Protokoll der Sitzung vom 22.07.2014

Mir liegt zurzeit eine Wortmeldung vonseiten der Antragsteller vor. Das Wort hat der Kollege Wiard Siebels, SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon seit Jahren schwelt ein Konflikt zwischen Jägern, Landwirten und auch dem Naturschutz, der sich insbesondere in Gebieten wie Ostfriesland bemerkbar macht, weil die Landstriche dort sehr stark von Gänsepopulationen heimgesucht werden. Auch die von der vormaligen

Landesregierung vorgenommene Änderung der Jagdzeitenverordnung aus Mai 2008 hat an diesem Konflikt nichts verändern können, ihn nicht befrieden können, sondern sozusagen eher noch zu einer Verstärkung dieser Auseinandersetzung beigetragen.

Dabei geht es uns jetzt darum, gemeinsam, wissenschaftlich begleitet, untersuchen zu lassen, welche Auswirkungen die Jagd tatsächlich auf die Entwicklung der Populationen, beispielsweise von Graugänsen, hat. Die bisher übereinstimmende Einschätzung in dieser Frage ist, dass die Bejagung eher eine nachrangige Auswirkung hat. Es geht auch um die Frage, ob andere, nicht bejagte Arten durch die Störung, die durch die Jagd im Allgemeinen ausgelöst wird, betroffen sind und, wenn ja, in welcher Weise. An dieser Stelle besteht schon weniger Konsens. Diese Frage ist zwischen den verschiedenen Gruppen hoch umstritten. Es geht um die Frage, welche Auswirkungen Jagd beispielsweise auf Fluchtstrecken, also Fluchtdistanzen der Tiere hat. Und es geht natürlich auch - - -

(Lutz Winkelmann [CDU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Herr Kollege Siebels, ich darf Sie unterbrechen. - Es soll eine Zwischenfrage gestellt werden. Lassen Sie sie zu?

Im Moment nicht. Vielen Dank.

Sie lassen keine Zwischenfragen zu.

Ich möchte erst im Zusammenhang vortragen, Herr Kollege. Wir haben ja heute die erste Beratung und werden das auch noch im Ausschuss diskutieren. Ich glaube, es gibt noch jede Menge Gelegenheit zur argumentativen Auseinandersetzung.

Auch der Widerspruch zwischen der Einrichtung von Schutzgebieten, den Entschädigungszahlungen für die Landwirte einerseits und trotzdem einer möglicherweise sogar ausgeweiteten Bejagung andererseits ist aufzulösen. Die Frage der Auswirkungen auf die Wiesenbrüter, von denen wir wissen, dass wir gemeinsam ein Problem bei der Entwicklung von Wiesenbrütern in Niedersachsen haben, und auch die Frage einer möglicherweise

eher höheren Reproduktionsrate als bei Populationen, die nicht bejagt werden, sind zu klären. Dabei geht es natürlich auch - das lässt sich nicht ganz ausblenden, auch wenn es nicht direkt in den Antrag hineinspielt - um die Veränderungen der Jagdzeitenverordnung, die die neue Landesregierung jetzt vornehmen will, vornehmen wird. In der Tat ist auch zu untersuchen, inwieweit sich beispielsweise die Einführung der Intervalljagd auf alle diese Fragen auswirkt.

Das soll es von mir zur Einleitung gewesen sein. Ich habe versucht, zunächst einmal das Problemfeld zu beschreiben, und ich denke, es sollte unser gemeinsames Ziel sein, nicht in den nächsten zehn Jahren genauso über die Frage eines Enddatums bei der Jagdzeitenverordnung zu streiten und zunächst zu verkürzen, um im nächsten Atemzug möglicherweise wieder zu verlängern. Mein Anspruch wäre vielmehr, dass wir alle beteiligten Gruppen, die ich geschildert habe - das betrifft die Landwirte genauso wie die Naturschützer, und es betrifft eben auch die Jägerschaft -, an einen Tisch holen

(Martin Bäumer [CDU]: Das geschieht doch schon!)

und dieses Problem möglichst im Konsens lösen. Das kann man, so denke ich, wenn man sich gemeinsam auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützt.

In diesem Sinne darf ich mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken und freue mich auf eine wohl sehr kontroverse Diskussion.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Siebels, für die Einbringung. Sie können sich gleich bereithalten; denn Sie haben gleich die Chance zu entscheiden, ob Sie antworten wollen. Es gibt auf Ihre Rede eine Kurzintervention. Der Kollege Winkelmann von der CDU-Fraktion hat für 90 Sekunden das Wort.

