Protokoll der Sitzung vom 28.03.2014

„Wie beurteilt die Landesregierung die Auswirkungen der Ankündigung der Nürnberger Versicherung auf Hausgeburten mithilfe freiberuflicher Hebammen und Geburten in Krankenhäusern mit Beleghebammen?“

teilte die Ministerin einen Monat später mit:

„Gerade in einem Flächenland wie Niedersachsen ist eine ausreichende Anzahl Hebammen in den einzelnen Regionen ein elementarer ‚Bestandteil’ des Versorgungsangebots für schwangere Frauen.

Die Landesregierung beobachtet die finanziellen Belastungen, die insbesondere durch den deutlichen Anstieg der Haftpflichtversicherungsprämien für die in der Geburtshilfe tätigen Hebammen verursacht werden, mit großer Sorge.“

(Zurufe von der CDU: Hört! Hört! - Thomas Schremmer [GRÜNE]: Das ist doch kein Widerspruch! - Glocke des Präsidenten)

„Die Ankündigung der Nürnberger Versicherung, sich aus dem Haftpflichtgeschäft zurückzuziehen, verschärft dieses Problem noch.“

So die Ministerin.

(Uwe Schwarz [SPD]: Ist das falsch?)

Meine Damen und Herren, dazwischen liegen vier Wochen. Im Januar 2014 war Niedersachsen auch schon ein Bundesland. Wir haben bereits 2013 auf diese Probleme hingewiesen. Die Ministerin bemerkt diese Dramatik aber eigentlich erst, nachdem zwei grüne Landtagskollegen auf diese Thematik hingewiesen haben. Und siehe da: Es dauerte nicht lange, und auch die SPD-Fraktion hatte ihre erste Pressemitteilung zu dieser Frage herausgegeben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

So, das war jetzt Ihr letzter Satz, Herr Kollege Böhlke. Sie haben Ihre Redezeit um 40 Sekunden überzogen. Ich betrachte das mit großer Sorge. Das war jetzt also wirklich Ihr letzter Satz.

Vielen Dank, Herr Präsident. Aber Sie wissen: Bei Schwangerschaften weiß man nie so genau, wann es losgeht.

(Heiterkeit und Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nun ist gut. - Nach vielem Ernst in diesem Hause muss auch einmal Spaß sein. Das war gut, ja. - Das Wort hat jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Elke Twesten. Bitte schön!

(Zurufe von der CDU: Da war noch eine Kurzintervention!)

- Oh, es gibt eine Kurzintervention?

(Gudrun Pieper [CDU]: Ja, Frau Dr. Wernstedt!)

- Frau Dr. Wernstedt. - Frau Twesten, Sie sehen es mir jetzt bitte nach, dass ich die Wortmeldung zu einer Kurzintervention nicht gesehen habe. Notfalls lautstark melden. Also 90 Sekunden, Frau Dr. Wernstedt, bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Böhlke, es ist eine arg verengte Sichtweise auf unsere Fraktionen, wenn Sie uns unterstellen, wir hätten erst auf entsprechende Aktivitäten der Grünen hin reagiert.

(Norbert Böhlke [CDU]: Die Ministe- rin!)

Das ganze Land ist in Besorgnis, und landauf, landab werden verschiedene Modelle diskutiert. Auch der SPD vorzuwerfen, sie würde die Unfallversicherung allein nicht plündern wollen, ist sehr, sehr eng und auch ein bisschen flach gesprochen, weil solche Modelle auch schon auf Bundesebene überlegt worden sind. Das wollte ich nur zur Korrektur Ihrer Ausführungen sagen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Böhlke nutzt die 90 Sekunden jetzt zur Erwiderung.

(Uwe Schwarz [SPD]: Tritt die Schwangerschaft denn jetzt ein?)

Verehrte Frau Dr. Wernstedt, ich habe hier deutlich gemacht, dass die Reaktion der Ministerin in der Antwort auf die betreffende Mündliche Anfrage kritikwürdig ist, nicht aber die Haltung der SPD in dieser Frage. Sie haben deutlich gemacht, dass wir grundsätzlich Einvernehmen haben. Wir werden sicherlich nicht nur dann einen gemeinsamen Weg finden, wenn Sie sich darauf berufen, dass Sie eine Stimme mehr im Landtag haben und deshalb durchsetzen können, was Sie wollen, sondern wir sind auch dann, wenn wir in der Sache vorankommen wollen, auf einem gemeinsamen Weg. Deshalb sage ich Ihnen sehr deutlich: Jawohl, auf diesem richtigen Weg verfolgen wir genau den richtigen Ansatz.

