Protokoll der Sitzung vom 27.03.2014

Ich rufe also zunächst die Eingaben aus der 12. Eingabenübersicht in der Drucksache 17/1315 auf, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen. Wer zu diesen Eingaben der jeweiligen Ausschussempfehlung zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um ein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sie sind den Ausschussempfehlungen einstimmig gefolgt.

Wir kommen jetzt zur Behandlung der strittigen Eingaben, die einen komplexen Bereich der Bildungspolitik betreffen, sodass wir eine einheitliche Debatte führen können. Entsprechend sind auch die Wortmeldungen der Fraktionen.

Ich rufe also nun die Eingaben aus der 12. Eingabenübersicht in der Drucksache 17/1315 auf, zu denen die erwähnten Änderungsanträge vorliegen.

Wir treten in die Beratung ein. Zunächst hat für die Antragsteller der Kollege Kai Seefried, CDU-Fraktion, das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche heute zu einer Vielzahl von Petitionen, die uns aus dem ganzen Land erreicht haben und die sich gegen die Schließung weiterer Förderschulen in Niedersachsen aussprechen.

All diese Petitionen machen deutlich, dass sich niemand gegen das Recht auf Teilhabe, wie es die UN-Behindertenrechtskonvention zusichert, ausspricht. Aber die entscheidende Frage lautet, wie wir dieses Recht auf Teilhabe in Niedersachsen umsetzen wollen.

Genau darum geht es auch den Petenten, die teilweise mehrere tausend Unterschriften gesammelt haben. Die Eingaben, die wir hier innerhalb weniger Minuten debattieren, machen einen Riesenberg an Papier und an unzähligen Unterschriftenlisten aus, und diese Petitionen sind exemplarisch dafür, dass es viele Menschen gibt, die ein großes Problem mit der Politik von Rot und Grün in Niedersachsen haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie von SPD und Grünen können diese Masse an Petitionen, die mit vielen Unterschriften gezeichnet sind, nicht einfach unberücksichtigt lassen. Sie

können und dürfen sich auch nicht hinter der Aussage „Wir machen es ja zum Material für die Arbeit der Landesregierung“ verstecken.

Gemeinsam haben wir in diesem Haus am 20. März 2012, also genau vor zwei Jahren, das Recht auf Teilhabe schulgesetzlich umgesetzt. Wir stehen als CDU-Landtagsfraktion zu unserer Verantwortung als damals regierungstragender Fraktion, die dieses Gesetz mit auf den Weg gebracht hat. Dieses Gesetz steht aber unter einer großen Überschrift. Diese Überschrift lautet: „Wahlfreiheit“. Außer in der Förderschule Lernen in den Klassen 1 bis 4 haben die Eltern in Niedersachsen die Wahlfreiheit, welchen Förderort sie für ihr Kind wählen möchten, welchen Förderort sie für den besten für ihr Kind halten. Das Gesetz hat eindeutig eine Sprache: Das Kindeswohl muss im Vordergrund stehen, und niemand darf überfordert werden.

(Beifall bei der CDU)

Ich fordere gerade die SPD auf: Stehen auch Sie zu dem, was Sie vor zwei Jahren mit beschlossen haben! Stehen auch Sie zu Ihrer Verantwortung!

Wir dürfen die erfolgreiche Umsetzung der Inklusion nicht gefährden. Wir dürfen nicht einen Schritt vor dem anderen machen. Wir stehen - das ist uns doch wohl allen klar - am Beginn eines ganz langen Weges, der ein eigentlich ganz einfaches Ziel hat: Es muss normal werden, verschieden zu sein. - Aber es ist nicht einfach, diesen Weg umzusetzen. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir müssen die Inklusion in die Herzen der Menschen bringen. Wir müssen uns dafür auch Zeit nehmen, und wir müssen Unterstützung zur Verfügung stellen. Eines dürfen wir nicht tun, was Rot-Grün im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat, nämlich zum jetzigen Zeitpunkt weitere Förderschulen abschaffen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Allein die Aussagen in Ihrem Koalitionsvertrag haben bereits riesige Probleme gebracht. Die Eltern sind verunsichert. Sie wissen nicht, welcher Förderort zukünftig für ihr Kind zur Verfügung steht, wie sie ihr Kind anmelden können. Die Förderschulen Sprache sind bereits im letzten Jahr nur aufgrund der Formulierung im Koalitionsvertrag angewiesen worden, die Eltern darauf hinzuweisen, dass an diesen Schulen ab den Sommerferien 2014 keine Kinder mehr aufgenommen werden dürfen.

Kann sich überhaupt jemand vorstellen, was das für die jeweilige Familie bedeutet, die überlegt: Was machen wir in dieser Situation? Wie helfen wir unserem Kind am besten? Kann sich jemand vorstellen, welche Sorgen und Nöte dies in die Familien und welche unnötigen Diskussionen dies in die Schule hineinbringt? - Alle diese Sorgen sind nur aufgrund Ihres Koalitionsvertrages entstanden. Was ist das Ergebnis? - Es wird um ein Jahr verschoben, und es tut einem um jeden leid, der diese Debatte in seiner Familie führen musste. - Das kann es nicht gewesen sein!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Verschiebung - im Vergleich zum Koalitionsvertrag um ein Jahr - macht es nicht besser. Deswegen frage ich die Abgeordneten der regierungstragenden Fraktionen ganz deutlich: Waren Sie eigentlich schon einmal in einer Förderschule Sprache?