Herr Präsident! Herr Kollege Siebels, was ich Sie habe fragen wollen und jetzt im Wege der Kurzintervention einbringe, ist Folgendes: Sie sprachen von nicht bejagbaren Gänsearten. Dabei ist mir aufgefallen, dass in Ihrer Drucksache davon gesprochen wird, die Weißwangengans sei eine nicht bejagbare Art. Ich frage Sie: Wie kommen Sie

dazu? - Die Weißwangengans wird auch Nonnengans genannt. Die Population ist in den letzten Jahren immens angestiegen. Der lateinische Name ist übrigens Branta leucopsis, falls Sie das nachlesen möchten. Die rot-grüne Landesregierung in Schleswig-Holstein war so klug, zu Beginn dieses Jahres, ab diesem Jahr, eine Jagdzeit für diese bejagbare Gänseart einzuführen mit der Maßgabe, dass in Schadensgebieten gejagt werden darf. Meine Frage: Warum haben Sie diese Gänseart als nicht bejagbar eingestuft?

(Beifall bei der CDU)

So kann man das machen, Herr Kollege Winkelmann. Es ist absolut in Ordnung, die Zwischenfrage in eine Kurzintervention zu kleiden.

Der Kollege Siebels möchte antworten. Sie haben für 90 Sekunden das Wort. Bitte schön!

Herr Kollege, ich kann gar nicht genau sagen, ob ich von nicht bejagbaren Arten gesprochen habe, will das aber auch nicht ausschließen. Aber ich denke, wir sind uns doch einig, dass in der Jagdzeitenverordnung zwischen den einzelnen Rassen eine Unterscheidung vorgenommen wird.

(Helmut Dammann-Tamke [CDU]: Ar- ten!)

Dabei gibt es Rassen, die bejagt werden, und andere werden nicht bejagt. Die Frage ist, welche Auswirkungen die Bejagung einer Art in einem gemeinsamen Gebiet auf eine andere Art haben kann. Das genau ist der Kern des Vorwurfs - wenn ich es einmal so formulieren darf -, den wir aus der Richtung des Naturschutzes jeden Tag zu hören bekommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Anja Piel [GRÜNE] - Zurufe von der CDU)

Damit sind Kurzintervention und Antwort abgeschlossen, und es geht weiter mit dem Beitrag der CDU-Fraktion. Für diese hat der Kollege ErnstIngolf Angermann das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den vergangenen Jahren hat die Gänsepopulation in Niedersachsen enorm zugenommen. Allein in Ostfriesland werden mehr als 100 000 Tiere gezählt. Große Schäden in Getreidebeständen bis hin zum Totalabfraß sind festzustellen. Auch der für die Milchviehfütterung wertvollste erste Schnitt von Grünland wird in vielen Fällen unbrauchbar, weil Gänse das Gras abfressen oder auch stark verkoten. Nur in wenigen Kernregionen der Schutzgebiete wird eine Entschädigung für die Schäden gezahlt. Überwiegend werden die Landwirte mit ihren Schäden im Stich gelassen. Auch wenn eine Entschädigung gezahlt wird: Was nutzt einem Milchviehhalter das Geld, wenn ihm anschließend das eingeplante Futter fehlt oder nicht gefressen werden kann, weil es verkotet ist?

(Beifall bei der CDU)

Da diese Entwicklung schon lange erkennbar war, hat die alte Landesregierung 2008 eine Ausweitung der Jagdzeiten verfügt. Das war ein richtiger und wichtiger Schritt, um einer zunehmenden Ausdehnung der Gänsepopulation entgegenzuwirken und Folgeschäden zu reduzieren.

(Beifall bei der CDU)

In dem nun vorliegenden Antrag ist in der Begründung zur Forderung eines Gänsemonitorings und -managements zu lesen:

„Zur Vermeidung eines übermäßigen Wildschadens wäre die Jagd auf Gänse in Vogelschutzgebieten nur zu erlauben, wenn damit tatsächlich eine Minderung des Wildschadens erreicht werden könnte. Das ist jedoch aufgrund der Tatsache, dass die Gänseschäden seit der Ausweitung der Jagdzeiten nicht abgenommen haben, empirisch widerlegt.“

Wie denn auch? - Seit 2008 hat die Gänsedichte zugenommen. Was wäre wohl geschehen, wenn die Jagdzeiten nicht ausgeweitet worden wären? Noch mehr Gänse und noch mehr Schäden?