Wir möchten ferner deutlich machen, dass die Aussage, dass die Arbeit der Hebammen endlich gewürdigt werden soll, unzutreffend ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben das Stichwort „Familienhebammen“ angesprochen. Schon seit vielen Jahren machen wir mit der Stiftung „EINE CHANCE FÜR KINDER“ von Prof. Dr. Windorfer und auch durch die Unterstützung des Landes deutlich, welch hohen Stellenwert die Entwicklung der Ausbildung von Familienhebammen

und die damit verbundenen beruflichen Aufgaben in vielen Landkreisen des Landes Niedersachsen haben, und wir fordern und wünschen uns, dass es in diesem Sinne weitergeht. Da brauchen wir Ihre Korrekturen mit Sicherheit nicht zu berücksichtigen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

So, das waren die Kurzinterventionen. - Nun geht es wirklich mit der schon angekündigten Rednerin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen weiter. Frau Twesten, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, vielen Dank. - Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Hebammen und Geburtshelferinnen - wir wollen nicht auf sie verzichten. Im Ziel sind wir uns bereits jetzt einig, wie schon mehrfach angeklungen ist. Herr Böhlke, trotz Ihres Aufschlags von eben, der mit Sicherheit auch Richtung Berlin gerichtet war,

(Norbert Böhlke [CDU]: Ja!)

bedanke ich mich, wenn Sie jetzt schon einen möglichen Konsens signalisieren können.

Meine Damen und Herren, Hebammen leisten einen unschätzbar wichtigen Beitrag für Eltern und Kinder vor, während und nach der Geburt. Wir alle wollen dieses System der Grundversorgung erhalten, und wir wollen junge Eltern mit besonderen Problemen unterstützen, wenn es um das Kindeswohl geht.

Unsere speziell ausgebildeten Familienhebammen haben schon so manche Überforderung von Eltern abgefedert. Dieses erfolgreiche Konzept für starke Eltern und starke Kinder wollen wir in Niedersachsen erhalten und ausbauen. Dafür brauchen wir sie und ein funktionierendes Netz von Hebammen in der Fläche.

Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass sich die Situation seit nunmehr vier Jahren immer weiter zuspitzt. Wir wissen, dass ein Stundenlohn von 8,50 Euro und eine Haftpflichtprämie von über 5 000 Euro Hunderte von Hebammen gezwungen haben, den Job aufzugeben. Nur: Bislang ist leider nichts Wesentliches passiert, was den Niedergang dieses Berufsstandes aufhält. Uns allen ist klar, dass es hier um mehr geht als um die individuelle

Entscheidung, ob ich mein Kind zu Hause oder in der Klinik bekomme.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein ganzer Berufsstand steht vor dem Aus und mit ihm die Vor- und die Nachsorge in der Fläche. Dieses Argument darf auf gar keinen Fall zu kurz kommen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Schon heute, meine Damen und Herren, müssen Schwangere weite Strecken fahren. Fast jede vierte freiberufliche Hebamme hat seit 2007 ihren Beruf im Flächenland Niedersachsen aufgegeben. Mittlerweile ist das System Hebamme nachhaltig erschüttert. Niedrigste Einkünfte bei hohen Berufskosten schrecken Berufseinsteigerinnen ab. Der Nachwuchs würde wegbrechen, beklagt der Hebammenverband, und das, obwohl dieser Beruf vor noch wenigen Jahren äußerst beliebt war. Und jetzt? - Auch ich muss gestehen: Ich kann es jungen Frauen nicht verübeln. Es ist schlicht unvernünftig, einen Beruf zu wählen, der derart schlecht bezahlt ist und keine Zukunft bietet.

Meine Damen und Herren, schöne Worte allein helfen nicht, zumal mit dem geplanten Rückzug der Nürnberger eine der letzten Versicherungen, die überhaupt noch Haftpflichtversicherungen anbieten, die Segel streicht. Die Hebammen sprechen von einem quasi Berufsverbot. Sie tun dies nicht ganz zu Unrecht; denn ohne Haftpflicht dürfen Hebammen nicht arbeiten.

Der Rückzug der Nürnberger macht deutlich: Der Geschäftszweig Geburtshilfe ist schlicht nicht lukrativ, birgt viele Risiken und bietet wenig Aussicht auf Gewinn. Für ein betriebswirtschaftlich denkendes Unternehmen ist es quasi ein Geschäft, von dem man besser die Finger lässt. Das liegt nicht an den über Jahre gleichbleibenden Schadensfällen, sondern an den individuell steigenden Schadenssummen, die Versicherungen zu zahlen haben.

Meine Damen und Herren, kurzfristig wird uns ein Modell wie vielleicht der Haftungsfonds helfen. Das allein hilft uns über die aktuelle Durststrecke aber nur kurzfristig hinweg. Mittel- und langfristig brauchen wir eine nachhaltige Lösung für das Problem steigender Beiträge, und nur die grundlegende Neuordnung der Unfallversicherung kann eine vernünftige und tragfähige Perspektive bieten.

Wir brauchen Lösungen: nachhaltig, praktikabel, wirkungsvoll, bezahlbare Prämien, anständige Be

zahlungen, durchdachte Konzepte für neue Versorgungsformen. Gerade vor dem Hintergrund unserer vielen kleinen von Schließung bedrohten Krankenhäuser in der Fläche Niedersachsens ist dies eine Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Wir müssen uns dieser Aufgabe vor allem aber deshalb stellen, weil es vornehmlich darum geht, Kinder ins Leben zu begleiten.

(Zustimmung)

In diesem Sinne freue ich mich auf eine Begleitung unserer Initiative. Es ist High Noon, Herr Gröhe. Bitte, geben Sie Gas!

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)