(Petra Tiemann [SPD]: Oh, bitte! - Weitere Zurufe von der SPD)

Nehmen Sie diese Einladung an. - Wenn Sie alle da gewesen sind, dann kann es nicht Ihr ernsthafter Wille sein, das zu verfolgen, was in Ihrem Koalitionsvertrag steht.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Norbert Böhlke [CDU]: Sehr richtig!)

Man kann ständig in den Medien nachlesen, dass Abgeordnete und insbesondere die Ministerin eingeladen werden, sich einmal solche Systeme anzuschauen, aber es kommen nicht einmal Rückmeldungen, wenn solche Einladungen ausgesprochen werden.

(Widerspruch bei der SPD - Christian Dürr [FDP]: So ist es!)

- Das ist die Realität.

(Johanne Modder [SPD]: Würden Sie solche Unterstellungen bitte lassen?)

Deswegen nochmals: Wenn Sie dort gewesen sind - Sie sagen ja alle, dass Sie dort gewesen sind -, dann haben Sie erlebt, wie in kleinen Lerngruppen auf die Kinder eingegangen werden kann, wie es ist - das möchte ich auch denjenigen erklären, die das nicht kennen -, in einer ersten Klasse in einer solchen Förderschule zu sitzen. Dort sind Kinder in der ersten Klasse, die nicht ein einziges Wort richtig aussprechen können. Dass sie Wörter nicht richtig aussprechen können, liegt nicht am

Elternhaus oder an mangelnder Bildung. Das sind besondere Störungen, und dort stehen hierfür besondere Kompetenzen zur Verfügung, die notwendig sind, um diesen Kindern zu helfen und sie zu unterstützen. Das muss man selber einmal erlebt haben, um zu wissen, worüber man auch heute mit diesen Eingaben hier im Landtag entscheidet.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von Petra Tiemann [SPD])

Wenn ich in diesen Schulen gewesen bin, dann hatte ich nicht das Gefühl, dass dort Kinder sind, die sich stigmatisiert fühlen oder die es schlecht finden, dass sie in einem solchen besonders geförderten System sind, sondern ich habe dort Kinder erlebt, die gestärkt sind, die den Mut haben und sich auch trauen, zu sprechen und mit anderen gemeinsam zu trainieren. Was glauben Sie denn, was passiert, wenn die alle in einer allgemeinbildenden Grundschule sind und nicht diese besondere Förderung erhalten? Wollen Sie wirklich am Ende der vierten Klasse sprachlose Kinder in den Schulen haben?

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Petra Tiemann [SPD]: Ist das Ihr Bild von Inklusion?)

Deswegen sage ich nochmals deutlich - ich glaube, so viele Tausende von Menschen können sich mit ihrer Unterschrift, die sie dort geleistet haben, an der Stelle nicht irren -: Nehmen Sie diese Menge von Eingaben, diese Menge von Unterschriften ernst! Werden Sie der Verantwortung gerecht, so wie wir es damals im Schulgesetz festgeschrieben haben! Folgen Sie unseren Vorschlägen, die wir heute hier gemacht haben,

(Reinhold Hilbers [CDU]: Genau!)

dass all das, was über das Schulgesetz hinausgeht, heute mit „Berücksichtigung“ befunden wird! Machen Sie heute nicht den Einstieg in den Ausstieg aus dem Förderschulsystem! Diese Position ist für die CDU-Landtagsfraktion absolut nicht verhandelbar.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich sage auch deutlich, weil Sie sich hier so aufregen: Folgen Sie damit auch dem, was Ihre Parteibasis vor Ort in Gemeinderäten, in Kreistagen, in Orts- und Gemeindeverbänden fordert! Sie alle gemeinsam fordern Sie auf, dieses erfolgreiche System in Niedersachsen nicht zu zerschlagen, sondern Inklusion wirklich zum Erfolg zu machen.

Aber das geht nicht so, wie es in Ihrem Koalitionsvertrag steht.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Seefried. - Zum gleichen Themenkomplex hat jetzt für die SPD-Fraktion der Abgeordnete Stefan Politze das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Seefried, Sie schüren hier die Ängste der Eltern.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU und bei der FDP - Zurufe von der CDU: Nein!)

(Christian Dürr [FDP]: Das ist ja wohl unverschämt! - Zuruf von Editha Lor- berg [CDU])

- Sie brauchen sich nicht aufzuregen, Frau Lorberg.

Mit einer derart gearteten Rede schüren Sie die Ängste bei den Eltern über ein Thema, das weder entschieden noch auf den Weg gebracht ist. Sie schieben ein Thema, das für die Menschen wichtig ist, ohne Not in einen parteipolitischen Streit hinein.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich möchte vorausschicken, dass Sie weit irren, wenn Sie sagen, dass wir in Förderschulen Sprache nicht zugegen waren. Ich habe mit allen Förderschulen Sprache in der Region gesprochen und weiß sehr wohl, welch gute Arbeit sie leisten. Das gilt auch für meine Kollegen im Arbeitskreis Kultus.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich weiß aus eigener Anschauung in der Familie, wie schwierig es sein kann, mit einem Sprachhandicap in der Schule zurechtzukommen, und wie wichtig auch das normal gegliederte Schulsystem dafür sein kann. Ich habe den anschaulichen Beweis in der eigenen Familie. Sie können mir also abnehmen, dass wir uns sehr intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt haben.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Petenten wenden sich gegen die Aufhebung von Sprachlernklassen, Sprechheilkindergärten und den Erhalt aller Förderschulen, zumindest in einer Petition. Sie befürchten bei vollständiger Inklusion erhebliche Nachteile für ihre Kinder. Wir nehmen sehr ernst, dass es diese Ängste gibt, meine sehr geehrten Damen und Herren.