(Beifall bei der CDU)

Herr Minister Meyer, in dem Wissen, dass trotz Bejagung die Gänsepopulation zugenommen hat, wollen Sie jetzt die Jagdzeiten verändern und reduzieren. Wie wird das aussehen? - Bisher verteilen sich die Gänse auf einen gesamten Jagdbezirk. Zukünftig soll ein Jagdbezirk in zwei Blöcke, in A und B, aufgeteilt werden. A wird die ersten 14

Tage des Monats bejagt, B wird in Ruhe gelassen. Dann wird es umgekehrt sein. Dies hat zur Folge, dass, wenn A bejagt wird, alle Gänse auf B sind und dort in doppeltem Maße grasen und doppelten Schaden verursachen. In den anderen 14 Tagen wird es genau umgekehrt sein.

(Beifall bei der CDU)

Die Folge insgesamt: Es werden weniger Tiere geschossen, weil Gänse ja nicht dumm sind. Sie wissen schon, wohin sie fliegen müssen und wo sie Ruhe haben. Es wird genauso viel Schaden entstehen, und im Winter darauf wird noch mehr Schaden entstehen, weil weniger Tiere geschossen wurden. - Das kommt bei Ihrem jetzigen Entwurf heraus!

(Beifall bei der CDU)

Wie viel Fraßschäden und Einkommensverluste sollen die betroffenen Landwirte denn noch ertragen? - Sie haben in Ihren Ausführungen zur sanften Agrarwende betont, jeder Betrieb soll erhalten bleiben. Das war Ihre Aussage. Wenn die Erträge durch Gänsefraß in den hier überwiegend familienbäuerlichen Betrieben, die Sie ja erhalten wollen, trotz eventueller Entschädigung nicht mehr auskömmlich sind, wenn die Viehhaltung an die Grenzen der Wirtschaftlichkeit kommt, dann sind Existenzen betroffen. So weit darf es nicht kommen, und dessen sollten Sie sich bewusst sein.

(Beifall bei der CDU)

Was hilft hier ein Gänsemonitoring oder ein -management? Muss das, was lange bekannt ist, explizit für Ostfriesland nochmals wissenschaftlich ermittelt werden? - Es gibt eine Vielzahl von Publikationen und Studien zum Thema Management von Gänseschäden, wie: „Vögel in der Kulturlandschaft - Studie zum Gänsemanagement“ von Hans-Georg von Campen, „Gänseschadenmanagement in Deutschland“, Alfred Toepfer Akademie, „Neubewertung der Auswirkungen der Gänserast auf landwirtschaftlich genutzten Grünflächen im Vogelschutzgebiet Rheiderland“, 2010 erstellt vom NLWKN, und weitere mehr. All das ist bekannt. Was soll also neu herauskommen? - Das Verhalten der Gänse auf ihren Rast- und Futterplätzen ist hinreichend wissenschaftlich ermittelt und dokumentiert, mit und auch ohne Jagd.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie einen Ausgleich zwischen der Landwirtschaft, dem Vogelschutz und der Jagd schaffen

wollen, dann sorgen Sie zuallererst dafür, dass die Gänseschäden nicht weiter zunehmen!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Des Weiteren muss durch geeignete Lenkungsmaßnahmen erreicht werden, dass die Gänse die ausgewählten Vertragsnaturschutzflächen als Äsungsflächen auch wirklich annehmen und damit auf die übrigen Flächen verzichten, sodass dort kein Flurschaden mehr entsteht. Hierzu gehört in erster Linie eine gezielte Bejagung.

Die, die permanent behaupten, dass durch die Jagd die Schäden in der Landwirtschaft vergrößert werden, sollen die Realitäten erkennen. Weit über 1 Million Gänse verschiedener Arten sind im Herbst an den Küstengewässern unseres Landes anzutreffen. Das heißt, von Oktober bis zum Frühjahr des folgenden Jahres - zum Teil bis in den April - sind sie auf Nahrungssuche. Das sind sechs Monate, in denen sie junge Getreidepflanzen auf den Äckern und Grasaufwuchs auf den Weiden abgrasen können. Die Jagdzeit dauert allerdings vom 1. November bis zum 15. Januar, also zweieinhalb Monate. Der überwiegende Schaden entsteht in der jagdfreien Zeit, in der Ruhe herrscht. Das Argument, dass die Jagd Fraßschäden in den Landwirtschaft verstärkt, ist damit widerlegt.