild Ross-Luttmann. Frau Ross-Luttmann, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor dem Hintergrund der klaren Aussage des Herrn Innenministers Pistorius, dass 185 Fälle schwerwiegender Straftaten nicht aufgeklärt werden konnten, weil es an einer Vorratsdatenspeicherung fehlt, und der Aussage der Frau Justizministerin, der Nutzen der Vorratsdatenspeicherung sei umstritten, frage ich die Landesregierung: Wie will die Landesregierung vor dem Hintergrund der Tatsache, dass 185 Fälle schwerwiegender Straftaten nicht aufgeklärt werden konnten, auch künftig Opferschutz gewährleisten?

(Zustimmung bei der CDU)

Danke schön. - Herr Innenminister!